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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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Globales
In Südostasien eine eigene Weltmachtpolitik für Brüssel und Berlin?
Zwischen den USA und China
Von Hans Georg

Berliner Regierungsberater plädieren für einen weiteren Ausbau der NATO-Kooperation mit Japan. Im Ostchinesischen Meer gebe es "Krisen", die "außer Kontrolle zu geraten" drohten, heißt es mit Blick auf den aktuellen japanisch-chinesischen Streit um die Diaoyu-Inseln (japanisch: Senkaku-Inseln). Es bedürfe in Zukunft "eines Gegengewichts zu den wachsenden militärischen Fähigkeiten Chinas", das gemeinsam mit den Verbündeten des Westens - neben Japan etwa auch Australien und Singapur - aufgebaut werden müsse.

Chinesisches Überwachungsschiff in den Gewässern um die Diaoyu-Inselgruppe
Quelle: http://german.china.org.cn
 
Tatsächlich intensiviert die Bundeswehr seit geraumer Zeit ihre Zusammenarbeit mit Japan. Allerdings sollten, heißt es weiter bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gleichzeitig "integrative" Maßnahmen in Ostasien vorangetrieben werden - insbesondere "ein neuer sino-japanischer Dialog und ein effektiver Mechanismus zur Krisenreduzierung". Wie der deutsche Think-Tank kürzlich erläutert hat, könnten sich die EU oder einzelne europäische Staaten dabei "als Vermittler" anbieten - um sich "als eigenständiger Akteur in der Region" zu profilieren, "zwischen den USA und China". Damit gelänge es Berlin und Brüssel, auch in Ostasien eine eigene Weltmachtpolitik zu betreiben.
 
Die NATO-Japan-Kooperation
 
Die Kooperation der NATO mit Japan, für deren weiteren Ausbau die Berliner Regierungsberater jetzt plädieren, hat offiziell am 2. Juli 1990 begonnen - mit der ersten "NATO-Japan-Konferenz", zu der der damalige NATO-Generalsekretär Manfred Wörner (CDU) den japanischen Außenminister im Brüsseler NATO-Hauptquartier empfing. Tokio unterstützte in den 1990er Jahren die Operationen der NATO in Südosteuropa finanziell. Zum "Katalysator" für die Zusammenarbeit sei dann die Unterstützung Japans für die NATO-Intervention in Afghanistan geworden, erklärt die SWP.[1] Nach einem Treffen des japanischen Premierministers Shinzo Abe mit NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am 12. Januar 2007 beschloss das westliche Kriegsbündnis am 7. März 2007, die Zusammenarbeit auch praktisch auszubauen. 2010 begann Tokio, die NATO-Schiffe am Horn von Afrika im Kampf gegen Piraten zu unterstützen. Am 15. April 2013 haben die NATO und Japan sich nun auf eine Gemeinsame Politische Erklärung geeinigt, die den Ausbau der Kooperation konkretisiert. Demnach soll die Zusammenarbeit unter anderem beim "Anti-Terror-Kampf" und in der "Cyber Security" intensiviert werden, aber auch im Bemühen um "maritime Sicherheit".[2]
 
Die Beschlüsse der Alliierten
 
Letzterem kommt besondere Bedeutung zu, weil Japan Anspruch auf eine kleine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer erhebt - auf dieDiaoyu-Inseln(japanisch: Senkaku-Inseln). Diese gehörten, wie jüngst der Politikwissenschaftler Shaosheng Tang aus Taipei (Taiwan) in einer Publikation der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung erläuterte, bereits zu Zeiten der Qing-Dynastie (1644-1911) zu China.[3] Tokio annektierte sie 1895 - nach der chinesischen Niederlage im Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg (1894/95). Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verlangten die Alliierten in ihrer "Kairoer Erklärung" vom 27. November 1943 und in ihrer "Potsdamer Erklärung" vom 26. Juli 1945, Tokio müsse sämtliche besetzten Gebiete an China zurückgeben. Auf die Beschlüsse der Alliierten berufen sich heute sowohl die Volksrepublik China als auch Taiwan. Von Bedeutung ist der Streit um die Inselgruppe keineswegs nur wegen des Fischreichtums ihrer Gewässer sowie wegen mutmaßlich umfangreicher Erdöl- und Erdgasvorkommen in ihrer Nähe. Vor allem ist sie, wie es bei der SWP heißt, "Teil der strategisch wichtigen 'ersten Inselkette'" vor der Küste Chinas, die die chinesische Marine "vom Westpazifik isoliert". Zudem führen "wichtige Schifffahrtsrouten (...) durch die Zone rund um die Inseln".[4]
 
China den Weg versperren
 
Wie Shaosheng Tang urteilt, legen sowohl Tokio als auch Washington großen Wert darauf, Beijing die Kontrolle über die Diaoyu-Inseln zu verwehren: Beide würden "ungerne den Einfluss Chinas quer durch die Taiwan-Straße in den Pazifik" wachsen sehen.[5] Für ihr geostrategisches Interesse nehmen Japan und die USA dabei ernste Unstimmigkeiten mit Taiwan in Kauf, das der Westen sonst als bedeutenden Vorposten gegen die Volksrepublik nutzt. Taiwan erkennt die japanischen Ansprüche auf die Diaoyu-Inseln ebenfalls nicht an. Um eine teilweise Annäherung Taiwans an Beijing in der Inselfrage zu verhindern, üben Washington und Tokio nicht nur Druck auf Taipei aus - schließlich würde, wie Tang erklärt, "eine anhaltende Konfrontation zwischen Taiwan" und der Volksrepublik den westlichen "Interessen (...) besser dienen". Ergänzend hat Japan - als Lockmittel - im Mai ein Fischereiabkommen mit Taipei unterzeichnet, das dessen Fischfanggebiete deutlich ausweitet und seine allgemeinen politischen Ansprüche im internationalen System stärkt.
 
Konfrontation und Kooperation
 
Auch mit Blick auf den Streit um die Diaoyu-Inseln plädieren Berliner Regierungsberater nun für einen weiteren Ausbau der NATO-Kooperation mit Japan. Tatsächlich unterstützt Deutschland schon seit geraumer Zeit die Aufrüstung sowie das Training der japanischen Streitkräfte (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Die NATO müsse sich "in den nächsten Jahrzehnten" auf jeden Fall "an der politisch-militärischen Neuausrichtung der USA nach Asien (...) beteiligen", heißt es nun in einer aktuellen Analyse der SWP. "Die aktive Kooperation" mit Japan sei "dabei essentiell". Auch werde es "keine Schwerpunktverlagerung ohne Beteiligung anderer Länder in der Region" geben: "Wenn sich Staaten wie Australien und Singapur nicht an der neuen Partnerschaft, die die USA anbieten, beteiligen, könnte das ganze Unternehmen rasch scheitern." Allerdings plädiert die SWP dafür, die Kooperation vor allem politisch zu intensivieren - und begleitend auch China in die neue Schwerpunktsetzung auf Asien einzubeziehen. Es bedürfe "sowohl eines Gegengewichts zu den wachsenden militärischen Fähigkeiten Chinas als auch integrativer (...) Maßnahmen" in Ostasien, heißt es bei dem Think-Tank: "Die Stabilisierung der ostasiatisch-pazifischen Region setzt voraus, dass in naher Zukunft ein neuer sino-japanischer Dialog und ein effektiver Mechanismus zur Krisenreduzierung etabliert werden".[7]
 
Eigenständige Weltmachtpolitik
 
Wie ein solches Vorgehen im Sinne deutscher Einflusspolitik genutzt werden kann, hat im September ein weiteres Papier der SWP beschrieben. Da "die EU oder einzelne europäische Staaten (...) nicht direkt in den Inselstreit involviert" seien, könnten sie sich "als Vermittler" anbieten, schlug der Think-Tank vor. Zunächst habe man sich "im Rahmen informeller Gespräche als ernsthafter Diskussionspartner" zu etablieren; danach könne "ein offizielles Engagement der EU oder einzelner europäischer Regierungen" folgen. Vordringlich sei es, "Mechanismen zur Konfliktprävention auszuloten". Später könnten Bemühungen eingeleitet werden, "die Frage des Hoheitsanspruchs zu internationalisieren". Führe dies zum Erfolg, dann habe "die EU nicht nur einen wirksamen Beitrag zur Stabilität in Ostasien (...) geleistet", sondern sich ganz allgemein "als ernsthafter Vermittler in regionalen Sicherheitsfragen etabliert". Man könne sich damit "als eigenständiger Akteur" profilieren - "zwischen den USA und China".[8] Berlin und Brüssel gewönnen so die Möglichkeit, selbst in Ost- und Südostasien eine eigene Weltmachtpolitik zu verfolgen - ein altes Ziel der Berliner Außenpolitik (german-foreign-policy.com berichtete [9]).   (PK)
 
[1] Michael Paul: Die Nato im Fernen Osten, SWP-Aktuell 59, Oktober 2013
[2] Joint Political Declaration between Japan and the North Atlantic Treaty Organisation; www.nato.int
[3] Shaosheng Tang: Der Streit um die Diaoyutai-/Senkaku-Inseln, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013
[4] Nadine Godehardt, Alexandra Sakaki, Gudrun Wacker: Sino-japanischer Inselstreit und europäische Beiträge zur Deeskalation, in: Volker Perthes, Barbara Lippert (Hg.): Ungeplant bleibt der Normalfall. Acht Situationen, die politische Aufmerksamkeit verdienen, SWP-Studie 16, September 2013
[5] Shaosheng Tang: Der Streit um die Diaoyutai-/Senkaku-Inseln, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013
[6] s. dazu Bündnis mit Tradition
[7] Michael Paul: Die Nato im Fernen Osten, SWP-Aktuell 59, Oktober 2013
[8] Nadine Godehardt, Alexandra Sakaki, Gudrun Wacker: Sino-japanischer Inselstreit und europäische Beiträge zur Deeskalation, in: Volker Perthes, Barbara Lippert (Hg.): Ungeplant bleibt der Normalfall. Acht Situationen, die politische Aufmerksamkeit verdienen, SWP-Studie 16, September 2013
[9] s. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank von
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58723 übernommen.


Online-Flyer Nr. 431  vom 06.11.2013

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