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Lokales
Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe:
Finanzsenator Nussbaum muss nachsitzen
Von Ulrike von Wiesenau

Der Berliner Senat hat sich mit dem französischen Konzern Veolia auf "wesentliche Elemente einer Vertragsstruktur über den Rückkauf des Veolia-Anteils" von 24,95 Prozent an den Berliner Wasserbetrieben geeinigt. Dies erklärte die Senatsverwaltung für Finanzen in einer Pressemitteilung vom 6.8.2013. Demnach haben Finanzsenator Dr. Ulrich Nußbaum und Finanzstaatssekretärin Dr. Margaretha Sudhof in Paris auf Spitzenebene mit dem Executive Vice President von Veolia, Antoine Frérot, und Axel Ensinger, Vice President Corporate Development of Veolia Water, die Vertrags-Details geklärt. Finanzsenator Nußbaum will dem Senat nach der Sommerpause den "finalisierten Vertragsentwurf" zur Abstimmung vorlegen.


Alle Fotos vom Berliner Wassertisch
 
Berlin wird damit noch in diesem Jahr wieder im Besitz seiner Wasserbetriebe sein. Diese waren im Jahr 1999 von der auch damals regierenden Großen Koalition aus CDU und SPD zu 49,9 Prozent für 1,68 Milliarden Euro über eine Holding AG an die Konzerne RWE und Veolia veräußert worden. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser "Öffentlich-Privaten Partnerschaft" (PPP) waren geheim und wurden erst unter dem Eindruck des vom Berliner Wassertisch initiierten, erfolgreichen Volksbegehrens im November 2010 vom Senat veröffentlicht. Seit der Teilprivatisierung sind die Berliner Wasserpreise um über 35 Prozent gestiegen. Der ehemals geheime Konsortialvertrag enthält eine Gewinngarantie für die privaten Anteilseigner und sichert faktisch die Geschäftsführung der privaten Minderheitseigner, die über eine öffentliche Dienstleistung entscheiden und einen Kernbereich der Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle entziehen.
 
Der Berliner Wassertisch, der eine vollständige Rekommunalisierung von Anfang an auf seiner Agenda hatte und eine Rückabwicklung der skandalösen Privatisierungs-Verträge fordert, begrüsst die Rekommunalisierungsabsichten des Senats, äussert jedoch scharfe Kritik an den Bedingungen der Transaktion. Bereits im Oktober 2012 hatte das Abgeordnetenhaus beschlossen, den 24,95 Prozent-Anteil des Konzerns RWE für 654 Millionen Euro zurückzukaufen. Nach dem überteuerten Rückkauf des RWE-Anteils zeichnet sich nun ab, dass der Rückkauf von Veolia die Allgemeinheit noch teurer zu stehen kommen könnte als der 654 Millionen Euro schwere "goldene Handschlag" für RWE. Dem Vernehmen nach wird der Kaufpreis, den das Land an Veolia zu zahlen hätte, um die 700 Millionen Euro liegen, weil ein derzeit noch laufendes, geheimes Schiedsverfahren zugunsten von Veolia auszugehen droht. Dabei geht es um Nachzahlungen des Landes für entgangene Gewinne, auf die Veolia Anspruch erhebt. Der Konzern forderte bisher 150 Millionen Euro vom Land. In der Rückkaufsumme von RWE, an der sich die Verhandlungspartner orientieren, waren allerdings "nur" 60 Millionen Euro aus den gleichen Ansprüchen enthalten.
 


 
Es liegt auf der Hand, dass Veolia mit einem übereilten Rückkauf Fakten schaffen will, um dem Ausgang der laufenden Gerichtsverfahren zuvorzukommen, doch der Berliner Senat ist verpflichtet, die Interessen der Berliner Bevölkerung zu vertreten und diese gegen das Profitstreben des global agierenden Infrastrukturkonzerns in den laufenden Verhandlungen durchzusetzen. Im Zuge der anhängigen Verfahren, der Normenkontrollklage gegen das "Betriebegesetz", der Organklage gegen die Verletzung des Budgetrechts der Abgeordneten durch die berüchtigte Gewinngarantie in den Wasserverträgen, dem EU-Verfahren und der vom Bundeskartellamt im Juni 2012 ergangenen Preissenkungsverfügung wegen "missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise", könnte sich Veolia mit der Feststellung von nichtigen, weil verfassungswidrigen, Verträgen konfrontiert sehen, die eine kostengünstige Rückabwicklung zur Folge hätte.
 
Der Senat aber macht deutlich, dass er mit dem Eingehen auf die Forderungen von Veolia bereit ist, nach nur vierzehn Jahren die Renditegarantie des 1999 für die Vertragslaufzeit von 30 Jahren abgeschlossenen skandalösen Public Private Partnership-Vertrages vollumfänglich zu erfüllen. Zur Frage, was der Deal mit Veolia am Ende wirklich kosten wird hält sich der Senat bedeckt, doch es zeichnet sich ab, dass am Ende die Berlinerinnen und Berliner sowie die Beschäftigten der Wasserbetriebe für den Rückkauf zahlen müssen.
 
Daher fordert die Wirtschafts-Expertin und ehemalige SPD-Abgeordnete Gerlinde Schermer den Senat in einer Erklärung vom 7. 8. 2013 auf, die berechtigten Ansprüche der Berliner Bevölkerung als Mehrheitseigner der Wasserbetriebe zu vertreten und stellt eine Analyse derTatbestände vor, die in den laufenden Verhandlungen zu berücksichtigen sind:
 
Der Rückkaufpreis der Berliner Wasserbetriebe basiert auf der vorzeitigen Ausschüttung des Gewinns bis zum Ende der Vertragslaufzeit im Jahr 2028. Doch Veolia hat für das Jahr 2012 die volle Teilgewinnabführung erhalten, 80 Millionen wurden bereits ausbezahlt und sind demzufolge vom Kaufpreis abzuziehen. Ebenso abzuziehen sind die 170 Millionen Euro, die Veolia in einem geheimen Schiedsgericht fordert. Die von den Berlinern bereits seit 2004 mit der Wasserrechnung zusätzlich für Investitionen entrichteten, aber nicht ausgeführten Investitionen sind beim Kaufpreis mindernd zu veranschlagen. Denn statt das Wassergeld in langfristigen Erhalt und Ausbau der Anlagen zu investieren, wurden Millionengewinne ausbezahlt. Den zukünftig rekommunalisierten Wasserbetrieben stehen daher nachzuholende Ausgaben für aus Renditegründen unterlassene Investitionen bevor, entsprechend muss der Kaufpreis gesenkt werden.
 
Die Preismissbrauchsverfügung des Bundeskartellamtes muss umgehend umgesetzt werden, die Klage dagegen ist zurückzuziehen denn das Bundeskartellamt hat schlüssig nachgewiesen, dass die Wasserpreise in Berlin missbräuchlich überhöht sind. Auch dadurch sinkt der Unternehmenswert, der Kaufpreis muss diesbezüglich gesenkt werden.
 
Das schon seit 2008 bestehende geheime Schiedsverfahren ist vor das zuständige ordentliche Gericht und damit an die Öffentlichkeit zu bringen. Veolia verlangt in diesem Verfahren 170 Mio. Euro, weil die Berliner Bevölkerung weniger Wasser verbraucht hat als der Konzern für seine Rendite kalkuliert hatte, Veolia will das unternehmerische Risiko des niedrigeren Wasserverbrauchs nicht tragen. Doch die Argumente der streitenden Parteien bleiben der Bevölkerung verborgen. Das Geheimverfahren ist auch durch das mit dem Berliner Wasser-Volksentscheid eingesetzte Gesetz zur Offenlegung nicht mehr rechtskonform, denn es besteht damit ein gesetzlicher Anspruch auf Veröffentlichung aller Beschlüsse und Nebenabreden des Vertragswerks, der Streit darüber muss daher öffentlich geführt werden. Die Berliner Bevölkerung hat Anspruch auf Rechtsschutz vor einem staatlichen Gericht.
 
Zuletzt gilt: Wie der Verkauf, so ist auch der Rückkauf haushaltswirksam zu realisieren. Es handelt sich um eine nachhaltige Investition eines Betriebes der Daseinsvorsorge, dafür hat die sogenannte Schuldenbremse keine Gültigkeit.
 
Nach dem Besuch des Senators in Paris steht zu befürchten, dass Dr. Nußbaum ein konzernfreundliches, schlechtes Verhandlungsergebnis auf Kosten der Demokratie und der Berliner Wasserkunden realisieren wird. Wenn er, wie vom Berliner Wassertisch im Namen der Berliner Bevölkerung gefordert, Haushaltsmittel ausgäbe, statt das Geld der Wasserkunden, würde er weitaus kritischer verhandeln. Kurz vor dem Ende der Sommerpause steht fest: Senator Nußbaum muss nachsitzen! (PK)
 
 


Online-Flyer Nr. 419  vom 14.08.2013

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