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Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

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Krieg und Frieden
Antikriegskonferenz im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ in Berlin
Medienkrieg um Ukraine und Irak
Von Daniela Lobmueh

Kennt die von NATO-Kriegstrommeln dröhnende westliche Welt heute noch ein Forum, wo IranerInnen und US-AmerikanerInnen gemeinsam um Frieden und Abrüstung ringen? Hier in Berlin gab es eines: Etwa 150 Friedensbewegte trafen sich am Wochenende im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ in Berlin. Die Redner waren überwiegend pensionierte Professoren der Uni Bremen, wie der Hauptorganisator Rudolph Bauer, ferner der Universitäten Mainz und Rom. Dazu kamen Medienarbeiter, Juristen und Aktivisten, etwa der Mediziner Matthias Jochheim von IPPNW.
 

Wolfgang Bittner, Egon-Erwin-Kisch-Preis-
und Kölner Karls-Preisträger
NRhZ-Archiv
Die politische Kaste stellte nur eine Rednerin: Ulla Jelpke von der Linken im Bundestag fand wenig Begeisterung für ihr Bekenntnis, keine Pazifistin zu sein, nebst ihrem Eintreten für Waffenlieferungen an die Kurden, damit diese gegen den IS kämpfen. Denn der heutige Krieg gegen IS und ISIS weist allzu viel Ähnlichkeit mit dem Iran-Irak-Krieg Anfang der 80er Jahre auf. Damals wie heute schockieren uns die Medien mit Berichten über Kriegsgräuel, verschweigen aber die Hintergründe. Auch heute werden Moslems auf beiden Seiten mit Geld vom Westen aufgerüstet und wird „Krieg gegen die Bösen“ als einzige Lösung aller Probleme propagiert. Die Iranerin Schwester Maryam Djamshidiat, die im Gegensatz zu Jelpke alle Veranstaltungen besuchte, hatte von ihren Erfahrungen aus dem Irankrieg berichtet und besonders auf die Gasangriffe Saddam Husseins auf den Iran hingewiesen. Jelpkes Aufforderung an die Teilnehmer der Konferenz, sich doch auch künftig wieder mehr für den Frieden zu engagieren, wurde vom Hauptveranstalter Rudolph Bauer postwendend zurück gegeben: Die Linke und ihre staatlich finanzierte Rosa-Luxemburg-Stiftung sollten sich doch mehr einbringen, schlug der pensionierte Professor für Wohlfahrtspolitik vor, und selbst Veranstaltungen wie diese organisieren.
 
Ukraine-Konflikt und Medienversagen
 
Die meisten Redner thematisierten den schwelenden Ukraine-Konflikt und dabei besonders die verzerrenden und kriegstreiberischen Berichte in deutschen Mainstream-Medien. Den kräftigsten Beifall bekam dafür der Jurist und Schriftsteller Wolfgang Bittner, Egon-Erwin-Kisch-Preisträger 1978 und Kölner Karls-Preisträger 2010. Er geißelte westliche Medien und Politik und zeichnete minutiös die Ereignisse in der Ukraine und ihre verlogene Ausnutzung zur Propaganda nach: Von der vom Westen finanzierten Revolte, über die ungeklärten Massenmorde, die entweder den so dämonisierten Gegnern des Westens, Janukowitsch und Putin, ohne Beweise angehängt (Maidan-Sniper, MH-17-Abschuss) oder totgeschwiegen wurden (Massaker an Janukowitsch-Anhängern in Odessa) bis zur teils wöchentlich neu behaupteten „russischen Invasion“, von der nie eine echte Spur zu finden war.
 

Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Bürger-
rechtsaktivist und Kölner Karls-
Preisträger NRhZ-Archiv
Das Thema Krieg und Medien fand sich auch in einer Schulbuch-Kritik, die nachwies, dass kritisches Denken in Sozialkunde heute durch subtilen Block-Patriotismus für „den reichen Westen“ ersetzt wird, sowie bei Susann Witt-Stahl (schreibt für „Melodie und Rhythmus“) zur Militarisierung der Popmusik bzw. -kultur und Michael Schulze von Glaßer zu Video-Kriegsspielen. Der Bremer Informatiker Hans-Jörg Kreowski folgte mit dem Thema IT und Cyberkrieg, ebenso der Jurist Rolf Gössner, der die NSA geißelte und 2012 mit dem Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik ausgezeichnet wurde.
 
Neoliberale Kriegswirtschaft
 
Zum Thema Wirtschaft und Krieg erläuterte der Korruptionsforscher Werner Rügemer, wie imperiale Machtpolitik unter dem Deckmantel des „Freihandels“ betrieben wird, aktuell etwa im Deregulierung und Privatisierung durchsetzenden TTIP. Sein Kollege, der Kriminologe Thomas Barth, stellte unter dem „Stichwort Blackwater“ die neue Dimension der Privatisierung der Kriegsführung vor und erweiterte die Perspektive auf die im Westen dominierende Ideologie des Neoliberalismus: Dieser schwäche den Sozial- und Rechtsstaat, da hoheitliche Funktionen wie Militär, Geheimdienste, aber auch im zivilen Bereich Polizei, Haftanstalten und viele weitere Dienstleistungen demokratischer Kontrolle entzögen würden. Als Beispiel neben der notorischen Söldnerfirma Blackwater nannte er den Weltmarktführer G4S, der mit 650.000 Beschäftigten bereits zum (nach Walmart) größten Arbeitgeber der Welt aufgestiegen sei. G4S habe von der Gefängnis- und Polizeiprivatisierung profitiert und sei in Großbritannien (UK) für brutale Abschiebungen berüchtigt, bei denen jüngst ein Angolaner zu Tode kam.
 
Der Politologe Volker Eick, der selbst später zum Drohnenkrieg referierte, argumentierte dagegen, die Mutterländer des Neoliberalismus, die USA und das UK, wären doch keine schwachen Staaten. Sie hätten sogar ihre Staatsquote erhöht, und G4S sei vor allem für seine Geldtransporte bekannt. Eick hatte offenbar überhört, dass es um die Schwäche des Rechtsstaats nach innen ging, nicht um die Stärke des Nationalstaats nach außen. Letztere nimmt natürlich mit Hilfe von Söldnerfirmen zu, die ohne Kontrolle jenseits der Genfer Konvention morden und foltern. Überhört hatte Volker Eick offenbar auch die Warnung Barths, die Söldnerfirmen stellten bei Verletzungen der Menschenrechte gern ihre harmlosen Servicebereiche in den Vordergrund – der Angolaner Jimmy Mubenga wurde aber von G4S-Mitarbeitern sicher nicht in einem Geldtransporter zu Tode gequält.
 
Abschließend stellten Julian Firges und Claudia Holzner, die an der Uni Kassel studieren, ihre Arbeit für Zivilklauseln vor: Wissenschaft und Forschung sollten sich verpflichten, nicht im Bereich Militär tätig zu sein. Sie hatten alle Professoren ihrer Universität aufgesucht, aber kein einziger war bereit gewesen, sich ihrem Projekt anzuschließen. Die finanzielle Austrocknung der Bildung zwinge deutsche Hochschullehrer heute zur Jagd nach „Drittmitteln“, die besonders in militärisch nutzbaren Forschungsgebieten sprudelt.
 
Schwester Maryam Djamshidiat bereicherte viele der Konferenzvorträge mit teils langen bewegenden Beiträgen, die den Beifall der ca. 150 Kongressbesucher fanden. Die bekennende Muslima floh vor 30 Jahren aus dem Iran, lebt in Bremen und arbeitet in Nigeria an einem christlich-islamischen Friedensprojekt. Die nicht nur äußerlich an Mutter Theresa erinnernde Schwester berichtete von ihren Erfahrungen aus dem Krieg Iran-Irak, von kranken und sterbenden Kindern nach Giftgasangriffen auf den Iran. Unsere Medien zeigen bis heute immer nur die von Diktator Saddam Hussein vergasten kurdischen Kinder. Sie mussten, als „Angriff aufs eigene Volk“, für George Bush I. als Kriegsgrund herhalten. Und sie werden bis heute immer wieder als visuelle Rechtfertigung für drei Jahrzehnte blutige Bekriegung und Besetzung des Irak missbraucht.
 
Das war zwar nur halb gelogen, im Gegensatz zu den uns mit gefälschten Beweisen von George Bush II. und NATO-freundlichen Medien vorgespiegelten Massenvernichtungswaffen bei der Besetzung des Irak. Verschwiegen werden die Leiden des Iran unter den Kriegsverbrechen des vom Westen gepäppelten und bewaffneten Saddam. Verschwiegen werden meist auch (aber nicht auf dieser Friedenskonferenz) die Leiden der mit Krieg überzogenen Menschen unter der von den USA eingesetzten Uran-Munition. Die angeblich nur der besseren Durchschlagskraft wegen mit Uranabfällen aus der Atomindustrie versetzten Granaten lassen ein verseuchtes Land mit Krebs und Erbkrankheiten für viele künftige Generationen zurück. Dies führt weltweit, von Bagdad über Belgrad bis Kabul, zur dauerhaften Schwächung der vermeintlichen Feinde der USA durch Siechtum und Tod.
Verschwiegen wird meist auch, dass im damaligen Iran-Irak-Krieg die USA sowohl den verbündeten Irak mit Waffen belieferten als auch heimlich den Iran, wie erst viel später in der Iran-Contra-Affäre enthüllt wurde. Dies geschah aus der zynischen Überlegung heraus, dass Moslems, die man zu Hass und Gewalt aufstacheln kann, sich am besten gegenseitig umbringen sollten.
 
Mit starkem US-Akzent vorgetragen wurden in der Schlussrunde Fragen zum Abbau der US-Militärbasen in Deutschland, deren Weiterbestehen nach Friedensschluss 1990 (rechtlich zweifelhaft) durch Austausch von Regierungsnoten zwischen Bonn und Washington besiegelt wurde. Eigentlich hätte dies damals durch einen Parlamentsbeschluss legitimiert werden müssen – doch das Thema fand wenig Interesse bei den Versammelten. Die beiden Besucher aus den USA ließen nicht erkennen, ob sie diese Gleichgültigkeit eher beruhigte oder frustrierte. (PK)
 
Weitere Informationen finden Sie unter www.antikriegskonferenz.de


Online-Flyer Nr. 480  vom 15.10.2014

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