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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Ist antifaschistisches und antirassistisches Engagement „Terrorunterstützung“?
Prozess in Düsseldorf gegen Kurdin Latife Adigüzel
Von Eugen Hardt und Peter Kleinert

Bereits am 18. Juni wurde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf die Anklageschrift gegen Latife Adigüzel, Vorsitzende der Anatolischen Föderation (AF) Wuppertal. verlesen. Die AF unterstütze die türkische Organisation DHKP, deren Ziel es sei, den Kapitalismus in der Türkei zu beseitigen. Für diesen Kampf habe sie einen bewaffneten Arm, die DHKP-C. Gleichzeitig betreibe die Partei legale Arbeit und nutze Europa als Rückzugsgebiet zur Rekrutierung von neuen Mitgliedern und zur Beschaffung von Geld. Deshalb werde Latife ein Verstoß gegen §129 StGB vorgeworfen.
 

Latife Adigüzel
Der 2. Verhandlungs- tag im 129b-Prozeß gegen Latife Adigüzel begann am vergan- genen Donnerstag mit einem Paukenschlag. In einer persönlichen Erklärung wies sie die Verdächtigungen der Bundesanwaltschaft zurück. Ihr Verteidiger RA Meister bean- tragte die sofortige Einstellung des Verfahrens, da die BA mit keinem Wort auf den Charakter des türkischen Staates eingegangen sei. Nicht Latife unterstütze mit ihrer antifaschistischen politischen Aktivität eine ausländische terroristische Organisation sondern der "Killerstaat Türkei", der aktuell die fundamentalistisch-faschistische Organisation „Islamischer Staat“ militärisch ausrüste und finanziere.
 
Persönliche Erklärung von Latife Adigüzel zu Beginn der Verhandlung

In dieser Erklärung  schilderte sie zunächst ihren persönlichen Werdegang. Groß geworden in einer demokratisch eingestellten alevitisch-kurdischen Familie sei diese vielfältigen Verfolgungen ausgesetzt gewesen. 1938 habe ein Völkermord durch die türkische Regierung mit Unterstützung Deutschlands an den  alevitischen Kurden stattgefunden. Selbst die „Frankfurter Rundschau“ habe dazu geschrieben, dass dabei 70.000 Aleviten umkamen und weitere 50.000 deportiert wurden. In ihrem Heimatdorf sei kürzlich ein Massengrab aus dieser Zeit gefunden worden u.a. mit den Gebeinen ihres Urgroßvaters. Auch in den folgenden Jahrzehnten setzte der türkische Staat die blutige Unterdrückung der kurdischen Aleviten fort. Tausende Menschen wurden getötet, eingesperrt, verbannt und gefoltert. Als Jugendliche habe sie nach dem Militärputsch 1980 erlebt, dass viele Verwandte wegen ihrer fortschrittlichen und linken Gesinnung eingesperrt und gefoltert wurden. Die Verantwortlichen seien bis heute nicht bestraft worden und ihre Nachfolger stellten heute die Führung von Militär, Justiz und Polizei. Sie sei in ihrer Kindheit und Jugend so von einem Klima der Angst, Unterdrückung, Vergewaltigung und Folter geprägt worden.
 
In Deutschland habe sie Kontakt zu antifaschistischen Menschen und Gruppen bekommen und habe heute Freundinnen und Freunde aus sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Frauenorganisationen und linken Gruppen. Viele waren aus der Türkei vor der Militärjunta geflohen. Ihnen habe sie durch Dolmetschen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche geholfen. So lernte sie auch Mitglieder der Menschenrechtsorganisation TAYAD kennen. Die „Junge Welt“ schrieb dazu, daß TAYAD eine lange Tradition habe. Beim Militärputsch seinen in der Türkei 260.000 Menschen verhaftet worden. Täglich seien Menschen auf der Straße ermordet worden. Folter und Demütigungen seien in den Gefängnissen an der Tagesordnung gewesen. Die Angehörigen der politischen Gefangenen, die diesen Angriffen am stärksten ausgesetzt gewesen seien, hätten sich in TAYAD zusammengeschlossen, um gegen die unmenschlichen Haftbedingungen zu protestieren.

Latife führte weiter aus, sie habe sich in Deutschland für humanistische, politische und soziale Ziele engagiert und insbesondere gegen die Unterdrückung der Frauen. Sie sei nicht Mitglied einer politischen Partei; das gelte auch für die DHKP-C. Es sei nicht richtig, wenn dies in der Anklageschrift behauptet würde. Sie habe sich für die Rechte der Migranten und antifaschistisch engagiert. Dazu habe sie sich an der Gründung von Vereinen beteiligt, in denen sich Migranten zusammenschließen konnten. Die Anatolische Föderation sei 2004 als deren Dachverband gebildet worden. Ziel der AF sei es, Freiheit und demokratische Rechte von Migranten aus der Türkei zu verteidigen und den Bezug zur anatolischen Kultur bei der jungen Generation wieder herzustellen. Konfrontiert mit vielen wirtschaftlichen und politischen Problemen in Deutschland büßten diese Menschen den gewohnten kollektivistischen Lebensstil, ihre Identität und Lebensfreude ein. Migranten hätten selbstverständlich das Recht, sich als Gruppe politisch zu äußern, wenn man bedenke, wie häufig Migranten Opfer rassistischer Übergriffe und Brandstiftungen seien. Die AF sei besonders auch gegen die NSU aktiv und fordere die Aufdeckung der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und der deutschen Polizei. Dies sei die politische Basis, auf der sich die AF bewege. Die Gründung der AF sei über einen demokratischen Prozeß erfolgt. 2009 sei sie von verschiedenen Städten und Ländern zur Vorsitzenden den demokratischen Prinzipien entsprechend gewählt worden.
Die AF kämpfe gegen Rassismus und Faschismus jeglicher Art und setze sich für soziale, politische und kulturelle Rechte der Migranten in Deutschland ein. Nach den zahlreichen Morden der NSU und dessen Unterstützung durch den Verfassungsschutz habe man insbesondere Rassismus und Faschismus bekämpft. In diesem Rahmen hätten auch Demos stattgefunden unter dem Motto „Der Verfassungsschutz soll aufgelöst werden, kein Platz für Nazis“. Die Kampagne gegen die NSU und den Verfassungsschutz laufe auch weiter.
 
Die AF habe Demos, Infostände und Veranstaltungen organisiert sowie Flugblätter verteilt. Dabei habe es sich stets um rechtmäßig angemeldete und legal geführte Aktivitäten gehandelt. Als Vorsitzende habe sie mit Menschen aus verschiedenen Richtungen Kontakte geknüpft. Die AF setze sich gegen jede Art von Ungerechtigkeit ein und auch für die Rechte der politischen Gefangenen in Deutschland und weltweit. Hierzu habe man viele Aktionen durchgeführt, die alle rechtmäßig bei den Behörden angemeldet worden seien.
 
Viele Migranten kämen aus Ländern, in denen Diktatur und Armut herrschten. Sie seien nach Deutschland geflohen, in ein Land, von dem sie meinten, es werde demokratisch regiert. Sie selbst als Vorsitzende käme auch aus so einem Land, in dem es weder Menschrechte gäbe noch Menschenwürde, und wo die Menschen gefoltert und hingerichtet würden. Das passiere auch durch die heutige Regierung.
 
Sehr viele Familien seien aus diesen Gründen nach Deutschland gekommen, um Zuflucht und Schutz zu suchen und in einem demokratischen Land friedlich zu leben. Sie hätten versucht sich in Deutschland zu integrieren, doch hätten sie dabei große Schwierigkeiten. Ein großes Problem der Migranten seien Arbeitslosigkeit, Rassismus, Kriminalität, Drogen und Glücksspiel. Die AF wolle diese Probleme zusammen mit den Migrantenfamilien lösen.
 
Organisierung sei ein demokratisches Grundrecht der Demokratie. Die Föderation habe von diesem Grundrecht Gebrauch gemacht. Sie als Vorsitzende der AF betrachte die §129a und b als Gesinnungsstrafrecht und als menschenverachtend. Politisch aktive Menschen, die sich gegen Faschismus und die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit faschistischen Kräften wendeten, würden nach Belieben verhaftet, eingesperrt und isoliert. Es handele sich letztlich um eine gegen die deutsche Verfassung und die Menschenrechte verstoßende Handlung, dass sie auf der Grundlage von Behauptungen und Mutmaßungen als Mitglied einer terroristischen Vereinigung hingestellt werde, als jemand, die eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen solle. Ein Verdacht werde gestreut, um einen Menschen, der seit Jahrzehnten öffentlich politisch gearbeitet habe und dessen Tätigkeit auch immer öffentlich bekannt gewesen sei, zu verhaften und mit Auflagen an einen Ort zu binden und seine Bewegungsfreiheit einzuschränken.  Das betrachte sie als ungerecht, unmenschlich und rechtlich unzulässig. Die AF habe nicht gegen die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland
verstoßen.

Latife schloss mit den Worten: „Deshalb fordere ich die Einstellung des Verfahrens gegen mich. Für das Recht auf freie Organisierung - Freiheit für alle demokratischen und antifaschistischen politischen Gefangenen !“
 
Latifes Verteidiger Rechtsanwalt Meister:

Angesichts dessen, dass die Bundesanwaltschaft Latife keinerlei konkrete Gesetzesverstöße vorwerfen könne, müsste das Verfahren umgehend eingestellt werden. Die Argumentation der Bundesanwälte lasse sich so zusammenfassen, so ihr Rechtsanwalt Meister:
Behauptung 1: Die DHKP-C ist eine terroristische Organisation, weil sie auch militant gegen den türkischen Faschismus kämpft. Dabei spielt es keine Rolle, welchen Charakter der türkische Staat hat.
Behauptung 2: Die Anatolische Föderation ist eine Tarnorganisation der DHKP-C, deren Zweck darin besteht, Gelder für den bewaffneten Kampf zu sammeln und Kämpfer zu rekrutieren. Als Beweis wird allein der Umgang mit Geldern als solchen aufgeführt, also z.B. der Verkauf von Eintrittskarten für Musikkonzerte.
Behauptung 3: Latife muss als Vorsitzende leitende Funktionärin der DHKP-C sein, weil für die Leitung einer Tarnorganisation nur Funktionäre in Betracht kommen. Eine konkrete Beweisführung ist darum nicht erforderlich.

Sollte es zu einer Beweisaufnahme kommen, entsteht eine groteske Situation: Mittels Materialien polizeilicher Überwachung wird die demokratische legale politische Arbeit von Latife und der AF „bewiesen“ werden, also angemeldete Demonstrationen, Veranstaltungen, Konzerte etc. „Bewiesen werden soll damit das, wozu sich Latife öffentlich bekennt, bewiesen werden soll, was öffentlich und legal stattfand und wozu Latife sich ausdrücklich bekennt. Dies wird ihr dann sicherlich als „Geständnis“ ausgelegt werden. Gleichzeitig soll mit dieser Art „Beweisaufnahme“ die Unterstützung einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ bewiesen werden und damit antirassistische und antifaschistische Arbeit kriminalisiert werden. Der Zusammenhang mit „Terror“ wird allein durch die nicht weiter hinterfragbaren Behauptungen hergestellt, die DHKP-C sei eine  terroristische Organisation, die AF ihre Tarnorganisation und Latife könne als Vorsitzende einer solchen nur Funktionärin der DHKP-C sein.

Eine solche Konstruktion und eine solche Beweisaufnahme sind offensichtlich ebenso überflüssig wie bizarr. „Nach der Logik der Staatsanwaltschaft war Mandela ein Terrorist, weil er den bewaffneten Kampf gegen das südafrikanische Regime unterstützte“

Danach stellte ihr Verteidiger, RA Meister, den Antrag, das Verfahren wegen „nicht behebbarer Verfahrenshindernisse und Verstößen gegen das Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzip“ einzustellen sowie den Haftbefehl gegen Latife aufzuheben.
Die Begründung dieses Antrags erfolgte politisch. Er befasste sich mit der Frage der Bewertung des bewaffneten Kampfes. Seinen Ausführungen zufolge sei allein das türkische Regime anzuklagen wegen „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ (§129b). Somit gehöre nicht Latife, sondern die Türkei angeklagt. Mit der Beantwortung der Frage des Charakters des türkischen Regimes stehe und falle die Anklage der Bundesanwaltschaft. Handele es sich bei der Türkei um ein diktatorisches Regime, welches ausländische Terrororganisationen wie den „Islamischen Staat“ unterstützt, sei ein bewaffneter Kampf gegen ein solches Regime kein Terrorismus sondern legitimer Widerstand.
Weiter stellte RA Meister fest, dass die Bundesanwälte nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, auch zugunsten eines Beschuldigten ermittelt hätten. Aus der Anklageschrift gehe hervor, dass dies unterlassen worden sei und auch seitens des Gerichts keine entsprechenden Schritte eingeleitet wurden. Weder in der Anklageschrift, noch in den Ermittlungsunterlagen sei eine Bewertung des Charakters des in der Türkei bestehenden Regimes vorgenommen wurden. Rechtspositivistisch seien Vorgänge in der Türkei losgelöst von den dort bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen aufgezählt worden. Die sogenannte Beweisführung stütze sich allein auf Informationen des türkischen Geheimdienstes und der türkischen Polizei.
 
Auch die Bewertung der DHKP-C könne nicht losgelöst von den bestehenden Verhältnissen und der Geschichte der Türkei vorgenommen werden. Entsprechend der Logik der Anklageschrift hätten auch die Widerstandskämpfer als „Terroristen“ verfolgt werden müssen, die 1942 Heydrich, den Mann Hitlers für die Endlösung der Judenfrage, töteten. Ein anderes Beispiel sei Mandela. Auch hier bedeute die Logik der Staatsanwaltschaft, dem Urteil des rassistischen südafrikanischen Gerichts zu folgen, welches Mandela wegen „Terrorismus“ zu lebenslanger Haft verurteilte. In seinem Schlusswort habe Mandela ausführlich die
Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes begründet.
Auch der Europäische Gerichtshof sei in einem Verfahren mit Bezug zu PKK und DHKP-C auf die Frage der Bewertung von Regimen eingegangen. Dort heiße es zur Frage der Bewertung von Organisationen, bzw. deren Unterstützung als „terroristisch“: „Es ist nicht zu leugnen, dass diese Prüfung eher noch als in rechtlicher in ethischer - zumal die Vorstellung einer innerhalb bestimmter Grenzen legitimen Gewaltanwendung mitschwingt - und politischer Hinsicht komplex und heikel ist. Bei dieser Prüfung wird kaum von einem Werturteil über die Beweggründe für die Handlung abgesehen werden können….Eine bestimmte Tat kann z.B. anders zu begründen sein, wenn sie im Rahmen des Widerstands gegen ein Regime begangen wird, das totalitär, kolonialistisch, rassistisch oder für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist….“ (Az. C-57/09 und C-101/09).
Weiter heiße es in diesem Text:
„Erstens sind die Natur, der Aufbau, die Organisation, die Aktivitäten und die Methoden der betreffenden Vereinigung sowie der politische, wirtschaftliche und soziale Kontext zu untersuchen, in dem diese Vereinigung in dem Zeitraum operierte, in dem der Betroffene ihr Mitglied war“.

Eine solche Prüfung finde man an keiner Stelle der Anklageschrift, obwohl es eine Vielzahl von Informationen gäbe, die sich direkt auf die DHKP-C beziehen. So habe der "Tagesspiegel“ am 25.10.2008 geschrieben: „Killer im Dienst des türkischen Staates. Ein Expolizist sagt, er habe in den 80ern und 90ern im Kurdengebiet etwa 1000 Menschen getötet. Ayhan Carkin ist stolz auf seine Ausbildung bei einer Spezialeinheit der türkischen Polizei….“Es kann sein, daß ich im Kampf gegen den Terror etwa 1000 Menschen getötet habe“. Alle Morde seien im Auftrag des Staates verübt worden.“

Auch unter der gegenwärtigen Regierung werde diese Praxis ungehindert fortgesetzt. Im Sommer 2012 sei Sedat Selim Ay zum stellvertretenden Polizeipräsidenten von Istanbul ernannt worden. Er sei jahrelang Leiter der Abteilung ´Terrorbekämpfung` gewesen und gelte als einer der gefürchtesten Folterer des Landes.
Weiter führte RA Meister aus, dass immer wieder die Türkei durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen schwerer Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze mit Bezug zu Menschen, die der DHKP-C angehören sollen, verurteilt worden sei. Nach dem Militärputsch 1980 seien zehntausende von Angehörigen/Sympathisanten der DHKP-C
festgenommen, gefoltert und ermordet worden. Die Tageszeitung Milliyet habe kürzlich eine „Offizielle Bilanz der Junta vom 12. September“ veröffentlicht, aus der nachfolgend zitiert werde:
„Das TBMM (türkisches Parlament) sowie die politischen Parteien wurden geschlossen und enteignet, das Grundgesetz wurde aufgehoben,
650.000 Personen wurden verhaftet,
1.683.000 wurden polizeilich festgenommen
In 210.000 Verfahren wurden 230.000 Personen verurteilt
Für 7000 Personen wurde das Todesurteil vor Gericht gefordert
517 Personen wurden zum Tode verurteilt
Die Todesurteile von 50 Personen wurden vollstreckt
71.000 Personen wurden nach dem TCK (türkisches Strafgesetz)§141, 142 und 163 verurteilt
98.404 Personen kamen nachweislich bei der Folter ums Leben
388.000 Personen erhielten ein Passverbot
300 Personen kamen bei einem verdächtigen Tod um
171 Personen kamen nachweislich bei der Folter ums Leben
937 Filme wurden verboten, weil sie für „bedenklich gehalten wurden
23.677 Vereine wurden geschlossen
39 Tonnen Zeitungen und Zeitschriften wurden vernichtet
In den Gefängnissen kamen 299 Personen ums Leben
144 Personen kamen bei „verdächtigen Umständen“ ums Leben“
RA Meister: "Das findet in der Anklageschrift nicht einmal Erwähnung!" Über spätere Ereignisse berichte die Zeitschrift „2000´e Dogru“, dass ein staatliches Exekutionskommando unter Leitung der für die großen Städte zuständigen Ibrahim Sahin und Mehmet Agar gebildet wurde. In Kurdistan habe der Polizist Mahmut Yildirim Dorfbewohner gezwungen Exkremente zu essen und auf dem Dorfplatz Menschen hingerichtet. 1987 sei die Kontraguerilla JITEM neu gegründet worden. Diese Organisation durfte Menschen töten, foltern, verschwinden lassen und eigene Untergrundorganisationen gründen. Gezielt sei man so gegen die DHKP-C vorgegangen.

In Kurdistan sei vom Staat die Terrorgruppe Hisbollah gebildet worden, die angeblich aus religiösen Gründen fortschrittliche Menschen aus der kurdischen Bewegung exekutiert habe. Weiterhin hätten Polizei und Geheimdienst ihre Morde unter dem Namen Hisbollah ausgeführt, Bomben gezündet und diese Taten dann der DHKP-C untergeschoben. Mit auf die Hisbollah gehe auch die faschistische Organisation „Islamischer Staat“ zurück, die mit Hilfe der westlichen Staaten groß geworden sei und aktuell mit klarer Unterstützung und Hilfe durch die Türkei blutigen Terror im nahen Osten ausübe. Die vollständige Ignoranz der Menschenrechtssituation in der Türkei durch die Staatsanwaltschaft sei ein schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, der nicht wieder gut gemacht werden
könne. Wegen dieses Verfahrenshindernisses sei der Prozeß einzustellen.

Politisches Ziel des Prozesses

Der Vorsitzende Richter machte sofort nach Verlesung des Antrages deutlich, wie er zu entscheiden gedenke. Die Ignorierung des gesellschaftlichen Hintergrundes und der Bewertung des Charakters des türkischen Staates und der Tätigkeit der DHKP-C in schriftlicher Form der Anklageschrift müsse nicht bedeuten, dass dies in der weiteren mündlichen Verhandlung nicht nachgeholt werden könne.
 
Durch den politischen Vorstoß von RA Meister steht das Gericht nun vor der Situation, dass die Bewertung des Charakters des türkischen Regimes prozeßentscheidend werden kann. Wenn es sich um einen „Killerstaat“ handelt, ist der bewaffnete Kampf legitim. Andernfalls steht das Gericht vor der Aufgabe, inhaltlich zu belegen und auszuführen, was an den vorgetragenen historischen und politischen Fakten unrichtig gewesen ist, um die Türkei als demokratischen Rechtsstaat hinzustellen. Dann wäre nicht mehr Latife die Angeklagte sondern das türkische Regime.
Aber ganz sicher wird das Gericht den bewaffneten Kampf in der Türkei nicht als legitim einstufen; die Folgen für die deutsche Außen- und Militärpolitik wären unabsehbar. Interessant wird aber die Art und Weise sein, in der das Gericht versuchen wird, aus einem Killerstaat einen demokratischen Rechtsstaat zu machen.
Davon gänzlich unabhängig ist die Beantwortung der Frage, was Latifes legale antifaschistische und antirassistische Tätigkeit mit der DHKP-C zu tun hat. Nach Stand der Dinge läuft es darauf hinaus, politische Kritik am türkischen System nur deshalb als „Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation“ anzusehen, weil eine ähnliche oder gleiche Kritik auch von der DHKP-C geäußert wird. So entsteht ein direkter Zusammenhang zur Bewertung des Charakters der Türkei: Ziel des Prozesses seitens des Staates und seines politischen Obergerichts scheint die Unterstützung des ausländische klerikalfaschistische Terrorgruppen anleitenden Staates Türkei und die Kriminalisierung nicht nur von türkischen Widerstandskämpfern sondern von allen Menschen, die das türkische Regime als das bezeichnen was es ist, als einen Unrechtsstaat, der nach innen diktatorisch und
menschenrechtsverachtend und nach außen terroristisch agiert.(PK)
 
Eugen Hardt ist Mitarbeiter des Netzwerks "Freiheit für alle politischen Gefangenen":
http://political-prisoners.net/


Online-Flyer Nr. 517  vom 01.07.2015

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