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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Glossen
Spitzmarken – diesmal gleich für zwei Herren aus dem Deutschen Bundestag
Mal richtig ausgekotzt
Von Volker Bräutigam

Für diese NRhZ-Ausgabe hat unser Autor Volker Bräutigam gleich zwei seiner "Spitzmarken" verfasst – eine für einen Abgeordneten der LINKEN und eine für den Bundestagspräsidenten.Dr. Alexander Neu, LINKE-Heulsuse im Reichstag. - Das haben Sie aber fein in die Tonne formuliert: „(...) eine Kontroverse im Verteidigungsaus-schuss, bei der ich (...) feststellte, dass der Westen mindestens genauso an der Eskalation und Verschärfung des Ukraine-Konflikts beteiligt sei und ebenso aggressiv auf die Ukraine zugreife wie Russland. Dies (...) endete in der Absetzung der geplanten Obleute-Unterrichtung durch den BND-Präsidenten Dr. Schindler über den Abschuss des Flugzeuges MH 17 über der Ukraine – mit dem Argument der CDU- und SPD-Obleute, es handele sich um Geheimnisse, für die ich nicht vertrauenswürdig sei. (...)“

Öha. Das Fünfergrüppchen der Obleute des Verteidigungsaus-schusses hat sich über das Thema Ukraine gekabbelt. Dann hat die unions-christfundamentalistische, resp. Spezialdemokratische und somit NATO-olivgrüne Mehrheit des Grüppchens beschlossen, lieber ganz auf die lichtvollen Erkenntnisse zu verzichten, mit denen der BND-Chef sie hatte anschmieren sollen, als Ihnen von der PDL-Fraktion auch was von der Gülle zu gönnen. Statt das als ungewollte Beihilfe zur Herstellung politischer Hygiene zu begreifen, pumpen Sie wie der Maikäfer vorm Abflug: „(...) Das ist weder demokratisch, noch ist es ein würdiger Umgang mit einem gewählten Volksvertreter (...) Ich werde dieses Verhalten nicht hinnehmen. (...) “
 
Ach. „Nicht hinnehmen“. Jetzt geht´s lohooos! Was werden Sie machen? Die staatstragenden Kriegervereine CDU, CSU, SPD und Grüne, diese Demokratiebestattungsinstitute, hoch versichern und dann tief anzünden? Den Bundestag, diesen Hohn auf die republikanische Idee, aus der Glaskuppel herab schön langsam zuscheißen? Oder wenigstens Biermanns Klampfe klauen und ein ebenso grottenschlechtes Ständchen, wie der es dem andächtig lauschenden Plenum antat, in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses ablassen, auf dass diesem Sauhaufen von servilen Volksvertretern Hören und Sehen vergehe? Nee. Sie setzen ´ne larmoyante Presseerklärung ab! Und halten das für politische Aktion.
 
Anstatt den Pikierten zu geben, dem man aufs Schwänzlein trat, hätten Sie zeigen sollen: „Hier lässt die Regierung ihre Höflinge gegen die Volksvertretung putschen,“ um Andreas Hauß zu zitieren (www.Medien-Analyse International.de). „Hier wurde nicht ein Lobbyist der Linken, Putins oder wessen auch immer an der Arbeit gehindert, sondern das GESAMTE Volk seiner Rechte bzgl. der Kontrolle der Regierung beraubt (...)“ (A.H., ebd). Warum kein markiger Protest bei Bundestagspräsident Lammert, keine demonstrative Brüllorgie im Plenum, kein Gang nach Karlsruhe, kein Schwefel und Gestank ...?
 
O je, Sie sinken lieber zurück ins Abgeordneten-Fauteuil. Tun Sie es in der Gewissheit: Sie sind nicht der einzige Maikäfer, der pumpt - und dann doch nicht abhebt.
 
Norbert Lammert, Bundestagspräsident, Zweiter Mann im Bananenstaat. - Zugegeben, ein Weilchen habe ich mich in Ihnen getäuscht und Ihnen stillen Respekt gezollt, weil Sie manchmal den Unparteiischen markierten, der die Rechte des Parlaments bei der Regierung einforderte. Bis Sie sich - Humor ist, wenn es trotzdem kracht - jetzt doch nur als Vertreter der Regierungsmacht und als amtsgeschwollenes Mitglied der Spießermehrheit im Reichstag erwiesen: Sie luden fürs Rahmenprogramm zur Gedenkfeier am 25. Jahrestag des „Mauerfalls“ einen alternden Flegel ein, der sich - erwartungsgemäß - im Hohen Hause genauso stilecht ausnahm wie ein antrocknender Rotzlöffel auf dem Frühstückstisch. Sie fanden offenkundig nicht, dass Sie Ihren „Ehrengast“ besser bei seiner Rotweinbuddel in der Villa an der Hamburger Elbchaussee gelassen hätten. Und Sie erwiesen sich damit als geeigneter Anführer der pumpenden Maikäfer im Reichstag (s.o.).
 
Zunächst, damit wir das endlich mal abgearbeitet haben: Die Vokabel „Mauerfall“ ist sprachlich ein ähnlich absichtsvoller Missgriff, wie „friedliche Revolution“ und „Wiedervereinigung“ geschichtsklitternde Kampfbegriffe sind. Die Berliner Mauer und der abschreckende Gartenzaun durch Deutschland sind nicht „gefallen“. Sie wurden von den DDR-Grenztruppen friedfertig geöffnet, und zwar auf Anordnung des Politbüros des ZK der SED. Nicht aufgrund einer „Revolution“, sondern unter dem Druck einer Serie berechtigter, massenhafter Protest-Demonstrationen von DDR-Bürgern. Demonstrationen, die allerdings in eine fatale Konterrevolution mündeten. Ergebnis: ein „Gewaltakt namens Wiedervereinigung“ (so der Schriftsteller Rolf Hochhuth). Es kam zum Anschluss, diesmal der DDR an die BRD. Beide Staaten belastet von Rechtsbruch, Machtmissbrauch, Geheimdienstterror und tausendfachen gewaltsam gebrochenen Biografien. Ein Anschluss mit der Folge eines abscheulichen kapitalistischen Raubes am Volksvermögen der DDR (Treuhand), massiver Verschärfung des Klassengegensatzes (Hartz-Gesetze) und wiederbelebter deutscher Kriegspolitik (Liquidierung Jugoslawiens, nachfolgende BW-Auslandseinsätze).
 
Für keine dieser Entwicklungen nach dem Anschluss gab es jemals ein Einvernehmen zwischen Bundestag einerseits und dem Volk andererseits. Das Volk blieb immer außen vor. Sie, Dr. Lammert, Bundestagspräsident und damit doch nur formal und protokollarisch der zweithöchste Repräsentant dieses Volkes, wissen das natürlich genau: Keine Zustimmung des Volkes, weder zum Sozialabbau, noch zur polizeistaatlichen Überwachung, zum Demokratieverzicht und erst recht nicht zur deutschen Kriegsbeteiligung.
 
In besagter Feierstunde verfolgten Sie und Ihre Gesinnungskumpane auf der Regierungsbank sowie in den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Grünen grienend, wie der von Ihnen geladene Gast im Hohen Hause Ihre parlamentarischen Kollegen von der PDL-Fraktion verhöhnte. Ein Grölbarde, der sich noch heute als Künstler von Rang betrachtet und nicht erkennt, dass seine Darbietung längst den Abschied vom guten Geschmack darstellt.
 
Schlichter Anstand hätte geboten, dass Sie, der Hausherr, sich namens der Gesamtheit des Parlaments die Pöbelei aus der Gosse verbitten. Und da Sie sich als untätig erwiesen, hätten alle Mandatsträger aufstehen und sich vor die verunglimpften Kollegen der LINKEn stellen müssen. Doch nix da im hohen Hause: Biermann war Furz im Parfümladen, und Sie und Ihre Gesinnungsfreunde klopften sich innerlich begeistert auf die Schenkel, ließen des Barden Blähungen durch die Abgeordnetensessel streichen und drehten sich virtuell-empört zur PDL-Fraktion um: „Hier stinkt es aber.“ Nichts haben Sie alle von Ihrer grundgesetzlichen Funktion begriffen.
 
Sie machen keine Politik für das Volk, sondern zelebrieren Staatsgewalt über das Volk, gegebenenfalls auch, indem Sie schadenfroh die paar Nonkonformisten und missliebig-zeitkritischen Kollegen im Reichstag anpöbeln lassen. Gemäß de-facto-Regierungspraxis begnügen Sie sich mit der Rolle eines angepassten Bananenstaatsrepräsentanten, jenseits aller republikanischen Ideen. Ein klassisches Zitat mag Ihnen da weiterhelfen:
 
„Der Staat, wer ist das? Die Regierung, die gerade im Sattel sitzt? Wie das? Die Regierung ist doch allenfalls ein Diener, sogar ein nur befristet angestellter Diener. Undenkbar, dass dem das Privileg zukomme, zu bestimmen, was richtig ist und was falsch. Zu entscheiden, wer Patriot ist und wer nicht. Aufgabe der Regierung ist es, Anordnungen zu befolgen und nicht, Befehle zu erteilen.“ (Mark Twain, Oktober 1907, in einer Zeitungskolumne).
 
Anordnungen des Volkes sind hierzulande dazu da, von staatlichen Repräsentanten in den Wind geschlagen zu werden. Die staatsfrommen Massenmedien machen es nach. Und der parasitäre Geldadel verachtet alle und alles. Unterm Strich: soziale Spaltung, Friedensverrat, Krieg, Kumpanei mit Faschisten und Diktaturen, Kuschen vor der Wall-Street-Diktatur.
 
Man muss zugeben, Herr Bundestagspräsident, der Biermann passte letztlich doch wieder ins Bild. Ich lege jetzt eine Platte mit Liedern von „Väterchen Franz“ auf, von Franz Josef Degenhardt, dem Juristen, der alles war, was Biermann nicht ist: Ein aufrechter Sozialist. Ein mitreißender und anrührender Poet. Ein guter Musiker. Ein dem Volk zugewandter Künstler. Ein freier, bewundernswerter Mensch - natürlich ohne Bundesverdienstkreuzbehang.
Volker Bräutigam
(PK)
 
Volker Bräutigam war von 1975 bis 1985 Redakteur in der Tagesschau-Zentrale Hamburg und stand auch danach noch, bis 1995, dem öffentlich-rechtlichen NDR (in der Hauptabteilung Kultur) als Journalist zu Diensten.


Online-Flyer Nr. 484  vom 12.11.2014

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