NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Medien
Ein Artikel, von der FAZ zunächst angenommen, dann aber doch nicht publiziert
Zu den Legenden des Gazakonfliktes
Von Professor Norman Paech

Professor Dr. Norman Paech (*1938) ist emeritierter deutscher Hochschullehrer, wurde 1969 Mitglied der SPD, trat aber 2001 wegen des von der rot-grünen Mehrheit im Bundestag beschlossenen Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan aus der SPD aus und wurde 2005 als Kandidat der PDS erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt. Seit 2007 ist er Mitglied der Partei DIE LINKE, war bis 2009 außenpolitischer Sprecher der Fraktion und ihr Prozessbevollmächtigter im Organstreitverfahren gegen die Tornado-Einsätze in Afghanistan vor dem Bundesverfassungsgericht. Sein wichtigstes politisches Tätigkeitsfeld liegt in der Friedensbewegung. Dieser von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits zur Veröffentlichung angenommene Artikel wurde dann aber ohne Angabe von Gründen doch nicht publiziert. Im Gegensatz zu dieser Haltung der FAZ hat die Badische Zeitung ein Israel-kritisches Interview mit unserer Autorin Evelyn Hecht-Galinski veröffentlicht, das Sie auch in dieser NRhZ-Ausgabe lesen können.   

Professor Norman Paech
Quelle: wikipedia/xtranews.de - Flickr: IMG_2885.jpg
 
Zwei Legenden prägen die Berichterstattung und Kommentierung dieses neuesten Krieges gegen Gaza: Israel handele in Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts, und die Situation sei zwischen Israelis und Palästinensern so verfahren und aussichtslos, dass niemand eine Lösung dieser mörderischen Verklammerung wisse. Beide Legenden sind alt und beherrschen schon seit Jahrzehnten die Druckspalten und Sender der Medien. Beide sind grundfalsch, haben sich aber durch ihre permanente Wiederholung tief in das allgemeine Bewusstsein der Öffentlichkeit eingraviert.
 
Die These vom Selbstverteidigungsrecht ist Israels Basisrechtfertigung für alle Gewalt, die es als Besatzungsmacht an den Checkpoints, mittels täglicher Razzien, Inhaftierungen und Zerstörungen bis hin zu den periodischen massiven Kriegsüberfällen ausübt. Der Widerstand der Palästinenser, ob in einzelnen Selbstmordattentaten und Gewaltattacken oder durch die primitiven Raketen aus Gaza, wird generell als Terror stigmatisiert, dem jede Rechtfertigung fehle. Diesem Muster folgen nicht nur die amerikanische Administration unter Obama und Kerry, sondern auch weitgehend alle europäischen Regierungen einschließlich der deutschen. Den deutschen Medien ist das eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit, sodass es auf der gleichen Stufe der Unantastbarkeit angelangt ist wie die Beschwörung des Existenzrechts Israels. Doch die rechtliche Bewertung von Gewalt und Krieg ist eine ganz andere, wenn man die UNO-Charta und das geltende Völkerrecht zugrunde legt.
 
Nicht Palästina hält Israel besetzt, sondern umgekehrt: Israel hält seit 1967 palästinensisches Territorium besetzt. Dies gilt auch für den Gazastreifen, obwohl Israel 2005 seine Truppen und Siedler abgezogen hatte. Die anschließende Blockade von Land, See und Luft aus ist in den folgenden Jahren von Israel so ausgebaut und verschärft worden, dass der Gazastreifen in den Status der Besetzung zurückversetzt worden ist. Dies wird auch vom deutschen Außenamt so gesehen. Im kolonialen Völkerrecht des 19. Jahrhunderts konnte sich die Kolonialmacht bei der Niederschlagung des Widerstands der Kolonisierten noch auf ihr Verteidigungsrecht berufen. Das ist mit dem Ende der Kolonialreiche jedoch vorbei und lebte im Besatzungsrecht des 20. Jahrhunderts auch nicht wieder auf.
 
Die Besatzung ist jedoch Ausgangspunkt aller Probleme und der Gewalt in dieser Region. Sie ist eine vom humanitären Völkerrecht der Haager Konventionen von 1907 und der Genfer Konventionen von 1949 mit zahlreichen Rechten aber auch Pflichten ausgestattete Form der Kriegsführung. So erlaubt Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung von 1907 dem besetzenden Staat nur, die natürlichen Ressourcen des besetzten Landes, ob es Erdöl oder Erdgas, Wasser oder Wälder, Steinbrüche, Ackerland oder Plantagen sind, als Verwalter zu benutzen. Er darf es nicht für sich allein ausbeuten, sondern nur insoweit, als Ertrag und Gewinn der einheimischen Bevölkerung zugute kommt. Die militärischen Interessen der Besatzung müssen auf die zivilen Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Dafür hat die Zweite Genfer Konvention eine Reihe von Besatzungspflichten kodifiziert: so die Regelung des Arbeitseinsatzes und die Versorgung mit Lebensmitteln und ärztliche Fürsorge (Art. 51 ff. II. Genfer Konvention). Privateigentum darf nur dann und auch nur mit Entschädigung requiriert werden, wenn es für die Zwecke der Besatzung notwendig ist. Die Ansiedlung der eigenen Bevölkerung auf besetztem Gebiet ist ohne Ausnahme verboten (Art. 46 ff. II. Genfer Konvention). Eine auch nur oberflächliche Betrachtung der Besatzungspraxis der Israelis zeigt aber, dass sie keine dieser Pflichten erfüllen, ja sie durch ihre Siedlungs- und Blockadepolitik vorsätzlich und mit den radikalsten Mitteln verletzen.
 
Besatzung ist darüber hinaus nur zeitlich begrenzt berechtigt, solange sie militärisch für die Sicherheit der Besatzungsmacht notwendig ist. Das ist ein dehnbarer Begriff. Für Israel hat sie sich im Laufe der Jahrzehnte allerdings von einer Bedingung für seine Sicherheit in eine Bedrohung verwandelt. Der UNO-Sicherheitsrat, die Generalversammlung und der Internationale Gerichtshof in Den Haag haben sie wiederholt als völkerrechtwidrig bezeichnet und den Rückzug Israels gefordert. Schon lange gibt es keine rechtliche Grundlage mehr für diese Besatzung. Der von der israelischen Regierung eingeführte und auch von der deutschen Regierung übernommene Begriff "Autonomiegebiete“ verschleiert gezielt den tatsächlichen und juristischen Status der besetzten Gebiete. Daran ändert sich nichts, weil Israel die Geltung der Genfer Konventionen für die palästinensischen Gebiete nicht anerkennt. Der Trick seiner Juristen lautet: die Konventionen gelten nur zwischen Staaten, zu denen die besetzten Gebiete nicht gehören. So simpel dieser Trick, so falsch ist er. Er verdreht das Schutzziel der Konventionen, welche nicht für die Staaten, sondern für Menschen gelten, egal wo und in welcher gesellschaftlichen Organisation sie leben.
 
Wer eine völkerrechtswidrige Besatzung aufrechterhält und seine Pflichten nicht nur vernachlässigt sondern grob verletzt, dem steht nicht das Recht auf Selbstverteidigung zu. Er ist ein Angreifer, gegen den Widerstand erlaubt ist. Die UNO-Generalversammlung hat bereits 1974 mit den Resolutionen 3236 und 3327 die PLO als legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt. Das bedeutete die Anerkennung des vollen Selbstbestimmungsrechts für das palästinensische Volk sowie das Recht, es mit allen Mitteln durchzusetzen. Schon damals erhielt die PLO einen Beobachterstatus bei der UNO, und der bewaffnete Kampf wurde als legitimes Mittel akzeptiert. Diese Rechte waren bereits den südafrikanischen Befreiungsbewegungen ANC, PAC und SWAPO, der angolanischen MPLA und der FRELIMO in Mosambik zuerkannt worden. Im Gegensatz zu den afrikanischen Völkern ist der Kolonialstatus der Palästinenser immer noch nicht beendet – ihr Recht, ihre Befreiung auch mit militärischen Mitteln zu erkämpfen aber ebenfalls nicht. Dieser Widerstand der Palästinenser ist ebenfalls an das humanitäre Völkerrecht gebunden und verbietet den Angriff auf zivile Ziele. Die Raketen aus dem Gazastreifen sind daher ohne Zweifel völkerrechtswidrig. Sei es, dass sie auf Grund technischer Mängel oder durch programmierte Zielvorgaben keinen Unterschied zwischen militärischen und zivilen Zielen machen. Sich dagegen zu schützen, ist das selbstverständliche Recht der Israelis. Sie tun das offensichtlich äußerst effektiv mit ihrem Luftabwehrsystem „iron dome“. Ihr Krieg gegen den Gazastreifen ist jedoch absolut unverhältnismäßig und daher völkerrechtswidrig.
 
Das mag alles angesichts des so ungleichen Kräfteverhältnisses der Gegner und des absolut desolaten Zustandes der militärischen Mittel der Palästinenser sehr theoretisch klingen. Ganz abgesehen davon, ob militärische Mittel in diesem Konflikt in dieser Zeit überhaupt noch ein Problem zu lösen vermögen. Ein Blick auf das in letzter Zeit so vielfach beschworene Völkerrecht vermag allerdings den einzig möglichen Weg zu einer dauerhaften Friedenslösung zwischen Israelis und Palästinensern, die auch den nächsten Waffenstillstand überdauert, offen zu legen: die Aufhebung der Besatzung. Ein Waffenstillstand ohne die Zusicherung, die Blockade zu beenden, verlängert den unerträglichen Zustand nur um weitere Jahre bis zum nächsten Ausbruch der Gewalt. (PK)


Online-Flyer Nr. 472  vom 20.08.2014

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE