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Arbeit und Soziales
Ist Bundeskanzlerin Merkels Kritik nur an China berechtigt?
Menschenrechte in China und Deutschland
Von Christian Reimann
Immer mal wieder ist in den deutschen mainstream-Medien zu lesen, die Bundesregierung setze sich für eine verbesserte Menschenrechts-Politik in China ein. So soll Bundeskanzlerin Merkel bei ihren Reisen nach China z. B. die Situation der Tibeter kritisiert, ein Treffen mit einem Rechtsanwalt beabsichtigt und den Umgang mit der Presse angesprochen haben. Man stelle sich für einen Moment den umgekehrten Fall vor: Chinas neuer Präsident, Xi Jinping, würde bei einem Besuch den Umgang mit der türkischen Minderheit und deren Presse in Deutschland kritisieren.
Angesichts des bevorstehenden NSU-Prozesses in München wäre das vielleicht gar nicht einmal unangemessen. Doch dazu wird es wohl nicht kommen, denn Chinas Außenpolitik ist vom Prinzip der Nichteinmischung geprägt. Der Menschenrechtsdialog zwischen China und Deutschland soll im Mai 2013 fortgesetzt werden. Gewiss kann die Situation der Menschenrechte auch in China verbessert werden. Und in Deutschland?
Online-Flyer Nr. 403 vom 24.04.2013
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Arbeit und Soziales
Ist Bundeskanzlerin Merkels Kritik nur an China berechtigt?
Menschenrechte in China und Deutschland
Von Christian Reimann
Immer mal wieder ist in den deutschen mainstream-Medien zu lesen, die Bundesregierung setze sich für eine verbesserte Menschenrechts-Politik in China ein. So soll Bundeskanzlerin Merkel bei ihren Reisen nach China z. B. die Situation der Tibeter kritisiert, ein Treffen mit einem Rechtsanwalt beabsichtigt und den Umgang mit der Presse angesprochen haben. Man stelle sich für einen Moment den umgekehrten Fall vor: Chinas neuer Präsident, Xi Jinping, würde bei einem Besuch den Umgang mit der türkischen Minderheit und deren Presse in Deutschland kritisieren.
Hierzulande berichten seit Monaten, ja sogar Jahren Medien aus der gesamten Bundesrepublik über den Fall des Gustl Mollath, der offenbar wegen gerichtlicher Fehler unschuldig in der Psychiatrie verweilt. Vermutlich ist dieser Fall kein Einzelfall, sondern durch Unterstützung und nationale Medien aktuell der spektakulärste Fall.
Verwiesen sei beispielhaft auch auf den Fall Andreas Kühn, über den WDR 5 im Feature vom 30.12.2012. unter dem Titel "Im Zweifel für den Angeklagten – Justizopfer in Deutschland: Der Fall Andreas Kühn" berichtete. (1) Geschätzt wird die Zahl der Unschuldigen in deutschen Gefängnissen auf mehrere tausend Fälle.
Auch im Familienrecht sind ähnliche Fälle bekannt. In der relativ bekannten Familienrechtssache Kutzner versus Bundesrepublik Deutschland hatte beispielsweise erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nach jahrelangem Rechtsstreit den leiblichen Eltern Recht zugesprochen. Deutsche Gerichte hatten sie zuvor von ihren Kindern getrennt. Den klagenden Eltern wurden zu Unrecht u.a. „intellektuelle Defizite“ vorgeworfen.
Chinesische Mutter in Osnabrück
Derzeit gibt es in Osnabrück einen Familienrechtsfall, der zumindest teilweise Parallelen zum Fall Kutzner aufweist. Dieser aktuelle Fall ist bereits durch mehrere Instanzen gegangen und hat selbst die Verfassungsrichter in Karlsruhe beschäftigt. Zwischenzeitlich hatten sie einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben. Der Sachverhalt ist strittig und recht komplex:
Ein Familienvater sucht Rat beim Jugendamt. Er ist verheiratet mit einer chinesischen Frau. Beide zusammen haben ein Kind. Sprachliche und kulturelle Unterschiede in der Kindeserziehung werden sichtbar. Daher die Hinwendung zum Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der zuständigen Kommune. Statt sich über Erziehungsmethoden in China zu erkundigen oder einen Dolmetscher hinzuziehen, setzen Mitarbeiter des ASD/Jugendamtes die Eltern zunehmend unter Druck, werfen diesen Kindeswohlgefährdung vor und beantragen schließlich vor Gericht den Entzug des Sorgerechts.
Eine erste Verhandlung beließ das Kind bei den Eltern, machte den Eltern jedoch merk- oder zumindest fragwürdige Auflagen: U.a. sollte die Kindesmutter einen Deutschkurs besuchen, obwohl das bereits mit gutem Ergebnis geschah. Beide Eltern sollten mit einem Gutachter zusammen arbeiten, was nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aber nicht erzwungen werden kann.
Wie im Fall Kutzner weist das Kind sprachliche Defizite auf, was jedoch bei bilingualer Erziehung nicht ungewöhnlich ist. Außerdem – und das galt auch für die Kinder der Familie Kutzner – entwickeln sich Kinder unterschiedlich schnell: Manche Kinder lernen das Sprechen schnell, andere eben langsamer.
Scharlach-Verdacht
Konkreter Anlass für die Inobhutnahme des Kindes in Osnabrück war kurze Zeit später, in einer zweiten Verhandlung eine relativ zeitnahe Fiebererkrankung des Kindes. Vom Scharlach-Verdacht war die Rede. Dem kommunalen Gesundheitsamt lag jedoch keine Meldung vor. Tatsächlich gab es keine Scharlach-Erkrankung, was in einem Gerichts-Beschluss nachzulesen ist.
Es kam zu keiner Zusammenarbeit zwischen den Eltern und dem Gutachter. Der Sachverständige untersuchte also lediglich das Kind und legte anschließend dem Gericht einen Bericht vor, der der qualitativen Norm nicht entsprechen soll. Im Prinzip gelangte er zu keinem verwertbaren Ergebnis. Im Bericht finden sich lediglich Hypothesen und keine Tatsachen, die vor einem Gericht zwingend sind. Und: Weder zum Umgangs- noch zum Sorgerecht konnte der Gutachter die Erziehungsunfähigkeit der leiblichen Eltern feststellen. Das ist normalerweise das „K.O.-Argument“ gegen ein Jugendamt. Das Besondere: Jugendämter sind in der Beweispflicht. Kann die Erziehungsunfähigkeit von Eltern nicht festgestellt werden, wird in aller Regel das Kind zu den leiblichen Eltern zurückgeführt.
Keine Jugendämter in China
In China ist - wie auch in vielen anderen Ländern, auch innerhalb der Europäischen Union - eine dem deutschen Jugendamt vergleichbare Behörde, mit deren keiner Kontrolle unterstehenden Kompetenzen, nicht bekannt. Permanente Besuche in der Privatwohnung durch Mitarbeiter staatlicher Sozial- und/oder Bildungseinrichtungen sind in China undenkbar. Dies sowie die Einmischung in die elterliche Kindeserziehung wäre ein Tabubruch und würde als persönlicher Affront gewertet. Fälle wie das Schicksal der Familie Kutzner oder die aktuelle Osnabrücker Familiensache sind in China unbekannt. Folglich sind Berichte in chinesischen Medien dazu nicht auffindbar.
Deutsche Richter als gelernte Juristen folgen offenbar leichtfertig und einseitig Sozialpädagogen als Mitarbeiter von deutschen Jugendämtern bei Fragen rund um´s Familienleben. Erstaunen und Entsetzen kann aufkommen, wenn diese beiden Berufsgruppen nicht einmal um medizinischen Rat ersuchen, obwohl dieser dringend geboten erscheint. Kinderärzte und andere Zeugen sind - zumindest bisher - nicht angehört worden, obwohl entsprechende Anträge gestellt worden sind. Hier scheint die Frage berechtigt: Wird hier zum Wohle des Kindes entschieden oder ist das Kindeswohl lediglich ein Vorwand?
Splitter im Auge anderer Staaten
Die Bundesregierung scheint gerne den Splitter im Auge anderer Staaten zu erkennen, übersieht jedoch allzu gerne den Balken im eigenen Auge. Wer das Ausland und seine Verhältnisse kritisiert, sollte zuvor seine eigenen Hausaufgaben erledigt haben.
Wie steht es also um die Menschenrechte in Deutschland? Können sich Richter überhaupt noch die Zeit nehmen, um in ihren Rechtsfällen gründlich - auch von Amts wegen - zu ermitteln? Es ist zu hoffen, dass sich die zuständigen Richter den Sachverhalt des hier kurz erwähnten Falles in Osnabrück - und ebenso in anderen Rechtssachen - in aller nötigen Ruhe anlesen, sorgfältig bedenken und zu einer weisen Entscheidung gelangen, der es an Transparenz nicht mangelt. (PK)
Christian Reimann, geboren 1970, hat ein Magisterstudium der Politikwissenschaft, Philosophie sowie Neuere und Neueste Geschichte absolviert. Heute beschäftigt er sich mit sozial- und bildungspolitischen Fragestellungen und lebt in Osnabrück. Seit seiner Schulzeit interessiert er sich für Asien, hier insbesondere China. 2010 war er zuletzt in Shanghai. Die Berichterstattung in deutschen Medien über die Situation (auch der Menschenrechte) in China empfindet er nicht selten als einseitig und negativ. Deutsches Recht könne nicht 1 zu 1 auf China übertragen werden.
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