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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Medien
"Unsere Medien" und die aktuelle deutsche Ukraine-Politik
Die freie Welt
Von Hans Georg

Angesichts der bevorstehenden Übernahme der Krim durch Russland verschärfen Politik und Medien in Deutschland ihre antirussische Agitation. In der allgemeinen Öffentlichkeit sei "das Verständnis für die vermeintlichen Motive Moskaus" in puncto Krim noch "beachtlich groß", bemängelt eine führende deutsche Tageszeitung; darin spiegele sich die Ansicht, die weltpolitischen Aggressionen des Westens seien "nicht besser oder sogar noch schlimmer". Vor diesem Hintergrund hat sich nun ein deutsches Leitmedium, die "Süddeutsche Zeitung", von einer russischen PR-Beilage getrennt, deren Verbreitung sie nach einem lukrativen europäisch-russischen Wirtschaftstreffen begonnen hatte.
 
Ein anderes Leitmedium, das Wochenblatt "Die Zeit", "entschuldigt" sich für den Abdruck differenzierter Texte zur Ukraine, weil deren Autor, ein freier Journalist, sich mit redaktionellen Arbeiten für die erwähnte PR-Beilage über Wasser gehalten hatte. Die deutsche Spitzenkandidatin der "Grünen" im Europaparlament hat vergangene Woche für Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der kritisch zur Ukraine-Politik der EU Position bezieht, ein Redeverbot verlangt. Die Forderung, das Recht auf freie Meinungsäußerung offen einzuschränken, ist erst vom Europaparlament zurückgewiesen worden, nicht von ihrer deutschen Partei.
 
Zwei Blöcke
 
Rein machtstrategisch betrachtet ist Moskau mit dem Referendum vom vergangenen Sonntag und der bevorstehenden Aufnahme der Krim in die Russische Föderation ein erster wirkungsvoller Gegenschlag gegen eine mehr als zwanzigjährige Offensive des Westens gelungen. Mit den Osterweiterungen der EU und der NATO sowie dem anschließenden Versuch, durch die "Östliche Partnerschaft" den noch nicht endgültig festgelegten Staatengürtel zwischen dem westlichen Bündnisgebiet und Russland zu vereinnahmen, hatten Berlin, Brüssel und Washington lange Zeit Erfolg. 2008 mussten sie einen ersten Rückschlag hinnehmen, als Russland auf eine georgische Militäraggression mit der faktischen Abspaltung Abchasiens und Südossetiens aus dem georgischen Staat reagierte. In der Perspektive staatlicher Machtpolitik ist die Übernahme der Krim, mit der Moskau den wiederholten Versuch des Westens beantwortet, die Ukraine fest an sich zu binden, der erste wirklich wirkungsvolle Konter: Im Gegensatz zu Abchasien und Südossetien handelt es sich bei der Halbinsel mitten im Schwarzen Meer um ein geostrategisch bedeutendes Gebiet (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Während Wirtschaftskreise sich noch bemühen, ihr Russland-Geschäft zu retten, verschärfen Berlin, Brüssel und Washington die politische Konfrontation; die Herausforderung des westlichen Herrschaftsanspruchs durch Moskau bleibt nicht unbeantwortet.
 
Die freie Meinung
 
Deutlich schlägt sich dies zurzeit in den deutschen Leitmedien nieder, die das Publikum auf die politische Konfrontation einzustimmen suchen. So warnt eine führende Tageszeitung, in der deutschen Öffentlichkeit sei "das Verständnis für die vermeintlichen Motive Moskaus" noch "beachtlich groß"; "in dieser Nachsicht" spiegele sich die Auffassung: "Was die Amis machen, ist nicht besser oder sogar noch schlimmer."[2] In der Tat können Vertreter dieser Auffassung auf die zahlreichen US-Kriege der vergangenen Jahrzehnte verweisen, ebenso auf deutsche militärische Aggressionen etwa gegen Jugoslawien; nach 20 Jahren wiederholter Völkerrechtsbrüche durch den Westen bis hin zu Angriffskriegen - nicht zuletzt mit deutscher Beteiligung - verfängt der Vorwurf, Moskau handle auf der Krim völkerrechtswidrig, offenkundig nicht hinlänglich. Führende Medien verschärfen daher ihren Kurs.
 
Der freie Markt
 
Ein Beispiel bieten aktuelle Auseinandersetzungen um die PR-Beilage "Russland Heute", die von der "Süddeutschen Zeitung" verbreitet wurde. Offizielles Ziel von "Russland Heute" ist es, ein "positives Russlandbild" zu vermitteln; das Blatt erschien als Beilage der "Süddeutschen" erstmals Ende 2010 unmittelbar nach einem Wirtschaftskongress im noblen Berliner Hotel Adlon, auf dem sich der damalige russische Ministerpräsident Putin für eine Intensivierung der europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ausgesprochen hatte - mit lukrativen Angeboten an die deutsche Industrie. "Russland Heute" wird auch von anderen europäischen und US-amerikanischen Medien verbreitet, etwa vom britischen "Daily Telegraph", dem französischen "Le Figaro", dem spanischen "El País" sowie den US-Tageszeitungen "New York Times" und "Washington Post". Wegen des Krim-Konfliktes wolle man eine russlandfreundliche Beilage, die vom russischen Staat kofinanziert werde, jetzt nicht mehr an die Öffentlichkeit bringen, heißt es nun bei der "Süddeutschen", die ihre Kooperation mit "Russland Heute" beendet hat.[3]
 
Die freie Presse
 
Getroffen hat die aktuelle Kursverschärfung auch einen renommierten Osteuropa-Korrespondenten, der in den vergangenen Wochen durch kenntnisreiche, differenzierte Beiträge zur Lage in der Ukraine aufgefallen ist. Moritz Gathmanns Artikel erschienen unter anderem in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit"; der freie Journalist Gathmann war seit 2010 auch als "Gast-Redakteur" für "Russland Heute" tätig. Am 8. März beschwerte sich der Leiter des WAZ-Investigativteams, David Schraven, öffentlich via Twitter bei der "Zeit": "Es wär besser zu sagen, dass Moritz Gathmann für Russlands Propagandadienst schafft". Zwei Stunden später teilte "Zeit Online"-Chefredakteur Jochen Wegner ebenfalls via Twitter mit, man habe "die Zusammenarbeit beendet". Seither verbreitet "Zeit Online" öffentlich unter jedem publizierten Gathmann-Text die "Offenlegung: Der Autor arbeitet für die vom russischen Staat mitfinanzierte Zeitungsbeilage 'Russland Heute'. Dies entspricht nicht unseren Grundsätzen. Wir entschuldigen uns dafür." In der aktuellen aufgeheizten Debatte kommt dies einer öffentlichen Stigmatisierung des Journalisten gleich. Der Vorgang schlägt in der Medienszene hohe Wellen; die Bereitschaft lohnabhängiger Journalisten, sich dem antirussischen Mainstream zu verweigern, hat er nicht gefördert.
 
Die freien Eliten
 
Dabei muss festgehalten werden, dass es den von "Zeit Online" genannten "Grundsätzen" offenbar nicht widerspricht, eng mit den außenpolitischen Netzwerken Berlins und Washingtons zu kooperieren. So hat "Zeit"-Redakteur Jochen Bittner sich an einem Kooperationsprojekt der "Stiftung Wissenschaft und Politik" und des "German Marshall Fund" beteiligt, das - gefördert durch den Planungsstab des Auswärtigen Amts - "Elemente einer außenpolitischen Strategie für Deutschland" erarbeitete. Kritiker wollen Parallelen zwischen den Inhalten des Projektpapiers "Neue Macht. Neue Verantwortung" [4] und Aussagen in Beiträgen von Bittner erkannt haben. Eine "Offenlegung" unter seinen "Zeit"-Artikeln unterbleibt. Das gilt auch für Beiträge von "Zeit"-Mitherausgeber Josef Joffe. Seine Texte sind (Teil-)Gegenstand einer medienwissenschaftlichen Dissertation, die vergangenes Jahr veröffentlicht worden ist. Deren Autor kommt zu dem Schluss, Joffe bewege sich nicht nur in einem "transatlantisch geprägte(n) Elitenmilieu ..., ergänzt durch eine EU-Komponente" - gemeint ist seine Mitgliedschaft in diversen Organisationen der Berliner und der transatlantischen Außenpolitik -, sondern er nehme auch zentrale Ziele des deutschen bzw. des transatlantischen Polit-Establishments in partiell propagandistischer Weise in seine Texte auf (german-foreign-policy.com berichtete [5]).

Die freie Rede

Wie weit die Verschärfung der antirussischen Agitation mittlerweile vorangetrieben wird, lässt der Versuch von Abgeordneten der "Grünen" im Europaparlament erahnen, dem früheren deutschen Kanzler Gerhard Schröder partiell das Recht auf freie Meinungsäußerung zu entziehen. Schröder hatte sich kürzlich recht kritisch über die Ukrainepolitik der EU geäußert und auf einer öffentlichen Veranstaltung erklärt: "Ich frage mich, ob es richtig war, ein kulturell gespaltenes Land wie die Ukraine vor so eine Alternative zu stellen: Assoziierung mit der EU oder Zollabkommen mit Russland." Wie die Spitzenkandidatin der "Grünen" bei der Europawahl, Rebecca Harms, mitteilt, habe sie Schröders Äußerungen "als Teil einer Kampagne" empfunden, die "mehr Akzeptanz für Putin" erreichen solle. Deshalb hat sie gemeinsam mit dem "Grünen"-Politiker Daniel Cohn-Bendit am vergangenen Donnerstag dem Europaparlament eine Formulierung zur Entscheidung vorgelegt, der zufolge das Parlament Schröders Äußerungen "bedauere" und "betone", dass der Ex-Bundeskanzler "keine öffentlichen Aussagen zu Themen machen sollte, die Russland betreffen".[6]
 
Nur ein Testlauf
 
Das Europaparlament hat das Ansinnen der deutschen Grünen, das Recht auf freie Meinungsäußerung in einem ersten exemplarischen Fall einzuschränken, mit Verwunderung zurückgewiesen. Dennoch lässt der Vorfall erkennen, dass bisherige demokratische Tabus im Zusammenhang mit der aktuellen antirussischen Agitation gebrochen werden können, ohne dass dies für die Tabubrecher Folgen hat. Der Machtkampf um die Ukraine, der den Hintergrund bildet, gilt in Berlin als "Testlauf" [7] für die neue deutsche Außenpolitik, die sich, um möglichst erfolgreich zu sein, breite Unterstützung im Inland sichern muss - mit welchen Mitteln auch immer.
 
Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie bei http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58824 unter diesen Überschriften: Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Zukunftspläne für die Ukraine, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Integrationskonkurrenz mit Moskau, In die Offensive, Die Expansion europäischer Interessen, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Testfeld Ukraine, Der Krim-Konflikt, Kiewer Zwischenbilanz, Die Kiewer Eskalationsstrategie, Die Restauration der Oligarchen und Bilder des Kalten Krieges. (PK)
 
[1] S. dazu Der Krim-Konflikt.
[2] Klaus-Dieter Frankenberger: Wer will einen Kalten Krieg? www.faz.net 14.03.2014.
[3] "Redaktion hat damit nichts zu tun". www.taz.de 13.03.2014.
[4] S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
[5] Uwe Krüger: Meinungsmacht. Köln 2013. S. dazu Elitejournalisten und Uwe Krüger: Meinungsmacht.
[6] Antrag im Europaparlament: EU-Abgeordnete wollen Schröder Sprechverbot zur Krim erteilen. www.spiegel.de 13.03.2014.
[7] S. dazu Testfeld Ukraine.
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank von German Foreign Policiy übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58824


Online-Flyer Nr. 450  vom 19.03.2014

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