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Kultur und Wissen
Anmerkungen zu einem Buch über die 70er/80er Jahre in Köln
1,8 kg Geschichte einer Stadt mit Lücken
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am Donnerstag, dem 4. Dezember 2014 war es soweit. Im Großen Saal des Bürgerzentrums Alte Feuerwache in der nördlichen Altstadt Kölns wurde das bei Kiepenheuer & Witsch verlegte, von Reiner Schmidt, Anne Schulz und Pui (Schmidt2) von Schwind herausgegebene, 1,8 Kilogramm schwere Text-Buch "Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln – alternativ, links, radikal, autonom" vorgestellt. "125 Autoren und Autorinnen, die damals angetreten waren, um die Stadt, das Land und die Welt zu verändern, erzählen in diesem Buch von ihren Erfahrungen in alternativen, linksradikalen, sozialistischen, sozialdemokratischen, kommunistischen, anarchistischen, trotzkistischen, autonomen und grünen Kontexten in Köln. Geschichte, aus einer höchst unoffiziellen Perspektive", heißt es im Hinweis auf die Veranstaltung. Auf rund 630 Seiten präsentieren die HerausgebernInnen „Oral History“ in synonym und anonymer Darstellung.
Buchvorstellung im Bürgerzentrum Alte Feuerwache am 4.12.2014 – die Plätze auf dem Podium warten darauf, von Herausgebern und Vertretern des Verlags eingenommen zu werden (Foto: arbeiterfotografie.com)
"De omnibus dubitandum" – "An allem ist zu zweifeln"
Ein großer Teil der 125 Autoren und Autorinnen war gekommen, um die Saalveranstaltung in der Alten Feuerwache, dem einst umkämpften selbstverwalteten Bürgerzentrum, zu besetzen. Günter Wallraff fehlte. Aber er hat dem Buch ein Grußwort mit auf den Weg gegeben: „Von den Hippies bis zu den Punks und Autonomen, von Brandts Kniefall bis zum Mauerfall spannt sich der Bogen über die 70er und 80er Jahre. Umstürzlerische Zeiten. Und schließlich der vorläufige Endsieg des real existierenden Kapitalismus. Und »wir«? Was ist mit »uns«, den Akteuren auf der Straße, in den Stadtteilen und Betrieben? Mit den in diesem Buch versammelten Autorinnen und Autoren und den Zigtausenden, für die sie stehen, z.B. in Köln? In zahllosen Gefechten mit dem Muff und der staatlichen Macht waren wir anfangs die Verlachten, Verfemten und Gefürchteten, verhauene und teils untereinander zerstrittene oder verschworene Aktivistinnen und Aktivisten, meist von Verfassungsschutz und politischer Polizei fürsorglich begleitet und überwacht. Trotz vieler Irrungen und Wirrungen, trotz manch dogmatischer Verhärtungen kam ein Gärungsprozess in Gang, der auch Köln im guten Sinne verändert hat: Eine von NS-Gestank vermiefte Gesellschaft wurde durchgelüftet, Machtgeflechte offengelegt, Strippenzieher entlarvt, Alternativen gelebt. Das heutige Köln, mitunter zu selbstverliebt, angeblich sämtliche Minderheiten tolerierend bis umarmend, hat den Bürgerrechtlern, den linken Bewegungen und Initiativen in diesen zwei Jahrzehnten viel zu verdanken. Mit Freude sehe ich in diesem Buch viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter wieder, Kon- und Inspirateure, Freunde und Helfer. Höchste Zeit für dieses Resümee!“
Was hat es mit "Walter Hermann" auf sich?
Zweimal taucht im Buch der Name "Walter Hermann" auf. Wer das ist, bleibt im Dunkeln. Ob es sich dabei um einen der wirkungsvollsten Aktivisten Kölns handelt, der nicht Hermann sondern Herrmann heißt und der 1984/85 bei Platania, der Baumbesetzungsaktion am Kaiser-Wilhelm-Ring, dabei war, der seit den 80er Jahren gegen größte Widerstände vonseiten Stadt und Kirche das Prinzip der öffentlichen Klagemauer entwickelt hat – zunächst zum Thema Wohnungsnot – und heute immer noch – als Initiative ausgezeichnet mit dem Aachener Friedenspreis – unentwegt mit der Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht zusammen mit seinen Unterstützern am Kölner Dom international für Aufmerksamkeit sorgt – insbesondere wenn die zionistischen Verbrechen in Palästina zum Thema gemacht sind –, wird nicht aufgeklärt. Zu erfahren ist im Buch lediglich, dass jemand einem Walter Hermann über den Weg gelaufen ist und jemand einen Walter Hermann kennengelernt hat: Um es genau zu zitieren: „Eine andere Ein-Mann-Initiative der politischen Öffentlichkeit ist Walter Hermann, der schon 1970 dem Drucker Rolf Henke über den Weg läuft.“ Und: „Inhaltlich druckten wir zuerst Flugblätter für die beginnende Solidaritätsbewegung mit den Zöglingen aus den Erziehungsheimen. Hier lernte ich Walter Hermann und den SSK kennen.“ Wer dieser Walter Hermann bzw. Herrmann ist, bleibt den LeserInnen ein Rätsel.
Wo ist die Arbeiterfotografie?
Wir erinnern uns. Es war Januar 2010. In Zusammenhang mit dem Buchprojekt war zu einem Treffen zum Themenfeld "Öffentlichkeitsarbeit, Presse, Theater, Kunst und Kultur" eingeladen worden. Unter den Eingeladenen war die Arbeiterfotografie. Doch noch vor dem Treffen kam die Ausladung. Andere Eingeladene hatten (angeblich) angedroht auszusteigen, wenn die Arbeiterfotografie bei dem Treffen dabei sein würde. Als sie bei dem Treffen trotzdem gekommen war, ging das Spiel weiter. Vonseiten eines eingeladenen Zionisten ging eine eMail an sämtliche Beteiligte – mit Ausnahme der Arbeiterfotografie. Ihr Motto: "Keine Zusammenarbeit mit Antisemiten". Und einer der Herausgeber sorgte dafür, dass diese rufmordende eMail auch darüber hinaus Verbreitung fand. Darauf angesprochen, kam seine präparierte Reaktion: „Genau eine solche Art von Auseinanderaussetzung haben wir mit Euch befürchtet. Und darauf haben wir absolut keine Lust.“ Damit deutete sich an: die Arbeiterfotografie würde in dem Buchprojekt nicht vertreten sein.
Wo sind die "Ungebrochenen"?
Dass die Kölner Protest- und Alternativenszene bunt, reich und lebendig war und (mit nicht unbeträchtlichen Abstrichen) heute noch ist – vermittelt der Erzählband im Stil der Oral History in mitunter seicht und bagatellisierend unverbindlicher Weise. Schmidt1 unterteilt in "die Asche aufs Haupt Leute", die "Selbstkritisch Selbstbewußten" und die "Ungebrochenen". Der "linksalternative Kenner" polarisiert und dominiert die Sicht auf die "linke" Szene Kölns. Es sei nicht immer einfach gewesen, AutorInnen zu finden. Von 125 sind weniger als 40 weiblich. Die, die vor der Türe als herausragende ZeitzeugInnen noch greifbar sind, sind nicht angefragt und auch nicht für alle Herausgeber (sic!) ansprechbar. Die 1931 in der Eifel geborene, heute in Köln lebende Soziologie-Professorin Maria Mies gilt als Zentrum der ökofeministischen Frauenbewegung, ist Mitbegründerin des ersten Frauenhauses in Köln, Veranstalterin des M.A.I.-kritischen, TTIP-Vorläufer-Kongresses. Die wegweisenden, sowohl in Praxis als auch in Theorie begründeten, strukturellen Untersuchungen der (Männer-)Gewalt von Maria Mies finden nur beiläufig Erwähnung in der Kapitel-Einleitung der Initiatorin des Kölner Frauengeschichtsvereins, Irene Franken. Der Rebell, ja Revolutionär in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, Peter Kleinert, vertreten mit seinem Beitrag "Pressefreiheit! Die nehm ich mir. Das KAOS Film- und Video-Team Köln" erzählt die Geschichte vom Debüt des mit Erfolg durchgesetzten alternativen Senders "Kanal 4" auf RTL mit dem Film "Günter Wallraff - Ganz unten". In Peter Kleinerts Autorenangabe fehlt der wesentliche Hinweis auf seine heutige (seit 2005 bestehende, auf das Kölner Volksblatt aufbauende) Herausgeberschaft der "Neuen Rheinischen Zeitung", die alle zwei Jahre den nach Karl Marx benannten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" verleiht.
Kalter Krieg, Antikommunismus und "kulturelle Freiheit"
Schlussendlich verabreichte Schmidt1 dem Verleger Helge Malchow bei der Buchpräsentation einen Schleimcocktail; Letzterer eingangs bemerkte, der (heute zur Holtzbrinck-Gruppe gehörende) Verlag mit dem traditionsreichen Namen Kiepenheuer & Witsch sei der Verlag von Heinrich Böll und Günter Wallraff. Es ist der Verlag von unzähligen internationalen Belletristik- und Sachbuch-Größen (z.B. Alice Schwarzer und – wenn der Verlag, bzw. der seinerzeitige Verleger Reinhard Neven DuMont denn den Mut gehabt hätte – von Salman Rushdie´s "Satanischen Versen"). Kiepenheuer & Witsch ist ebenso der Verlag von Walter van Rossums "Tagesshow" und "Meine Sonntage mit Sabine Christiansen". KiWi ist auch der Verlag der Doppelagentin und amnesty-Mitgründerin Carola Stern. KiWi ist nicht der Verlag von "Schwarzbuch Deutschland: Das Handbuch der vermissten Informationen", 2009 (bei rororo) herausgegeben von Gabriele Gillen und Walter van Rossum. Namensgeber Joseph Caspar Witsch wird 2014 bei KiWi mit einer Biographie geehrt: Er „war zugleich einer der einflussreichsten Netzwerker des Kalten Krieges gegen den Kommunismus. In diesem Zusammenhang publizierte er viele Klassiker der Kommunismus-Kritik wie Wolfgang Leonhards 'Die Revolution entlässt ihre Kinder', gründete einen Nebenverlag, der weitgehend vom Ministerium für gesamtdeutsche Fragen finanziert wurde, und war der Kölner Statthalter des 'Kongresses für kulturelle Freiheit', dessen europäische Zentrale in Paris von der CIA gesteuert und finanziert wurde.“
Mondlandung Ja. Church-Report Nein?
Ganz ohne Frage ist das bleischwere – im Vergleich zu seinem opulenten, 1998 im Schmidt von Schwind-Verlag erschienenen, 2008 im Kölner Emons-Verlag überarbeiteten, von Kurt Holl und Claudia Glunz herausgegebenen Vorläufer "1968 am Rhein" – bemerkenswert unsinnlich gestaltete Werk eine Fundgrube. Im Schlusspart ist es versehen mit einer Jahreschronik von 1969 bis 1990, die eine eigene Besprechung verdient.
„Wenn diese Massenmedien nun aber die Informationen so filtern, daß der Bürger auf der Suche nach wahrheitsgetreuen Informationen nicht mehr fündig werden kann? – (und das ist heute in der BRD ganz offensichtlich der Fall) – Dann bringt dieses Buch (((keine))) Abhilfe.“ So heißt es in einer Rezension zu Gillen und Rossums "Schwarzbuch Deutschland: Das Handbuch der vermissten Informationen". Das in drei Klammern gefasste "keine" bezieht sich allerdings nicht auf Gillen und van Rossum. Eine Zusammenstellung in der Schwere von "Die Stadt, das Land, die Welt verändern" mag nicht alles erfassen können. Herausgeber und Verleger Pui von Schwind stellt (im Verlag Schmidt von Schwind) einen Ergänzungsband mit Bilddokumenten wie das 1998 von Eusebius Wirdeier gestaltete "1968 am Rhein" in Aussicht. Vollständigkeit – in jedweder Hinsicht – zu erwarten oder zu verlangen, erscheint in Anbetracht der Materialfülle als vermessen. Absichtliche Informationsunterdrückung aber ist – allen gärenden rebellisch-revolutionär-künstlerischen Prozessen geschuldet – verwerflich. (PK)
Hinweis:
Einen Einblick in das Wirken der Arbeiterfotografie im Köln der 70er und 80er Jahre vermittelt die Fotogalerie "Aus Projekten der Kölner Arbeiterfotografie der 70er/80er Jahre: Stadtplanung – für wen?" in dieser Ausgabe der NRhZ.
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21077
Angaben zum Buch:
Die Stadt, das Land, die Welt verändern!
Die 70er/80er Jahre in Köln - alternativ, links, radikal, autonom
ISBN: 978-3-462-03840-8
Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
636 Seiten, Broschur
Preis
Deutschland 29,99 Euro
Schweiz 40,10 sFr
Österreich 30,90 Euro
Online-Flyer Nr. 488 vom 10.12.2014
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Kultur und Wissen
Anmerkungen zu einem Buch über die 70er/80er Jahre in Köln
1,8 kg Geschichte einer Stadt mit Lücken
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am Donnerstag, dem 4. Dezember 2014 war es soweit. Im Großen Saal des Bürgerzentrums Alte Feuerwache in der nördlichen Altstadt Kölns wurde das bei Kiepenheuer & Witsch verlegte, von Reiner Schmidt, Anne Schulz und Pui (Schmidt2) von Schwind herausgegebene, 1,8 Kilogramm schwere Text-Buch "Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln – alternativ, links, radikal, autonom" vorgestellt. "125 Autoren und Autorinnen, die damals angetreten waren, um die Stadt, das Land und die Welt zu verändern, erzählen in diesem Buch von ihren Erfahrungen in alternativen, linksradikalen, sozialistischen, sozialdemokratischen, kommunistischen, anarchistischen, trotzkistischen, autonomen und grünen Kontexten in Köln. Geschichte, aus einer höchst unoffiziellen Perspektive", heißt es im Hinweis auf die Veranstaltung. Auf rund 630 Seiten präsentieren die HerausgebernInnen „Oral History“ in synonym und anonymer Darstellung.
Buchvorstellung im Bürgerzentrum Alte Feuerwache am 4.12.2014 – die Plätze auf dem Podium warten darauf, von Herausgebern und Vertretern des Verlags eingenommen zu werden (Foto: arbeiterfotografie.com)
"De omnibus dubitandum" – "An allem ist zu zweifeln"
Ein großer Teil der 125 Autoren und Autorinnen war gekommen, um die Saalveranstaltung in der Alten Feuerwache, dem einst umkämpften selbstverwalteten Bürgerzentrum, zu besetzen. Günter Wallraff fehlte. Aber er hat dem Buch ein Grußwort mit auf den Weg gegeben: „Von den Hippies bis zu den Punks und Autonomen, von Brandts Kniefall bis zum Mauerfall spannt sich der Bogen über die 70er und 80er Jahre. Umstürzlerische Zeiten. Und schließlich der vorläufige Endsieg des real existierenden Kapitalismus. Und »wir«? Was ist mit »uns«, den Akteuren auf der Straße, in den Stadtteilen und Betrieben? Mit den in diesem Buch versammelten Autorinnen und Autoren und den Zigtausenden, für die sie stehen, z.B. in Köln? In zahllosen Gefechten mit dem Muff und der staatlichen Macht waren wir anfangs die Verlachten, Verfemten und Gefürchteten, verhauene und teils untereinander zerstrittene oder verschworene Aktivistinnen und Aktivisten, meist von Verfassungsschutz und politischer Polizei fürsorglich begleitet und überwacht. Trotz vieler Irrungen und Wirrungen, trotz manch dogmatischer Verhärtungen kam ein Gärungsprozess in Gang, der auch Köln im guten Sinne verändert hat: Eine von NS-Gestank vermiefte Gesellschaft wurde durchgelüftet, Machtgeflechte offengelegt, Strippenzieher entlarvt, Alternativen gelebt. Das heutige Köln, mitunter zu selbstverliebt, angeblich sämtliche Minderheiten tolerierend bis umarmend, hat den Bürgerrechtlern, den linken Bewegungen und Initiativen in diesen zwei Jahrzehnten viel zu verdanken. Mit Freude sehe ich in diesem Buch viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter wieder, Kon- und Inspirateure, Freunde und Helfer. Höchste Zeit für dieses Resümee!“
Was hat es mit "Walter Hermann" auf sich?
Zweimal taucht im Buch der Name "Walter Hermann" auf. Wer das ist, bleibt im Dunkeln. Ob es sich dabei um einen der wirkungsvollsten Aktivisten Kölns handelt, der nicht Hermann sondern Herrmann heißt und der 1984/85 bei Platania, der Baumbesetzungsaktion am Kaiser-Wilhelm-Ring, dabei war, der seit den 80er Jahren gegen größte Widerstände vonseiten Stadt und Kirche das Prinzip der öffentlichen Klagemauer entwickelt hat – zunächst zum Thema Wohnungsnot – und heute immer noch – als Initiative ausgezeichnet mit dem Aachener Friedenspreis – unentwegt mit der Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht zusammen mit seinen Unterstützern am Kölner Dom international für Aufmerksamkeit sorgt – insbesondere wenn die zionistischen Verbrechen in Palästina zum Thema gemacht sind –, wird nicht aufgeklärt. Zu erfahren ist im Buch lediglich, dass jemand einem Walter Hermann über den Weg gelaufen ist und jemand einen Walter Hermann kennengelernt hat: Um es genau zu zitieren: „Eine andere Ein-Mann-Initiative der politischen Öffentlichkeit ist Walter Hermann, der schon 1970 dem Drucker Rolf Henke über den Weg läuft.“ Und: „Inhaltlich druckten wir zuerst Flugblätter für die beginnende Solidaritätsbewegung mit den Zöglingen aus den Erziehungsheimen. Hier lernte ich Walter Hermann und den SSK kennen.“ Wer dieser Walter Hermann bzw. Herrmann ist, bleibt den LeserInnen ein Rätsel.
Wo ist die Arbeiterfotografie?
Wir erinnern uns. Es war Januar 2010. In Zusammenhang mit dem Buchprojekt war zu einem Treffen zum Themenfeld "Öffentlichkeitsarbeit, Presse, Theater, Kunst und Kultur" eingeladen worden. Unter den Eingeladenen war die Arbeiterfotografie. Doch noch vor dem Treffen kam die Ausladung. Andere Eingeladene hatten (angeblich) angedroht auszusteigen, wenn die Arbeiterfotografie bei dem Treffen dabei sein würde. Als sie bei dem Treffen trotzdem gekommen war, ging das Spiel weiter. Vonseiten eines eingeladenen Zionisten ging eine eMail an sämtliche Beteiligte – mit Ausnahme der Arbeiterfotografie. Ihr Motto: "Keine Zusammenarbeit mit Antisemiten". Und einer der Herausgeber sorgte dafür, dass diese rufmordende eMail auch darüber hinaus Verbreitung fand. Darauf angesprochen, kam seine präparierte Reaktion: „Genau eine solche Art von Auseinanderaussetzung haben wir mit Euch befürchtet. Und darauf haben wir absolut keine Lust.“ Damit deutete sich an: die Arbeiterfotografie würde in dem Buchprojekt nicht vertreten sein.
Wo sind die "Ungebrochenen"?
Dass die Kölner Protest- und Alternativenszene bunt, reich und lebendig war und (mit nicht unbeträchtlichen Abstrichen) heute noch ist – vermittelt der Erzählband im Stil der Oral History in mitunter seicht und bagatellisierend unverbindlicher Weise. Schmidt1 unterteilt in "die Asche aufs Haupt Leute", die "Selbstkritisch Selbstbewußten" und die "Ungebrochenen". Der "linksalternative Kenner" polarisiert und dominiert die Sicht auf die "linke" Szene Kölns. Es sei nicht immer einfach gewesen, AutorInnen zu finden. Von 125 sind weniger als 40 weiblich. Die, die vor der Türe als herausragende ZeitzeugInnen noch greifbar sind, sind nicht angefragt und auch nicht für alle Herausgeber (sic!) ansprechbar. Die 1931 in der Eifel geborene, heute in Köln lebende Soziologie-Professorin Maria Mies gilt als Zentrum der ökofeministischen Frauenbewegung, ist Mitbegründerin des ersten Frauenhauses in Köln, Veranstalterin des M.A.I.-kritischen, TTIP-Vorläufer-Kongresses. Die wegweisenden, sowohl in Praxis als auch in Theorie begründeten, strukturellen Untersuchungen der (Männer-)Gewalt von Maria Mies finden nur beiläufig Erwähnung in der Kapitel-Einleitung der Initiatorin des Kölner Frauengeschichtsvereins, Irene Franken. Der Rebell, ja Revolutionär in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, Peter Kleinert, vertreten mit seinem Beitrag "Pressefreiheit! Die nehm ich mir. Das KAOS Film- und Video-Team Köln" erzählt die Geschichte vom Debüt des mit Erfolg durchgesetzten alternativen Senders "Kanal 4" auf RTL mit dem Film "Günter Wallraff - Ganz unten". In Peter Kleinerts Autorenangabe fehlt der wesentliche Hinweis auf seine heutige (seit 2005 bestehende, auf das Kölner Volksblatt aufbauende) Herausgeberschaft der "Neuen Rheinischen Zeitung", die alle zwei Jahre den nach Karl Marx benannten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" verleiht.
Kalter Krieg, Antikommunismus und "kulturelle Freiheit"
Schlussendlich verabreichte Schmidt1 dem Verleger Helge Malchow bei der Buchpräsentation einen Schleimcocktail; Letzterer eingangs bemerkte, der (heute zur Holtzbrinck-Gruppe gehörende) Verlag mit dem traditionsreichen Namen Kiepenheuer & Witsch sei der Verlag von Heinrich Böll und Günter Wallraff. Es ist der Verlag von unzähligen internationalen Belletristik- und Sachbuch-Größen (z.B. Alice Schwarzer und – wenn der Verlag, bzw. der seinerzeitige Verleger Reinhard Neven DuMont denn den Mut gehabt hätte – von Salman Rushdie´s "Satanischen Versen"). Kiepenheuer & Witsch ist ebenso der Verlag von Walter van Rossums "Tagesshow" und "Meine Sonntage mit Sabine Christiansen". KiWi ist auch der Verlag der Doppelagentin und amnesty-Mitgründerin Carola Stern. KiWi ist nicht der Verlag von "Schwarzbuch Deutschland: Das Handbuch der vermissten Informationen", 2009 (bei rororo) herausgegeben von Gabriele Gillen und Walter van Rossum. Namensgeber Joseph Caspar Witsch wird 2014 bei KiWi mit einer Biographie geehrt: Er „war zugleich einer der einflussreichsten Netzwerker des Kalten Krieges gegen den Kommunismus. In diesem Zusammenhang publizierte er viele Klassiker der Kommunismus-Kritik wie Wolfgang Leonhards 'Die Revolution entlässt ihre Kinder', gründete einen Nebenverlag, der weitgehend vom Ministerium für gesamtdeutsche Fragen finanziert wurde, und war der Kölner Statthalter des 'Kongresses für kulturelle Freiheit', dessen europäische Zentrale in Paris von der CIA gesteuert und finanziert wurde.“
Mondlandung Ja. Church-Report Nein?
Ganz ohne Frage ist das bleischwere – im Vergleich zu seinem opulenten, 1998 im Schmidt von Schwind-Verlag erschienenen, 2008 im Kölner Emons-Verlag überarbeiteten, von Kurt Holl und Claudia Glunz herausgegebenen Vorläufer "1968 am Rhein" – bemerkenswert unsinnlich gestaltete Werk eine Fundgrube. Im Schlusspart ist es versehen mit einer Jahreschronik von 1969 bis 1990, die eine eigene Besprechung verdient.
„Wenn diese Massenmedien nun aber die Informationen so filtern, daß der Bürger auf der Suche nach wahrheitsgetreuen Informationen nicht mehr fündig werden kann? – (und das ist heute in der BRD ganz offensichtlich der Fall) – Dann bringt dieses Buch (((keine))) Abhilfe.“ So heißt es in einer Rezension zu Gillen und Rossums "Schwarzbuch Deutschland: Das Handbuch der vermissten Informationen". Das in drei Klammern gefasste "keine" bezieht sich allerdings nicht auf Gillen und van Rossum. Eine Zusammenstellung in der Schwere von "Die Stadt, das Land, die Welt verändern" mag nicht alles erfassen können. Herausgeber und Verleger Pui von Schwind stellt (im Verlag Schmidt von Schwind) einen Ergänzungsband mit Bilddokumenten wie das 1998 von Eusebius Wirdeier gestaltete "1968 am Rhein" in Aussicht. Vollständigkeit – in jedweder Hinsicht – zu erwarten oder zu verlangen, erscheint in Anbetracht der Materialfülle als vermessen. Absichtliche Informationsunterdrückung aber ist – allen gärenden rebellisch-revolutionär-künstlerischen Prozessen geschuldet – verwerflich. (PK)
Hinweis:
Einen Einblick in das Wirken der Arbeiterfotografie im Köln der 70er und 80er Jahre vermittelt die Fotogalerie "Aus Projekten der Kölner Arbeiterfotografie der 70er/80er Jahre: Stadtplanung – für wen?" in dieser Ausgabe der NRhZ.
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21077
Angaben zum Buch:
Die Stadt, das Land, die Welt verändern!
Die 70er/80er Jahre in Köln - alternativ, links, radikal, autonom
ISBN: 978-3-462-03840-8
Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
636 Seiten, Broschur
Preis
Deutschland 29,99 Euro
Schweiz 40,10 sFr
Österreich 30,90 Euro
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