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Inland
Griechenland als ersten Staat in Richtung Abschied aus der Eurozone teibend
Der Preis der Austerität
Von Hans Georg

Die Berliner Spardiktate treiben mit Griechenland den ersten Staat in Richtung Abschied aus der Eurozone. Nach der Ankündigung der griechischen Regierung, die Erfüllung der jüngsten Austeritätsforderungen aus Berlin und Brüssel von einer Zustimmung der Bevölkerung in einem Referendum abhängig zu machen, hat die Eurogruppe am Samstag die Verhandlungen mit Athen über eine Krisenlösung abgebrochen und den griechischen Finanzminister von ihren Treffen ausgeschlossen. Eine Rücksichtnahme auf das Votum der griechischen Bevölkerung wird von der Eurogruppe ebensowenig in Betracht gezogen wie ein Abweichen von den deutsch inspirierten Kürzungsprogrammen, die Griechenland binnen nur fünf Jahren in die ökonomische und soziale Katastrophe getrieben haben. Ökonomen unterschiedlichster Denkschulen halten eine Lösung der Eurokrise auch nach einem Ausscheiden Griechenlands für kaum möglich. Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, die griechischen Banken mit Notkrediten stützen zu wollen, um das Land zumindest vorläufig in der Währungszone zu halten. Wie das langfristig gelingen soll, ist nicht ersichtlich.
 
Referendum: "Merkwürdig", "unfair"
 
Auslöser für den Abbruch der Griechenland-Verhandlungen durch die Eurogruppe am Samstag ist die Ankündigung der griechischen Regierung gewesen, die Entscheidung über die von Berlin und Brüssel verlangte Ausweitung der Sparmaßnahmen der griechischen Bevölkerung zu überlassen - schließlich hätte diese die Lasten tragen und eine weitere Verarmung hinnehmen müssen. Dass Athen die Betroffenen mit einem Referendum befragen wolle, sei "sehr merkwürdig", wurde ein Vertreter der Eurogruppe zitiert; dass die griechische Regierung ihnen nicht zur Zustimmung raten wolle, sei "unfair", beschwerte sich Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem.[1] Bei bisherigen Referenden in der EU ist es in der Tat üblich gewesen, dass die jeweilige nationale Regierung mit aller Kraft für die Brüsseler Vorstellungen warb und im Falle einer Ablehnung - so etwa in Irland - eine Wiederholung anberaumte, bis das gewünschte Ergebnis vorlag.[2] Dass die griechische Regierung sich diesen Usancen nicht mehr beugt, wird von Berlin und Brüssel nicht akzeptiert. Mit ihrem Vorgehen habe die Regierung Tsipras "den Verhandlungstisch verlassen", interpretierte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble die Unbotmäßigkeit Athens; es sei daher klar, dass das "Hilfsprogramm am Dienstag endet".[3]
 
Kein Abschied von den Spardiktaten
 
Dabei hatte die Regierung Tsipras erst im letzten Moment auf das Referendum zurückgegriffen. Bis zum Freitag hatte sie an dem Versuch festgehalten, eine Verhandlungslösung zu erzielen, die jedoch nicht zustande kam, weil Berlin und Brüssel kompromisslos auf einer Fortsetzung der bisherigen Austeritätspolitik bestanden. Diese aber hat Griechenland seit 2010 wirtschaftlich abstürzen lassen und die Bevölkerung in Armut und Verelendung getrieben (german-foreign-policy.com berichtete [4]); eine Wende war - allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, wie sie seit Jahren in regelmäßigen Abständen aus Brüssel zu hören sind - bis zum Schluss nicht in Sicht. Die Spardiktate waren der gesamten EU im Verlauf der Eurokrise vor allem von Berlin oktroyiert worden. In Athen wird denn auch regelmäßig auf ihre deutsche Handschrift hingewiesen; Proteste, die sich dagegen richten, werden in der Bundesrepublik regelmäßig als "antideutsch" etikettiert.
 
Ausgesperrt
 
Nach der Entscheidung, die Verhandlungen mit Griechenland abzubrechen und das Hilfsprogramm zu beenden, hat die Eurogruppe Athen von ihren Zusammenkünften ausdrücklich ausgeschlossen. Finanzminister Gianis Varoufakis durfte an den Gesprächen seiner 18 Euro-Amtskollegen nicht mehr teilnehmen - obwohl Griechenland, wie die Eurogruppen-Finanzminister bestätigen, offiziell immer noch Teil der Eurogruppe ist. Auf welcher Grundlage Varoufakis' Ausschluss erfolgte, ist völlig unklar, denn mit ihm wird einem souveränen Staat immerhin die Mitbestimmung über seine Währung entzogen. Faktisch nimmt Varoufakis' Ausschluss den Austritt Griechenlands aus der Eurozone vorweg.
 
Griechenland: "Kein Einzelfall"
 
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat angekündigt, die griechischen Banken vorläufig mit Notkrediten stützen zu wollen, um das Ausscheiden des Landes aus der Eurozone zu verhindern. Wie dies langfristig gelingen soll, ist nicht ersichtlich. Aus der Eurogruppe heißt es bereits beschwörend, man werde verhindern können, dass nach einem ökonomischen Kollaps und einer etwaigen Wiedereinführung der Drachme in Griechenland weitere Euroländer in den Krisenstrudel gezogen werden - etwa Portugal oder sogar Italien. Ökonomen unterschiedlichster Denkschulen geben sich jedoch skeptisch. "Egal, wie die Griechen-Krise ausgeht: Die Währungsunion wird nicht zur Ruhe kommen", prognostiziert etwa Thomas Mayer, ein ehemaliger Chief European Economist der Deutschen Bank in London und Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Frankfurt am Main. Wie Mayer urteilt, ist "die Konstruktion des Euro selbst ... das Problem", das auch zukünftig regelmäßig in die Krise treibe. Wer meine, "dass Griechenland ein Einzelfall" sei und sich die Wirtschaft in den übrigen Staaten der Währungszone dauerhaft erholen könne, "unterschätzt die durch niedriges Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und übermäßige Verschuldung in vielen Euroländern lauernden Gefahren", warnt Mayer.[5]
 
Folgenreiches Lohndumping
 
Ebenfalls nicht mit einer Stabilisierung der Eurozone rechnet der ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Heiner Flassbeck. "Wir haben seit sechs Jahren Rezession in der Währungsunion", erklärt Flassbeck: "Nicht nur Griechenland", auch Frankreich oder auch Italien befänden sich "in einer schlechten Situation".[6] Die Eurogruppe jedoch sei wegen der deutschen Spardiktate faktisch handlungsunfähig: "Wir sparen wie die Teufel und glauben, aus diesen Ersparnissen werden wie durch ein Wunder Investitionen." Genau dies aber sei bis heute nicht der Fall. Die deutsche Wirtschaft wachse ungebrochen, weil die Bundesrepublik per "Lohndumping" Konkurrenzvorteile gegenüber anderen Eurostaaten erzielt habe, die daraufhin ihre Importe aus Deutschland gesteigert hätten, was wiederum deutschen Unternehmen stets neue Profite sichere, die importierenden Staaten aber immer weiter in die Verschuldung treibe. "Wir können nicht gleichzeitig die Schuldner beschimpfen, dass sie Schulden machen, und aber fest darauf vertrauen, dass sie wieder neue Schulden machen, damit unser Wachstum läuft", warnt Flassbeck. Die einzige Lösung bestehe darin, dass die Bundesrepublik per Lohnsteigerung - Flassbeck spricht von jährlich fünf Prozent über eine Dauer von zehn Jahren - Nachfrage schaffe und es damit anderen Eurostaaten ermögliche, "wieder auf eine normale wirtschaftliche Entwicklung zu kommen". Andernfalls, urteilt der ehemalige Finanz-Staatssekretär, "gibt's halt keine Währungsunion mehr". (PK)
 
Mehr zur deutschen Griechenland-Politik: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Austerität tötet, Millionen für Milliarden, Erbe ohne Zukunft, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz, Die Bilanz des Spardiktats, Unter Geiern, Geschlossen unter deutscher Führung, Dringender Appell, Von Irrläufern, Zockern und Bürschchen und Die strategische Flanke.
 
[1] Ruth Berschens, Jan Hildebrand: Europa wappnet sich für Griechenlands Pleite. www.handelsblatt.com 27.06.2015.
[2] S. dazu No means Yes.
[3] Ruth Berschens, Jan Hildebrand: Europa wappnet sich für Griechenlands Pleite. www.handelsblatt.com 27.06.2015.
[4] S. dazu Die Folgen des Spardiktats, Verelendung made in Germany, Todesursache: Euro-Krise und Die Bilanz des Spardiktats.
[5] Thomas Mayer: Normalzustand Euro-Krise. www.faz.net 27.06.2015.
[6] Andreas Maschke: Ökonom Flassbeck: "Es ist nicht nur Griechenland". derstandard.at 26.06.2015.
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von gfp übernommen.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59145
 


Online-Flyer Nr. 516  vom 28.06.2015

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