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Inland
Karlsruhe: Nachtrag zum bewegenden Auftritt von Noam Chomsky im ZKM
Regional-Presse verfälscht Chomsky-Aussage
Von Dietrich Schulze

Die regionale Politik in Baden-Württemberg versucht, den US-Friedens-Wissenschaftler im Universalformat Noam Chomsky für ihre Militarisierungspolitik zu missbrauchen. Ein unerhörter und skandalöser Vorgang von internationaler Dimension. Wie in der Neuen Rheinischen Zeitung berichtet [1], hatte sich das ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie für Kultur und Medienwissenschaften) in Karlsruhe auf Initiative seines Direktors Peter Weibel einen Traum erfüllen können und eine Rede des berühmten US-Linguisten und Friedens-Wissenschaftlers Noam Chomsky in der Residenz des Rechts erlebbar gemacht. So unvoreingenommen die Presse davor und kurz danach in einem Interview [2] über seine Rede am 30. Mai berichtete, einigen Kreisen passte wohl dessen entschiedener und tief begründeter Antimilitarismus nicht.

BNN-Foto und Bildunterschrift zum Bericht über Noam Chomsky vom 2.6.14, Nr.125
Quelle: Badische Neueste Nachrichten
 
Den Badischen Neuesten Nachrichten BNN blieb es vorbehalten, diesem Unmut in einem Bericht am 2. Juni unter der Schlagzeile „Über Obama und schwammige Aussagen“ [3] Ausdruck zu verleihen. In der engagierten Diskussion zur Chomsky-Rede, die länger als der Vortrag selbst geriet, wurde Noam Chomsky vom Autor zur Militärforschung an Hochschulen mit Bezug auf das Karlsruher Institut für Technologie KIT gefragt.
Darüber schreibt die BNN: „Auffällig waren die analytische Gelassenheit, mit der Chomsky argumentiert, und die präzise Klarheit, mit der er auf verdeckte Widersprüche aufmerksam macht. Als er etwa auf die „Zivilklausel“ angesprochen wird, die es Universitäten oder Einrichtungen wie dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) verbietet, militärische Forschung zu betreiben, ergeht sich Chomsky nicht etwa in einer wohlfeilen Solidaritätsadresse, sondern weist auf einen wenig bekannten Zusammenhang hin: Dass es gerade Aufträge des Militärs gewesen seien, dank derer die Entwicklung der Informationstechnologie vorangetrieben wurde, von der heute Unternehmen wie Microsoft oder Google profitieren. Will sagen: Es waren öffentliche Gelder, die es einem Privatmann wie Bill Gates ermöglichten, zum Multimilliardär zu werden."
Für den Leser wird der Eindruck erweckt, dass Chomsky in seiner Antwort die Nützlichkeit von Militärforschung für die Menschheit herausgestellt hätte.
Am 5. Juni hatte das ZKM aber dankenswerter Weise die Rede [4] und die komplette Diskussion [5] per Video-Mitschnitt ins Netz gestellt. Lothar Letsche konnte die Passage aus der Diskussion mit der Frage des Autors und der Antwort von Noam Chomsky kurz darauf transkribieren und übersetzen [6]. Hier zum Nachlesen die Frage und zwei Passagen aus der längeren Antwort:
Frage des Autors: „Herr Chomsky, das war eine große Rede, und ich habe nur eine kleine Frage, über einen internationalen Aufruf [7], den Sie vor drei Jahren unterzeichneten, wonach alle Universiäten weltweit militärische Forschung ablehnen sollten. Eine große Vision - aber wenn Visionen wiederholt vorgetragen werden, können sie wahr werden. In dieser Stadt gibt es eine Forschungseinrichtung KIT - klingt ähnlich wie MIT, von wo Sie kommen - und Sie wissen, was Militarisierung dort bedeutet. Das KIT macht militärische Forschung, und wenn Sie Ihren Appell an die KIT-Administration wiederholen würden, könnte das ein guter Punkt für uns alle und für friedliche Wissenschaft sein.“

Der Autor beim Abgang nach seiner Frage an Prof. Noam Chomsky. Stehend: ZKM-Chef Prof. Peter Weibel.
Quelle: ZKM-Video 
 
Aus der Antwort von Noam Chomsky: „…. Militärforschung ist ein Instrument, mit dem die Bevölkerung gezwungen wird, Profite der High-Tech-Industrie zu subventionieren. Das ist eine ihrer wesentlichen Funktionen. Schauen wir uns beispielsweise die Computer, das Internet, Laser, Mikroelektronik, Satelliten an – man kann es alles durchgehen – wo kommen die alle her? Sie kommen, überwiegend vom Pentagon finanziert, von Einrichtungen wie dem MIT, und die Steuerzahler bezahlen dafür. Weil „die Russen kommen“, müssen Sie das bezahlen, und als Endergebnis, wissen Sie, ist Bill Gates der reichste Mann der Welt und Steve Jobs konnte Apple gründen. ….. So funktioniert die Wirtschaft. Wenn Sie die Zeitungen lesen, die Financial Times oder die deutschen Wirtschaftsblätter, wie sie ständig über »freies Unternehmertum« und Märkte reden, muss man sich doch einfach ein paar grundlegende Tatsachen über Märkte vor Augen halten. Egal ob man sie mag oder nicht, haben sie doch einige grundlegende Eigenschaften. Eine solche Eigenschaft ist, wenn Sie in eine riskante Unternehmung investieren, investieren Sie jahrzehntelang mit viel Risiko und Einsatz, und wenn sich dann irgendwann ein Profit einstellt, soll er auch an Sie zurückfließen. So funktioniert die Wirtschaft. Doch der Steuerzahler wird im Grund ausgequetscht, um die riskanten und kostspieligen Entwicklungen zu finanzieren, buchstäblich über Jahrzehnte, und bekommt nichts dafür zurück außer Profiten, die an die privaten Unternehmer fließen. Aber so funktioniert unsere Wirtschaft des freien Unternehmertums. Und das Pentagon war ein Schlot Trichter. Aber Sie haben recht mit der Militärforschung. Das sollte es an der Universität nicht geben. Ich denke, auch das andere sollte es aus anderen Gründen dort auch nicht geben. Es ist ein Angriff auf Demokratie und Freiheit.“
Jeder unvoreingenommene Leser kann daraus entnehmen, dass die BNN exakt das Gegenteil von Chomskys Aussagen zu vermitteln versucht.
Chomsky hatte hingegen tatsächlich die Ablehnung von Militärforschung an Hochschulen und damit am KIT unterstützt, wie das vom Autor für die „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“ auf der Grundlage des vor Beginn der Veranstaltung verteilten Flugblattes [8] vorgetragen wurde. Chomsky hatte am Beispiel der USA und des Massachusetts Institute of Technology MIT das verheerende „Funktionieren der Wirtschaft“ auf Kosten und zulasten der Steuerzahler zugunsten des Profits mächtiger Privat- und Rüstungsformen erklärt.
Die KIT-Administration hatte ihre Haltung gegen eine friedliche Selbstbindung (Zivilklausel) unter Verzicht auf Militärforschung schon auf einem Podium am 18. Mai [9] (Video [10]) zur Genüge demonstriert. Das KIT betreibt definitiv Militärforschung, wie im Flugblatt (8) anhand dreier Beispiele belegt:
• Sogenannte „Reine Grundlagenforschung“ im Informatikbereich für das Pentagon.
• Geheimdienstforschung von KIT-Professor Alex Waibel für die NSA.
• Atomreaktorforschung für das Militär unter Verstoß gegen das gültige KIT-Gesetz.
Genau diese Ausrichtung wird von der BNN unterstützt mittels Verschweigen von begründeter Kritik und - wie hier dargestellt - daraus folgender Verfälschung von Gegenpositionen. Das ist verantwortungsloser Journalismus zugunsten der KIT-Obrigkeit, der Grün-Roten Landesregierung und der Rüstungslobby. (PK)
 
Quellen:
[1] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20412
[2] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140531.pdf
[3] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140603.pdf
[4] https://www.youtube.com/watch?v=K_Z9bsIsANw
[5] https://www.youtube.com/watch?v=Av8uFvDTvw4
[6] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140607.pdf
[7] http://www.inesglobal.com/commit-universities-to-peace.phtml
[8] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140530.pdf
[9] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140520.pdf
[10] http://www.youtube.com/watch?v=wRXJ42zj5JM
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf) und ist heute deren SprecherInnenkreismitglied. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“, BdWi-Mitglied und publizistisch tätig.


Online-Flyer Nr. 462  vom 11.06.2014

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