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KIT Karlsruhe: Aufarbeitung der NS-Verstrickungen der deutschen Atomforschung
Atomare Geschichtsentsorgung
Von Dietrich Schulze
Am 22. Juni berichteten die Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe (BNN) unter dem Titel „NS-Netzwerken auf der Fährte“ über die begonnene Geschichtsaufarbeitung zur NS-Vergangenheit von Gründern des Kernforschungszentrums Karlsruhe (FZK), das mit der Uni Karlsruhe zum Karlsruher Institut für Technologie KIT fusioniert wurde. Damit sei der Historiker Prof. Bernd-A. Rusinek beauftragt worden. Rusinek arbeitet seit 2008 im Forschungszentrum Jülich (früher Kernforschungsanlage KFA) und ist dort Leiter des Vorstandsarchivs. Ohne Details zu kennen, wirft das unmittelbar die Frage auf, ob der historisierende Beschäftigte eines Atomforschungszentrums, das selber traditionelle Probleme mit seiner NS-Vergangenheit hat, die notwendige Unabhängigkeit für diese Aufgabe aufbringen kann. Vermutlich geht es aber gar nicht um Aufklärung, wie zu zeigen sein wird.
Online-Flyer Nr. 412 vom 26.06.2013
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Inland
KIT Karlsruhe: Aufarbeitung der NS-Verstrickungen der deutschen Atomforschung
Atomare Geschichtsentsorgung
Von Dietrich Schulze
Am 22. Juni berichteten die Badischen Neuesten Nachrichten in Karlsruhe (BNN) unter dem Titel „NS-Netzwerken auf der Fährte“ über die begonnene Geschichtsaufarbeitung zur NS-Vergangenheit von Gründern des Kernforschungszentrums Karlsruhe (FZK), das mit der Uni Karlsruhe zum Karlsruher Institut für Technologie KIT fusioniert wurde. Damit sei der Historiker Prof. Bernd-A. Rusinek beauftragt worden. Rusinek arbeitet seit 2008 im Forschungszentrum Jülich (früher Kernforschungsanlage KFA) und ist dort Leiter des Vorstandsarchivs. Ohne Details zu kennen, wirft das unmittelbar die Frage auf, ob der historisierende Beschäftigte eines Atomforschungszentrums, das selber traditionelle Probleme mit seiner NS-Vergangenheit hat, die notwendige Unabhängigkeit für diese Aufgabe aufbringen kann. Vermutlich geht es aber gar nicht um Aufklärung, wie zu zeigen sein wird.
Historiker Prof. Bernd-A. Rusinek
Quelle: http://www.rusinek.eu/
Worum geht es? Im September 2012 war von drei ehemaligen FZK-Beschäftigten [1], darunter dem Autor, von KIT verlangt worden, die Ehrensenatorwürde für Rudolf Greifeld abzuerkennen. Greifeld war einer der FZK-Gründer und langjähriger Geschäftsführer. Anfang der 1970er Jahre wurde er aufgrund antisemitischer Äußerungen und Handlungen als SS-Kriegsverwaltungsrat im dem von der faschistischen Wehrmacht besetzten Paris enttarnt und deswegen 1974 zwei Jahre vor seinem Rentenalter vom Bundesforschungsministerium seines Postens enthoben. Die Beweisdokumente für die begründete Abschiebung sind jederzeit zugänglich. Trotzdem verzögerte das KIT-Präsidium eine Senatsentscheidung mit immer neuen Ausflüchten gegen vielfältigen öffentlichen Protest, der Ende 2012 mit einer FAZ-Veröffentlichung [3] ins Rollen kam.
Wenn es noch einer Erklärung für die nicht nachvollziehbare Verzögerungstaktik bedurft hätte, so wurde sie von der im KIT immer noch äußerst einflussreichen Atomlobby selber geliefert. Der Ex-Chef des Schnellbrüter-Forschungsprogramms Willy Marth schrieb Mitte April in seinem blog [3] eine apologetische Würdigung des Atommangers, in der die zuvor geäußerten KIT-Ausflüchte nachgelesen werden können. Er spricht dort von „angeblichen NS-Verstrickungen“ Greifelds. In seiner eigenen Schrift „70 Jahre lang“ [4] vor zehn Jahren wusste er noch, dass Greifeld 1974 nach 18-jähriger Tätigkeit als administrativer Geschäftsführer die Vergangenheit während der Besatzungszeit in Paris eingeholt hatte, nachdem er dem „französischen Gastwissenschaftler Dr. Leon Grünbaum - nomen est omen - den Anstellungsvertrag aufkündigte“ und Greifeld wegen rassistischer Verhaltensweisen nicht mehr zu halten war. „Er (Greifeld) musste 62-jährig, und sehr gegen seinen Willen, die Rente antreten“, schrieb Marth 2003. Nun sind daraus „angebliche NS-Verstrickungen“ geworden. Die KIT-Leitung hat das ähnlich, nur etwas vornehmer ausgedrückt.
Atommanager Rudolf Greifeld
„Die Vorwürfe gegen Dr. Greifeld - so die Argumentation - müssten wissenschaftlich belastbar verifiziert werden. Der von der Ethik-Kommission des KIT hinzugezogene Fachmann sehe dafür einen Zeitbedarf von ein bis zwei Jahren.“ wurde KIT in einer Pressemitteilung [5] von 15 unterzeichnen- den Gruppen und Organisationen Ende März 2013 zitiert und dazu kommentiert: „Erwiesene Fakten werden damit in zu überprüfende Vorwürfe umgedeutet. .... So anerkennenswert die umfassende Geschichtsaufarbeitung ist, so unverständ- lich ist es, dass die Entscheidung über die Aberkennung hierdurch verzögert wird. Relevante Dokumente zur Causa Greifeld, die auch seine nach 1945 ungebrochen antisemitische Haltung belegen, ebenso wie solche, die im Zusammenhang mit dem weltweit bekannten Lischka-Prozess erwachsen sind, können beim Bundesfor-schungsministerium sowie bei der Staatsanwaltschaft Köln jederzeit eingesehen werden. Bei gutem Willen kann der KIT-Senat somit noch im Sommersemester 2013 eine Entscheidung in der hier in Frage stehenden Angelegenheit fällen.“
Atommanager Rudolf Greifeld
Quelle: BNN 15.03.13
Was der Historiker Rusinek für die geforderte Aberkennung in seinem für Oktober 2014 (!!!) geplanten Gutachten heraus bringen wird, lässt sich ohne weiteres aus dem eingangs erwähnten BNN-Artikel ablesen. „Aus den persönlichen Beziehungen zwischen tätigen Führungskräften erhofft er sich dann, einen »strukturorientierten Blick« auf die ersten Jahre im Forschungszentrum werfen zu können.“ Dieser Blick auf die ersten FZK-Jahre, so die BNN weiter, „könnte zu Erkenntnissen führen, die aus heutiger Sicht bedeutender sind als die Frage nach individueller Schuld oder Nicht-Schuld.“
Bis dahin soll über den NS-belasteten Atommanager Greifeld nicht mehr gesprochen werden. Und nach geschlagenen zwei Jahren wird es einen ellenlangen Riemen über Strukturfragen geben und eine vieldeutige Antwort zu Rudolf Greifeld. Für dieses Traumergebnis aus der Sicht der Atomlobby ist Professor Rusinek unbestreitbar hoch qualifiziert. Das kann anhand seiner Veröffentlichungen ohne weiteres abgeleitet werden. Einerseits hat er sich mit der Rolle des Jülicher Greifelds namens Alfred Boettcher auseinander gesetzt [6]. Boettcher war SS-Hauptsturmführer, Physiker und Nazi-Kriegswissenschaftler in den besetzten Niederlanden und u.a. an Apparaturen für Experimente an Dachauer Häftlingen beteiligt. In den Niederlanden war er von 1945-1948 inhaftiert und ab 1960 wissenschaftlicher Geschäftsführer der KFA Jülich. Andererseits ist Rusinek Mitautor einer Denkschrift von 2006 anlässlich des 50-jährigen KFA-Jubiläums [7], in der es zu Boettcher heißt: „Aufgrund seiner Tätigkeit als Physiker im Kriege, die aber nicht als wehrwissenschaftliche Physik anzusehen ist, war Boettcher in der Öffentlichkeit umstritten.“ In einer holländischen Dokumentation - zitiert 2007 im THTR-Rundbrief [8] - erklären unabhängige Autoren: „Boettcher war ein enthusiastischer Mitarbeiter des Nazi-Systems.“ Dort wird auch auf die verhängnisvolle Rolle von Alfred Boettcher in der KFA und Walther Schnurr (ab 1960 wissenschaftlicher Geschäftsführer des FZK) hingewiesen, die ebenso wie Greifeld an der atomaren Zusammenarbeit mit den damaligen Diktaturen Argentinien, Brasilien und Südafrika beteiligt waren. Rusinek hat auch über einen weiteren KFA-Gründungsvater und dessen Verwicklungen in die NS-Kriegswissenschaft und dessen atomare Aufbauleistungen für die neuen Herren geschrieben [8]. Sehr viel Psychologie und jede Menge Entschuldigungen für verantwortungslose Wissenschaft. Wie kann man all diese Widersprüchlichkeiten begreifen? Gesamtbild: Intelligent klingende Relativierungen und beredte Dienstbarkeit. Deswegen wurde er für diesen Neuanlauf einer atomaren Geschichtsentsorgung ausgewählt. Dafür lässt sich das KIT nicht lumpen. Rusinek soll auch in Paris recherchieren. Greifelds Nazi-Vergangenheit in Paris, u.a. die Organisierung des Hitler-Besuchs und antisemitische Dienstanweisungen, wurden von dem bereits zitierten jüdischen Physiker Leon Gruenbaum unter Mithilfe von Serge und Beate Klarsfeld aufgedeckt. Wie in einem früheren Beitrag des Autors [8] berichtet, verlor Greifeld aufgrund dieser Enthüllungen und dem massiven Protest französischer WissenschaftlerInnen seine Funktion als deutsches Lenkungsausschussmitglied in der Forschungseinrichtung Laue-Languevin (ILL) in Grenoble. Dort war er untragbar geworden und später auch in Karlsruhe.
Weitere NRhZ-Beiträge des Autors
Ernsthafte Aufklärung beschäftigt sich nicht nur mit den Tätern, sondern auch mit den Opfern. Schon jetzt ist dem Forum Ludwig Marum dafür zu danken, dass es am 19. Oktober in Karlsruhe ein Symposium [12] zu Ehren des jüdischen Wissenschaftlers Leon Gruenbaum abhalten wird. Gruenbaum hatte große persönliche Opfer zu erbringen. Aufgrund von Greifelds Diskriminierung fand er keine Beschäftigung als Physiker mehr. Er blieb aufrecht, wissenschaftlich kreativ und entwickelte sich zum Historiker. Als Referenten für das Symposium haben Serge und Beate Klarsfeld zugesagt. Die Historikerin Andrea Hoffend wird sich mit der Nazi-Restauration in Politik und Wissenschaft unter Adenauer auseinandersetzen. Aus dem Bereich der Naturwissenschaften soll eine Persönlichkeit gewonnen werden, die über die deutsche Plutonium-Politik vorträgt. Das hat sowohl einen konkreten als auch einen historischen Hintergrund. KIT forscht an Atomreaktoren der IV. Generation [13] mit Reaktoren, die dem in Kalkar beerdigten ähneln und einer atomaren Wiederaufarbeitung, die der in Wackersdorf beerdigten vergleichbar ist. Als ob es nie eine Energiewende und einen Atomausstieg gegeben hätte. Alles obendrein mit Billigung der Grün-Roten Landesregierung von Baden-Württemberg, die auch zur Causa Greifeld lauthals schweigt. Der historische Bezug ist ein dem Autor übergebenes geschichtswissenschaftliches Manuskript von Leon Gruenbaum unter dem Titel „Genesis der Plutoniumgesellschaft - Politische Konspirationen und Geschäfte“, das wegen seiner Qualität und seines Gedankenreichtums für das Symposium in Auszügen übersetzt vorgelegt werden wird.(PK)
Quellen:
[1] NS-Netzwerken auf der Fährte, Klaus Gaßner BNN 22.06.13
http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20130622.pdf
[2] Schriftwechsel mit KIT
http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20121231.pdf
[3] Geschichte eines Ehrensenators, Rüdiger Soldt FAZ 29.12.12
[4] KIT: Dafür stand Rudolf Greifeld, blog Willy Marth 14.04.13
[5] 70 Jahre lang – Erlebnisse und Beobachtungen, Willy Marth September 2003
[6] Ehrensenatorwürde für Rudolf Greifeld beenden! PM 26.03.13
[7] Deutsche und niederländische Physiker, B. Rusinek (unveröffentlicht, datumslos) http://www.rusinek.eu/wp-content/uploads/2012/02/Deutsche-und-niederl%C3%A4ndische-Physiker-Vortrag-2001-unver%C3%B6ffentlicht.pdf
[8] Rückblick - 50 Jahre Zukunft, Forschungszentrum Jülich 2006
[9] Nukleare „Rattenlinie“: Eichmann und EHR in Argentinien, THTR Rundbrief April 2007 http://www.reaktorpleite.de/nr.-112-april-07.html
[10] Leo Brandt (1908 -1971) Ingenieur - Wissenschaftsförderer -Visionär, B. Mittermaier, B. Rusinek (Hrg,) Forschungszentrum Jülich 2009
[11] Zerbrecht die Plutonium-Tritium-Diktatur, Dietrich Schulze 2011 in 3 Teilen bei NRhZ
(1) Warum Alt-Nazis unter Adenauer Kernforschung betreiben sollten
(2) Die Schimären Transmutation und Kernfusion am KIT in Karlsruhe
(3) Die Genese der Plutonium-Tritium-Diktatur - In Memoriam Leon Grünbaum (1934 - 2004)
[12] Protestplakat der VVN-Bund der AntifaschistInnen Karlsruhe zum Tag der Arbeit 2013
[13] Jetzt Entrüsten – Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder „Kriegsdienstleister“? Streitschrift zur Tagung im Juni 2012 am KIT, AnStifter-Verlag Peter Grohmann, S. 28-33
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12.04.2013 Sternstunde an der HU Berlin http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18942
http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20130412.pdf
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27.03.13 Dem KIT-Präsidium alles längst bekannt http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18903
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