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Medien
Bringt der Hamburger IZA-Prozeß am 6. Juni Grundsatzklärung?
Lobby-Kritik in der NRhZ vor Gericht
Von Ulrike von Wiesenau

Mit einem Vergleichsvorschlag endete am 9. Mai 2014 die Verhandlung vor der Pressekammer des Hamburger Landgerichts zur Klage von IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann gegen den Publizisten Werner Rügemer und die seit 9 Jahren im Internet erscheinende Neue Rheinische Zeitung (www.nrhz.de). Das Gericht unter der Vorsitzenden Richterin Simone Käfer hat damit noch kein Urteil gefällt. Rügemer hatte im August 2013 in der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik und in der NRhZ den Beitrag »Die unterwanderte Demokratie. Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen« veröffentlicht und das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) als Beispiel für eine Form des unsichtbaren Lobbyismus bezeichnet. Vier der in diesem Artikel gemachten Aussagen wollte Zimmermann durch eine Einstweilige Verfügung verbieten lassen, Rügemer hatte dieser Verfügung widersprochen.

Die zentrale Frage der Verhandlung war, wie unabhängig das Institut zur Zukunft der Arbeit ist und ob dort „freie Wissenschaft“ oder „Lobbying unter staatlichem Siegel“ betrieben wird. Rügemer hatte in den Blättern eine neue Form des Lobbyismus kritisiert, bei der die Lobbyisten „längst im Staat“ säßen und vielfach von diesem finanziert würden. Er benannte hierzu unter anderem das Institut zur Zukunft der Arbeit als Beispiel. Das IZA ist ein privates Forschungsinstitut, es wird fast ausschließlich von Geldern der Deutschen Post-Stiftung finanziert, obwohl es gleichzeitig als Teil der Bonner Universität erscheint. Die Stiftung wird vom langjährigen Post-Vorstand Klaus Zumwinkel geleitet, dieser ist zugleich Präsident des IZA. Es fällt schwer, angesichts dieser Konstellation eine Unabhängigkeit der Forschung zu unterstellen. Auch aufgrund der engen Zusammenarbeit mit Vertretern der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sei die Unabhängigkeit des IZA in Frage zu stellen, von einer „freien Wissenschaft“ könne bei dem Institut deshalb keine Rede sein.LobbyControl spricht mit Blick auf die Arbeitsweise des IZA von „deep lobbying“.
 
 
Im September 2013 hatte Klaus Zimmermann den Verlag der Blätter und die Neue Rheinische Zeitung aufgefordert, diverse Aussagen aus dem Artikel zu unterlassen. Die Blätter gingen angesichts der ökonomischen Bedrohung einer gerichtlichen Auseinandersetzung aus dem Weg, unterzeichneten eine Unterlassungserklärung und entfernten die inkriminierten Passagen über das IZA aus der Internetversion des Artikels. Peter Kleinert, Herausgeber der Neuen Rheinischen Zeitung, und Werner Rügemer hielten die vollständige Publikation des Textes aufrecht. Daraufhin beantragte Zimmermann im Januar 2014 beim Landgericht Hamburg, die Wiederholung der Aussagen durch Urteil zu verbieten und im Falle jeder einzelnen Wiederholung die Zeitung und den Autor zu einem Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder einer Ordnungshaft zu verurteilen. Der auf 120.000 Euro bezifferte Streitwert konnte nach einer Intervention von Rügemers Anwalt Eberhard Reinecke im Vorfeld des Prozesses auf 80.000 Euro reduziert werden.

In einer Pressemitteilung vor dem Prozeß hat der Beklagte erklärt, wie weit die Macht der Lobbyisten in den Medien heute schon reicht: »Viele Journalisten, Redakteure und vor allem große Medien wie ARD, WDR, RTL machen vergleichbare Einstweilige Verfügungen und Unterlassungs-Erklärungen, die sich heute zahlreich gegen Medien richten, nicht öffentlich, sondern geben meistens in aller Stille eine Unterlassungserklärung ab.«

Die klassische Form des Lobbyismus, bei dem Personen aus den Zirkeln der Macht ohne jede Karenzzeit die Seiten wechseln, um für die Wirtschaft in das Parlament, in die Regierung, in die Verwaltung und in die Parteien hinein auf die Politik einzuwirken, ist mittlerweile gut bekannt und immer häufiger Gegenstand öffentlicher Kritik. Doch neben dieser Art Lobbyismus erwächst eine weit sublimere Form der Einflußnahme, die schwerer greifbar ist und umso verheerender wirkt.

Werner Rügemer hat diese neuen Strukturen in seinem Artikel »Die unterwanderte Demokratie. Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen« umfassend beschrieben: „Weitaus wichtiger ist jedoch eine neue Form des Lobbyismus, die noch gar nicht als solche bezeichnet wird: Diese Lobby sitzt längst im Staat, und vielfach wird sie von ihm sogar bezahlt. Auch an den Universitäten ist der Einfluß von Unternehmen immer deutlicher zu spüren. Neben mehreren Dutzend Lehrstühlen, die von Deutscher Bank, Energie Baden Württemberg (EnBW) und anderen Konzernen gestiftet werden, unterhalten andere Firmen eigene Business Schools und Unternehmenshochschulen. Diese werden allerdings vielfach vom Staat (mit)finanziert, wie etwa die Privatuniversität Herdecke und die European Business School (EBS) in Hessen.“

Im Prozeß vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg hatte die
Vorsitzende Richterin gleich zu Beginn der Verhandlung deutlich gemacht, daß das Gericht „einige Schwierigkeiten“ mit der Klage habe, da es sich bei drei der vier inkriminierten Passagen nicht um die Behauptung falscher Tatsachen, sondern um eine zulässige Meinungsäußerung handle. Der Anwalt des IZA von der Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die Mandanten wie Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel vertritt, zitierte immer wieder das Selbstverständnis des IZA, keine Lobby-Organisation zu sein, aber das Gericht machte sich eine erweiterte Definition von Lobbyismus zu eigen und sah Äußerungen in diesem Rahmen durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Das Gericht deutete damit eine weitgehende Abweisung der Klage gegen Werner Rügemer und die NRhZ an. In drei von vier Punkten wollte das Gericht der Argumentation des Klägers nicht folgen. Nur in einem Punkt wurde sie anerkannt, nämlich daß in dem Artikel nicht klar gesagt werde, daß das IZA auf seiner Website offen über seine Finanzierung durch die Deutsche Post-Stiftung informiere. Dem Antrag, auch die restlichen drei Aussagen – das IZA sei „nicht unabhängig“, seine Wissenschaft sei „nicht frei“ und es „betreibe Lobbying“ – zu verbieten, wird aber wohl nicht stattgegeben werden.
 
Als Vergleichsvorschlag wurde vom Gericht angeregt, Werner Rügemer solle an seine Aussagen zur „freien Wissenschaft“ eine Passage anfügen, die klarstellt, daß das IZA von seinen Spendern keine Ergebnis-Vorgaben erhalte und daß es keine Gefälligkeitsgutachten nach Vorgaben anfertige. Der Vergleichsvorschlag wird beiden Parteien schriftlich zugeschickt. Sie müssen bis zum 6. Juni Stellung nehmen, ob sie den Vergleich annehmen. Die Verfahrenskosten wären nach dem Vergleichsvorschlag zu zwei Dritteln vom Kläger IZA/Klaus F. Zimmermann und zu einem Drittel von Werner Rügemer und NRhZ-Herausgeber Peter Kleinert zu tragen.

Inzwischen regt sich weitere Kritik. Andrea Kocsis, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft ver.di und Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Post AG, forderte Ende April in einem offenen Brief, „die Finanzierung des IZA unverzüglich zu beenden“. Unterstützung kommt auch vom Grünen Europa-Parlamentarier Sven Giegold, der sich die Kritik von Werner Rügemer zueigen machte und das Vorgehen von Zimmermann und dem IZA als „Einschüchterungsversuch gegen kritische Journalisten“ bezeichnete. In einem offenen Brief forderte er Klaus Zimmermann auf, ihn ebenfalls zu verklagen. Auch 53 Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats von Attac traten am 16. Mai mit einem Offenen Brief zum Prozess an die Öffentlichkeit. Die Unterzeichner fordern Professor Zimmermann darin auf, „auch sie zu verklagen, sollte er seine Klage gegen Dr. Werner Rügemer und die Neue Rheinische aufrecht erhalten“.
Die Klärung der Frage, wie unabhängig das Institut zur Zukunft der Arbeit wirklich ist und was Lobbying genannt werden darf, geht in die nächste Runde. Der Prozeß gerät zur Grundsatzklärung, denn Lobbyismus unterwandert immer weitgehender unsere Demokratien. Die Lobbyregister in Berlin und Brüssel sprengen jede Vorstellungskraft. Deutschland braucht deshalb neben LobbyControl auch dringend eine unabhängige Institution wie Finance Watch, die sich als Stimme der Zivilgesellschaft zu Finanzmarktfragen äußert. Eine kritische Öffentlichkeit ist die einzige Möglichkeit, die wachsende Macht der Lobbyisten zu begrenzen oder wenigstens sichtbar zu machen. Für die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in Deutschland steht viel auf dem Spiel. (PK)
 
Ulrike von Wiesenau ist Pressesprecherin des Berliner Wassertisches,
Mitbegründerin des direktdemokratischen Untersuchungsausschusses
"Klaerwerk" und des Berliner Wasserrates. Sie hat diesen Artikel zunächst in der aktuellen Ausgabe der politischen Zweiwochenschrift Ossietzky veröffentlicht. Eckart Spoo, der Ossietzky 1997 zusammen mit anderen Journalisten gründete, hat uns erlaubt, ihn auch in die NRhZ zu stellen.


Online-Flyer Nr. 460  vom 28.05.2014

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