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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Maßnahmen der "Deutsch-Griechischen Versammlung" (DGV)
Unter Geiern
Von Hans Georg

Anhaltende Abwehr der Athener Regierung bringt zahlreiche deutsche Vorhaben für den Umbau von Wirtschaft und Verwaltung des griechischen Staates in Gefahr. Federführend sind das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Kurzfristiges Ziel ist die Schließung deutscher Produktionsengpässe durch beschäftigungslose griechische Zulieferer und durch griechische Arbeitslose. Zum mittelfristigen Aktionsprogramm gehört die finanzielle Abschöpfung griechischer Kommunen und die Bereitstellung billiger griechischer Hilfskräfte für das deutsche Gesundheitswesen ("Pflege-Urlaub auf Rhodos").
 

Um zukünftig auch für höhere Anforderungen kompatibel zu sein, wird von Athen ein "Innovationssystem" verlangt, das "Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung" zugunsten "unternehmerfreundlicher Strukturen" vernetzt. Als Koordinatorin der Maßnahmen firmiert eine "Deutsch-Griechische Versammlung" (DGV), die "im Geiste der Graswurzelbewegung" tätig sein soll. Die DGV verfügt über keinerlei Rechtsfunktion. Ihre Berliner Anschrift ist eine Adresse der Bundesregierung. Die als zivilgesellschaftlich verkleidete Organisation, die unter anderem dem AA und dessen "Deutsch-Griechischem Jugendwerk" zuarbeitet, setzte das Bundeskanzleramt auf dem ersten Höhepunkt der sogenannten Schuldenkrise ein.
 
Die Berliner DGV-Adresse führt zum Parlamentarischen Staatssekretär im BMZ Hans-Joachim Fuchtel, einem CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg. Fuchtel ist seit 2011 "Beauftragter für die Deutsch-Griechische Versammlung" [1] und ist auf die kommunale griechische Wirtschaft angesetzt. Um deutschen Unternehmen lukrative Aufträge zu verschaffen, werden Repräsentanten griechischer Städte und Gemeinen zu "Workshops" interessierter deutscher Betriebe eingeflogen. Sie sind Lieferanten hochpreisiger Exportprodukte. Entsprechende Anreisen zwecks Auftragsakquise fanden im Januar 2015 unter anderem in Backnang, Bamberg und Schwäbisch Hall statt und werden von der Bundesregierung bezahlt. Bei den potenziellen Abnehmern aus griechischen Kommunen handele es sich um "parteilose oder konservative Politiker - darunter aber keine Syriza-Leute", berichtet die Ulmer "Südwest Presse".[2]
 
Exklusiver Zugriff
 
Als Nachweis für technische und logistische Kompetenz wurden den Griechen deutsche Erfahrungen mit "Komplettanlagen" der Abfallwirtschaft präsentiert. Es handelt sich um millionenschwere Projektvolumen. Referenz ist die Lieferung an ein Bundeswehr-"Feldlager" in Afghanistan.[3] Ziel war es laut DGV, von den verarmten griechischen Gemeinden Aufträge für "zwei bis drei mobile Demonstrationsanlagen" zu akquirieren - kofinanziert "durch Mittel der EU". Auf diesem Umweg zapft das BMZ Brüsseler Regionaltöpfe an, die auch von EU-Drittländern finanziert werden, und leitet das Geld in deutsche Firmenkassen. Gleichzeitig ist die Bundesregierung bemüht, EU-Konkurrenten auszusperren, und will sich exklusiven Zugriff auf das Griechenland-Geschäft sichern.
Deutsche Finanzaufsicht

Ein vom polnischen Finanzminister gefordertes EU-Investitionsprogramm in Höhe von 700 Milliarden Euro, das auch für nicht-deutsche Investoren in Griechenland interessant gewesen wäre, blockte Berlin ab. Stattdessen verlangen das BMZ und die von MdB Fuchtel geführte DGV eine auschließlich griechische "Förderbank", da "jeder Nationalstaat seinen eigenen Weg mit eigenen Modellen gehen" solle.[4] Dieser "eigene Weg" führt in Griechenland über die deutsche Finanzaufsicht: "Mit Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat Fuchtel in Griechenland die Einrichtung eines Förderinstituts vorangetrieben" - leichte Beute für Berlin.
 
"Job of my Life"
 
Da nach Berechnungen der Agentur für Arbeit zwischen 2011 und 2012 rund 33.000 deutsche Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, forcierte das BMZ bis vor kurzem den Arbeitskräftetransfer von Griechenland nach Deutschland. Die Anwerbemaßnahmen werden als "Mobilitätsinitiative" für junge Europäer dargestellt und mit irrlichternden Namen belegt ("MobiPro-EU"). Sie vernebeln das deutsche Interesse an einer europaweiten Steuerung des ausländischen Arbeitskräftepotentials, das auch spanische Jugendliche nach Deutschland lockt ("Job of my Life"). Die Anwerbekosten teilen sich Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Bundesarbeitsministerium - für ahnungslose griechische Arbeitslose paradiesische Verheißungen.
 
Wirtschaftslenkung
 
Um griechische Jugendliche langfristig für den Einsatz nach deutschen Standards zu erziehen, hat Berlin mit dem Umbau des griechischen Berufsschulwesens begonnen - angeleitet von der Deutsch-Griechischen Handelskammer, der DEKRA-Holding (Stuttgart) und "führenden (deutschen) Reiseunternehmen".[5] Staatlicher Finanzier ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung. "Berufsschulen konnten bereits in Attika und in Heraklion aufgebaut werden" und führen "nun fast 100 griechische Schülerinnen und Schüler im Alter von 18 bis 20 Jahren" zu einem deutschen Diplom der Industrie- und Handelskammern (IHK). Damit "verbessert sich die Arbeitssuche der Jugendlichen", verklärt die Bundeszentrale für politische Bildung die deutsch zentrierte Wirtschaftslenkung. Das nach deutschen Normen ausgebildete griechische Arbeitskräftepotenzial soll unter anderem "die Bereiche Landwirtschaft, Transport, Logistik, Kfz und Mechanik" abdecken.
 
Souveränitätsverlust
 
Um in Griechenland deutsche Verwaltungspraktiken einzuführen, ruft die Verwaltungsschule des deutschen Gemeindetags Mitarbeiter des griechischen Staates zur Teilnahme an deutschen "Fachseminaren" auf; unter Beteiligung von MdB Fuchtel und dem BMZ wurden dafür in einem Pilotprojekt "zehn Plätze" bereitgestellt, schreibt die "Stuttgarter Zeitung".[6] Allerdings stehen nach deutscher Ansicht "die griechischen Strukturen" einem durchgreifenden Umbau im Wege: "Mentalität und Institutionen müssten sich ändern." Statt zentraler Kontrolle über das griechische Kommunalwesen solle Athen "Subsidiarität" walten lassen - eine Umschreibung für den Verlust hoheitlicher Vorbehalte zugunster direkter Eingriffe in die untere und mittlere Ebene der Wirtschafts- und Finanzverwaltung durch Dritte, zum Beispiel durch die Bundesrepublik Deutschland. Ähnliche Forderungen erhebt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und hat dabei einen Gesamtumbau des griechischen Staates im Sinn.[7] Die Forderungen zielen auf einen schleichenden Souveränitätsverlust von Staat und Gesellschaft.
 
Fachkräfte und Maschinen vorhanden
 
Solange diese Maßnamen noch nicht greifen oder auf Athener Widerstand stoßen, nutzt das Auswärtige Amt (AA) die kurzfristigen Vorteile des griechischen Wirtschaftsdesasters. Nach Vorgesprächen im deutschen Generalkonsulat in Thessaloniki bietet eine Internetplattform mit dem sinnigen Namen ProGreece Unternehmen in der Bundesrepublik "Produktions- und Dienstleistungskapazitäten" [8] notleidender griechischer Firmen an. "Aufgrund der akuten Wirtschaftskrise" sind zahlreiche Betriebe "nicht ausgelastet", wirbt ProGreece: "Geschäftsmöglichkeiten für Ihr Unternehmen - Beseitigen Sie Ihre Produktionsengpässe, indem Sie griechische Überkapazitäten nutzen." Auch "Fachkräfte sind vielerorts ebenso vorhanden wie geeignete Maschinen" - Griechenland als verlängerte deutsche Werkbank inklusive ortsansässigem "Humankapital".
 
Schöner Schein
 
Zu den deutschen Maßnahmen unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes gehört die politische Überhöhung der deutschen Wirtschaftslenkung durch Organisationen mit völkerverbindendem oder humanitärem Anspruch. Insbesondere seit sich kritische Nachfragen aus der neuen Athener Regierung häufen, ist MdB Fuchtel "extrem wortkarg" [9] und betont die altruistischen Motive seiner Griechenland-Mission. Sie soll "letztlich in ein Deutsch-Griechisches Jugendwerk einmünden", ein AA-Projekt, "dessen Einrichtung die DGV aktiv unterstützt".[10] Für den schönen Schein des AA-Projekts ist auch Wolfgang Hoelscher-Obermeier unterwegs. Als früherer Generalkonsul in Thessaloniki hatte er sich bei ProGreece für die deutschen Geschäftsmöglichkeiten eingesetzt, mit denen das griechische Desaster ausgebeutet werden kann - jetzt bewirbt er das "Deutsch-Griechische Jugendwerk" bei einer ahnungslosen deutschen Kirchengemeinde in Berlin und tritt als Kontakter zu der vom Bundeskanzleramt gesteuerten "Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) auf. Beide Organisationen hält das AA bereit, um Athener Forderungen nach Rückzahlung der deutschen Massakerschulden zu unterlaufen (german-foreign-policy berichtete [11]).
 
Bitte lesen Sie auch Auszüge aus Dankesbriefen griechischer Jugendlicher an die "Deutsch-Griechische Versammlung".
Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Griechenland-Politik finden Sie hier: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Vom Stellenwert der Demokratie, Auspressen und verdrängen, Austerität tötet, Die Strategie der Spannung, Millionen für Milliarden, Erbe ohne Zukunft, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Plan B für Griechenland, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz und Die Bilanz des Spardiktats. (PK)
 
[1] Sechster Fortschrittsbericht der deutsch-griechischen Versammlung. grde.eu Januar 2015.
[2] 35 Bürgermeister und Berater aus Griechenland holen sich Ideen in Schwäbisch Hall. www.swp.de 06.03.2015.
[3] Sechster Fortschrittsbericht der deutsch-griechischen Versammlung. grde.eu Januar 2015.
[4] Staatssekretär Fuchtel wirbt für Förderbanken in Krisenländern. www.welt.de 22.09.2014.
[5] Der Schatz der Kommunen. Eine deutsch-griechische Erfolgsstory. Bundeszentrale für politische Bildung, 24.06.2014.
[6] Der Austausch kommt voran. www.stuttgarter-zeitung.de 11.09.2014.
[7] Griechendland: Ohne den Aufbau eines Innovationssystems wird es nicht gehen. DIW Wochenbericht Nr.39/2014.
[8] Was ist ProGreece? ww.pro-greece.com/de/what-is-progreece.
[9] Hans-Joachim Fuchtel beim Thema Griechenland wortkarg. www.pz-news.de 22.02.2015.
[10] Der Schatz der Kommunen. Eine deutsch-griechische Erfolgsstory. Bundeszentrale für politische Bildung, 24.06.2014.
[11] S. dazu Politischer Steuerungsauftrag, Restitution und Ein trauriger Tag.
 
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank übernommen von
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59079


Online-Flyer Nr. 504  vom 01.04.2015

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