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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Welche Küsten sind vom steigenden Meeresspiegel besonders bedroht?
Der Klimawandel bleibt dramatisch
Von Franz Alt und Anna Gauto

Jetzt erscheint der neue Bericht des Weltklimarats (IPCC). Er macht – wie schon der letzte Bericht 2007 – erneut auf den Ernst und die Folgen das Klimawandels aufmerksam: Schmelzende Gletscher, Anstieg des Meeresspiegels, zunehmende Stürme und Überschwemmungen, extreme Wetterereignisse. Die 800 Wissenschaftler, die an dem neuen Bericht arbeiteten, haben so gut wie keinen Zweifel mehr, dass die global steigenden Temperaturen im Wesentlichen auf das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl zurückzuführen sind.
 

CO2-Ausstoß – eine der Ursachen des Klimawandels
Wir verbrennen heute an einem Tag, was die Natur in einer Million Tagen an fossilen Roh- stoffen angesammelt hat. Das kann nach allen Gesetzen der Natur nicht gut gehen. Der neue Bericht gibt die Erkenntnisse von 97 bis 98% aller Klima-forscher wieder.
 

Demnach sind vier Komponenten nahezu unstrittig:
 
Erstens: Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Die Alternative heißt: Ultimative Beschleunigung der solaren Energiewende.
 
Zweitens: Der Meeresspiegel steigt schneller als es die Wissenschaftler noch in ihrem letzten Bericht angenommen hatten. Diese früheren IPCC-Szenarien waren zu harmlos und sind überholt.
 
Drittens: Die beruhigende These, es könnte ja alles nicht so dramatisch kommen, wie bisher angenommen, kann leider nicht aufrecht erhalten werden. Es gab zuletzt zwar ein paar Jahre halb so hohe Erwärmung wie bisher befürchtet, aber der Gesamttrend des Temperaturanstiegs setzt sich fort. Vor allem die Meere heizen sich ständig weiter auf.
 
Viertens: Die These, dass sich das Klima ja schon immer verändert habe, ist richtig. Aber genau so richtig ist, dass sich in den letzten 800.000 Jahren das globale Klima noch nie so rasch und so stark nach oben verändert hat wie seit Beginn des Industriezeitalters, also seit etwa 200 Jahren. Im Mai 2013 hat die CO2-Menge in der Luft erstmals die Marke von 400 ppm (Pars pro Million) überschritten. Im Jahr 1900 lag der Anteil noch bei 280 ppm.
Die Erdgeschichte lehrt uns, dass in Folge der Erwärmung nach der letzten Eiszeit der Meeresspiegel um 100 Meter gestiegen ist. Schon der Hitzesommer 2003 hat in Westeuropa 60.000 Hitzetote gefordert.
 
Trotz aller Unsicherheiten darüber wie oft es künftig Hitzesommer, Dürren und Überschwemmungen geben wird, es gibt viele Gründe, den Klimawandel so rasch wie nur möglich zu begrenzen. Der jüngste IPCC-Bericht bietet keinen Grund zur Beruhigung. (PK)
 
Diesen Beitrag hat Franz Alt in seinem Newsletter vom 29. September http://sonnenseite.kjm4.de/r/ZH0AAD419463ms392.html veröffentlicht, dazu u.a. auch ein Interview mit dem Klimaforscher Mojib Latif aus dem "Forum Nachhaltig Wirtschaften": "New York und Sylt sind gefährdet" http://sonnenseite.kjm4.de/r/ZH0AAD419465ms392.html, das wir hier ebenfalls wiedergeben:
 

Klimaforscher Mojib Latif
© nachhaltigwirtschaften.net
Anna Gauto: Herr Latif, man sagt, an den Ozeanen lässt sich der Zustand des Klimas am besten ablesen. Was können wir dort erkennen?
 
Mojib Lativ: Zunächst einmal, dass sich auch die Ozeane erwärmen. Und zwar nicht nur die oberen Schichten. Bis in Tiefen von 2.000 Metern können wir das nachweisen. Außerdem nehmen unsere Meere einen Teil des CO2 auf, das wir in die Luft blasen. Das führt dazu, dass der PH-Wert sinkt und die Meere saurer werden. Der Meeresspiegel steigt natürlich auch, weil sich erwärmtes Wasser ausdehnt und das Eis der Erde schmilzt.
 
Was passiert, wenn die Meere saurer werden?
 
Das wirkt sich auf kleine Organismen wie Krebse oder Muscheln aus, die schlechter Kalkschalen oder andere Schutzhüllen ausbilden können. Sie stehen am Anfang der Nahrungskette. Und wenn die wegbleiben, dann pflanzt sich das in der Nahrungskette fort bis hin zu den Fischen.
 
Das saure Milieu der Meere tötet diese wichtigen Organismen?
 
Zumindest werden sie geschädigt. Wie schnell das geht, wissen wir nicht, aber da tickt potenziell eine Zeitbombe. Wenn irgendwann die Nahrungsquelle im Meer versiegt, haben wir ein großes Problem.
 
Was hat die Erwärmung der Ozeane für Folgen für unsere Küsten?
 
Das ist auch unsicher, weil es regionale Unterschiede gibt. An der amerikanischen Westküste ist der Meeresspiegel in den letzten Jahren größtenteils sogar gesunken. Das führt oft zu Konfusion, weil die Leute denken, hier steigt der Meeresspiegel gar nicht, ist doch alles Quatsch mit der globalen Erwärmung. Wir können die Klimaänderung am besten in den globalen Mittelwerten sehen.
 
Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass jedes Grad Erderwärmung die Ozeane um mehr als zwei Meter steigen lässt. Was heißt das für die Zukunft unserer Küsten?
 
Das ist eine Frage des Zeitraums. Wir gehen davon aus, dass der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um maximal einen Meter steigt - wie gesagt nicht überall, sondern an einigen Küsten. Das ist natürlich schon bedrohlich für einige Inseln oder auch für Länder wie Bangladesch. Die leiden heute schon darunter. Insofern müsste der Meeresspiegel gar nicht um einen ganzen Meter steigen, um diese Länder in enorme Bedrängnis zu bringen.
 
Welche Städte sind denn besonders betroffen?
 
New York zum Beispiel, besonders dann, Wenn etwa ein Hurrikan New York heimsucht. Ein Hurrikan kommt immer mit Flutwelle, setzt also schon automatisch einige Teile von Manhattan unter Wasser. Wenn dann der Meeresspiegel noch mal einen halben oder einen Meter höher ist, hat das natürlich umso stärkere Auswirkungen. Stellen Sie sich vor, der Meeresspiegel wäre noch höher gewesen, als der Hurrikan Katrina 2005 über New Orleans gefegt ist. Bei solchen extremen Situationen entscheiden Zentimeter darüber, ob eine Region überflutet wird oder nicht. Das Gleiche gilt auch für Tsunamis. Wenn der Meeresspiegel höher ist, richtet natürlich auch ein Tsunami mehr Schaden an.
 
Sind deutsche Inseln wie Sylt auch gefährdet?
Ja. Wenn wir wirklich von einem Meter ausgehen, dann muss man sich darauf vorbereiten.
 
Wie würde man sich darauf vorbereiten?
 
Die Festlandküsten können die Deiche erhöhen. Ein Meter geht gerade noch. Aber was darüber hinausgeht, also jenseits des Jahres 2100, wird mit Deichen nicht mehr zu stoppen sein.
 
Das klingt schrecklich, dass wir uns zubauen müssen, um uns vor dem Meer zu schützen. Welche Rolle spielen die arktischen Meere für den Klimawandel?
 
Die Arktis erwärmt sich sehr schnell und ist von der Versauerung besonders betroffen, weil kaltes Wasser CO2 gut aufnimmt. Aber das ist ein ziemlich neuer Forschungszweig. Man weiß nicht genau, wie die arktischen Ökosysteme darauf reagieren. Man darf nicht vergessen, dass wir die Meere auch ohne Klimawandel belasten, etwa durch Überfischung und Verschmutzung. Wie das alles zusammenwirkt, ist schwer abzuschätzen. Wir führen gerade ein gigantisches Experiment mit unseren Weltmeeren durch.
 
Wissen Sie woher das Wort "Tabu" stammt?
 
Nein, woher?
 
Auf den Fidschi Inseln wachten die lokalen Häuptlinge Jahrhunderte lang über Riffabschnitte, die den jeweiligen Stämmen gehörten. An manchen Stellen war Fischen strikt verboten - sie waren tabu.
 
Das war klug.
 
Ja, denn 400 Regionen im Ozean weltweit gelten als "tot". Auf einem Quadratmeter Meer schwimmen im Durchschnitt 46.000 Plastikteile. Der Thunfisch ist vom Aussterben bedroht. All das, weil zwei Drittel der Weltmeere niemandem gehören, also Allgemeingut sind.
 
Allgemeingüter werden am schnellsten aufgebraucht. Es gibt praktisch keine wirksamen internationalen Vereinbarungen und auf den Konferenzen kann man sich nicht einigen. Stichwort Überfischung: Wenn man die Meere nur mal zwei, drei Jahre in Ruhe ließe und die Fangquoten halbierte, würden sich die Fischbestände extrem erholen. Man könnten danach sogar viel mehr fischen und hätte auch einen ökonomischen Vorteil. Aber in der heutigen Welt über zwei oder drei Jahre hinaus zu denken, scheint kaum möglich zu sein.
 
Dazu passt, dass im Rossmeer und in der Ostantarktis ein Schutzgebiet entstehen sollte, fast so groß wie die Europäische Union. Das Projekt ist am Widerstand Russlands gescheitert.
 
Es wird immer an irgendeinem Land scheitern, mal sind es die Amerikaner, mal sind es die Russen und bei den Walen sind es die Japaner oder die Norweger.
 
Staaten blockieren Abkommen, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. Russland sorgt sich um seine Fischerei. Wie gelingt es, diese Staaten für das Wohl der Meere zu gewinnen?
 
Man muss versuchen, die extremen Auswirkungen abzufedern. Mit einem Fonds etwa, in den alle einzahlen und der die betreffenden Fischer unterstützt. Wenn ich einem Ostsee-Fischer sage, Du musst Deinen Fang um die Hälfte reduzieren, dann steht der natürlich vor der Pleite. Dann nutzt ihm das nichts, wenn er in drei Jahren später das Doppelte hätte fischen können.
 
Sie meinen, wie der Europäische Fischereifonds (EMFF), der ab 2014 in Kraft treten soll?
 
Ja. Er kann kurzfristige Gewinn-Einbrüche abgefangen und Langfristigkeit unterstützen.
 
Noch ist nicht geklärt, wer in welcher Höhe einzahlen soll (Stand August). Sind neben den Mitgliedsstaaten auch Unternehmen in der Pflicht?
 
Ja, alle die beteiligt sind. Die Staaten sind dafür verantwortlich, das Geld einzusammeln. Ob sie das dann aus der Wirtschaft holen oder zum Teil auch über Steuereinkommen finanzieren, müssen die Staaten für sich entscheiden. Die Idee eines Fonds ist nicht neu. Es wurde ja auch beschlossen, dass es einen Klimafonds geben soll, bloß zahlt da keiner ein, das ist das Problem.
 
Was können Unternehmen tun, um die Meere zu schützen?
 
Wenn man glaubhaft versichern kann, dass man die Meere schützt, honoriert das der Verbraucher. Viele Konsumenten sind durchaus bereit, mehr Geld für nachhaltige Produkte in die Hand zu nehmen. Das aber funktioniert nicht über irgendein Siegel, das keiner nachvollziehen kann. Ich glaube, viele Unternehmen unterschätzen, dass Nachhaltigkeit verkaufsfördernd ist. Man darf diese Entwicklung nicht unterschätzen. Vieles kann man übers Internet machen - die heutigen Möglichkeiten sind ganz andere als die vor 20 Jahren.
 
Was müsste denn konkret passieren, wenn es nach Mojib Latif ginge?
 
Die Pläne, die unter Zusammenarbeit von Wirtschafts- und Naturwissenschaftlern entstanden sind, liegen alle auf dem Tisch. Man muss sie nur umsetzen. Dazu braucht es eine internationale Vereinbarung und einen internationalen Fonds, nicht nur einen für Europa. Die Menschen, die von den Reformen oder den Folgen des Klimawandels betroffen sind, wie Opfer von Überschwemmungen, will man ja nicht bankrott gehen lassen. Mit Hilfe eines internationalen Fonds kann man die langfristigen Strategien, die wir ja schon haben, endlich umsetzen.
 
Wie gut schlafen Sie?
 
Ich schlafe noch gut. Es ist wie beim Arzt, der lässt die Probleme seiner Patienten auch nicht an sich heran, sonst würde er verrückt werden. So ist das bei mir auch. (PK)
 
Mojib Latif ist diplomierter Meteorologe und Doktor der Ozeanographie. Er gehört zu den einflußreichsten Experten in Sachen Klimaveränderung. Seit 2003 ist er Professor am Institut für Meereskunde Kiel und seit 2004 Professor am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-GEOMAR, Kiel. © nachhaltigwirtschaften.net


Online-Flyer Nr. 426  vom 02.10.2013

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