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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Lokales
Ein Standort deutscher Kolonialpolitik bis 1945 und auch heute noch
Kölner Wahn vom Weltreich
Von Werner Rügemer

Das beliebte Kölner Motto, dass noch immer alles gut gegangen sei („Et is noch immer alles jot jejange“), überdeckt beispielsweise nicht nur die von Kölnern begangenen Verbrechen im Nationalsozialismus, sondern auch die Mittäterschaft in der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches. Endlich hat eine studentische Gruppe um die Kölner Professorin Marianne Bechhaus-Gerst und ihre Mitarbeiterin Anne-Kathrin Horstmann diesen bisher verdrängten Bereich erforscht (1). Im Folgenden gebe ich ausgewählte Beispiele aus den umfangreichen Ergebnissen des Sammelbandes wieder.
 


Konrad Adenauer – forderte als
Kölner OB "die verlorenen
Kolonien" zurück
NRhZ-Archiv
Auch Deutschland holt sich Kolonien
 
Bei der in Berlin 1884 organisierten Afrika-Konferenz teilten die USA, das osmanische Reich und 12 europäische Staaten die restliche Welt in Kolonien ein und verteilten sie untereinander. An das Deutsche Reich entfielen als „Schutzgebiete“ Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Togo und Kamerun, dann Deutsch-Ostafrika (heute Tanzania, Burundi, Ruanda), schließlich Deutsch-Neuguinea mit zahlreichen Inseln im Südpazifik und Deutsch-Samoa, als letztes Kiautschou in China.
 
Kolonialpioniere waren nicht Regierungen, sondern Unternehmer. Sie bestachen einheimische Häuptlinge mit Textilien, Geld und Alkohol, kauften billig Land, gründeten Niederlassungen und Plantagen. Es ging vor allem um Kakao- und Kaffeebohnen, Sisal, Phosphate, Kopra, Erdnüsse, dann auch Erze, Mineralien und Diamanten. Die Unternehmer verlangten vom Staat militärische und Verwaltungshilfe sowie den Bau von Eisenbahnen, zwangen die Einheimischen zu Fronarbeit und Hüttensteuern; Strafen waren hart, die Gewaltanwendung ging über Enteignung „herrenlosen Landes“ bis hin zur Aufstandsbekämpfung, Kolonialkriegen und Massenmord. Es handelte sich um ein „System kruder Raubwirtschaft“.

Auch damals kannte man menschenrechtliche Demagogie: Der Deutsche Reichstag beschloss ein Gesetz gegen den Sklavenhandel und den Schutz der Völker in den Kolonien. Dabei ging es aber nur um die Sklaven der traditionellen Kolonialmächte USA, England, Frankreich, Niederlande, Portugal, Belgien und Spanien. Sobald die deutschen Kolonialisten sich in ihren eigenen Kolonien festgesetzt hatten, schickte der Staat „Schutztruppen“ nach, mit deren Hilfe Einheimische zu Sklavenarbeit gezwungen wurden; einigen Arbeitern wurden allerdings auch Löhne gezahlt, sehr niedrige.
 
Kölner Unternehmer setzen sich in den Kolonien fest
 
Als Lobbyorganisation agierte die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) mit lokalen Abteilungen. Die Kölner Unternehmer Pfeifer, Langen, Guilleaume, Küppers und die Bankiers von Oppenheim und Schnitzler (Bank J.H.Stein) gründeten 1888 die Kölner Abteilung der DKG. Domkapitular Hespers durfte dabei ebenso wenig fehlen wie Landgerichtsdirektor Reichensperger, der den Vorsitz übernahm. Später kamen im Vorstand u.a. hinzu die Unternehmer Stollwerck, Tietz, Deichmann, Clouth, dann auch Domprobst Berlage, Redakteur Müllenhoff von der Kölnischen Zeitung (heute Kölner Stadt-Anzeiger) und Oberstaatsanwalt Hamm. Zusätzlich gründeten die Unternehmer im Rahmen der DKG das Kolonialwirtschaftliche Komitee (KWK), in dem neben 1.500 Firmen nicht nur die IHK, sondern auch die Stadt Köln zahlendes Mitglied waren. Es beriet die Reichsregierung und bildete Kommissionen für die Bereiche Baumwolle, Kautschuk, Ölrohstoff und Wollschafzucht. „So entstand ein pro-koloniales Netzwerk aus Politik, Wirtschaft, Kirche, Recht, Presse und Wissenschaft.“


Bild: Böhlau-Verlag
Der Unternehmer Eugen Langen (Zuckerfabrik Pfeifer & Langen, Motorenfabrik Deutz) sorgte als Lobbyist auf Reichsebene mit dafür, dass Deutsch-Ostafrika „vollständig von Aufständischen gesäubert“ wurde. Sein Schwiegersohn Hermann von Wissmann, Befehlshaber der „Schutztruppe“ für Deutsch-Südwestafrika (Reichs-kommissar), zeichnete sich durch besondere Brutalität aus. Um „Kultur und Gesittung nach Afrika zu tragen“, organisierte er „Strafexpeditionen“, ließ Aufständische zu hunderten erschießen, Hinrichtungen inszenieren, Dörfer plündern und dem Erdboden gleich-machen. Er gilt als Erfinder der Strategie der „verbrannten Erde“ in Afrika.
 
Der Unternehmer Max Esser vom Kölner Schaafhausenschen Bankverein, damals eine der großen deutschen Banken, eignete sich in Kamerun große Ländereien an, ließ den Regenwald abholzen und ließ für die Schokoladefabriken wie Stollwerck („größte Schokoladen-, Kakao- und Zuckerfirma der Welt“ laut damaliger Eigenwerbung) in Plantagen Kakaobohnen anbauen, dann auch Kaffee, Vanille, Gewürze und Gummi.
 
Die Bankiers Albert, Max und Simon Alfred von Oppenheim gründeten ein Konsortium für die Rheinische Handei-Plantagen-Gesellschaft in Deutsch-Ostafrika. Teilhaber waren zudem die Unternehmer Guilleaume, Michels, Pfeifer und der Bankier Schnitzler. Zitat aus dem Buch: „Die in Monokulturen angebaute Sisal-Agave zerstörte die gewachsenen Wirtschafts- und Sozialstrukturen.“ In den Jahresberichten lobte man sich regelmäßig, die Löhne für afrikanische Arbeiter und Tagelöhner noch weiter herabgesetzt zu haben. Das Kolonialgeschäft war auch in kleiner Münze weit verbreitet: So konnte 1916 die Kölner Bevölkerung in 900 Colonialwaren-Läden einkaufen.
 
Konrad Adenauer fordert die Rückgabe der verlorenen Kolonien
 
Als Verlierer des Ersten Weltkriegs verlor das Deutsche Reich alle Kolonien. Damit gaben sich die Besiegten jedoch nicht ab. Die DKG machte mächtig weiter. Hier zeichnete sich auch ein gewisser Konrad Adenauer aus, seit 1917 Kölner Oberbürgermeister. Der christlich lackierte Politiker der konservativen Zentrumspartei forderte: „Wir brauchen für unser Volk mehr Raum und darum Kolonien.“ Der Rassist forderte die Rückgabe der Kolonien, Deutschland dürfe nicht diskriminiert und „von der großen Kulturaufgabe der Leitung und Erziehung unmündiger Völker“ ausgeschlossen werden. Damit war Adenauer keineswegs allein: 1926 hatte die DKG 30.000 Mitglieder und 250 Ortsgruppen, organisierte Kolonialausstellungen, errichtete Kolonialdenkmäler. „Fast alle Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten“ hingen der kolonialrevisionistischen Bewegung an.
 
1931 wurde Adenauer zum Vizepräsidenten der DKG gewählt. Als sein Prestigeprojekt hatte er 1928 in Köln die „Internationale Presse-Ausstellung“ (Pressa) organisiert, zu der eine „Koloniale Sonderschau“ gehörte: „60 Millionen Deutsche ohne Raum“ hing in Spruchbändern von den Wänden. Im „Kamerun-Kongo-Negerdorf“ durften schwarze Deutsche in Baströckchen und Bastkopfputz Tänze und Kunststücke vorführen. Der Chemiekonzern IG Farben zeigte den Film über seine „Afrika-Expedition“, Kölner Großunternehmen präsentierten ihre „Leistungen“ in den Kolonien.
 
Katholische und evangelische Kirche: Mission für fleißige Arbeitskräfte
 
Auch die christlichen Großkirchen machten mit. In Köln wurde 1888 der Afrikaverein deutscher Katholiken (ADK) gegründet mit dem Ziel, „das finstere Heidenthum mit seinen Greueln“ aus den „Negern“ zu verbannen. Die Missionare machten sich mit dem Ruf „Gott will es!“ (= Titel der ADK-Vereinszeitschrift) auf nach Afrika - ebenso wie einstmals die christlich lackierten Kreuzzüglerhorden aufbrachen, um Jerusalem von den gottlosen Arabern zu befreien. Vorsitzender des ADK war der Kölner Domkapitular Franz-Karl Hespers. Er war auch Gründungsmitglied der DKG und schwadronierte, dass die Missionsarbeit „den wirtschaftlichen Bestrebungen unserer Kolonien zugutekommen“ solle; die Neger sollten nicht nur zum Christentum bekehrt, sondern auch zu „fleißigen Arbeitskräften erzogen“ werden. Wegen seiner Verdienste ernannte Papst Pius X. Hespers zu seinem Hausprälaten.
Protestanten wollten hinter den Katholen nicht nachstehen und gründeten 1893 den Evangelischen Afrika-Verein in Berlin: Zum Vorstand gehörten Friedrich von Bodelschwingh (Bethel-Anstalten), Fürst zu Hohenlohe-Langenburg und der General der Infanterie von Strubberg. Im Vorstand waren auch Kölner vertreten, so der Unternehmer Eugen Langen und andere Prominente aus Wirtschaft, Kirche, Adel, Wissenschaft und Justiz. Beide Kirchen warben mit dem Argument, dass man die armen Neger vom Sklavenhandel befreien müsse.
 
Führendes Kolonialblatt: Kölnische Zeitung von DuMont Schauberg
 
Die Kölnische Zeitung aus dem Verlag DuMont Schauberg (heute Kölner Stadt-Anzeiger) galt seit Mitte des 19. Jahrhunderts als „führendes Blatt der kolonialwirtschaftlich orientierten Publizistik“ in Deutschland. Unter Bismarck war die „Kölnische" das Medium der großen Unternehmen und Sprachrohr der kaiserlichen Regierung. „Die Kölnische gilt uns im Westen so viel wie ein Armeekorps“, lobte der Eiserne Kanzler. Sie blieb im NS eine der führenden deutschen Zeitungen und wurde von der Wehrmacht in den besetzten Ländern verteilt.
 
Die führende Stellung in der Kolonialpublizistik verdankte die Kölnische vor allem ihrem fest angestellten Auslandskorrespondenten, Reise- und Kriegsberichterstatter Hugo Zöller. Seit den 1880er Jahren veröffentlichte er zwei bis drei Artikel wöchentlich. Er begleitete die militärischen Eroberungen in Afrika und stellte sie als friedensstiftende Operationen dar. Im Dezember 1984 etwa druckte die „Kölnische" seinen Artikel „Die Neger-Republik Liberia“ mit der Leitfrage: „Ist der Neger zum Staatsleben fähig?“ Zöller antwortete: „Meine feste Überzeugung geht dahin, dass der Neger unter halbwegs vernünftiger europäischer Aufsicht besser dran sei als unter eigener Herrschaft“, denn „der Weiße ist nach einem ehernen Gesetz zum Herrschen geboren.“ Zöller war ein beliebter Redner bei Versammlungen der Kölner Abteilung der DKG. Er machte eigene Vorschläge für die deutsche Expansion. Bismarck empfing ihn wiederholt.
 
Rautenstrauch-Joest-Muesum und Kölner Universität
 
Adolf Hitler übernahm auch hier die Forderung bürgerlicher Bewegungen und verlangte die Rückgabe der Kolonien. Auch die Kölner Politik engagierte sich in diesem Sinne. 1934 präsentierten sich bei der Deutschen Kolonialausstellung in Köln neben der IG Farben auch Kölner Unternehmer, so die Gummifabrik Clouth, Stollwerck, Felten & Guilleaume, Farina, Mülhens, Holbeck (Südfrüchte) und Humboldt Deutz. 1937 fand in Köln die Gauverbandstagung des Reichkolonialbundes, Gauverband Köln-Aachen statt. Wie die „Kölnische Zeitung" lobend berichtete, bereiteten „die Kölner“ dem Reichsleiter des kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, Franz Xaver Ritter von Epp, einen großen Empfang, Kinder überreichten ihm Blumen. In der vollbesetzten Rheinlandhalle in Köln-Ehrenfeld forderte er unter Beifall die Rückgabe der Kolonien und eine „deutsche Regierung“ in Afrika. Anschließend tagten die Kreisverbandsleiter im Sitzungssaal der Kölner IHK, um die Forderungen der Wirtschaft zu diskutieren.
 
Das NS-Regime forcierte die in Grundzügen bereits bestehende rassistische Völkerkunde. Dies geschah in Köln zum einen in Verbindung mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde. Der Kölner Kaufmann von Rautenstrauch spendete den Museumsbau in der Südstadt (Ubierring), ebenso spendete die Familie den ersten Bestand an Ausstellungsstücken, die der Bruder der Rautenstrauch’schen Ehefrau, Wilhelm Joest, im Zuge der Kolonialbildung zusammengeholt hatte. Das Museum wurde 1906 eröffnet. Die NSDAP setzte ihr Mitglied Martin Heydrich als Museumsdirektor ein. Für ihn als Professor richtete die Kölner Universität zum ersten Mal einen Lehrstuhl für Völkerkunde ein. Die Universität gründete zudem die Zentralstelle für Kolonialfragen: Darin waren 20 Professoren verschiedener Fachrichtungen (Wirtschaft, Soziales, Recht, Medizin, Philosophie) zusammengefasst. Die Wissenschaftler entwarfen Pläne für ein afrikanisches Großreich und für die „Erziehung unterentwickelter Rassen“.
 
Aufarbeitung bis heute mangelhaft
 
Die Erinnerung an koloniale „Helden“ wurde und wird in Köln mit Hilfe zahlreicher Straßennahmen gepflegt. Im Stadtteil Ehrenfeld zeugen davon die Namen Wissmann-, Lans-, Iltis-, Taku- und Gravenreuthstraße. Im Afrika-Viertel des Stadtteils Nippes wurden während der NS-Zeit Straßen nach den kolonialen Eroberern Gustav Nachtigal, Adolf Lüderitz und Carl Peters benannt, weitere Straßen nach den Kolonien Togo und Kamerun.
 
Erst in den 1990er Jahren arbeiteten nicht etwa Stadtverwaltung und Ratsparteien diese Hintergründe auf, sondern Bürgerinitiativen. Daraufhin nahm die Stadt lediglich einige sanfte Umbenennungen vor, die aber im kolonialen Kontext verblieben: So wurde aus der Carl Peters-Straße die Namibiastraße, aus der Lüderitz-Straße die Usambara-Straße. In Ehrenfeld wurde eine erklärende Tafel aufgehängt.
 
Dem Kolonialschlächter Hermann von Wissmann, dem „großen Afrikaner“, stiftete der Industrielle und führende Kölner Kolonialaktivist Eugen Langen 1905 ein Grab auf dem Melatenfriedhof, und zwar für 100 Jahre. Auf dem Grabstein ist Wissmanns Leitspruch eingemeißelt: „inveniam viam – aut faciam" (finde ich keinen weg, so bahne ich mir einen). Das Grab war und ist ein Andachtsort für die Ewiggestrigen des ansonsten unsichtbaren Traditionsverbandes der Deutschen Schutz- und Überseetruppen. 2005 lief die Langen’sche Spende aus. Doch der Traditionsverband übernahm die Pflege des Grabes, in Absprache mit der Stadtverwaltung, und legt dort weiter Kränze nieder.
 
„Ein Umdenken vonseiten der Stadt und der Denkmalspflege ist hier dringend erforderlich“, heißt es am Ende des Sammelbandes zum Wissmann-Grab. Das gilt wohl nicht nur für diese Gedenkstätte. Es ist den Herausgeberinnen und ihren zahlreichen studentischen Mitarbeitern zu danken, dass sie die Initiative ergriffen haben. Sie darf damit nicht beendet sein. (PK)
 
 
(1) Marianne Bechhaus-Gerst / Anne-Kathrin Horstmann (Hrg.): "Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche", Böhlau-Verlag Köln Weimar Berlin,
2013, 34,90 Euro


Online-Flyer Nr. 424  vom 18.09.2013

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