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Krieg und Frieden
Zur Neuauflage des Reichstagsbrand-Buches von Alexander Bahar und Wilfried Kugel
False Flag anno 1933 und heute
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

False Flag: das ist ein Begriff für Operationen, die von den dafür Verantwortlichen zielgerichtet anderen Personen oder Personengruppen in die Schuhe geschoben werden sollen. Dafür gibt es in der Geschichte zahlreiche Beispiele. Insbesondere findet sich diese Methode, wenn es darum geht, Kriegen und anderen Verbrechen einen Mantel der Legitimität zu verleihen. Alexander Bahar und Wilfried Kugel machen in ihrem Buch „Der Reichstagsbrand – Geschichte einer Provokation“ deutlich, dass auch der Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 in die False-Flag-Kategorie einzuordnen ist. Das Buch belegt, dass die Einzeltäterthese, die die Tat allein dem holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe in die Schuhe schieben will – wie sie nach dem Krieg insbesondere vom Wochenblatt DER SPIEGEL in Nazi-Tradition am Leben gehalten wurde – falsch ist.


Arbeiter-Illustrierte-Zeitung vom 14.9.1933 mit Fotomontage von John Heartfield

Das Prinzip der False-Flag-Operationen bleibt sich gleich

„Der Reichstagsbrand steht in einer Reihe von NS-Provokationen (heute würde man sagen False-Flag-Manövern), die über die »Reichskristallnacht« vom November 1938 bis hin zu dem fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz im September 1939 reichen, mit dem der deutsche Überfall auf Polen begründet wurde. Die künstliche Schaffung von Vorwänden für Krieg, Terror und die Suspendierung von Menschen- und Bürgerrechten sind indes keine Besonderheit der Nazis, sondern finden sich auch in jüngerer und selbst in jüngster Zeit.“ So ist in der Einleitung des Buches zu lesen.

In der Tat: die Brandstiftung im Reichstag ist eine typische False-Flag-Operation, die der Schein-Legitimation geplanter Verbrechen diente, vergleichbar dem Überfall auf den Sender Gleiwitz, mit dem der Angriff auf Polen gerechtfertigt werden sollte, dem Angriff auf Pearl Harbor, mit dem die USA den Einstieg in der Zweiten Weltkrieg legitimiert haben, oder der Operation 9/11 vom 11. September 2001, mit der das Machtinstrument "Krieg gegen den Terror" ergriffen wurde.

Göring: der wahre Reichstagsbrandstifter

Am 14. September 1933 erschien die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung – wie oft – mit einer Fotomontage von John Heartfield auf dem Umschlag. An diesem Tag trug sie den Titel „Goering, der Henker des Dritten Reichs“. Und darunter stand: „In Leipzig werden am 21. September neben dem Provokateur Lubbe, vier Unschuldige – Opfer eines der ungeheuerlichsten Justizverbrechen – vor Gericht stehen. Der wahre Reichstagsbrandstifter, [Reichstagspräsident Hermann] Goering, wird nicht vor den Schranken erscheinen.“

Seinerzeit hatte ein linkes Medium wie die AIZ offenbar keine Probleme damit, nahe Liegendes in aller Deutlichkeit auszusprechen. Den Begriff Verschwörungstheorie zur Abwehr von Erkenntnissen, die entsprechend der Interessenlage der herrschenden Kräfte im Verborgenen bleiben sollen, gab es damals noch nicht. Hätte die "Linke", wie sie heute vielfach den Ton angibt, bereits in der NS-Zeit existiert, wären entscheidende Erkenntnisse sehr wahrscheinlich von ihr damals als Verschwörungstheorie abgeschmettert worden. Brandstiftung im Reichstag durch die Nazis? Eine Verschwörungstheorie! Verfolgung von Juden, "Zigeunern" und politisch Missliebigen? Eine Verschwörungstheorie! KZs? Eine Verschwörungstheorie!

Hermann Göring verrät sich

80 Jahre nach den Ereignissen von 1933 sind es der Historiker Alexander Bahar und der Physiker Wilfried Kugel, die historisches Material ohne Filterfunktion ausgewertet haben und z.B. das Täterwissen von Hermann Göring, des Reichstagspräsidenten und zweiten Mannes in der NS-Hierarchie, zum Thema machen. Im Kapitel 5 geht es um „Täter und Mitwisser“. Dort wird Göring zitiert, der in einer Rundfunkansprache am Abend des 1. März 1933 äußerte: „Die Feststellungen der Polizei, die Feststellungen der Brandpolizei, die Feststellungen der Baupolizei, die Feststellungen des Gerichtschemikers, alles zusammen haben [!] ergeben, dass an der Vorbereitung dieses Brandattentates sich mindestens 6-8 Personen beteiligt haben müssen. Es war ganz unmöglich, dass eine Person allein die Massen an Brennmaterial hätte aufschichten können, die hierbei verwendet wurden. Als Reichstagspräsident kann ich Ihnen sagen, dass alleine im Plenum mindestens an 20 verschiedenen Stellen Feuer angelegt war. Desweiteren befinden sich Brandstellen und Brandherde teils bei Portal II im untersten Stockwerk, andererseits wieder im Vorsaale des Reichsrates, also in einem ganz entgegengesetzten Ende im Hauptgeschoß.“

Die Autoren fassen zusammen, was aus dem Munde Görings zu vernehmen war: Es habe sich um einen „wohlvorbereiteten Plan“ gehandelt. Die Brandstiftung sei „mindestens eine Stunde vorher sorgfältig vorbereitet worden“. Drei Personen mit Fackeln seien durch das Reichstagsgebäude gelaufen. Es seien insgesamt 6–8 Täter beteiligt gewesen. Zur Brandlegung seien „Teerpräparate“, Fackeln, mit Benzin getränkte Tücher sowie Benzinflaschen mit glimmenden Lunten benutzt worden. Im Plenarsaal seien 20 Brandherde festgestellt worden. Die Täter – außer van der Lubbe – kannten sich sowohl in den Räumlichkeiten des Reichstagsgebäudes als auch mit dem Zeitablauf der Kontrollgänge aus. Die Täter entkamen durch den unterirdischen Tunnel, der das Reichstagsgebäude durch den Keller des Reichstagspräsidenten-Palais’ mit dem Kesselhaus verband.

DER SPIEGEL: Desinformation bis heute

Ein umfangreiches Kapitel des Buches befasst sich mit dem Medienkampf um das Thema Reichstagsbrand. Intensiv wird dabei die verheerende Rolle des so genannten Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL beleuchtet. Bereits 1949 war es ausgerechnet Gestapo-Chef und Schwager Görings, Rudolf Diels, der in diesem Blatt in einem Artikel mit dem Titel „Die Nacht der langen Messer fand nicht statt“ die Einzeltäterschaft van der Lubbes nahe legt. DER SPIEGEL ließ damit genau den Mann zu Wort kommen, der die Verhaftungslisten zusammenstellte, auf deren Grundlage nach Aussagen von Göring bereits in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 etwa 4000 bis 5000 Kommunisten verhaftet wurden, und der seit 1945 für westliche Geheimdienste, darunter den Geheimdienst des US-Heeres, das Counter Intelligence Corps (CIC, heute: DIA) – wie in der NS-Zeit – in Sachen "Kommunismusbekämpfung" tätig war.

Und 1959/60 konnte der damalige niedersächsische Verfassungsschutzbeamte Fritz Tobias (1912–2011) in einer 15teiligen Serie im gleichen Blatt seine die Nazis entlastende Sicht der Reichstagsbrandstiftung ausbreiten – mit der Quintessenz, van der Lubbe sei Alleintäter gewesen.

„Allein dies verleiht dem Buch gespenstische Aktualität: Es liest sich nach dem 4. November 2011 [als der so genannte Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) „aufgeflogen“ sein soll; Anm.d.V.] wie eine historische Parallelstudie zu dem, was bislang über die Organisierung von Nazigruppen durch den so genannten Verfassungsschutz bekannt wurde.“ Zu dieser Einschätzung lässt sich Arnold Schölzel in seiner Rezension in der jungen Welt vom 25.02.2013 hinreißen und folgt damit vertrauensvoll der vom SPIEGEL aufgetischten, unbewiesenen NSU-Story, obwohl sich in Sachen Reichstagsbrand und vielen weiteren Fällen gezeigt hat, dass diesem Organ gegenüber äußerste Vorsicht geboten ist.

NSU: eine geniale Erfindung

Am 4.11.2011 waren zwei Menschen, die dem Neo-Nazi-Spektrum zugerechnet werden, auf ungeklärte Weise zu Tode gekommen, und es ging ein Haus, in dem sie gelebt haben sollen, in Flammen auf. Trotzdem sollen dort unversehrte DVDs mit einem Video gefunden worden sein, in dem der Name "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) das Licht der Welt erblickt. Obwohl das Video keinen konkreten Bezug zu den beiden Toten herstellt, stellt DER SPIEGEL es als deren Bekenntnis dar – und fast die ganze Öffentlichkeit einschließlich überwiegender Teile der Linken glaubt es. Es ist wie bei zahlreichen Terroranschlägen, dass die angeblichen Täter tot sind; deshalb kein Gericht Klärung herbeiführen wird und so eine Fiktion am Leben gehalten werden kann. Andreas von Bülow, zeitweise Mitglied der parlamentarischen Kontrollkommission für die Nachrichtendienste im Bundestag, kommentiert: „So sehen false flag operations aus.“

Es mag nicht ohne weiteres zu verstehen sein, dass DER SPIEGEL einerseits die Nazi-Sicht deckt, aber mit der NSU-Story das Gegenteil zu betreiben scheint. Dieser scheinbare Widerspruch klärt sich, wenn beachtet wird, dass sich zwischen 1945 und heute ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Während es bis in die 1960er Jahre den herrschenden Kräften vorrangig darum ging, die Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu behindern und seine Verbrechen zu verdrängen, ging es seit Ende der 1960er Jahre zunehmend darum, die Verbrechen des Nationalsozialismus für neue Verbrechen zu instrumentalisieren – insbesondere der von Israel an der palästinensischen Bevölkerung begangenen. DER HOLOCAUST wird – wie Norman Finkelstein, Sohn von Holocaust-Überlebenden es erkannt hat – erst im Juni 1967 als Instrument der Politik entdeckt. Und es dauerte noch bis zum 22. Januar 1979, als in Deutschland die US-amerikanische Fernsehserie HOLOCAUST begann, dass der Begriff Holocaust in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt wurde. DER SPIEGEL zählt zur Gattung der Herrschaftsmedien. Entsprechend verhält er sich.

NSU: dieser Begriff ist eine geniale Erfindung, mit der heute unter Ausblendung der großen imperialistischen Verbrechen suggeriert wird, es sei ein "Nationalsozialistischer Untergrund", von dem die Hauptgefahr ausginge. Der Nationalsozialismus darf nicht aussterben. Er muss am Leben gehalten werden – zur Ablenkung von aktuell begangenen Verbrechen und zur Orientierung auf neue. Die herrschenden Kräfte haben seit 1933 dazugelernt. Ihnen gelingt die Desorientierung – insbesondere der Linken – ohne Mühen. Die Methode der false-flag-Operationen hat Kontinuität und Konjunktur. Der Reichstagsbrand von heute hat viele neue Namen.



Alexander Bahar und Wilfried Kugel
Der Reichstagsbrand – Geschichte einer Provokation
PapyRossa Verlag, Köln 2013
360 Seiten, 17,90 Euro



Hinweise:

Zum 10. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001
False Flag Terror
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann im NRhZ- Flyer Nr. 318 vom 07.09.2011
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16904

Die Rolle der Bundeszentrale für politische Bildung in Sachen Terror
Verschwörungstheorien gegen Muslime?
Elias Davidsson im NRhZ-Flyer Nr. 400 vom 03.04.2013
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18919

Plädoyer gegen politische Verwirrung
Kleinnazis und Großnazis
Elias Davidsson im NRhZ-Flyer Nr. 394 vom 20.02.2013
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18775

Anmerkungen zu den NSU-Skandalen
So sehen false flag operations aus
Andreas von Bülow im NrhZ-Flyer Nr. 378 vom 31.10.2012
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18362

Analyse zur Aussagekraft des „NSU-Bekenner-Videos“
NSU: Wiederentdeckung einer Automarke
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann im NRhZ-Flyer Nr. 375 vom 10.10.2012
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18303

Online-Flyer Nr. 400  vom 03.04.2013

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