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Lokales
Ein Kölner nimmt Abschied vom Verleger Alfred Neven DuMont
Eine Epoche geht zuende
Von Rainer Kippe
Alfred Neven DuMont ist tot. Mit seinem Tod verabschiedet sich die Epoche des liberalen Nachkriegsjournalismus in Deutschland und wird Teil der Geschichte der 2. Republik. Ich habe ihn kaum gekannt. Irgendwann bin ich in der Stadt an ihm vorbeigelaufen, irgendwann habe ich ihm mal die Hand geschüttelt. Dennoch war er allgegenwärtig, denn er war der Herausgeber des Blattes, welches den Zeitungsmarkt der Kölner Region beherrschte und beherrscht, des Kölner Stadt-Anzeiger und seines proletarischen Arms, des EXPRESS.
Online-Flyer Nr. 514 vom 10.06.2015
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Lokales
Ein Kölner nimmt Abschied vom Verleger Alfred Neven DuMont
Eine Epoche geht zuende
Von Rainer Kippe
Alfred Neven DuMont ist tot. Mit seinem Tod verabschiedet sich die Epoche des liberalen Nachkriegsjournalismus in Deutschland und wird Teil der Geschichte der 2. Republik. Ich habe ihn kaum gekannt. Irgendwann bin ich in der Stadt an ihm vorbeigelaufen, irgendwann habe ich ihm mal die Hand geschüttelt. Dennoch war er allgegenwärtig, denn er war der Herausgeber des Blattes, welches den Zeitungsmarkt der Kölner Region beherrschte und beherrscht, des Kölner Stadt-Anzeiger und seines proletarischen Arms, des EXPRESS.
Alfred Neven DuMont bei einem Empfang im Rathaus
Foto: © Raimond Spekking / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)
Alfred Neven DuMont, das war "der Stadtanzeiger" und damit die veröffentlichte Meinung in dieser Stadt; die anderen: die katholische Kölnische Rundschau und früher noch die sozialdemokratische Neue Rheinzeitung zählten wenig. Später machten die einen dicht, die anderen wurden schlicht gekauft, und waren fortan "die Opposition Ihrer Majestät, König Alfred".
Auch die Stürme auf dem Meinungsmarkt, die Einführung der neuen Medien, bekümmerten ihn wenig. Da er die Zeitung nach dem Krieg konsequent regional ausgerichtet und auf den Wiederaufbau des Traditionsblattes, der überregionalen "Kölnischen Zeitung" verzichtet hatte, brauchte er auch nicht mit den Giganten der deutschen Presse, wie der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen zu kämpfen und konnte es sich sogar leisten, die kritische "Frankfurter Rundschau" aufzukaufen und in sein Imperium einzubauen, ebenso wie die Mitteldeutsche Zeitung und andere regionale Blätter. Und auch ins Regionalfernsehen hinein hat er sich geschickt vorgeschoben.
In den fast 50 Jahren, die ich nun in Köln bin, hat er mich treu begleitet. Ich war gerade 24 geworden und hatte mein erstes Flugblatt geschrieben und verteilt, den ersten Skandal an der an Skandalen armen weil traditionell langweiligen Uni Köln mit aufgedeckt, da trat der Stadtanzeiger auch schon in mein WG-Zimmer und in mein Leben, in Gestalt des jungen und aufstrebenden Lokalredakteurs Winfried Honert, mit dem wir in den folgenden 30 Jahren noch oft die Klingen kreuzen durften. Aus dem Artikel wurde nichts. Honert wollte Beweise, eine fertige Geschichte, er wollte nicht selber recherchieren und selber verantworten - damals nicht und später auch nicht, eine Haltung, die den Journalismus des Stadtanzeigers viele Jahre geprägt hat.
Dann kam Alfreds große Stunde - die Studentenrevolte und die Zeit der bundesweiten Hetzjagd in den Medien auf alles, was den Nachkriegsfrieden der gewendeten Hitlerjungen und BDM-Maiden bedrohte. Ich erinnere mich noch gut, wie am Morgen nach der Ermordung des Studenten Ohnesorg durch die Berliner Polizei - als die Berliner Frontstadt-Mafia noch alle Schuld von sich wies - der Kölner Stadtanzeiger mit seinem Korrespondenten Christian Schmidt-Häuer die Wahrheit auf die Titelseite druckte und die Schuldigen benannte. Damals haben Leute in Berlin aus Protest gegen die Lügen der Frontstadtpresse den Kölner Stadtanzeiger abonniert. Und ein Jahr später, als die Studenten nach dem Attentat auf Rudi Dutschke auf die Straße gingen und in Köln die Auslieferung der Bildzeitung behinderten, welche auf den Maschinen des Stadtanzeiger in der Breite Straße gedruckt wurde, kündigte Alfred Neven DuMont dem mächtigen Axel Springer nicht nur den Druckauftrag, sondern gründete in der Folge eine eigene, liberale Boulevardzeitung am Rhein, den EXPRESS, der einen deutlich liberaleren Kurs fuhr und sich bei der boulevard-üblichen Hetze auf Linke und Studenten zurückhielt. Hier durften anfangs sogar erklärte Linke wie Jens Hagen oder Edgar Franzmann mitmachen.
Der Stadtanzeiger war auch ein Befürworter der kleinen Koalition aus SPD und FDP, welche das Ende der reaktionären Adenauer-Ära einläutete und eine inhaltliche, gelebte und vom Bürger getragene Demokratie zum ersten Mal auf die Agenda des Landes setzte. Das erscheint uns heute kaum der Rede wert, weil es selbstverständlich geworden ist, damals aber war es Teil eines großen Kulturkampfes, in dem es nicht nur um Mitbestimmung und Öffnung der Bildungssysteme ging, sondern auch um die Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas in der Folge des kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion durch die sogenannten Ostverträge.
Der Rechtsruck ließ nicht lange auf sich warten. Wirtschaftskreise - so erzählt man sich - wurden im Hause DuMont-Schauberg vorstellig und erzwangen einen Kurswechsel - gestützt auf millionenschwere Anzeigenbudgets. Nun begann ein erbitterter Kampf gegen alle, die Willy Brandts "mehr Demokratie wagen" ernst genommen hatten. Ausgemachtes Ziel waren die Linken in der SPD und hier insbesondere die Jungsozialisten, die damals wirklich meinten, den Sozialismus mit SPD-Parteitagsbeschlüssen einführen zu können.
Honert, Zöllner und Schubert hießen die Lokalredakteure, die dafür sorgten, dass in Köln nichts passierte, was der großen Koalition von rechter SPD-Mehrheit und CDU zuwider lief. Parteichef Günter Herterich, der Parteitage auch schon mal wiederholen ließ, wenn das Ergebnis seinen Erwartungen nicht entsprach, setzte seine Auffassung von sozialdemokratischer Politik in Köln in enger Abstimmung mit dem Stadtanzeiger um.
Wer nicht ins Bild passte, wurde diffamiert. Protestierende Studenten waren für Honert - ganz im Stil der Bildzeitung - "immatrikulierte Rocker", Menschenrechtsverletzungen in Kölner Heimen wurden totgeschwiegen oder - wenn es gar nicht mehr zu überhören war - im Konjunktiv berichtet, während die Verantwortlichen bei der Stadt und bei den Aufsichtsbehörden ihre Beschwichtigungen in ausführlichen Interviews verbreiten durften. Durch dieses Versagen des Stadtanzeigers als freie, demokratische, den Menschenrechten verpflichtete Presse, kamen z.B. die Verantwortlichen für die Misshandlung und den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in den städtischen Kinderheimen oder in der sogenannten "Jugenschutzstelle Don-Bosco-Heim" des Caritasverbandes straffrei davon. Um die Opfer kümmerte sich niemand.
Unvorstellbar und einfach nur beschämend, wenn man im Vergleiche dazu sieht, mit welcher Konsequenz und Klarheit heute Redakteure wie Andreas Damm oder Helmut Frangenberg Missstände aufdecken und Verantwortliche beim Namen nennen.
Als die Sozialpädagogischen Sondermaßnahmen Köln (SSK), heute Sozialistische Selbsthilfe Köln, im Jahre 1973 endlich ein Haus für obdachlose Jugendliche, eine Kontaktstelle für alle, die auf der Flucht vor unmenschlichen Heimen oder prügelnden Eltern waren, eröffnen durften, gehörte der Stadtanzeiger unter Leitung von Lokalchef Schubert von Anfang an zu den Kritikern, die jede Straftat von Jugendlichen und jede Auseinandersetzung mit Behörden kommentierten, als stehe die bürgerliche Ordnung vor dem Zusammenbruch.
Schon nach wenigen Wochen fällte der Stadtanzeiger das Urteil über dieses Experiment, welches den ersten großen Schritt aus der Heimverwahrung in die moderne Pädagogik auch für Kinder aus armen Familien bedeutete, mit der Überschrift: "Von der Straße in die Sackgasse".
Einen positiven Beitrag zu den Problemen, die immerhin zugestanden wurden, musste man bei Schubert, Hohnert und… allerdings vergebens suchen.
Die Monate bis zur Schließung der SSK-Häuser durch Verfügung des Innenministeriums bedeutete eine einzige Hetzjagd durch die ach so liberale und tolerante Kölner Presse. Und diese Hetzjagd ging auch nach der Schließung weiter mit Polizeirazzien und Jagd auf odachlose Jugendliche in der Stadt, bis schließlich der große Kölner und Mensch Heinrich Böll - und nicht etwa der liberale und ach so kölsch-tolerante Alfred Neven DuMont - sich schützend vor die Gejagten stellte und auf Litfaßsäulen forderte: "Helft dem SSK".
Die großen Reformen der öffentlichen Erziehung, die in den 70er Jahren folgten, wurden vom Stadtanzeiger natürlich begrüßt. Wichtig war nur, dass alles in den Händen der Bürokraten blieb und der Freiheitsfunke ausgetreten wurde.
Damals hat der SSK mit seinen Protagonisten diesen Widerspruch zwischen liberalem, das heißt auf deutsch freiheitlichem Anspruch auf den Frontseiten, und dem Schweigen über die konkreten Missstände in der eigenen Stadt im Lokalteil, auch auf einem Kongress zu den "Tabus der deutschen Presse" thematisiert. Der Chefredakteur, der auf dem Kongress versprochen hatte, in Köln öffentlich über dieses Thema zu reden, ein Herr Besser, war dann aber nicht mehr lange genug im Amt,denn der SSK hatte seinem Chef in der Underground-Zeitung ANA&BELA sehr zum Missfallen der gehobenen Kölner Öffentlichkeit, inzwischen den "Prügel-Preis" verliehen.
Auch die Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie rund um Köln - es sei hier nur das Landeskrankenhaus Brauweiler erwähnt, wohin die meisten Kölner Patienten kamen -, wurden nicht etwa durch den Kölner Stadtanzeiger aufgedeckt, sondern durch den SSK, der seine Erkenntnisse in weit entfernten Lokalblättern genauso unterbrachte wie im Stern. In Köln dagegen galt, auf Geheiß von Schubert: "Der SSK ist kein Thema mehr. "Der Herausgeber dieser menschenverachtenden Publizistik hieß Alfred neven DuMont.
Der Wechsel zu einer Berichterstattung, die auch einfache Menschen würdevoll behandelt und nicht als Objekt der Zurschaustellung, kam interessanterweise nicht durch den mitfühlenden Liberalen Alfred Neven DuMont, sondern durch seine Frau Hedwig, die sich nicht nur vor die verfolgten Roma stellte (EXPRESS-Jargon: "Klau-Kids"), sondern auch Hilfe organisierte, und zwar nicht nur in den üblichen "Die gute Tat"-Sammelaktionen vor Weihnachten, sondern gemeinsam mit den Betroffenen im Rom e.V. Immerhin: Alfred hat sie gewähren lassen - sicher aus schlechtem Gewissen.
Aber die Vorgänge im Stadtanzeiger waren in Köln ja noch nie Thema. Wer hätte auch darüber berichten sollen, und wo?
Wirklich aufgearbeitet worden ist deshalb auch in dieser Stadt bis heute nicht die Geschichte des Vaters von Alfred, Kurt Neven DuMont, und seine Verstrickung in den National-Sozialismus, war er - als angeblicher Hitlergegner - doch nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern auch Träger einer hohen NS-Auszeichnung, die ihm persönlich von Goebbels verliehen worden war.
Immerhin wurde seine Zeitung, die damals noch Kölnische Zeitung hieß, von den Alliierten 1945 geschlossen und bekam ihre Lizenz erst im Jahre 1949 zurück und auch nur, weil der "Redaktionsjude" Unger, der kurz vor dem Krieg nach London geflüchtet war, bei den Alliierten persönlich für das Verlagshaus eingetreten war. Und auch der Name musste damals gewechselt werden, von Kölnische Zeitung zu Kölner Stadtanzeiger, was bis dahin nur der Name eines Anzeigenblättchens gewesen war, vergleichbar dem heutigen "Wochenspiegel", der inzwischen auch zum Hause gehört.
Als die Veröffentlichungen in alternativen Zeitungen zunahmen, engagierte Alfred Neven DuMont auf Kosten des Hauses Historiker und veröffentlichte die Ergebnisse in seinem Blatt, ähnlich wie das andere Unternehmen getan hatten, die sich und ihren Produktionsapparat den braunen Terroristen zur Verfügung gestellt hatten. Auch hier war und ist das Haus DuMont Schauberg Richter in eigener Sache. Ein Zustand, den es sonst nirgendwo gibt und der dem
Karnevalsruf "Sujet jit et nur in Kölle" eine ganz andere Bedeutung verleiht, eine Kölsche eben.
Immerhin: Prinz Karneval, IHK-Präsident und Ehrenbürger ist Alfred Neven DuMont damit geworden. Ein großer Kölner eben.
Ob sein Werk Bestand haben wird, oder ob es ihm geht wie seinem Namensvetter, dem Kölner Bankier Alfred Oppenheim, dessen Lebenswerk zurzeit grade vom Landgericht zerpflückt wird, wird er nicht mehr entscheiden, und auch nicht seine Nachfolger, sondern die Entwicklung auf dem Anzeigenmarkt, der sich immer mehr weg von den Zeitungen ins Internet verlagert.
Und vielleicht ist der Tag gar nicht mehr so fern, wo wir mit Rührung an den guten alten Stadtanzeiger denken, nachdem Alfred zu seinem 80sten, also acht Jahre vor seinem Tod sogar Besuch von Kanzlerin Merkel bekam. Er hatte nämlich gerade von der Mecom-Gruppe u.a. die "Berliner Zeitung" und die "Hamburger Morgenpost" gekauft. ... Schaun mer mal. (PK)
Online-Flyer Nr. 514 vom 10.06.2015
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