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Lokales
Offener Brief an Kölns OB Jürgen Roters und weitere "Freunde" der Klagemauer
Stéphane Hessel war anderer Meinung
Von Walter Herrmann

Zur "Resolution gegen antiisraelische und antisemitische Darstellungen an der sog. Kölner Klagemauer" hat deren Gründer Walter Herrmann einen Offenen Brief an die UnterzeichnerInnen geschrieben. Dies sind Kölns OB Jürgen Roters, seine VertreterInnen Elfi Scho-Antwerpes, Hans Werner Bartsch, Angela Spitzig und Manfred Wolf. Außerdem ist dieser Brief an die Ratsfraktionen von SPD, CDU, FDP und Grünen sowie an den katholischen Stadtdechanten und den evangelischen Stadtsuperintendenten gerichtet. Weil die üblichen Medien ihn vermutlich im Gegensatz zur "Resolution" nicht veröffentlichen werden, können Sie den Brief in einer Zusammenfassung hier in der NRhZ lesen. – Die Redaktion

Oberbürgermeister Jürgen Roters
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com


Sehr geehrte Damen und Herrn, Sie sind Unterzeichner der o.g. "Resolution". Ich gehe davon aus, dass sich Ihre Einschätzung der Palästina-Klagemauer auf Informationen stützt, die Sie selbst nicht überprüft haben. Wie viele andere haben Sie vermutlich nicht wahrgenommen, dass die ins Internet gestellte Fotoaufnahme mit der "Karikatur" in der Klagemauer manipuliert ist. Ein wichtiges Detail ist in der Internet-Version wegretuschiert: nämlich der Hinweis auf eine Protestkundgebung in Indien gegen die israelische Militäroperation "Gegossenes Blei", auf der eine junge Frau eine Tafel mit der fraglichen Karikatur hochhielt.
 
Es stimmt auch nicht - wie in der "Resolution" behauptet - dass die Tafel mit der Karikatur erst unter öffentlichen Druck aus der Klagemauer genommen wurde. Sie befand sich dort lediglich 3 Wochen. Eine Beschreibung der Intentionen der Kölner Klagemauer und meine Sicht der Kontroverse um die Klagemauer zum Thema Palästina finden Sie in der Anlage zu diesem Schreiben.


Kazuo Soda an der Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung: „'Die Mauer' ist heute ein heiliger Platz, der die ganze Menschheit gegen alles verteidigt, was die Würde des Menschen beeinträchtigt.“

Die Dauerpräsenz der "Resolution" im Internet ist mitverantwortlich dafür, dass in den Medien immer wieder aufgetischt wird, gegen mich lägen Anzeigen wegen "Volksverhetzung" vor. Dabei wird regelmäßig unterschlagen, dass die Kölner Staatsanwaltschaft bereits vor dem Termin des "Runden Tisches" (Oktober 2010) die Ermittlungen eingestellt hat. Stichhaltige Belege für die behauptete "Volksverhetzung" konnten nicht erbracht werden.
 
Nun erwarte ich von Ihnen nicht, dass Sie Ihre Unterschrift zurücknehmen. Vielmehr appelliere ich an Sie, aus Gründen der Fairness und Redlichkeit darauf hinzuwirken, dass die "Resolution" nicht weiter übers Internet verbreitet wird.
 
Mit freundlichen Grüßen
Walter Herrmann
 
Anlagen:
a) "Zur Charakteristik der Kölner Klagemauer"
b) "Die Kontroverse um die Klagemauer zum Thema Palästina"
 
Anlage a: Zur Charakteristik der Kölner Klagemauer
 
Die Kölner Klagemauer versteht sich als "Öffentlichkeit von unten"; sie ist angesiedelt an einem belebten öffentlichen Platz.
 
Angestrebt wird ein breiter gesellschaftlicher Dialog, unter maßgeblicher Beteiligung der Gruppen, die in den etablierten Medien nicht angemessen zu Wort kommen.
 
Die Klagemauer ist parteilich. Sie steht auf Seiten derer, die unter ungerechten und repressiven Verhältnissen leiden und keine Lobby haben. Leitmotiv ist die Botschaft von Abbe Pièrre, Mitglied der frz. Resistance und Begründer der Emmausbewegung, die er 1992 der Kölner Klagemauer mit auf den Weg gab: "Überall zuerst den Schwächsten, oder denen, die am meisten leiden, dienen - das ist die Quelle jedes lebendigen Friedens."

Walter Herrmann an der Klagemauer vor dem Kölner Dom
 
Im Fokus der Klagemauer sind: Angriffskriege, soziale Ungerechtigkeit, systematische Verletzung von Menschen- und Völkerrechtsnormen, Zerstörung von Lebensgrundlagen. Über den öffentlichen Diskurs soll Veränderungsdruck erzeugt werden.
 
Die bisherigen Themen der Kölner Klagemauer waren auf lokaler Ebene:
- das Abholzen des Parks am Kaiser Wilhelm-Ring
- die Wohnungsnot (Praxis der Zwangsräumungen, Situation der Obdachlosen, Verkauf kommunaler Wohnungen an Heuschrecken).
 
auf internationaler Ebene:
- Kriege in der Verantwortung von Nato-Staaten: Jugoslawien-Krieg; Golf- und Irak-Krieg; Afghanistan-Krieg
- die Atomkriegsgefahr: Gedenken an Hiroshima/Nagasaki (alljährlich im Juli/August)
- Israels Militäroperationen gegen den Libanon und den Gazastreifen / Israels Politik der ethnischen Säuberung und kolonialistischen Unterdrückung
 
Anlage b: Die Kontroverse um die Klagemauer zum Thema Palästina - der Versuch, die Klagemauer zum Thema Palästina als antisemitisches Projekt zu outen.

Die Begegnung mit einer christlichen Palästinenserin, die im Rahmen der Städtepartnerschaft Köln-Bethlehem nach Köln gekommen war, gab den Anstoß für eine Palästina-Klagemauer.
 
Als die israelische Armee im Verlauf der "Operation Gegossenes Blei" im Winter 2008/09 die Infrastruktur von Gaza zerstörte und über 1.400 Palästinenser tötete, darunter viele Frauen und Kinder, platzierten wir in der Klagemauer dokumentarische Fotos von Opfern des Überfalls und dazu noch Fotos von Protestkundgebungen in verschiedenen Ländern. Darunter war ein dpa-Foto von einer Kundgebung in Indien. Eine deutsche Tageszeitung hatte es veröffentlicht - mit der redaktionellen Unterzeile: "Protest in Indien; Eine Studentin hält ein Plakat, auf dem ein Israeli ein palästinensisches Kind zerschneidet. Foto: DPA"
 
Das Foto zeigt eine junge Frau, die eine antiisraelische Karikatur hochhält: Eine kopflose behäbige Figur mit einem Israel-Fähnchen auf der Brust macht sich mit Messer und Gabel über ein palästinensisches Kind her, das auf einem Teller liegt. In der Klagemauer war für kurze Zeit eine Kopie des Zeitungsberichts (Foto plus redaktionelle Unterzeile) zu sehen.
 
Die Kampagne gegen die Kölner Klagemauer
 
Ein umtriebiger Israel-Lobbyist namens Buurmann hatte das Motiv entdeckt und mit seiner Platzierung in der Klagemauer fotografiert. Seine Fotoaufnahme stellte er in einer manipulierten Version ins Internet. Die redaktionelle Unterzeile, die den Bezug zur Protestaktion in Indien herstellte, hatte er wegretuschiert. So versuchte er, die Palästina-Klagemauer als antisemitisches Projekt zu outen. Er und die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erstatteten Anzeige wegen "Volksverhetzung". Die Kölner Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren aber schon bald ein. Entscheidend dürfte ein Foto gewesen sein, das die Polizei von der fraglichen DIN A3-Tafel in der Klagemauer gemacht hatte.
 
Das manipulierte Foto im Internet schlug Wellen. Viele fielen darauf rein. Die "WELT" (Autor Henryk M. Broder!) und die "Jerusalem Post" machten daraus eine große Geschichte. Der OB von Tel Aviv, einer Partnerstadt von Köln, setzte die Stadt Köln unter Druck, gegen die Palästina-Klagemauer auf der Domplatte vorzugehen. Um die Städtepartnerschaft Köln-Tel Aviv zu retten, wurde im Oktober 2010 in Köln auf höchster Ebene ein "Runder Tisch" gegen die angeblich "antisemitische" Kölner Klagemauer veranstaltet.
 
Zwei Monate später brachte der Kölner OB Jürgen Roters eine entsprechende "Resolution" in Umlauf, die dann von allen Ratsparteien (mit Ausnahme der Partei "Die Linke") sowie vom kath. Stadtdechanten und vom evang. Stadtsuperintendenten unterschrieben wurde. Seit dem 20. Dez. 2010 steht diese infame "Resolution" nun schon im Internet. Keiner der Unterzeichner hatte vorher die Klagemauer aufgesucht bzw. ein Gespräch mit mir vereinbart, um sich ein eigenes Urteil zu bilden!

Stéphane Hessel mit seiner Widmung für die Kölner Klagemauer

Erfreulicherweise findet die Palästina-Klagemauer Zuspruch bei Mitgliedern der "Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" und bei gut bekannten jüdisch-stämmigen Persönlichkeiten. Zu ihnen gehören (der vor ein paar Tagen gestorbene, Anm. der Redaktion) Stéphane Hessel, Mitglied der französischen Résistance, Botschafter Frankreichs, KZ-Überlebender, Mitautor der UN-Menschenrechtscharta, Evelyn Hecht-Galinski, Felicia Langer und Reuven Moskowitz.
 
Stéphane Hessel schrieb, als er im Juni 2010 mit seiner Frau nach Köln kam, spontan auf einen Karton der Klagemauer: "Israel dankt seine Existenz der UNO. Aber was die UNO von Israel verlangt - seit 60 Jahren - ist Israel ganz egal. Es haut weiter auf die Palästinenser! Schrecklich! S. Hessel".
 
Wer will diesem großen alten Mann, der sein langes Leben für die Wahrung der Menschenrechte gekämpft hat, widersprechen? (PK)


Online-Flyer Nr. 396  vom 06.03.2013

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