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Lokales
Perspektiven nach der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe:
Wassercharta und Wasserrat vorgestellt
Von Ulrike von Wiesenau
In Berlin steht die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe durch den Rückkauf der Veolia-Anteile unmittelbar bevor. Der Berliner Wassertischbegrüsst die Rekommunalisierungsabsichten des Senates, übt jedoch scharfe Kritik an den Modalitäten der Transaktion. Angesichts der Aussicht, dass sich das Land Berlin bald wieder im Besitz seiner Wasserbetriebe befinden wird, forderten der Berliner Wassertisch und sein Untersuchungsausschuss "Klaerwerk" auf einer Pressekonferenz am 5. September außerdem eine demokratische Umstrukturierung des Unternehmens das immer noch als komplexe Holding organisiert ist, und stellten der Öffentlichkeit den Entwurf einer Berliner Wassercharta und das Konzept eines Berliner Wasserrates vor.
Alle Fotos: Berliner Wassertisch
Die Berliner Wasserbetriebe waren im Jahr 1999 von der damals wie heute
regierenden Großen Koalition aus CDU und SPD zu 49,9 Prozent für 1,68
Milliarden Euro über eine Holding AG zu jeweils gleichen Teilen an die Konzerne RWE und Veolia veräußert worden. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser "Öffentlich-Privaten Partnerschaft" (PPP) waren geheim und wurden erst unter dem Eindruck des vom Berliner Wassertisch initiierten, erfolgreichen Volksbegehrens im November 2010 vom Senat veröffentlicht. Der ehemals geheime Konsortialvertrag, auf dessen Grundlage die Wasserbetriebe juristisch
"wasserdicht" als undurchsichtiges Unternehmensgeflecht strukturiert wurden, enthält eine Gewinngarantie für die privaten Konzerne und sichert faktisch die Geschäftsführung der Minderheitseigner, die damit über eine öffentliche Dienstleistung entscheiden und die Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle entziehen.
Auf der Pressekonferenz am Donnerstag wurde scharfe Kritik an dem
verlautbarten Rückkaufpreis von 700 Millionen Euro geäußert, mit dem der Senat den Forderungen Veolias, u.a. aus einem geheimen
Schiedsgerichtsverfahren, nachzukommen gedenkt. Die auf diese Weise
praktizierte Ausschaltung ordentlicher Gerichte ist ein Blankoscheck für die Konzerne - so etwas darf ein Senat, der glaubhaft die Interessen der Berliner Bevölkerung wahrnehmen will, nicht zulassen, vielmehr sollte er vor einem ordentlichen Gericht gegen diese Forderung vorgehen und einstweiligen Rechtsschutz suchen.
Zur Erneuerung der Wasserbetriebe und der Berliner Wasserpolitik hält es der Berliner Wassertisch für geboten, nicht einfach die vorherige öffentliche Struktur wieder herzustellen, sondern sie im Sinne eines „besseren Staates" in einigen Aspekten zu verändern. Nach den Erfahrun- gen der Vergangenheit hält die Bürgerinitiative es für zwingend notwendig, die Wasserbetriebe und die Berliner Wasserpolitik bestimmten Grundsätzen zu unterstellen. Dazu hat sie eine Wassercharta für Berlin entworfen. Leitlinie der Wassercharta ist eine transparente, also ohne geheime Gremien arbeitende, sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und partizipative Wasserwirtschaft. Die Berliner Wassercharta entwickelt
die in der Europäischen Wassercharta von 1968, der Wiener Wassercharta
von 2001 und die im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft des Berliner
Wassertischs 2011 formulierten Vorstellungen weiter. Der Berliner
Wassertisch hat eine Wassercharta erarbeitet, die eine Umstellung der
Wassertarife auf Gebühren vorsieht, die nur den laufenden Betrieb und
notwendige Investitionen sowie Rücklagen für die wirtschaftliche und
technische Entwicklung finanzieren - mit denen aber keine Gewinne für
den Landeshaushalt erwirtschaftet werden. Eine erneute Privatisierung
oder Teilprivatisierung der Wasserbetriebe soll durch diese Charta
kategorisch ausgeschlossen werden. Auch wird eine demokratische
Beteiligung und Kontrolle durch die Bürger/innen als wichtiger
Grundsatz beschrieben. Viele Punkte zielen zudem auf eine nachhaltige
Wasserbewirtschaftung ab. Die Berliner Wassercharta soll als Grundlage
gesetzlicher Bestimmungen und als Wegweiser für die Berliner
Wasserbetriebe zur Geltung gebracht werden. Sie soll als Leitlinie für
das Handeln erneuerter und ausschliesslich dem Gemeinwohl
verpflichteter Wasserbetriebe dienen.
Über die Anwendung dieser Grundsätze wachen sollen die Bürgerinnen und
Bürger selbst, und zwar in Form einer direkten Mitwirkung an den
rekommunalisierten Wasserbetrieben -- dem Berliner Wasserrat. Die
Erfahrung der letzten 14 Jahre lehrt uns, dass die Bevölkerung ein
direktes Mitspracherecht bei der Leitung der Wasserbetriebe bekommen
muss. Da die Berliner Wasserbetriebe das erste Unternehmen der
Daseinsvorsorge sein wird, das nach der Privatisierung der 90er Jahre
wieder vollständig in öffentliches Eigentum zurückgeführt wird, kommt
der Forderung nach einer direkten Bürgerbeteiligung besondere Bedeutung
zu. Mit der Konzeption eines Berliner Wasserrates betritt die
Bevölkerung demokratisches Neuland und steht so am Anfang eines
gesellschaftlichen Suchprozesses nach einer am Gemeinwohl orientierten
Wasserversorgung in Berlin, bei der es klare Regelungen über die
Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger geben wird, die über die
bisher bekannten Modelle hinausgehen.
Nach der erfolgreichen Aufklärungsleistung des öffentlich arbeitenden
Wassertisch-Untersuchungsausschusses "Klaerwerk", der massgebliche
Beiträge zur Analyse der skandalösen Geheimverträge lieferte, wird mit
dem Wasserrat in Berlin nun ein zweites Instrument der direkten
Demokratie begründet. Zur detaillierten Ausgestaltung dieser Form der
direkten Beteiligung an einem öffentlichen Unternehmen möchte der
Berliner Wassertisch jetzt einen Dialog beginnen, an dessen Ende das
konkrete Modell einer Bürgerbeteiligung stehen wird, das die direkte
Mitwirkung und Kontrolle der Berliner Bevölkerung an den
rekommunalisierten, demokratisch verfassten Wasserbetrieben garantiert.
In den kommenden Monaten werden weitere Themenfelder intensiv zu
bearbeiten sein. So gilt es, zur Kontrolle der Investitionstätigkeit
der Wasserbetriebe ein öffentliches Investitionsmonitoring zu
etablieren. Der Berliner Wassertisch wird die Berlinerinnen und
Berliner noch im Herbst dieses Jahres zu einer ersten Bürgerkonferenz
einladen.
Berliner Wasser-Charta
Vorwort
Die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) steht bevor.
Dies bedeutet zunächst eine Rückführung des für weit mehr als ein
Jahrzehnt teilprivatisierten Betriebes in Berliner Landeseigentum. Wir
wollen weitergehen und die Berliner Wasserbetriebe wie auch die
Wasserpolitik insgesamt demokratisieren, um eine transparente, sozial
gerechte und ökologisch nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft in Berlin
zu erreichen. Der Berliner Wassertisch http://berliner-wassertisch.net
hat - auch anhand internationaler Vorbilder - hierzu einen Entwurf für
eine Berliner Wassercharta erstellt. Dieser soll in einem
gesellschaftlich breiten Diskurs weiterentwickelt werden. Wir wollen
die vielfältigen Kompetenzen zum Thema Wasser in unserer Stadt
zusammenbringen und die Berliner Bevölkerung zur aktiven Mitwirkung
einladen. Die Berliner Wassercharta soll schließlich als Grundlage
gesetzlicher Bestimmungen und als Wegweiser für die Berliner
Wasserbetriebe zur Geltung gebracht werden.
Präambel
Alle Menschen der Stadt Berlin tragen gemeinsam Verantwortung für einen
demokratischen und transparenten, sozial gerechten und ökologisch
nachhaltigen Umgang mit dem Wasser. Eine qualitativ hochwertige
Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung für die Stadt ist
gleichermaßen wichtig wie Natur- und Ressourcenschutz sowie
angemessenes Grundwassermanagement. Die nachfolgenden Grundsätze bilden
den Rahmen hierfür.
1. Allgemeine und politische Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe dienen dem Gemeinwohl. Der Zugang zu
sauberem Wasser und sanitärer Grundversorgung muss als Menschenrecht
für alle Bürgerinnen und Bürger Berlins dauerhaft gewährleistet sein.
b) Wasser muss für alle Berliner Bürgerinnen und Bürger erschwinglich
sein. Die Berliner Bevölkerung hat ein Recht auf den Bezug qualitativ
hochwertigen Wassers zu sozial angemessenen Gebühren und Bedingungen.
c) Die Versorgung mit dem lebensnotwendigen Gut Wasser und seine
Entsorgung sind eine vorrangige Aufgabe des Landes. Es darf keine
Privatisierung bzw. Teilprivatisierung der Trinkwasserversorgung und
Abwasserentsorgung, auch nicht im Rahmen sogenannter
öffentlich-privater-Partnerschaften oder ähnlicher Modelle, geben.
d) Die Berliner Siedlungswasserwirtschaft muss demokratisch gestaltet
werden, d. h. unter demokratischer Beteiligung der Berliner Bürgerinnen
und Bürger. Die Wasserwirtschaft muss transparent sein. Eine
direktdemokratische Beteiligung der Berliner Bürgerinnen und Bürgern an
den Berliner Wasserbetrieben wird gewährleistet.
2. Ökonomische Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe werden nicht gewinnorientiert geführt.
Sie erheben Gebühren, mit denen die Kosten der Einrichtungen gedeckt
sowie Rücklagen für die wirtschaftliche und technische Entwicklung
gebildet werden können.
b) Es werden keine wasserfernen Unternehmen in die Berliner
Wasserbetriebe integriert.
c) Die Berliner Wasserbetriebe versorgen die Stadt vollständig mit
Trinkwasser aus den eigenen Grundwasserressourcen und den von den
Fließgewässern Spree und Havel an das Grundwasser abgegebenen
Uferfiltrat. Wasser aus dem Berliner Grundwasser und Uferfiltrat soll
den heutigen und allen folgenden Generationen mindestens in gleich
hoher Qualität zur Verfügung stehen. Die technischen Anlagen der
Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung müssen hierzu dem neuesten
Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Alternatives
Wassermanagement wie z.B. Brauchwassernutzung muss in die Planung
verstärkt einbezogen werden. Die Investitionshöhe der Berliner
Wasserbetriebe muss diesen Anforderungen entsprechen.
d) Die Berliner Wasserbetriebe stehen für flussgebiets-, kommunal-,
bundesländerübergreifende sowie internationale Kooperationen im Rahmen
einer öffentlich geführten Siedlungswasserwirtschaft ausdrücklich
offen. Die Berliner Wasserbetriebe arbeiten mit an dem Modell
öffentlich-öffentlicher Kooperationen. Das Gemeinwohl ist dafür das
Leitbild. Eine Gewinnorientierung bei überregionalen Kooperationen wird
grundsätzlich abgelehnt.
e) Die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der tariflich beschäftigten
Arbeiter und Angestellten der Berliner Wasserbetriebe dürfen nach der
Rekommunalisierung nicht hinter das Bestehende zurückfallen. Die
Bezahlung aller Beschäftigten richtet sich nach dem Grundsatz „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit". Das bestehende Mitbestimmungsrecht der
Arbeiter und Angestellten der Berliner Wasserbetriebe wird nicht nur
gewährleistet, sondern weiter ausgebaut.
f) Das Land Berlin stellt für demokratische Beteiligungsarbeit (z. B.
Bürgerbeteiligungsgremien, Beschäftigtengremien) und wasserbezogene
Forschung Ressourcen in angemessenem Umfang bereit.
3. Ökologische Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe und das Land Berlin wirken zur
Sicherstellung einer hohen Qualität des lebensnotwendigen Gutes Wasser
zusammen, um Gefährdungen für die nachhaltige Qualität des Berliner
Wassers auszuschließen.
b) Die Arbeit der Berliner Wasserbetriebe wie auch die Ausrichtung der
Berliner Politik steht im Zeichen des Ressourcenschutzes. Die Ökobilanz
Berlins darf nicht verschlechtert, sondern soll stets verbessert
werden.
c) Das Land und die Berliner Wasserbetriebe setzen die Normen der
Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL) aus dem Jahr 2000 um.
d) Wasserschutzgebiete sind zu erhalten. Eine Umwidmung in spekulatives
Bauland ist auszuschließen.
e) Wasserentnahmen erfolgen in einem ökologisch verträglichen Maß. Ein
Wasserexport wird nicht angestrebt.
f) Grundwassermanagement ist Aufgabe des Landes Berlin.
g) Gesunde Mischwälder sind der Garant für einen gesunden Wald und
nachhaltige Wasserversorgung. Der Berliner Senat fördert eine
naturnahe, am Boden- und damit Gewässerschutz orientierte
Grünraumentwicklung wie zum Beispiel standort-gerechte Mischwälder. Die
Berliner Wasserbetriebe übernehmen Gesamtverantwortung für den
städtischen Wasserhaushalt, müssen sich daher ebenfalls für den Erhalt
der Berliner Grünflächen jeglicher Art einsetzen (Brachen, Parks,
Straßenbegrünung, Laubenkolonien, urbane Gärten etc.).
h) Bodenschutz hat Priorität. Das Bodenmanagement wird auf die
Sicherung des Grund- und Oberflächenwassers und der Fließgewässer
ausgerichtet. Deshalb ist die weitere Versiegelung von Böden zu
vermeiden; Quantität, Qualität und Struktur unversiegelter Böden sind
zu erhalten.
i) Zum Schutz der Wasserressourcen und der Reduzierung des
Schadstoffeintrags ins Grundwasser ist der ökologische Landbau zu
fördern.
j) Die hydraulische Frakturierung zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas
(„Fracking") ist für alle Zeit auszuschließen. Das Land setzt sich
zudem für ein bundesweites Verbot ein.
k) Unterirdische Speicherung von abgeschiedenem CO2 ist in Berlin
verboten. Das Land setzt sich zudem für ein bundesweites Verbot ein.
l) Zur Begrenzung, Verringerung und einer baldigen Beendigung von
Schadstoffeinträgen in die Spree aus dem Lausitzer Braunkohlegebiet
(SO4-Belastung) arbeiten die Berliner Wasserbetriebe wie auch der
Berliner Senat länderübergreifend - mit Brandenburg und Sachsen -
zusammen. Das Land Berlin setzt sich für ein baldiges und stetiges
Verbot des Abbaus fossiler Brennstoffe (Braunkohle, Erdöl u. a.) ein,
um Verunreinigungen des Wassers durch diese zu verhindern.
m) Die Berliner Wasserbetriebe tun alles Notwendige, um für Mensch und
Natur gesundheitsgefährdende Stoffe dem Wasser fernzuhalten bzw.
reinigend zu entziehen. Ein qualitativ hochwertiger
Abwasserbehandlungsprozess muss stets gewährleistet sein.
4. Rechtliche Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe sind verpflichtet, die Normen der
Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL) aus dem Jahr 2000 zu erfüllen.
Diese bezweckt die Verbesserung der aquatischen Umwelt in der
Europäischen Gemeinschaft. Da das Abwasser von heute unser Trinkwasser
von übermorgen ist, muss der Einhaltung der WRRL-Normen Priorität
eingeräumt werden.
b) Bei der Auslegung bestehender Gesetze, rechtlicher Bestimmungen und
sonstiger Regelungen, die auf die betriebliche Verfassung und das
Handeln der Berliner Wasserbetriebe sowie die wasserpolitisch
relevanten Maßnahmen des Landes Berlin anzuwenden sind, sind die
Grundsätze dieser Berliner Wassercharta zu berücksichtigen. Neue
Gesetze, rechtliche Bestimmungen oder sonstige Regelungen, welche die
Berliner Wasserbetriebe oder die Berliner Wasserpolitik betreffen,
sollen mit dieser Berliner Wassercharta im Einklang stehen. (PK)
Weitere Informationen unter: www.berliner-wassertisch.net
Online-Flyer Nr. 423 vom 11.09.2013
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Lokales
Perspektiven nach der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe:
Wassercharta und Wasserrat vorgestellt
Von Ulrike von Wiesenau
In Berlin steht die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe durch den Rückkauf der Veolia-Anteile unmittelbar bevor. Der Berliner Wassertischbegrüsst die Rekommunalisierungsabsichten des Senates, übt jedoch scharfe Kritik an den Modalitäten der Transaktion. Angesichts der Aussicht, dass sich das Land Berlin bald wieder im Besitz seiner Wasserbetriebe befinden wird, forderten der Berliner Wassertisch und sein Untersuchungsausschuss "Klaerwerk" auf einer Pressekonferenz am 5. September außerdem eine demokratische Umstrukturierung des Unternehmens das immer noch als komplexe Holding organisiert ist, und stellten der Öffentlichkeit den Entwurf einer Berliner Wassercharta und das Konzept eines Berliner Wasserrates vor.
Alle Fotos: Berliner Wassertisch
Die Berliner Wasserbetriebe waren im Jahr 1999 von der damals wie heute
regierenden Großen Koalition aus CDU und SPD zu 49,9 Prozent für 1,68
Milliarden Euro über eine Holding AG zu jeweils gleichen Teilen an die Konzerne RWE und Veolia veräußert worden. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser "Öffentlich-Privaten Partnerschaft" (PPP) waren geheim und wurden erst unter dem Eindruck des vom Berliner Wassertisch initiierten, erfolgreichen Volksbegehrens im November 2010 vom Senat veröffentlicht. Der ehemals geheime Konsortialvertrag, auf dessen Grundlage die Wasserbetriebe juristisch
"wasserdicht" als undurchsichtiges Unternehmensgeflecht strukturiert wurden, enthält eine Gewinngarantie für die privaten Konzerne und sichert faktisch die Geschäftsführung der Minderheitseigner, die damit über eine öffentliche Dienstleistung entscheiden und die Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle entziehen.
Auf der Pressekonferenz am Donnerstag wurde scharfe Kritik an dem
verlautbarten Rückkaufpreis von 700 Millionen Euro geäußert, mit dem der Senat den Forderungen Veolias, u.a. aus einem geheimen
Schiedsgerichtsverfahren, nachzukommen gedenkt. Die auf diese Weise
praktizierte Ausschaltung ordentlicher Gerichte ist ein Blankoscheck für die Konzerne - so etwas darf ein Senat, der glaubhaft die Interessen der Berliner Bevölkerung wahrnehmen will, nicht zulassen, vielmehr sollte er vor einem ordentlichen Gericht gegen diese Forderung vorgehen und einstweiligen Rechtsschutz suchen.
Zur Erneuerung der Wasserbetriebe und der Berliner Wasserpolitik hält es der Berliner Wassertisch für geboten, nicht einfach die vorherige öffentliche Struktur wieder herzustellen, sondern sie im Sinne eines „besseren Staates" in einigen Aspekten zu verändern. Nach den Erfahrun- gen der Vergangenheit hält die Bürgerinitiative es für zwingend notwendig, die Wasserbetriebe und die Berliner Wasserpolitik bestimmten Grundsätzen zu unterstellen. Dazu hat sie eine Wassercharta für Berlin entworfen. Leitlinie der Wassercharta ist eine transparente, also ohne geheime Gremien arbeitende, sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und partizipative Wasserwirtschaft. Die Berliner Wassercharta entwickelt
die in der Europäischen Wassercharta von 1968, der Wiener Wassercharta
von 2001 und die im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft des Berliner
Wassertischs 2011 formulierten Vorstellungen weiter. Der Berliner
Wassertisch hat eine Wassercharta erarbeitet, die eine Umstellung der
Wassertarife auf Gebühren vorsieht, die nur den laufenden Betrieb und
notwendige Investitionen sowie Rücklagen für die wirtschaftliche und
technische Entwicklung finanzieren - mit denen aber keine Gewinne für
den Landeshaushalt erwirtschaftet werden. Eine erneute Privatisierung
oder Teilprivatisierung der Wasserbetriebe soll durch diese Charta
kategorisch ausgeschlossen werden. Auch wird eine demokratische
Beteiligung und Kontrolle durch die Bürger/innen als wichtiger
Grundsatz beschrieben. Viele Punkte zielen zudem auf eine nachhaltige
Wasserbewirtschaftung ab. Die Berliner Wassercharta soll als Grundlage
gesetzlicher Bestimmungen und als Wegweiser für die Berliner
Wasserbetriebe zur Geltung gebracht werden. Sie soll als Leitlinie für
das Handeln erneuerter und ausschliesslich dem Gemeinwohl
verpflichteter Wasserbetriebe dienen.
Über die Anwendung dieser Grundsätze wachen sollen die Bürgerinnen und
Bürger selbst, und zwar in Form einer direkten Mitwirkung an den
rekommunalisierten Wasserbetrieben -- dem Berliner Wasserrat. Die
Erfahrung der letzten 14 Jahre lehrt uns, dass die Bevölkerung ein
direktes Mitspracherecht bei der Leitung der Wasserbetriebe bekommen
muss. Da die Berliner Wasserbetriebe das erste Unternehmen der
Daseinsvorsorge sein wird, das nach der Privatisierung der 90er Jahre
wieder vollständig in öffentliches Eigentum zurückgeführt wird, kommt
der Forderung nach einer direkten Bürgerbeteiligung besondere Bedeutung
zu. Mit der Konzeption eines Berliner Wasserrates betritt die
Bevölkerung demokratisches Neuland und steht so am Anfang eines
gesellschaftlichen Suchprozesses nach einer am Gemeinwohl orientierten
Wasserversorgung in Berlin, bei der es klare Regelungen über die
Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger geben wird, die über die
bisher bekannten Modelle hinausgehen.
Nach der erfolgreichen Aufklärungsleistung des öffentlich arbeitenden
Wassertisch-Untersuchungsausschusses "Klaerwerk", der massgebliche
Beiträge zur Analyse der skandalösen Geheimverträge lieferte, wird mit
dem Wasserrat in Berlin nun ein zweites Instrument der direkten
Demokratie begründet. Zur detaillierten Ausgestaltung dieser Form der
direkten Beteiligung an einem öffentlichen Unternehmen möchte der
Berliner Wassertisch jetzt einen Dialog beginnen, an dessen Ende das
konkrete Modell einer Bürgerbeteiligung stehen wird, das die direkte
Mitwirkung und Kontrolle der Berliner Bevölkerung an den
rekommunalisierten, demokratisch verfassten Wasserbetrieben garantiert.
In den kommenden Monaten werden weitere Themenfelder intensiv zu
bearbeiten sein. So gilt es, zur Kontrolle der Investitionstätigkeit
der Wasserbetriebe ein öffentliches Investitionsmonitoring zu
etablieren. Der Berliner Wassertisch wird die Berlinerinnen und
Berliner noch im Herbst dieses Jahres zu einer ersten Bürgerkonferenz
einladen.
Berliner Wasser-Charta
Vorwort
Die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) steht bevor.
Dies bedeutet zunächst eine Rückführung des für weit mehr als ein
Jahrzehnt teilprivatisierten Betriebes in Berliner Landeseigentum. Wir
wollen weitergehen und die Berliner Wasserbetriebe wie auch die
Wasserpolitik insgesamt demokratisieren, um eine transparente, sozial
gerechte und ökologisch nachhaltige Siedlungswasserwirtschaft in Berlin
zu erreichen. Der Berliner Wassertisch http://berliner-wassertisch.net
hat - auch anhand internationaler Vorbilder - hierzu einen Entwurf für
eine Berliner Wassercharta erstellt. Dieser soll in einem
gesellschaftlich breiten Diskurs weiterentwickelt werden. Wir wollen
die vielfältigen Kompetenzen zum Thema Wasser in unserer Stadt
zusammenbringen und die Berliner Bevölkerung zur aktiven Mitwirkung
einladen. Die Berliner Wassercharta soll schließlich als Grundlage
gesetzlicher Bestimmungen und als Wegweiser für die Berliner
Wasserbetriebe zur Geltung gebracht werden.
Präambel
Alle Menschen der Stadt Berlin tragen gemeinsam Verantwortung für einen
demokratischen und transparenten, sozial gerechten und ökologisch
nachhaltigen Umgang mit dem Wasser. Eine qualitativ hochwertige
Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung für die Stadt ist
gleichermaßen wichtig wie Natur- und Ressourcenschutz sowie
angemessenes Grundwassermanagement. Die nachfolgenden Grundsätze bilden
den Rahmen hierfür.
1. Allgemeine und politische Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe dienen dem Gemeinwohl. Der Zugang zu
sauberem Wasser und sanitärer Grundversorgung muss als Menschenrecht
für alle Bürgerinnen und Bürger Berlins dauerhaft gewährleistet sein.
b) Wasser muss für alle Berliner Bürgerinnen und Bürger erschwinglich
sein. Die Berliner Bevölkerung hat ein Recht auf den Bezug qualitativ
hochwertigen Wassers zu sozial angemessenen Gebühren und Bedingungen.
c) Die Versorgung mit dem lebensnotwendigen Gut Wasser und seine
Entsorgung sind eine vorrangige Aufgabe des Landes. Es darf keine
Privatisierung bzw. Teilprivatisierung der Trinkwasserversorgung und
Abwasserentsorgung, auch nicht im Rahmen sogenannter
öffentlich-privater-Partnerschaften oder ähnlicher Modelle, geben.
d) Die Berliner Siedlungswasserwirtschaft muss demokratisch gestaltet
werden, d. h. unter demokratischer Beteiligung der Berliner Bürgerinnen
und Bürger. Die Wasserwirtschaft muss transparent sein. Eine
direktdemokratische Beteiligung der Berliner Bürgerinnen und Bürgern an
den Berliner Wasserbetrieben wird gewährleistet.
2. Ökonomische Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe werden nicht gewinnorientiert geführt.
Sie erheben Gebühren, mit denen die Kosten der Einrichtungen gedeckt
sowie Rücklagen für die wirtschaftliche und technische Entwicklung
gebildet werden können.
b) Es werden keine wasserfernen Unternehmen in die Berliner
Wasserbetriebe integriert.
c) Die Berliner Wasserbetriebe versorgen die Stadt vollständig mit
Trinkwasser aus den eigenen Grundwasserressourcen und den von den
Fließgewässern Spree und Havel an das Grundwasser abgegebenen
Uferfiltrat. Wasser aus dem Berliner Grundwasser und Uferfiltrat soll
den heutigen und allen folgenden Generationen mindestens in gleich
hoher Qualität zur Verfügung stehen. Die technischen Anlagen der
Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung müssen hierzu dem neuesten
Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Alternatives
Wassermanagement wie z.B. Brauchwassernutzung muss in die Planung
verstärkt einbezogen werden. Die Investitionshöhe der Berliner
Wasserbetriebe muss diesen Anforderungen entsprechen.
d) Die Berliner Wasserbetriebe stehen für flussgebiets-, kommunal-,
bundesländerübergreifende sowie internationale Kooperationen im Rahmen
einer öffentlich geführten Siedlungswasserwirtschaft ausdrücklich
offen. Die Berliner Wasserbetriebe arbeiten mit an dem Modell
öffentlich-öffentlicher Kooperationen. Das Gemeinwohl ist dafür das
Leitbild. Eine Gewinnorientierung bei überregionalen Kooperationen wird
grundsätzlich abgelehnt.
e) Die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der tariflich beschäftigten
Arbeiter und Angestellten der Berliner Wasserbetriebe dürfen nach der
Rekommunalisierung nicht hinter das Bestehende zurückfallen. Die
Bezahlung aller Beschäftigten richtet sich nach dem Grundsatz „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit". Das bestehende Mitbestimmungsrecht der
Arbeiter und Angestellten der Berliner Wasserbetriebe wird nicht nur
gewährleistet, sondern weiter ausgebaut.
f) Das Land Berlin stellt für demokratische Beteiligungsarbeit (z. B.
Bürgerbeteiligungsgremien, Beschäftigtengremien) und wasserbezogene
Forschung Ressourcen in angemessenem Umfang bereit.
3. Ökologische Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe und das Land Berlin wirken zur
Sicherstellung einer hohen Qualität des lebensnotwendigen Gutes Wasser
zusammen, um Gefährdungen für die nachhaltige Qualität des Berliner
Wassers auszuschließen.
b) Die Arbeit der Berliner Wasserbetriebe wie auch die Ausrichtung der
Berliner Politik steht im Zeichen des Ressourcenschutzes. Die Ökobilanz
Berlins darf nicht verschlechtert, sondern soll stets verbessert
werden.
c) Das Land und die Berliner Wasserbetriebe setzen die Normen der
Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL) aus dem Jahr 2000 um.
d) Wasserschutzgebiete sind zu erhalten. Eine Umwidmung in spekulatives
Bauland ist auszuschließen.
e) Wasserentnahmen erfolgen in einem ökologisch verträglichen Maß. Ein
Wasserexport wird nicht angestrebt.
f) Grundwassermanagement ist Aufgabe des Landes Berlin.
g) Gesunde Mischwälder sind der Garant für einen gesunden Wald und
nachhaltige Wasserversorgung. Der Berliner Senat fördert eine
naturnahe, am Boden- und damit Gewässerschutz orientierte
Grünraumentwicklung wie zum Beispiel standort-gerechte Mischwälder. Die
Berliner Wasserbetriebe übernehmen Gesamtverantwortung für den
städtischen Wasserhaushalt, müssen sich daher ebenfalls für den Erhalt
der Berliner Grünflächen jeglicher Art einsetzen (Brachen, Parks,
Straßenbegrünung, Laubenkolonien, urbane Gärten etc.).
h) Bodenschutz hat Priorität. Das Bodenmanagement wird auf die
Sicherung des Grund- und Oberflächenwassers und der Fließgewässer
ausgerichtet. Deshalb ist die weitere Versiegelung von Böden zu
vermeiden; Quantität, Qualität und Struktur unversiegelter Böden sind
zu erhalten.
i) Zum Schutz der Wasserressourcen und der Reduzierung des
Schadstoffeintrags ins Grundwasser ist der ökologische Landbau zu
fördern.
j) Die hydraulische Frakturierung zur Gewinnung von Erdöl und Erdgas
(„Fracking") ist für alle Zeit auszuschließen. Das Land setzt sich
zudem für ein bundesweites Verbot ein.
k) Unterirdische Speicherung von abgeschiedenem CO2 ist in Berlin
verboten. Das Land setzt sich zudem für ein bundesweites Verbot ein.
l) Zur Begrenzung, Verringerung und einer baldigen Beendigung von
Schadstoffeinträgen in die Spree aus dem Lausitzer Braunkohlegebiet
(SO4-Belastung) arbeiten die Berliner Wasserbetriebe wie auch der
Berliner Senat länderübergreifend - mit Brandenburg und Sachsen -
zusammen. Das Land Berlin setzt sich für ein baldiges und stetiges
Verbot des Abbaus fossiler Brennstoffe (Braunkohle, Erdöl u. a.) ein,
um Verunreinigungen des Wassers durch diese zu verhindern.
m) Die Berliner Wasserbetriebe tun alles Notwendige, um für Mensch und
Natur gesundheitsgefährdende Stoffe dem Wasser fernzuhalten bzw.
reinigend zu entziehen. Ein qualitativ hochwertiger
Abwasserbehandlungsprozess muss stets gewährleistet sein.
4. Rechtliche Grundsätze
a) Die Berliner Wasserbetriebe sind verpflichtet, die Normen der
Wasserrahmenrichtlinie der EU (WRRL) aus dem Jahr 2000 zu erfüllen.
Diese bezweckt die Verbesserung der aquatischen Umwelt in der
Europäischen Gemeinschaft. Da das Abwasser von heute unser Trinkwasser
von übermorgen ist, muss der Einhaltung der WRRL-Normen Priorität
eingeräumt werden.
b) Bei der Auslegung bestehender Gesetze, rechtlicher Bestimmungen und
sonstiger Regelungen, die auf die betriebliche Verfassung und das
Handeln der Berliner Wasserbetriebe sowie die wasserpolitisch
relevanten Maßnahmen des Landes Berlin anzuwenden sind, sind die
Grundsätze dieser Berliner Wassercharta zu berücksichtigen. Neue
Gesetze, rechtliche Bestimmungen oder sonstige Regelungen, welche die
Berliner Wasserbetriebe oder die Berliner Wasserpolitik betreffen,
sollen mit dieser Berliner Wassercharta im Einklang stehen. (PK)
Weitere Informationen unter: www.berliner-wassertisch.net
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