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Globales
EU-Flüchtlingsabwehr vor allem von Deutschland massiv vorangetrieben
Die Festung
Von Hans Georg
Zum wiederholten Male erhebt eine Menschenrechtsorganisation schwere Vorwürfe wegen der brutalen Flüchtlingsabwehr der EU. Die EU und ihre Mitgliedstaaten hätten "eine zunehmend undurchdringliche Festung" geschaffen, "um irreguläre Migranten abzuwehren", heißt es in einem Bericht von Amnesty International, der am vergangenen Mittwoch veröffentlicht wurde. Brüssel habe hochkomplexe Überwachungssysteme entwickeln lassen und EU-Mitgliedstaaten dabei unterstützt, zahlenstarke Polizeikontingente an ihre Außengrenzen zu entsenden; es habe mit "Frontex" sogar eine eigene Behörde geschaffen, um die Einreise nicht erwünschter Migranten zu verhindern.
Online-Flyer Nr. 467 vom 16.07.2014
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Globales
EU-Flüchtlingsabwehr vor allem von Deutschland massiv vorangetrieben
Die Festung
Von Hans Georg
Zum wiederholten Male erhebt eine Menschenrechtsorganisation schwere Vorwürfe wegen der brutalen Flüchtlingsabwehr der EU. Die EU und ihre Mitgliedstaaten hätten "eine zunehmend undurchdringliche Festung" geschaffen, "um irreguläre Migranten abzuwehren", heißt es in einem Bericht von Amnesty International, der am vergangenen Mittwoch veröffentlicht wurde. Brüssel habe hochkomplexe Überwachungssysteme entwickeln lassen und EU-Mitgliedstaaten dabei unterstützt, zahlenstarke Polizeikontingente an ihre Außengrenzen zu entsenden; es habe mit "Frontex" sogar eine eigene Behörde geschaffen, um die Einreise nicht erwünschter Migranten zu verhindern.
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer
Quelle: The Migrants Files
Dabei würden zahllose Menschenrechtsverletzungen an und jenseits der Außengrenze billigend hingenommen, das Recht auf Asyl werde ausgehöhlt; die Zahl der Menschen, die in den letzten 14 Jahren beim Versuch, in die EU zu gelangen, zu Tode gekommen sei, liege mindestens bei 23.000. Tatsächlich ist die EU-Flüchtlingsabwehr in hohem Maße deutsch inspiriert; sie zielt darauf ab, unerwünschte Migranten nach Möglichkeit ganz aus der EU, jedenfalls aber aus deren deutschem Wohlstandszentrum herauszuhalten. Zusatzprofite bei der Flüchtlingsabwehr fahren Firmen aus der Repressions- und Überwachungsbranche ein, darunter zahlreiche deutsche.
Todesursache: Fluchtweg blockiert
In ihrem neuen Bericht, übt Amnesty International scharfe Kritik an der Flüchtlingsabwehr der EU. Wie Amnesty konstatiert, befindet sich unter den zehn Ländern, die weltweit die meisten Flüchtlinge aufnehmen, kein einziges EU-Mitglied, obwohl einige von diesen zu den reichsten Staaten der Welt gehören.[1] Stattdessen sind regelmäßig Todesopfer an den EU-Außengrenzen zu beklagen: Seit dem Jahr 2000 seien mindestens 23.000 Menschen bei dem Versuch umgekommen, nach Europa zu gelangen, berichtet Amnesty unter Bezug auf das Projekt "The Migrants Files" [2], das die zahlreichen Todesopfer unter Flüchtlingen zu dokumentieren sucht. Dass so viele Menschen ums Leben kämen, liege nicht zuletzt daran, dass die EU systematisch sämtliche Fluchtrouten blockiere und Flüchtlinge auf immer gefährlichere Wege ausweichen oder sich dubiosen Machenschaften mafiöser Menschenschmuggler anvertrauen müssten, schreibt Amnesty. Exemplarisch sei dies an den Außengrenzen Griechenlands zu beobachten.[3]
Schritt um Schritt dicht gemacht
Tatsächlich haben sich an Griechenlands Grenzen dramatische Entwicklungen vollzogen, seit die EU Druck auf Athen auszuüben begann, die Grenze zur Türkei hin abzuschotten. Die Maßnahmen starteten Mitte August 2012 und umfassten die Anschaffung modernster Kontrollgeräte sowie den Bau eines "Grenzzauns"; für die Abschottung stellte Brüssel Millionensummen zur Verfügung. Die Folge war, dass zunehmend Flüchtlinge auf den riskanten Seeweg zu den griechischen Inseln auswichen. Dort kam es zu einer steigenden Zahl an Todesopfern; darüber hinaus hat Amnesty zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen die griechische Küstenwache Flüchtlinge aufgriff und sie zurück in die Türkei deportierte - nicht selten unter Gefahr für ihr Leben. Mit der Zunahme der Kontrollen auf See verlagerte sich die zentrale Fluchtroute insbesondere für Kriegsflüchtlinge aus Syrien an die Übergänge aus der Türkei nach Bulgarien. Binnen kürzester Zeit reagierte Sofia, riegelte die Grenze mit Polizei und dem Bau eines Grenzzauns ab, der vom Parlament zunächst abgelehnt wurde, aber unter dem Druck der EU nicht zu verhindern war; sodann unterzeichnete Brüssel am 16. Dezember 2013 ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen mit Ankara, das die Türkei zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet, die aus der EU abgeschoben werden, sofern sie über türkisches Territorium eingereist waren. Seit Dezember 2013 ist außerdem das Kontrollsystem "Eurosur" ("European Border Surveillance System") aktiviert, das in der Lage ist, mit modernster Technologie - etwa mit Drohnen - Flüchtlinge aufzuspüren.[4] Die Technologie zur Überwachung der bulgarischen Seegrenze - die Einreise über sie wäre der nächste logische Schritt - hat eine deutsche Firma bereits im Jahr 2010 installiert.
Autoritär
Zusätzlich bezieht die EU diejenigen Länder, von denen aus die meisten Flüchtlinge in die EU einzureisen suchen, in ihre Flüchtlingsabwehr ein. Dies betrifft Staaten wie Libyen (german-foreign-policy.com berichtete [5]) oder die Ukraine [6], die zurzeit eigentlich anderes zu tun haben, als Hilfsdienste zur Wohlstandssicherung der europäischen Kernmächte zu leisten. Enge Absprachen trifft Brüssel auch mit der Türkei. Während deren Regierung in der europäischen Öffentlichkeit autoritärer Tendenzen bezichtigt wird [7], setzt die EU gemeinsam mit ihre autoritären Maßnahmen in Kraft, die es Flüchtlingen unmöglich machen, die Türkei in Richtung EU zu verlassen. So registrieren Kameras, die dank der EU an der bulgarisch-türkischen Grenze installiert sind, jede Bewegung bis zu 15 Kilometer ins Hoheitsgebiet der Türkei hinein; Flüchtlinge werden entsprechend schon dort aufgegriffen, berichtet Amnesty. All das betrifft derzeit vor allem Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Von dort seien inzwischen über 2,8 Millionen Menschen geflohen, berichtet Amnesty; nur 96.000 - das sind 3,4 Prozent - seien in die EU gelangt. Die Türkei gewährte schon 2012 rund 280.000 Syrern Zuflucht. 2012 unterstützte Brüssel sie dabei mit 3,8 Millionen Euro, zahlte Ankara jedoch mehr als das Fünffache - 20 Millionen Euro -, um die EU-Außengrenze gegen Flüchtlinge abzuschotten. Keinerlei Rolle spielt dabei die Lage der Flüchtlinge in der Türkei, die laut Amnesty International teils erbärmlich ist und internationalen Normen nicht entspricht.[8]
Volkswirtschaftlich nützlich
Die Konzepte der EU-Flüchtlingsabwehr sind seit je von Deutschland massiv vorangetrieben worden. Das gilt insbesondere für Elemente wie die "Dublin II"-Verordnung, die dafür sorgen, dass unerwünschte Flüchtlinge gewöhnlich aus Deutschland in EU-Randstaaten abgeschoben werden können (german-foreign-policy.com berichtete [9]) - etwa nach Griechenland. Dies erlaubt es der Bundesrepublik in Verbindung mit der martialischen Abschottung an den EU-Außengrenzen, sich auf die Anwerbung volkswirtschaftlich nützlicher Migranten ("Fachkräfte") zu konzentrieren und ansonsten den eigenen Reichtum zu schützen und zu mehren. Darin besteht der politische Nutzen der Flüchtlingsabwehr, die binnen 14 Jahren mindestens 23.000 Menschen das Leben gekostet hat - wahrscheinlich sogar mehr.
Betrieblicher Profit
Der "Nutzen" der EU-Grenzabschottung lässt sich auch auf betrieblicher Ebene konkretisieren. Zu den Unternehmen, die immer wieder Profit aus der Hochrüstung von Grenzen ziehen, gehört die deutsch-französische Airbus Group mit ihrer Rüstungs-Tochtergesellschaft Airbus Defence and Space (vormals Cassidian). Airbus (damals EADS) hatte bereits 2004 den Auftrag bekommen, die Außengrenzen Rumäniens auf 3.147 Kilometer Länge mit modernster Kontrolltechnologie zu versehen; an der Realisierung des milliardenschweren Projekts, das damals auch deswegen massiv kritisiert wurde, weil es ohne Ausschreibung vergeben worden war, war unter anderem auch Siemens beteiligt. Im südlich an Rumänien grenzenden Bulgarien erhielt Anfang 2010 die Bremer Firma "Signalis" (zuvor "Atlas") den Auftrag, die Überwachung der 350 Kilometer langen bulgarischen Schwarzmeerküste auf den aktuellsten Stand der Technik zu bringen. Ende 2010 meldete Signalis Vollzug. Die bulgarische Grenzpolizei nutzt schon seit Jahren ein TETRA-Funknetz, das Airbus Defence and Space dort installiert hat; dasselbe tut die rumänische Grenzpolizei. Zahlreiche weitere deutsche Unternehmen profitieren vom Aufbau der "Festung Europa", darunter etwa Firmen, die auf Videoüberwachung spezialisiert sind.[10]
Blutend im Stacheldraht
Selbst der messerscharfe Stacheldraht, mit dem die EU-Außengrenzen geschützt werden, kommt zuweilen von Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Kürzlich hat sogenannter "Klingendraht", der an der Grenze zwischen der spanischen Exklave Ceuta und Marokko unerwünschte Migranten am Grenzübertritt hindern soll, für öffentlichen Unmut gesorgt. Beim Versuch, den mehrere Meter hohen Grenzzaun zu überwinden, waren Flüchtlinge ausgeglitten, in den Klingendraht gestürzt, darin hängengeblieben und verblutet. Die Klingen vom Typ "Concertina 22" - 22 Millimeter lang, 15 Millimeter hoch - hatten klaffende Wunden geschlagen. Sie könnten "Sehnen und Bänder, Nerven und Blutbahnen" gleichermaßen durchtrennen, heißt es in einem Bericht.[11] "Concertina 22" wird von der Firma "European Security Fencing" hergestellt, die ihren deutschen Sitz in der Berliner Friedrichstraße hat. Immer wieder, so wird berichtet, kommen Flüchtlinge in den Klingendrahtverhauen ums Leben, die den EU-Staaten die Abwehr unerwünschter Migration, den Grenzzaunproduzenten hingegen Profite sichern. Inzwischen protestiert die Gewerkschaft von Polizei und Grenzschützern in Spanien, deren Mitglieder jeweils die Leichen aus den tödlichen Drahtklingen lösen müssen: "Wir sind nicht bereit, noch mehr Subsaharis zu finden, die blutend im Stacheldraht festhängen".[12]
Keine Auswirkungen
Dass die EU der Kritik nachgeben und die Grenzabschottung lindern wird, kann als ausgeschlossen gelten - zu groß sind deren politischer und ökonomischer Nutzen. Menschenrechtsorganisationen werden in Berlin gerne gehört, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen bei Gegnern der Berliner Außenpolitik berichten, heute etwa in Russland. Keinerlei Auswirkungen hingegen hat in der Regel Kritik an Verbündeten und Partnern der Bundesrepublik. Letzteres gilt ganz besonders für Kritik an Berlin. Der einstige Generalsekretär von Amnesty International, Wolfgang Grenz, hat einmal berichtet, er habe ein deutlich besseres Verhältnis zum deutschen Außen- als zum Innenministerium - ein deutlicher Hinweis, worin aus der Perspektive der Bundesregierung die zentrale Funktion von Menschenrechtsorganisationen besteht.(PK)
Weitere Informationen und Hintergründe über die deutsch-europäische Flüchtlingsabwehr finden Sie hier: Die Revolte von Lampedusa, Wirksam abschieben, Die Eckpfeiler der Flüchtlingsabwehr, Grenzen dicht! (I) und Grenzen dicht! (II).
[1] Die Länder, die weltweit die meisten Flüchtlinge aufnehmen, sind Pakistan, Iran, der Libanon, Jordanien, die Türkei, Kenia, Tschad, Äthiopien, die Volksrepublik China und die USA.
[2] "The Migrants Files" findet sich im Internet unter www.detective.io
[2] "The Migrants Files" findet sich im Internet unter www.detective.io
[3], [4] Amnesty International: The Human Cost of Fortress Europe. Human Rights Violations against Migrants and Refugees at Europe's Borders. London 2014.
[5] S. dazu Libyens Freunde im Norden
[6] S. dazu Interview mit Christopher Nsoh
[7] S. dazu Islamisten als Partner
[8] Amnesty International: The Human Cost of Fortress Europe. Human Rights Violations against Migrants and Refugees at Europe's Borders. London 2014.
[9] S. dazu Eins zu zehn und Interview mit Karl Kopp
[10] Matthias Monroy: Wie europäische Rüstungskonzerne mit der EU-Erweiterung Kasse machen. Telepolis 28.01.2014.
[11], [12] Die Berliner Menschenfalle. www.taz.de 05.03.2014.
Diesen Beitrag haben wirmit Dank von german foreign politics übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58909
[5] S. dazu Libyens Freunde im Norden
[6] S. dazu Interview mit Christopher Nsoh
[7] S. dazu Islamisten als Partner
[8] Amnesty International: The Human Cost of Fortress Europe. Human Rights Violations against Migrants and Refugees at Europe's Borders. London 2014.
[9] S. dazu Eins zu zehn und Interview mit Karl Kopp
[10] Matthias Monroy: Wie europäische Rüstungskonzerne mit der EU-Erweiterung Kasse machen. Telepolis 28.01.2014.
[11], [12] Die Berliner Menschenfalle. www.taz.de 05.03.2014.
Diesen Beitrag haben wirmit Dank von german foreign politics übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58909
Online-Flyer Nr. 467 vom 16.07.2014
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