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Zur Uraufführung von „Carlswerk - Erster Teil" am Gründonnerstag
Klassenkampf in Köln-Mülheim
Von Rainer Kippe
Seit Schillers "Die Räuber", über Gerhard Hauptmann und Brecht bis hin zu Grass, Müller, Jellinek und Kroetz stand das Deutsche Theater zuverlässig auf der Seite der Ausgestoßenen und Entrechteten, gab ihnen Gesicht und Stimme. Köln hat in dieser Tradition eigentlich keine besondere Rolle gespielt. Unruhestifter wie Flimm und Baier hat man auf die zuverlässige Art und Weise der alten Hanse- und Reichsstadt beseitigt, durch Auflösung der Verträge. Zum Theaterstück „Carlswerk - Erster Teil" in den Kabelhallen des untergegangenen Traditionsunternehmens Felten & Guilleaume erhielt die NRhZ nun Anmerkungen eines Mülheimer Insiders, der die Geschichte von F&G gerade in ihren letzten Jahren beobachten und begleiten durfte.
Online-Flyer Nr. 455 vom 23.04.2014
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Lokales
Zur Uraufführung von „Carlswerk - Erster Teil" am Gründonnerstag
Klassenkampf in Köln-Mülheim
Von Rainer Kippe
Seit Schillers "Die Räuber", über Gerhard Hauptmann und Brecht bis hin zu Grass, Müller, Jellinek und Kroetz stand das Deutsche Theater zuverlässig auf der Seite der Ausgestoßenen und Entrechteten, gab ihnen Gesicht und Stimme. Köln hat in dieser Tradition eigentlich keine besondere Rolle gespielt. Unruhestifter wie Flimm und Baier hat man auf die zuverlässige Art und Weise der alten Hanse- und Reichsstadt beseitigt, durch Auflösung der Verträge. Zum Theaterstück „Carlswerk - Erster Teil" in den Kabelhallen des untergegangenen Traditionsunternehmens Felten & Guilleaume erhielt die NRhZ nun Anmerkungen eines Mülheimer Insiders, der die Geschichte von F&G gerade in ihren letzten Jahren beobachten und begleiten durfte.
Foto aus dem Theaterstück „Carlswerk - Erster Teil"
Quelle: www.schauspielkoeln.de
Mit „Carlswerk - Erster Teil“, eine laut Ankündigung "filmisch-theatrale Recherche von Jan Neumann und Dirk Kummer" ist es dem Kölner Schauspiel unter seinem neuen Intendanten Stefan Bachmann nun gelungen, Anschluss an das reaktionäre Deutschland zu finden, an das neue Klassendeutschland von Geld und Glamour, das gar nicht so neu ist, wo nicht das Schicksal der Menschen zählt und folglich auf die Bühne gebracht wird, sondern das Schicksal der großen Vermögen, ihrer Entwicklung und ihres Untergangs, und wo der Mensch nur als Eigentümer vorkommt, als Träger des Kapitals, als Charaktermaske, wie Marx es nannte.
So darf sich die Eigentümerfamilie, die Herrin über einst elftausend Arbeitskräfte lang und breit vorstellen, mit ihren Erfindungen, die Gründersohn Carl anfangs vorwiegend in England abgekupfert hat, ihren Bauten, ihren Produktionen, ihren technologischen Meilensteinen, ihren Schlössern am Rhein und ihren Familientragödien. Dazu wurde den Autoren offensichtlich das Privatarchiv der Familie geöffnet, dazu kam der Familienerbe von Guilleaume selbst auf die Bühne. Die Arbeiter kommen nicht vor.
Ekelhaft mutet es heute an, wie die Briefeschreiberin der Familie von ihren Schlössern berichtet und deren luxuriöser Ausstattung in einer Zeit, als die Arbeiterfamilien an der Fabrikmauer mit ihren zahlreichen Kindern in Einzimmerwohnungen mit Küche wohnten, Klo auf dem Hof.
Es wäre reizvoll gewesen, die Fettlebe der Ausbeuterklasse mit dem Leben der Ausgebeuteten zu kontrastieren, die noch in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gerade in der Keupstraße und der Holweiderstraße in elenden Buden hausten, in feuchten Löchern, ohne Bäder und mit Gemeinschaftstoilette auf dem Hof - zur Miete beim Fabrikherrn.
Gespenstisch, wenn die Fabrikherrin einfühlsam den Verlust ihrer in der Kölner Innenstadt gelegenen Prunkvilla beschreibt, mit den unersetzlichen Kunstwerken, und wenn sie nur ganz am Schluss und am Rande erwähnt, dass in dieser Bombennacht, die sie offensichtlich weitab vom Geschehen im Schloss bei Remagen erlebte, 4000 Kölner starben, verbrannt, erstickt, von den Trümmern ihrer Häuser erschlagen, in einem Krieg, der schon wieder riesige Gewinne aufs Firmenkonto spülte.
Die Gewinne hätte man beziffern können und die Löhne. Die Klassenkämpfe beschreiben, die Erfolge und die Niederlagen. 13 km Archiv wurden dazu angeblich bei der IHK Köln gesichtet - vergeblich, wie uns scheint. Nicht einmal die Rechnungen für den Stacheldraht an der Berliner Mauer haben sie zu Tage gefördert, den F&G 1961 geliefert hat.
Eine einmalige Chance wurde hier vertan in „Carlswerk - Erster Teil“, und es ist fraglich, ob sie in „Carlswerk - Zweiter Teil“ ergriffen wird. Denn es fehlt nicht nur die Stimme derer, die den Reichtum der Guilleaumes schufen und dafür mit ihrer Gesundheit bei 60 Wochenstunden in Staub und Dampf bezahlten. Es fehlt auch jede Erklärung dafür, wie und warum es denn zu Ende ging mit der Geldmaschine an der Schanzenstraße in Mülheim, und welche Rolle unsere köllschen Politiker dabei spielten und unsere Mülheimer Staatspartei, die SPD.
Und dabei ist doch gerade dieser Teil so gut dokumentiert. Im Archiv des Kölner Volksblatt und der Kölner Woche sind die Grundstücksschiebereien mit SPD-Politikern und deren Untersuchungen vom Rechnungsprüfungsamt der Stadt Köln zu finden. Die wichtigsten Teile daraus klebten damals in Mülheim sogar als Plakat auf den Wänden.
Kein Wort der Erklärung dafür auf der Bühne, was denn 1929 passierte, als Guilleaume beim New-Yorker Börsenkrach große Teile seines Vermögens verlor. Kein Wort über die Konzerne, die sich nun das Mülheimer Juwel teilten: der Stahlproduzent ARBED-Saarstahl mit Sitz in Luxemburg, interessiert vor allem an der Herstellung von Draht aller Art, und der Phillips-Konzern in Eindhoven, interessiert an der Nachrichten- und Informationstechnik der Mülheimer.
Auch nichts dazu, wie sie die Firma aufspalteten, wie sie gemeinsam mit SPD-Häuptling Günter Herterich und Betriebsratschef und Aufsichtsratsmitglied Benno Feckler Pläne schmiedeten zur Sicherung des Standortes, mit neuen Fabrikhallen an der Piccoloministraße am Mülheimer Ring, und wie sie zur Finanzierung die Landes- und Bundeskassen entdeckten und die größte Sanierung Deutschlands ausriefen, mit überteuertem Kauf der alten, verseuchten Gelände an der Düsseldorfer Straße und sauberen, billigen neuen Flächen im Mülheimer Osten.
Auch nichts dazu wie die Herren des Kapitals in Eindhoven sich dann anders entschieden, und das erbeutete Geld zu „Phillips-Kommunkations-Industrie“, kurz PKI, nach Nürnberg transferierten, und wie sie den Betriebsratschef Feckler, den mächtigen IG-Metall-Mann im Kölner SPD-Vorstand, kurzerhand entließen, als er sich querzulegen versuchte und auf Absprachen pochte und auf Arbeitsplatzgarantien, hatte er doch Ende der 70er, als die ersten großen Einbrüche kamen beim Kabelgeschäft und als 4000 Mann auf einen Schlag gehen mussten, die Firma vorübergehend stabilisiert, indem er über die Kölner Verkehrsbetriebe die Stadt ins Boot holte.
Ganz einfach ging das mit der Entlassung, denn Feckler hatte zum Bau seines Hauses Am Emberg Arbeitsleistungen der Firma in Anspruch genommen, wie alle damals, in der oberen Etage des Konzerns. Üblich, aber eben illegal.
Nichts erfährt der Zuschauer darüber, warum und wie Feckler in seiner Not um sich schlug und die anderen belastete, die SPD-Kollegen im Rat und in der Bezirksvertretung, die ebenfalls Geld genommen hatten oder Vorteile kassiert. Oder darüber, wie dann der SSK-Mülheim vor dem Rathaus stand und erklärte, wofür die Gelder an die SPD-Leute geflossen waren, und wie sie dann ihre Ämter aufgeben mussten, einer nach dem andern, und zum Teil sogar wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurden, denn Bestechungsgelder muss man versteuern in Deutschland, gerade dann, wenn sie wie bei Ratsherren üblich, legal kassiert werden dürfen.
Es wurde auch nicht erzählt, wie Klaus Heugel, dieser Untote der Kölner Lokalpolitik, sich 1999 entschloss, die Reste von F&G an die Börse zu bringen, wie er die Beteiligung der Stadt abstieß und die wertvollen Schlüsselgrundstücke an der Schanzenstraße dazu aus der Sanierung herausnahm, wie er auf den zu erwartenden Kurssprung an der Börse, der dann auch kam, wettete und 15.000 DM gewann, 30 Silberlinge für ein Unternehmen.
Pech für Heugel, hatte die Kölner Woche, die Vorläuferin dieser Internet-Zeitung, seinerzeit doch seinen Aktien-Deal aufgedeckt und den großen Zampano der Kölner Politik mitten im Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters zum Rückzug gezwungen. Eine Ära ging zu Ende, die Ära der Kölner Staatspartei SPD, und eine Epoche der wechselnden Mehrheiten begann, zwischen Schwarz und Gelb zunächst, gefolgt von Schwarz-Grün, Schwarz-Rot und schließlich und endlich Rot-Grün, welches bis heute die Schicksale in der Domstadt und damit auch in ihrem rechtsrheinischen Anhängsel Mülheim bestimmt.
Kölner Geschichte, geschrieben in der Schanzenstraße. Welche Gelegenheit, für ein Stadttheater, welche Gelegenheit für mutige Autoren, aber nicht für die von „Carlswerk - Erster Teil"!
Hier wäre auch über die neuere Geschichte der Keupstraße, des „Kölner Klein-Istanbul“, zu berichten gewesen, sollte doch diese alte Mülheimer Geschäftsstraße, in der die F&G-Arbeiter am Freitag den Inhalt ihrer Lohntüten auszugeben pflegten, zwischen Textilgeschäften, Lebensmittelläden und Kölschkneipen, zusammen mit Teilen der Holweider Straße im Zuge der Sanierung abgebrochen werden, um den Fabrikstandort Carlswerk zu sichern - so als hätte der noch eine industrielle Zukunft.
Dafür hatten sie Vorteile genommen, die Fecklers, Jonas und Lindlars, und als sie sich im Zuge von Fecklers Enthüllungen nicht mehr halten konnten, war auch der Abbruch nicht mehr durchzusetzen und es entstanden vorsichtige Erhaltungsprogramme der Mülheimer SPD, welche der Verfasser im Jahre 2010 in der Geschichte der Mülheimer Protestanten: „400 Jahre evangelisch“ dokumentiert hat.
Hier wäre anzusetzen, bei „Carlswerk - Zweiter Teil", wenn man denn wollte. Hier wäre aber auch anzusetzen bei der großen Gedenkfeier, welche das Kölner Schauspiel an Pfingsten für die Opfer der Anschläge in der Keupstraße ausrichten will.
Der Geist der Reaktion, wie er sich in „Carlswerk - Erster Teil“ selbst feiert, wird allerdings zu einer kritischen Aufarbeitung der jüngeren Geschichte nicht ausreichen. Denn dann würde klar werden, dass wir die Stadt, so wie sie ist, selbst gestalten, und dass es für jede Entscheidung Verantwortliche gibt, deren Namen man benennen kann. Dann wären nicht nur die Reden des Bundespräsidenten anzuhören und die Bundesverdienstkreuze entgegenzunehmen, dann wäre auch zu fragen, warum die angrenzende Brache des Güterbahnhofes immer noch nicht bebaut ist, warum die Fläche aus der Sanierung entlassen wurde und anstatt dem Gemeinwohl zu nutzen, Spekulanten anheimgefallen ist, warum das „Leuchtturmprojekt“ von MÜLHEIM 2020, das Internationale Geschäftshaus, nicht verwirklich werden darf und warum die türkischen Geschäftsleute, die die Straße nach dem Beinahe-Abbruch der 80er Jahre gerettet haben, keine Chance für ihre Ausbaupläne erhalten.
Dann wären nicht nur Briefe zu verlesen von Unternehmergattinnen, dann wären Namen zu nennen, Namen von Spekulanten und von Politikern. Soweit aber wird der Mut nicht reichen, nicht in Köln. (PK)
Der Autor ist Mitglied der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) und Mitbegründer der Mülheimer Bürgerliste MBL, die Ende Mai für die Wahl in die Bezirksvertretung kandidiert.
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