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Inland
Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen – Teil 1: Die Banken
Die unterwanderte Demokratie
Von Werner Rügemer

Exakt vier Monate vor der Bundestagswahl sorgte Ende Mai die Mitteilung für Schlagzeilen, dass Eckart von Klaeden, seit Oktober 2009 Staatsminister bei der Bundeskanzlerin und damit Teil des engsten Führungskreises um Angela Merkel, nicht mehr für das Parlament kandidiert, sondern zum Ende des Jahres Cheflobbyist des Daimler-Konzerns werden wird. Dieser Fall ist nur das jüngste Beispiel dafür, wie eine Person aus dem engsten Machtzirkel fast ohne jede Karenzzeit die Seiten wechselt, um für die Wirtschaft auf die Politik einzuwirken.
Dieser Vorgang betrifft allerdings nur die herkömmliche, gewissermaßen klassische und zum Glück inzwischen keineswegs mehr unkritische Vorstellung, die wir von „Lobbyismus“ haben. Sie besagt: Lobbyisten wirken von außen in das Parlament, in die Regierung, in die Verwaltung und in die Parteien hinein. Und in der Tat: Diese Art Lobbyismus besteht nach wie vor und expandiert unvermindert weiter.(1)

Weitaus wichtiger ist jedoch eine neue Form des Lobbyismus, die noch gar nicht als solche bezeichnet wird: Diese Lobby sitzt längst im Staat, und vielfach wird sie von ihm sogar bezahlt. Dagegen helfen keine Karenzzeiten und auch nicht das schönste Lobbyregister, wie es gegenwärtig vielfach vorgeschlagen wird.(2)
 
Banken regieren mit
 
Bestes Beispiel für die Lobby im Staat sind die Banken und ihre immense „Staatsmacht“. Eingetragen als Lobbyist ist bekanntlich der Bundesverband deutscher Banken, faktisch aber ist er ziemlich unwichtig. Denn die Banken agieren längst in eigener Regie. Obwohl traditionell nicht einmal als Lobbyisten registriert, stellen sie gegenwärtig die mächtigste und erfolgreichste Lobby dar.
 

Wesentlicher Berater und sogar Mitentscheider etwa bei der ersten Bankenrettung 2008 war die Deutsche Bank, sichtbar vertreten durch ihren Vorstandssprecher. Josef Ackermann ging mit seinem Stab zu offiziellen und privaten Anlässen im Kanzleramt und bei Beratungen der europäischen Finanzminister ein und aus.(3) Währenddessen konnten die professionellen Lobbyisten der Bank untätig und wohlgenährt herum-sitzen. Für die gegenwärtige Bundesregierung wurde die US-Investmentbank Goldman Sachs in Sachen Eurokrise zum wichtigsten Dauerberater. Christoph Brand, seines Zeichens deutscher Vertreter von Goldman Sachs und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, traf seit der Finanzkrise 48 mal mit Vertretern der Bundesregierung zusammen. Allein der besagte Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, wurde von ihm 25 mal beraten.(4) An zweiter Stelle bei der Häufigkeit von Treffen mit Regierungsvertretern rangieren Commerzbank und Deutsche Bank, dahinter folgen weitere Banken wie Barclays und United Bank of Switzerland.
 
Neben den monatlichen Treffen mit Regierungsvertretern gehörten auch Gespräche unter vier Augen mit der Kanzlerin zum üblichen informellen Lobbying. Die Bundesregierung erklärte anlässlich einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion zudem, dass zahlreiche Beratungen mit Vertretern derselben Banken auf der operativen Ebene stattfinden, aber weder gezählt noch mitgeteilt werden.(5) Kurzum: Diese Dauerberater regieren faktisch längst mit. Sie, die von der Bundeskanzlerin Merkel gegenüber der Bevölkerung namenlos als „die Märkte“ bezeichnet werden, von denen sie sich nicht erpressen lassen will, gehen längst persönlich im Bundeskanzleramt fröhlich ein und aus. Bei Bedarf bilden die Banken zudem Initiativen, um einzelne Interessen oder Gesetzgebungen durchzusetzen. Hier ist etwa die 2002 gegründete True Sale Initiative (TSI) zu nennen. Forciert von der CDU, setzte sie die Verbriefung, also den Verkauf und Weiterverkauf von Krediten in Deutschland durch. Die entscheidende Studie dafür lieferte 2003 die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG).(6) Auch die TSI gilt – wegen ihrer Fokussierung auf ein eng definiertes Ziel und wegen der zeitlich begrenzten Aktivität – nach herkömmlicher Definition nicht einmal als Lobbyist. Doch das von ihr besonders promotete neue Finanzprodukt spielte bei der Entstehung der Finanzkrise eine entscheidende Rolle.
 
Banken sind jedoch längst auch direkt in quasistaatlichen Funktionen engagiert und tätig. Bestes Beispiel dafür: die deutsche Finanzaufsicht. Das Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz: Bafin, macht gegenüber der Öffentlichkeit den Eindruck, es sei eine staatliche Behörde. Das ist es auch, wenn auch nur in einem oberflächlichen Sinne. Denn die Bafin hat eine wesentliche Eigenschaft, die es eigentlich verbietet, sie als eine staatliche Behörde zu bezeichnen: Sie wird direkt von den Banken finanziert. Es handelt sich dabei um eine Extremform dessen, was im angelsächsischen Bereich am Beispiel der US-Finanzaufsicht Security Exchange Commission (SEC) als regulatory capture bezeichnet wird, wörtlich übersetzt: als Gefangennahme der Aufsicht.
 
Tatsächlich übernehmen in diesem Aufsichtsgremium die Beaufsichtigten selbst das Kommando.(7) Wenn jedoch die Existenz einer Aufsichtsbehörde von der Finanzierung durch die Beaufsichtigten abhängt, ist selbstverständlich keinerlei Objektivität zu erwarten. Stattdessen bilden die Beaufsichtigten und die Aufseher eine Komplizenschaft – zugunsten der privaten Seite und gegen das Gemeinwohl. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Banken auch auf anderen Ebenen mitregieren. Die Bafin hat so unter anderem die Aufgabe, die „systemrelevanten Banken“ zu definieren, die nach den Bafin-Regularien staatlich zu retten sind, auch wenn sie sich selbst zuvor in den Bankrott manövriert haben. Mit dieser Begründung schickten die Finanzaufsicht und die Bundesregierung in der Finanzkrise die zahlungsunfähigen Banken (wie IKB, Commerzbank, Hypo Real Estate und die Landesbanken) nicht in die Insolvenz, sondern retteten sie mit Hilfe von Steuergeldern – gegen Recht und Gesetz und gegen die Prinzipien der Marktwirtschaft.
 
Um die Notwendigkeit etwa der Rettung der Hypo Real Estate (HRE) per Gutachten zu untermauern, vergab die Bafin Beratungsaufträge direkt an Banken-Lobbyisten wie die US-Wirtschaftsprüfungsunternehmen Price Waterhouse Coopers, KPMG und Ernst & Young. Hier agiert also faktisch ein Lobbyist als staatliche Behörde, nämlich in gutachterlicher Funktion, und zwar für einen engstens verwandten und vielfach verbandelten Sektor der Privatwirtschaft. Wer wollte da an die Objektivität der Gutachten glauben? Doch damit nicht genug: Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 verwaltet die ausgelagerte Behörde namens Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) die 480 staatlichen Rettungsmilliarden für zahlungsunfähige Banken. Wohin die Rettungsgelder fließen, fädeln Banken und die von ihnen vorgeschlagenen Berater selbst ein.(8) Die Banken haben also nicht nur erheblichen Einfluss auf die Bafin, sie bestimmen darüber hinaus über die FSMA auch noch über ihre eigene Rettung mit und lassen sich dafür aus Steuermitteln entlohnen. (PK)
 
1 Vgl. Christina Deckwirth und Timo Lange im Auftrag von LobbyControl, Lobbyreport 2013. Die Lobbyismusdebatte 2009-2013: Eine Bilanz der schwarz-gelben Regierungszeit, Köln 2013.
2 Vgl. die Mehrheit der Stellungnahmen bei der Anhörung „Mehr Transparenz bei Lobbyismus – Anhörung als Beginn eines gemeinsamen Prozesses“ im Hessischen Landtag am 16.4.2013, www.landtag.hessen.de, Lobbyismusanhörung ÄR Stellungnahmen und Antworten Teil 1 und 2.
3 Bis heute legendär ist das zu Ackermanns Ehren, aus Anlass seines 60. Geburtstags, ausgerichtete Abendessen der Kanzlerin im illustren Kreis und auf dem Höhepunkt der Bankenkrise 2008; vgl. dazu Thilo Bode und Katja Pink, Geburtstagsparty im Kanzleramt, in: „Blätter“, 6/2012, S. 75-82.
4 Diese Dauerbeziehung ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil von Klaeden auch und in erster Linie als Koordinator für den Bürokratieabbau tätig ist.
5 Beziehungen von Geschäftsbanken und Investmentbanken zur Bundesregierung, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Ds. 17/12332, 14.2.2013.
6 Mit Hilfe von Verbriefungen konnten die Banken in den Boomjahren großzügig sein, vgl. „Süddeutsche Zeitung“, 7.7.2009.
7 Michael E. Levine und Jennifer L. Forrence, Regulatory Capture, Public Interest and the Public Agenda: Toward a Synthesis, in: „Journal of Law Economics and Organization”, 6/1990 (special issue), S. 167 ff.
8 Vgl. zum folgenden: Verschlusssache Bankenrettung, in: „Handelsblatt“, 27.3.2013; Profiteure der Bankenkrise, in: „Handelsblatt“, 18.4.2013.
Teil 2 folgt in der nächsten NRhZ-Ausgabe
 


Online-Flyer Nr. 420  vom 21.08.2013

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