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Inland
KIT Karlsruhe: Neue Beweise zu Ehrensenator Greifelds Nazi-Verbrechen
Titel-Skandal endlich beenden!
Von Dietrich Schulze

In dieser Zeitung wird seit Jahren über den Nazi-Täter und Atom(waffen)-Manager Rudolf Greifeld (1929-1984) berichtet, zuletzt am 25. Dez. 2013 unter dem Titel „Der Spurensucher Rusinek“ [1]. Prof. Rusinek wurde als Archivleiter des Atomforschungszentrums Jülich vom Karlsruher Institut für Technologie KIT mit seinem Campus Nord, dem früheren Atomforschungszentrum Karlsruhe, zur Beurteilung der seit September 2012 geforderten Annullierung des Ehrensenatortitels eingesetzt. Im Interesse der Atomlobby ist dessen offensichtliches Ziel, die Annullierungsforderung als nicht begründet erscheinen zu lassen.
 

Ehrensenator Rudolf Greifeld
Ein Gespräch mit seinen Kritikern, das über den Leiter einer bekannten KIT-Institution zu vermitteln versucht wurde, ist von Prof. Rusinek mit Aussitzen abgewiesen worden. Das gleiche geschieht mit den neuen Dokumenten aus Frankreich, über die in der oben erwähnten Veröffentlichung berichtet wurde. Prof. Rusinek ebenso wie die Lokalpresse denken nicht daran, sich mit diesen Akten auseinander zu setzen. Unisono wird eine „atomare Geschichtsentsorgung“ betrieben, so auch der Titel eines in dieser Zeitung am 26. Juni 2013 erschienen Beitrags [2].
 
Zur Bekräftigung der Annullierungsforderung in Sinne der notwendigen alternativen Geschichtsvermittlung ist es am 18. Juni bei einem Besuch in Lyon gelungen, die Original-Akten einzusehen und abzulichten, mit denen Greifelds Nazi-Verbrechen in der Zeit 1940/41 im besetzten Paris bewiesen werden können.
 
Am 27. Juni haben folgende Gruppen (Verantwortliche) die nachfolgende Presse-Erklärung [3] abgegeben: Forum Ludwig Marum e.V. (Harald Denecken, Vorsitzender), Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (Nadja Brachmann, Dagmar Hamdi, Dr. Ullrich Lochmann, Dr. Dietrich Schulze, SprecherInnenkreis), VVN-Bund der AntifaschistInnen e.V. (Dr. Ulrich Schneider, Bundessprecher und Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer FIR) mit dem Titel: “Neue Beweise zu Greifeld-Verbrechen - KIT-Ehrensenatortitel endlich annullieren“. Kurz nach dem 70. Jahrestag des D-Day konnten weitere hochinteressante Originalakten aus den Jahren 1940/41 über die Maschinerie der deutschen Kriegsverbrechen im besetzten Frankreich ausgegraben werden.
 
Die Beweise über die antisemitische Mittäterschaft von SS-Kriegsverwaltungsrat Rudolf Greifeld in führender Position im deutschen Besatzungsregime in Paris sind seit langer Zeit erdrückend. Gleichwohl verschleppt das Karlsruher Institut für Technologie KIT seit zwei Jahren systematisch die Forderung nach Annullierung der Ehrensenatorwürde für Greifeld, die ihm 1969 von der Universität Karlsruhe verliehen wurde.
 
Ich selbst habe als Mitgründer der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten in Lyon Zugang zu den persönlichen Tagebuch-Aufzeichnungen des Kabinettsmitglieds der Seine-Präfektur der Vichy-Regierung Edouard Bonnefoy erhalten, der die Anweisungen des Sprechers der Nazi-Wehrmachtkommandantur von Groß-Paris, Rudolf Greifeld, umzusetzen hatte.

Original-Tagebücher von Edouard Bonnefoy „16 juin – 30 novembre 1940“ „3 décembre 1940 – 30 juin 1941“
Foto: Dietrich Schulze
 
Zur behaupteten Verschleppung: Die Badischen Neuesten Nachrichten titelten Ende 2013 über die Zwischenergebnisse des vom KIT eingesetzten Historikers Bernd-A. Rusinek „Keine Spuren von Greifeld“. In einer ausführlichen Gegen-Analyse in der Neuen Rheinischen Zeitung unter dem Titel „Der Spurensucher Rusinek“ wurden hingegen zusätzliche Fakten aufgrund einer 1999 an der Universität Lyon vorgelegten Diplomarbeit veröffentlicht, die auf den genannten Tagebuch-Aufzeichnungen aus der Zeit 1940/41 beruhen.
 

Antifaschist Edouard Bonnefoy
Bonnefoy war 1944 wegen Zusam-menarbeit mit der Resistance verhaftet und nach Neuengamme deportiert worden. Er ging mit der „Cap Arcona“ unter. Seine Aufzeichnungen gelangten nach dem Tod von Bonnefoys Frau 1989 in den Besitz seiner Schwiegertochter Solange Bonnefoy. Diese hatte bei einem Auschwitz-Besuch 1996 den Lyoner Geschichtswissenschaftler Prof. Bruno Benoit über die Existenz der Aufzeichnungen informiert, der die Diplomarbeit von Elodie Prost in die Wege leitete. Die Zusammenarbeit Bonnefoys mit der französischen Widerstandsbewegung ist in mehreren Zeugnissen und Ehrungen bestätigt worden, z.B. im Juni 1948 von einem Verantwortlichen der Rhone-Präfektur und Träger der Medaille des Widerstands.
 
Solange Bonnefoy gebührt großer Dank für die Ermöglichung des Zugangs zu den Aufzeichnungen. Mit dieser Originalquelle kann nunmehr zweifelsfrei bewiesen werden:
•          Greifeld forderte Listen von jüdischen Beschäftigten der Pariser Stadtverwaltung an. Solche Listen waren bekanntlich der erste administrative Schritt für die Deportation in die Vernichtungslager.
•          Greifeld bereitete mit organisatorischen Anweisungen den Hitler-Besuch in Paris vor, an dem er angeblich nicht beteiligt war.
•          Greifelds lebenslang praktizierter Antisemitismus kann mit neuen Zitaten belegt werden: "Bei der Herstellung einer neuen Ordnung in Europa gibt es drei Gruppen von Gegnern, die weggefegt werden [...] das sind die Juden, die Freimaurer und die Plutokraten, diejenigen, die bereit sind, in den Krieg zu treiben, um Geld zu verdienen." [...] „Greifeld ist verwundert, dass die französische Regierung gegen die Juden keine energischeren Maßnahmen unternimmt […] erklärt, dass die jüdischen Frechheiten kein Ende nähmen und dass es wünschenswert sei, dass eine gute Ordnung hergestellt wird gegen diese jüdische Bewegung, die für den Krieg verantwortlich ist und fortfährt, unschuldige Bevölkerungen in den Krieg zu treiben.“
•          Der bekannte französische Physiker Paul Langevin war von der deutschen Besatzungsbehörde wegen seiner antifaschistischen Haltung verhaftet worden. Bonnefoy verweist Greifeld auf die Bedeutung von Langevins Tätigkeit als Direktor des Pariser Instituts für Physik und Verfahrens-Chemie. Greifeld bleibt untätig. Langevin gelang aber später mit Hilfe der Resistance die Flucht. Greifeld besaß in den 1970er Jahren als Atom-Manager die
Unverfrorenheit, sich für die deutsche Seite in das Führungsgremium der Internationalen Forschungseinrichtung „Institut Laue-Langevin“ in Grenoble delegieren zu lassen.
 
In mehreren Appellen, zuletzt auf einem Symposium des Forum Ludwig Marum am 19. Oktober 2013 unter Teilnahme von Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup vorgetragen, wurde die Annullierungsforderung immer wieder unterstützt und bekräftigt, ohne dass vom KIT-Präsidium und der damit befassten Ethik-Kommission Konsequenzen gezogen worden wären.
 
Die unterzeichnenden Gremien-VertreterInnen fordern aufgrund dieser neuen Beweise nunmehr KIT-Präsident Prof. Holger Hanselka und KIT-Vizepräsidentin Dr. Elke Barnstedt als Vorsitzende der Ethik-Kommission auf, unverzüglich eine Entscheidung des KIT-Senats über die Annullierung dieses schändlichen Ehrensenatortitels einzuleiten.
Das ist auch als längst überfälliger und begrüßenswerter Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft zu verstehen.
Soweit die Presse-Erklärung. In einer 84-seitigen Dokumentensammlung [4] kann die Vorgeschichte nachgelesen werden.
 
Der mit der Vertuschung und Verschleppung des Nazi-Ehrensenatortitels zusammenhängende, aber viel tiefer gehende Skandal „Kern- und Waffenforschung unter einem Dach“ muss demnächst weiter mit Protesten vertieft werden. Bereits am 18. Mai 2011 [5] wurde in der Neuen Rheinischen Zeitung über diesen Tabubruch berichtet. Das KIT betreibt mit Rückendeckung der Bundesregierung und der Grün-Roten Landesregierung Forschung für militärische Zwecke und Atomforschung, neuerdings wie berichtet [6] in direktem Verstoß gegen das KIT-Gesetz an „innovativen“ Kernreaktorkonzepten, die für Atom-U-Boote verwendbar sind. (PK)
 
[1] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19841
[2] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19181
[3] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140626.pdf
[4] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140627.pdf
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16511
[6] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20335
 
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf) und ist heute deren SprecherInnenkreismitglied. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“, BdWi-Mitglied und publizistisch tätig.


Online-Flyer Nr. 465  vom 02.07.2014

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