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Lokales
Das Demokratiegebot des Berliner Wasser-Volksentscheids
Kein Vertrauen des Volkes ohne Transparenz
Von Ulrike von Wiesenau

666.000 wahlberechtigte Berlinerinnen und Berliner hatten beim Wasser-Volksentscheid für die Position des Berliner Wassertischs gestimmt - weit mehr als für SPD und Linke bei der letzten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Es war der erste erfolgreiche Volksentscheid in der Berliner Geschichte. Doch der Berliner Senat hat es – trotz dieses Erfolgs, der zugleich ein Misstrauensvotum gegen ihn selbst war – nicht für angezeigt gehalten, dem Berliner Wassertisch ein Gesprächsangebot zu unterbreiten. Stattdessen ließ er über die Presse verlauten, er beabsichtige eine ‚unabhängige‘ Kommission einzusetzen, die überprüfen solle, ob im Sinne des Volksentscheids alle Dokumente veröffentlicht worden seien. Von einer Mitwirkung unserer Bürgerinitiative in diesem Gremium oder zumindest bei der Auswahl der Kommissionsmitglieder war keine Rede.

Wassertisch-Kundgebung in Berlin
NRhZ-Archiv
 
Mit dieser Taktik setzte der Senat die undemokratische Linie fort, die er bei der Wasserprivatisierung von Anfang an eingeschlagen hatte. Statt das von seinen Vorgängern übernommene 'Berliner Holding-Modell' der Wasserprivatisierung im Dienste der Wiederherstellung demokratischer Legitimität und Transparenz umzuwandeln, perfektionierte er es im Interesse der beteiligten Wirtschaftskonzerne weiter. Herausgekommen ist ein Musterbeispiel für die demokratiefeindliche Allianz von Wirtschaft und Politik, die sich in den letzten Jahren unter dem verharmlosenden Namen einer 'Öffentlich-Privaten-Partnerschaft' überall in Europa ausgebreitet hat: Ein dubioses Vergabeverfahren, überproportionale Entscheidungsbefugnisse und exorbitante Gewinngarantien zugunsten der beteiligten privaten Konzerne und zu Lasten der Allgemeinheit, skandalöse Kompensationsvereinbarungen für den Fall der Verfassungswidrigkeit einzelner Vereinbarungen, Geheimhaltung relevanter Verträge und Dokumente – nichts, was den Partikularinteressen der beteiligten Wirtschaftskonzerne und dem Aushebeln öffentlicher Kontrolle dienen konnte, wurde hier ausgelassen.
 
So urteilt denn auch Silke Ruth Laskowski, Professorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Kassel: „Nach meiner Auffassung ist das ‚Berliner Holding Modell‘ bereits wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip als verfassungswidrig zu betrachten.“(1) Und ihr Kollege Markus Krajewski von der Universität Erlangen-Nürnberg ergänzt: "Der gerechte und bezahlbare Zugang zu Leistungen der Daseinsvorsorge, wie der öffentlichen Wasserversorgung, ist ein europäisches Grundrecht. Die bürgernahe, transparente und demokratisch kontrollierbare Erbringung dieser Leistungen gehört zu den gemeinsamen Werten der Europäischen Union. Geheimverträge, Gewinngarantien für private Unternehmen und die Auflösung politischer Verantwortung in sogenannten. ‚Öffentlich-privaten Partnerschaften‘ sind mit diesen Grundwerten unvereinbar."(2)
 
1999 hatte eine Große Koalition aus CDU und SPD zum Zweck der öffentlichen Schuldentilgung in Berlin und einer angeblich besseren Bewirtschaftung 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe für 1,68 Milliarden Euro über eine Holding AG an die Konzerne RWE und Veolia verkauft. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser „Öffentlich-Privaten Partnerschaft" (PPP) waren geheim. Der Konsortialvertrag enthält eine Gewinngarantie für die privaten Anteilseigner und schreibt fest, dass die Geschäftsführung faktisch bei den Privaten liegt. Private Anteilseigner entscheiden über eine öffentliche Dienstleistung und entziehen die Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle.
 
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der Berliner Senat von Anfang an versucht hat, die Forderung des Berliner Wassertischs, sämtliche im Zusammenhang mit der Wasserprivatisierung stehenden Dokumente vollständig offenzulegen, zu unterlaufen. Erste eindrucksvolle Erfahrungen mit dem Demokratieverständnis des Senats konnten wir bereits während der ersten Stufe, dem Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens, im Jahre 2008 sammeln. Damals versuchte der Senat mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit, unser Volksbegehren zu verhindern. Der Wassertisch zog vor Gericht und setzte am 6. Oktober 2009 vor dem Landesverfassungsgericht nicht nur die Zulassung des Volksbegehrens zur Offenlegung der Geheimverträge durch, sondern wurde vom Verfassungsgericht auch darin bestätigt, die gleiche Gesetzgebungskompetenz wie das Parlament zu besitzen. 
 
Erfolgreich war auch die zweite Stufe, das Volksbegehren „Schluss mit den Geheimverträgen! Wir Berliner wollen unser Wasser zurück!" im Jahre 2010. Statt der benötigten 172.000 Stimmen wurden im Oktober 280.887 gültige Stimmen eingereicht. Unter dem Druck des Volksbegehrens stellte der Berliner Senat die Verträge ins Netz. Auf einmal war es kein Problem mehr, bisher geheim gehaltene Teile des Vertragswerks zu veröffentlichen. Die Übernahme des vom Wassertisch vorgeschlagenen Gesetzes aber lehnte er wegen der seiner Ansicht nach bereits erfolgten vollständigen Offenlegung und des novellierten Informationsfreiheitsgesetzes ab. Der Wassertisch hingegen hielt eine Offenlegung gemäß Gesetz für unabdingbar, da nur dadurch die Nichtigkeit aller nicht offengelegten Teile des Vertragswerks, einschließlich seiner Nebenabreden und relevanten Dokumente, festgeschrieben würde.

Erfolgreiche Kundgebung vor der Zulassung des Volksbegehrens
NRhZ-Archiv
 
Der Berliner Wassertisch war nun gezwungen, die dritte Stufe der Volksgesetzgebung zu gehen, der Volksentscheid fand am 13. Februar 2011 statt. Mindestens 612.000 Ja-Stimmen, ein Quorum von 25 Prozent der Stimmberechtigten, wurden für den erfolgreichen Ausgang benötigt, über 666.000 Berlinerinnen und Berliner stimmten mit 98,2 Prozent der Teilnehmer für das Gesetz zur Offenlegung. Nun hieß es von Seiten des Senats, dass unser Gesetzentwurf wegen seiner Unwirksamkeitsklausel verfassungswidrig und eine Veröffentlichung der Verträge mit hohen Schadensersatzforderungen an das Land Berlin verbunden sei. Nichts von alledem hat sich als tragfähig erwiesen! Mehr noch, nachdem unser Gesetzesentwurf durch den Volksentscheid zum Gesetz wurde, verzichtete der Senat bemerkenswerter Weise auf eine verfassungsgerichtliche Überprüfung dieses angeblich verfassungswidrigen Gesetzes. Über ein Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsproblem der Politik braucht man sich angesichts dieses demokratiefeindlichen Agierens nicht zu wundern!
 
Es spricht für sich, dass der Berliner Wassertisch, der Initiator des Volksentscheids, in die Überprüfung der Offenlegung nicht miteinbezogen wurde. Doch das Ergebnis des Volksentscheids war eine klare demokratische Botschaft: Danach forderten die Berlinerinnen und Berliner nicht nur, das von ihnen bestätigte Gesetz unverzüglich umzusetzen, das heißt, sämtliche Dokumente, die im Zusammenhang mit der Wasserprivatisierung stehen, ggf. unter Schwärzung der personenbezogenen Daten, zu veröffentlichen. Sondern sie verlangten auch umfassende Transparenz, demokratische Kontrolle und Bürgerbeteiligung bei allen Entscheidungen, die im Hinblick auf die Wiederherstellung einer verfassungskonformen Wasserversorgung und die Rückführung der Berliner Wasserbetriebe in die Hand einer bürgernahen öffentlichen Verwaltung zu treffen sind!
 
Mit der Offenlegung der Geheimverträge gemäß Gesetz stand nun die Rückabwicklung der rechtswidrigen Verträge zur Teilprivatisierung des Berliner Wassers auf der Agenda des Wassertischs. Er gründete zur Aufklärung des Vertragswerkes den Untersuchungsausschuss „Klaerwerk" und stellte seine Analyse der Verträge der Öffentlichkeit und den Abgeordneten zur Verfügung. Er erzwang die Einrichtung des Sonderausschusses „Wasserverträge", der im Berliner Abgeordnetenhaus von Januar bis Dezember 2012 tagte, sich aber als Blockade-Akt der Regierungskoalition darstellte. CDU und SPD, die im Jahr 1999 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe verkauft hatten, waren naturgemäß nicht daran interessiert, die Verstöße ihrer damaligen Koalition aufzudecken.
 
In Berlin sind nach 13 Jahren PPP die Wasserpreise um 37 Prozent gestiegen; die Berliner zahlen im deutschen Städtevergleich die höchsten Wasserpreise. Das Bundeskartellamt hat im Juni 2012 eine Preissenkungsverfügung gegen die Berliner Wasserbetriebe wegen „missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise" erlassen. Drei Wasserwerke wurden geschlossen, ökologisch wichtige Wasserschutzgebiete in lukratives Bauland verwandelt, Verwertungsrechte auf Patente privatisiert und der Personalbestand der Berliner Wasserbetriebe wurde massiv abgebaut. Aufgaben der Nachhaltigkeit wie Netzrehabilitation, Energieeffizienz und Reinigungsqualität werden nur unzureichend angegangen. Die Investitionen bleiben hinter dem zurück, was von den Wasserkunden dafür bezahlt wird, Erhaltungsaufwendungen werden als „Investition" abgerechnet, worunter die Substanz des Rohrleitungsnetzes leidet. Die Gewinne sind zu Gunsten der Privaten ungleich verteilt, das Land Berlin haftet für die Gewinne der privaten „Partner" und hat sich obendrein seiner Entscheidungsbefugnisse beraubt, denn die betriebliche Führung liegt auch nach dem überteuerten Rückkauf der Anteile von RWE im Oktober 2012 beim privaten Minderheitseigner Veolia. Das Land hat, obwohl es nun mit 75 Prozent der Anteile Mehrheitseigner ist, weiterhin nichts zu sagen. Es ist offensichtlich, dass ein unauflösbarer Widerspruch zwischen dem Streben eines Großunternehmens nach betriebswirtschaftlicher Rentabilität und einer am Gemeinwohl orientierten, demokratischen Wasserversorgung besteht.
 
Der Berliner Wassertisch hat sich von Anfang an für eine kostengünstige Rekommunalisierung durch Rückabwicklung der rechtswidrigen Verträge eingesetzt. Das bleibt eine zentrale Forderung der Bürgerinitiative. Die zu diesem Zweck vom Wassertisch-Untersuchungsausschuss „Klaerwerk" geforderte Normenkontrollklage gegen das »Betriebegesetz« wurde von Piraten und Grünen bereits eingereicht, eine Organklage brachten die Piraten auf Anregung des Wassertisches im Alleingang auf den Weg. Zu einer vollständigen Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe hat der Berliner Wassertisch am Weltwassertag 2013 seine neue Kampagne „Berlin sagt: Veolia adieu" vorgestellt, die die eklatante Diskrepanz zwischen der Selbstdarstellung des global agierenden Infrastrukturkonzerns und den Realitäten seiner Betriebsführung darstellt. Auch Veolia muss Berlin verlassen, um die Wasserbetriebe wieder komplett in die öffentliche Hand zurückzuführen.
 
Hinter all diesen Aktivitäten steht das Bedürfnis der Menschen in unserem Land nach mehr Partizipation. Viele beobachten mit Besorgnis, dass die privaten Wirtschaftskonzerne zunehmend auch Betriebe der Daseinsvorsorge ihren Interessen unterwerfen, und dass die Politik diesen gefährlichen Entwicklungen nichts entgegenzusetzen hat. Sie fordern deshalb mehr Transparenz und mehr Mitbestimmungsrechte, um die Dominanz der Wirtschaft gegenüber der Politik einzudämmen. Nach einer Repräsentativ-Umfrage von Forsa wünschen 78 Prozent der Bevölkerung in Deutschland keine weiteren Privatisierungen oder fordern die Rückabwicklung bereits erfolgter Privatisierungen.
 
Die Bürgerinnen und Bürger erhalten dabei Rückendeckung von zahlreichen Verfassungsrechtlern, Politologen und anderen Wissenschaftlern. So ist die Rechtsprofessorin Gertrude Lübbe-Wolff, zurzeit Richterin am Bundesverfassungsgericht, überzeugt, dass es zukünftig mehr Volksabstimmungen geben wird. Denn „nur so können die Bürger ihre differenzierten Vorstellungen auch differenziert zum Ausdruck bringen und anders entscheiden als auf der Linie der Partei, die sie gewählt haben. Schon allein diese Möglichkeit oder die Notwendigkeit, bestimmte besonders wichtige Fragen dem Volk zur Entscheidung vorzulegen, wird dann auch das Verhalten der gewählten Repräsentanten verändern. Nach 60 Jahren stabiler Demokratie kann den Bürgern niemand mehr erklären, weshalb man sie da nicht ranlassen soll.“(3) Dass viele politische Fragen heute zu kompliziert seien, um darauf nur mit Ja oder Nein zu antworten, hält Lübbe-Wolff insofern für ein Scheinproblem, als auch im Parlament nur mit Ja oder Nein abgestimmt werde.
 
Auch Prof. Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, befürwortet eine Erleichterung von Volksbegehren – zum Beispiel über eine Absenkung der Quoren: Die Teilnahme an Volksbegehren sei geeignet, der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und die politische Bildung zu erhöhen.(4)

Professorin Jutta Limbach – Goethe-Institut, vorher Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts
Quelle: http://www.kh-berlin.de
 
Ganz allgemein für eine stärkere Partizipation der Bürgerinnen und Bürger plädiert Prof. Laskowski. Die Beteiligung könne dabei durchaus den Bereich der Gesetzgebung betreffen, das heißt die Bürgerinnen und Bürger könnten in bestimmten Bereichen und unter bestimmten Bedingungen zum dritten Gesetzgeber, zum 'Volksgesetzgeber', werden. Bezogen auf die Wasserversorgung in Berlin, sei das Gesetz des Berliner Wassertischs, das durch den Volksentscheid bestätigt wurde, ein Schritt in die richtige Richtung: “Der Gesetzentwurf zielt auf Transparenz, Ermöglichung einer angemessenen öffentlichen Willensbildung und demokratischen Kontrolle der Exekutive in Bezug auf den Kernbereich der wasserwirtschaftlichen, staatlichen Daseinsvorsorge. Damit dient der Gesetzentwurf letztlich der Wiederherstellung der Öffentlichkeit der staatlichen Beratungs- und Entscheidungsprozesse und damit gerade der vom Bundesverfassungsgericht geforderten „Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht“, um das notwendige „Vertrauen des Volkes“ in das System der repräsentativen Demokratie zu sichern bzw. wiederherzustellen.“(5)
 
Die Förderung von Transparenz, politischem Engagement und politischer Bildung, die sich die Verfassungsrechtlerinnen von einer verstärkten Partizipation erhoffen, wird naturgemäß nicht von allen Teilen der Gesellschaft gleichermaßen positiv gesehen. Was die politische Bildung anbelangt, so ist sie nach Oskar Negt, Soziologieprofessor in Hannover, aus Sicht der heute dominierenden betriebswirtschaftlichen Logik mit keinem Mehrwert verbunden. „Aber“, so Negt weiter, “das spiegelt ein kurzfristiges Denken in einem verengten Gegenwartshorizont wider. Auf lange Sicht ist nur ein System stabil und friedensfähig, in dem die Menschen bei allem, was sie tun oder unterlassen, immer im Auge behalten, wie es das Gemeinwesen berührt.“(6)
 
Wahr ist: Ohne die Einführung von mehr direkter Demokratie besteht die Gefahr, dass eine Rückkehr der Bürger in die Politik am Ende wirkungslos bleibt. Deshalb muss das demokratiefeindliche Quorum abgeschafft, müssen Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene rechtsverbindlich und neue partizipatorische Modelle entwickelt werden.
 
Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an kommunalpolitischen Entscheidungen und an den Entscheidungen öffentlicher Unternehmen muss verstärkt werden. Eine solche Beteiligung ist häufig dem Einwand ausgesetzt, dass dadurch die Entscheidungsprozesse verlangsamt und die Qualität der Entscheidungen verschlechtert würden. Doch dies ist durch die Erfahrung widerlegt. Alles spricht dafür, dass eine stärkere Partizipation der Bürger auf kommunaler Ebene die Qualität der Entscheidungen verbessert. Falls es tatsächlich einmal zur Verlangsamung von Prozessen kommt, so kann dies ausgeglichen werden durch eine schnellere und reibungslosere Umsetzung, da die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen in der Bevölkerung höher ist.
 
Wichtig ist, dass die Bürgerinnen und Bürger konsequent vermeiden, das Verhalten der etablierten Politiker nachzuahmen, das heißt, deren Machtspiele und Intrigen, deren kurzfristigen Entscheidungshorizont und deren Orientierung an partikularen Interessen. Um eine Umorientierung der Politik zu erreichen, müssen die Bürgerinnen und Bürger zudem offen sein für Wissenschaftler und Experten, die ernsthaft nach Antworten auf die drängenden Fragen suchen und nicht nur die herrschende Alibi-Kultur mit Gefälligkeitsgutachten bedienen. „Wie kann es sein“; schreibt der Philosoph Richard David Precht zu den gegenwärtigen Gepflogenheiten der etablierten Politik, „dass die flüchtige Arbeit der Meinungsforscher mehr politisches Gewicht hat als die vielen langfristigen und klugen Untersuchungen von Soziologen, Sozialpsychologen und Sozialphilosophen? Warum gibt es zwar Wirtschaftsweise, aber keine ‚Gesellschaftsweisen‘? Noch nie in der Geschichte hat es so viel brachliegende Intelligenz gegeben und so viel politisch ignoriertes Wissen.“
 
Eine Bürgerbeteiligung, die all dies berücksichtigt, wird in der Lage sein, Volksvertreter unter Legitimationsdruck zu setzen, sie kann mit basisdemokratischen Lernerfahrungen ein Identitätsgefühl entstehen lassen, das einen neuen Gesellschaftsentwurf für unsere Zukunft ermöglicht.
 
Der Berliner Wassertisch hat in einem Volksgesetzgebungs-Verfahren, das drei Stufen bestehen musste, ein Exempel direkter Demokratie statuiert. Mit seinem Untersuchungsausschuss ‚Klaerwerk‘, mit der publizistischen Begleitung der Vertragsaufklärung von "Klaerwerk" und des Sonderausschusses "Wasserverträge" im Berliner Abgeordnetenhaus, der AG ‚Rekommunalisierung‘ und der ‚Veolia-AG‘ hat die Bürgerinitiative einen originären Beitrag geleistet. Er wird die von ihm eröffnete neue direkt-demokratische Dimension weiter mit Ideen und Aktionen beflügeln und Druck auf den Berliner Senat ausüben, um eine kostengünstige Rekommunalisierung und eine gemeinwohlorientierte, transparente und partizipativ-demokratische Versorgung mit dem lebenswichtigen Gut Wasser zu erreichen.
 
Eine Zukunftsoption für Berlin eröffnet das Beispiel von Paris. Am 1. Januar 2010 entzog die französische Hauptstadt nach 25 Jahren privater Wasserwirtschaft den Konzernen Veolia und Suez die Konzession; die Wasserversorgung kam in städtischen Besitz zurück. Mit „Eau de Paris" wurde ein Unternehmen in öffentlicher Hand gegründet. Ein partizipatives Kontrollgremium, in dem Vereine des Verbraucher- und Umweltschutzes wie auch Wissenschaftler vertreten sind, sichert die demokratische Kontrolle. In diesem Kreis werden die Zukunftsentscheidungen für das Pariser Wasser getroffen. In Paris konnten die Trinkwasserpreise nach der Rekommunalisierung deutlich gesenkt werden, es ist wieder möglich, langfristig zu planen, die Gewinne fließen jetzt in die Infrastruktur der Wasserversorgung, statt in die Hände der Aktionäre. Der Berliner Wassertisch unterhält enge Kontakte zu den Akteuren der Pariser Wasser-Demokratisierung. Wann reisen Vertreter des Senats zur Beratung nach Paris? Das Votum der Berlinerinnen und Berliner ist Vision und Auftrag zugleich. (PK)
 
Verwendete Quellen und Literatur:
(1) Pers. E-mail
(2) Pers. E-mail
(3) Interview, TAZ, 19.05.2009
(4) Interview, Cicero, September 2010
(5) Silke Ruth Laskowski: "Das Menschenrecht auf Wasser", Verlag Mohr Siebeck, 2010 und Bundesverfassungsgericht BVerfGE 40, S. 196, 327: „Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich.“
(6) Interview, Spiegel-Online, 09.08.2010
 
 
Ulrike von Wiesenau gehört zum Sprecherteam des Berliner Wassertisch
Kontakt: Tel. 030 781 46 04
  


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