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Inland
Neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)
Reichtum in Deutschland wächst und verfestigt sich
Von Franz Kersjes

Ebenso wie die Armut hat auch der private Reichtum in Deutschland über die vergangenen zwei Jahrzehnte deutlich zugenommen. Der Anteil der Personen, die nach dem in der Wissenschaft verbreiteten relativen Reichtumsbegriff reich oder sehr reich sind, liegt heute um ein gutes Drittel höher als Anfang der 1990er Jahre: Galten 1991 noch 5,6 Prozent aller Menschen in Deutschland wegen ihres verfügbaren Haushaltseinkommens als reich oder sehr reich, waren es 2011, dem jüngsten Jahr, für das Daten vorliegen, 8,1 Prozent. Zudem haben vor allem die Einkommen der sehr Reichen stärker zugelegt als im Durchschnitt der Gesellschaft.

Trauerfeier für den reichsten Kölner am 15.1.2005 – Alfred Freiherr von Oppenheim. Der Bankier der größten Privatbank Europas hinterließ u.a. 2,6 Milliarden US-Dollar Privatvermögen
Foto: Arbeiterfotografie
 
Das liegt wesentlich am höheren Anteil, der reichen und insbesondere sehr reichen Personen aus Kapitaleinkommen zufließt. Und: Wer einmal reich oder sehr reich ist, muss zunehmend weniger fürchten, beim Einkommen in die Mittelschicht "abzusteigen". Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.(1) "Die sehr Reichen setzen sich vom Rest der Bevölkerung regelrecht ab", schreiben die WSI-Verteilungsexpertin Dr. Dorothee Spannagel und ihr Ko-Autor Sven Broschinski von der Universität Oldenburg.
 
Die Untersuchung basiert auf Daten aus dem sozio-oekonomischen Panel (SOEP), einer jährlichen Wiederholungsbefragung in mehreren tausend Haushalten. Reich ist nach gängiger wissenschaftlicher Definition, die zum Beispiel auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung verwendet, wer in einem Haushalt lebt, der das Doppelte und mehr des mittleren verfügbaren Jahreseinkommens hat. Dieses beträgt rund 18.000 Euro pro Person. Für Alleinstehende gilt demnach: Eine Person, die netto, nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben und nach Anrechnung von staatlichen oder privaten Transfers, mindestens knapp 36.000 Euro im Jahr als verfügbares Einkommen hat, gehört zur Gruppe der Reichen. Als sehr reich wird bezeichnet, wer mindestens dreimal so viel wie üblich hat. Die Untergrenze für einen Alleinstehenden liegt hier also bei knapp 54.000 Euro. In Mehrpersonenhaushalten werden die Grenzen nach Erwachsenen und Kindern gewichtet und sind entsprechend höher.
 
Gemessen an den Einkommen von Konzernvorständen, Investmentbankern oder Spitzensportlern scheint die Schwelle recht niedrig gezogen zu sein. Tatsächlich gebe es ein Problem bei der wissenschaftlichen Erfassung von Millionären und Milliardären, sagt WSI-Forscherin Spannagel: Superreiche sind relativ selten und auf Diskretion bedacht, deshalb sind sie bei allen Befragungen unterrepräsentiert. Doch von einer "gehobenen Lebenslage, mit der zahlreiche privilegierte Lebensbedingungen verbunden sind", lasse sich durchaus schon bei Personen sprechen, die jeden Monat mindestens doppelt so viel ausgeben können wie der Durchschnitt, betont die Wissenschaftlerin. "Unsere Studie analysiert gewissermaßen den unteren Bereich des Reichtums in Deutschland. Darüber erfährt man schon eine Menge. Und die Ergebnisse legen nahe, dass die Superreichen sich noch deutlich stärker und schneller von der Mitte der Gesellschaft entfernen als die Personen, die in der Studie untersucht wurden."
 
Sehr Reiche werden reicher
 
Das zeigt sich nach Analyse der Forscher schon beim Vergleich von reichen und sehr reichen Personen. Letztere Gruppe ist zwar sehr klein, doch ist sie im Verhältnis besonders stark gewachsen - von 0,9 Prozent aller Personen 1991 auf 1,9 Prozent im Jahr 2011. Gleichzeitig haben die sehr Reichen ihre mittleren Einkommen in diesem Zeitraum auch besonders deutlich steigern können: Preisbereinigt um rund 20 Prozent. Dagegen erzielten die Reichen einen realen Zuwachs von 5 Prozent. Das mittlere Einkommen der Menschen unterhalb der Reichtumsgrenze stieg lediglich um 4 Prozent. Die Wirtschafts- und Finanzkrise brachte zwar einen kurzzeitigen Rückschlag, sie habe aber weder die Zahl der Reichen noch deren Einkommenshöhe "nachhaltig verringert", beobachten Spannagel und Broschinski.
 
Vermögenseinkommen gewinnen an Bedeutung
 
Einen wesentlichen Grund für den wachsenden Einkommensvorsprung insbesondere der sehr Reichen sehen die Wissenschaftler im höheren Gewicht der Kapitaleinkommen in ihren Haushalten. Da Menschen mit hohen Einkommen sehr häufig auch größere Vermögen besitzen, profitieren sie in besonderem Maße von Zinsen, Dividenden oder Mieteinnahmen. Gerade während der 2000er Jahre haben sich Kapitaleinkommen deutlich stärker entwickelt als Lohneinkommen. Und durch die pauschale Abgeltungssteuer werden sie niedriger besteuert als Arbeitseinkommen. Bei den sehr Reichen stammten so 2011 rund 24 Prozent des Einkommens aus Vermögen, bei den Reichen waren es noch 12 Prozent. Unter Menschen mit mittleren Einkommen machen die Vermögenserträge dagegen 8 Prozent aus, bei ärmeren lediglich vier Prozent. Im Zeitverlauf schwankt die Quote bei den Reichen und sehr Reichen zwar etwas, in der Tendenz ist sie seit Anfang der 1990er Jahre aber vor allem bei den sehr Reichen kräftig gestiegen.
Die Bedeutung der Erwerbseinkommen nahm spiegelbildlich ab. Allerdings liegt ihr Anteil selbst bei den sehr Reichen noch bei rund 70 Prozent. Staatliche Transfers wie etwa Kindergeld oder Renten spielen bei den Einkommen der sehr Reichen und Reichen eine deutlich geringere Rolle als in der Mittelschicht und vor allem bei Ärmeren. Gleichwohl machten sie 2011 rund 6 bzw. 13 Prozent aus.
 
Bildungsgrad, Beruf und Familienstand bestimmen Reichtum
 
Wer sind die Reichen und sehr Reichen? Die WSI-Studie liefert auch dazu soziodemografische Daten. Bildung hat erwartungsgemäß einen großen Einfluss. So haben Abiturienten eine rund doppelt so hohe Chance, reich oder sehr reich zu sein wie Personen mit mittlerer Reife. Umgekehrt sinkt die Wahrscheinlichkeit für Menschen mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschlusszeugnis.
Schaut man auf die Berufe, machen Angestellte zwar den größten Teil der Reichen aus. Mit Blick auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung, sind aber Selbständige, Freiberufler und Unternehmer unter den Reichen und vor allem den sehr Reichen deutlich überrepräsentiert. Ihre Chance, sehr reich zu sein, ist mehr als 3,5 mal höher als bei Angestellten. Beamte sind vor allem unter den Reichen relativ gut vertreten. Arbeiter und nicht Erwerbstätige bilden hingegen in beiden Gruppen nur eine kleine Minderheit.
Auch zwischen der Haushaltsstruktur und dem Einkommen besteht ein signifikanter Zusammenhang: Paare ohne Kinder finden sich am häufigsten unter den Reichen und insbesondere den sehr Reichen. Schließlich gibt es weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen alten und neuen Ländern: 2011 zählten nur 3,1 Prozent der Ostdeutschen zu den Reichen, verglichen mit 9,4 Prozent im Westen.
 
Reichtum verfestigt sich

Im Zeitverlauf von 1991 bis 2011 habe sich die Einkommensverteilung am oberen Rand "merklich verfestigt", konstatieren die Wissenschaftler. Da die Gruppe der Reichen insgesamt gewachsen ist, sind die Chancen, aus darunter liegenden Gruppen aufzusteigen, zwar relativ konstant geblieben. Abstiege aus der Gruppe der Reichen oder sehr Reichen sind hingegen über die Jahre deutlich seltener geworden.
Was für die betroffenen Besserverdiener erfreulich ist, stellt die Gesellschaft insgesamt vor Probleme, betonen Spannagel und Broschinski. Die zunehmende Konzentration der Einkommen und Vermögen am oberen Ende der Hierarchie vergrößerten die Ungleichheit. Dieser Prozess werde durch Erbschaften über Generationen hinweg reproduziert und verstärkt. Reiche und sehr Reiche geben nur einen relativ kleinen Teil ihrer Einkommen und Vermögen aus und können einen Großteil zurücklegen. Ein Grund, warum wachsende Ungleichheit das Wirtschaftswachstum bremse. "Dies wird selbst vom Internationalen Währungsfonds wahrgenommen", verweisen die Forscher auf entsprechende Studien. Gleichzeitig, warnen Spannagel und Broschinski, "kann die wachsende Polarisierung den sozialen Frieden und die soziale Kohäsion in einer Gesellschaft nachhaltig gefährden."
 
(1) Dorothee Spannagel, Sven Broschinski: Reichtum in Deutschland wächst weiter, WSI-Report 17, September 2014.
Download: www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_17_2014.pdf
 
Diesen Artikel hat uns dankenswerterweise Franz Kersjes aus seiner www.weltderarbeit.de zur Verfügung gestellt. - franz.kersjes@netcologne.de


Online-Flyer Nr. 480  vom 15.10.2014

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