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Inland
Will Berlin Griechenland weiter in den wirtschaftlichen Kollaps treiben?
"Gehört zum Teufel gejagt"
Von Hans Georg

Die Bundesregierung hat am Dienstag vergangener Woche ein letztes Verhandlungsangebot aus Griechenland zur Verlängerung des EU-Hilfsprogramms zurückgewiesen. Vor dem griechischen Referendum, das am Sonntag stattfinden solle, sei Berlin nicht mehr zu Gesprächen mit Athen bereit, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit. Entsprechend lehnte die Eurogruppe am Abend einen Kompromissvorschlag von Ministerpräsident Alexis Tsipras ab. Das Hilfsprogramm sei um Mitternacht endgültig abgelaufen, Athen erhalte nun keine Gelder mehr. Bereits zuvor hatte Berlin, das seine brutale Austeritätspolitik um jeden Preis durchzusetzen sucht, Griechenland weiter in den wirtschaftlichen Kollaps getrieben: Auf deutschen Druck hatte die Europäische Zentralbank (EZB) eine Ausweitung der Notkredite für griechische Banken verweigert; Kapitalverkehrskontrollen wurden deswegen unvermeidlich. In Berlin hieß es, Athen solle das Referendum absagen, bei dem die griechische Bevölkerung implizit auch über die deutschen Spardiktate für die Eurozone abstimmte. Deutsche Medien und Journalisten begleiteten die eskalierende Krise mit den üblichen verächtlichen Äußerungen über die Regierung Griechenlands.
 
Nicht mehr verhandlungsbereit
 
Am Nachmittag hatte der griechische Ministerpräsident auf eine Initiative von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reagiert. Juncker hatte Tsipras nahegelegt, schriftlich das jüngste Verhandlungsangebot aus Brüssel zu akzeptieren und zu versprechen, vor dem Referendum am Sonntag für ein "Ja" zu erneuten Sparmaßnahmen zu werben. Dies wäre gleichbedeutend mit einer vollständigen Kapitulation Athens gewesen. Tsipras antwortete, seine Regierung könne sich neue Kredite vorstellen - bei einer gleichzeitigen Umstrukturierung der griechischen Schulden und einer Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms um einige Tage, um den Staatsbankrott zu vermeiden. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem berief daraufhin eine Sonder-Telefonkonferenz der Eurogruppe ein, die jedoch Tsipras' Vorschlag dann letztlich zurückwies: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Nachmittag erklärt, sie sei vor dem Referendum zu keinerlei Verhandlungen mit Griechenland mehr bereit.[1]
 
Bankenschließung erzwungen
 
Berlin treibt Griechenland damit weiter in den wirtschaftlichen Kollaps. Ohnehin resultierte die Krise in hohem Maße daraus, dass die von der Bundesregierung oktroyierte Austeritätspolitik die griechische Wirtschaft seit Jahren abschnüret. Zudem hatte am Sonntag vergangener die Europäische Zentralbank (EZB) auf massiven deutschen Druck die Notkredite für Griechenland nicht ausgeweitet, sondern eingefroren. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann war selbst dies nicht genug gewesen; im EZB-Rat hatte er Berichten zufolge sogar dagegen gestimmt, die Notkredite überhaupt aufrechtzuerhalten. Mit der Weigerung, sie aufzustocken, habe man "faktisch eine Schließung der Banken" in Griechenland erzwungen, räumten Notenbankkreise bereits am Sonntag ein.[2] In der Tat hatte Ministerpräsident Tsipras nach der EZB-Entscheidung keine andere Wahl, als strikte Kapitalverkehrskontrollen zu verhängen - dank Berlin.
 
Va banque
 
Die Restriktionen in puncto Notkredite zielten nicht zuletzt darauf ab, auf das Referendum Einfluss zu nehmen, das die Athener Regierung für Sonntag angekündigt hatte. Am Wochenende deuteten erste Umfragen auf eine klare Mehrheit für ein "Nein" zum letzten Verhandlungsangebot aus Brüssel und zu den darin enthaltenen Sparforderungen hin. Beobachter urteilten aber schon am Montag zuvor, "die Zahl der Neinstimmen" könne womöglich schrumpfen, "wenn Banken schließen und Geldautomaten keine Scheine mehr ausgeben".[3] Dies ist nach dem Einfrieren der Notkredite durch die EZB der Fall. Kommentatoren deutscher Leitmedien knüpften darauf offen "Hoffnung" an die weitere Abschnürung der griechischen Wirtschaft. Es sei "nicht ausgeschlossen, dass der Zorn und die Angst der Griechen, die vor leeren Bankautomaten und Tankstellen stehen, sich gegen die eigene Regierung wenden und diese auch in der Volksbefragung Schiffbruch erleidet", hieß es exemplarisch.[4] Berlin spielte va banque, allerdings nicht mit dem eigenen Vermögen, sondern mit den Überlebensressourcen der griechischen Gesellschaft.
 
Das Referendum
 
Ergänzend forderten deutsche Spitzenpolitiker ganz offen, das Referendum über die Sparmaßnahmen ausfallen zu lassen. "Das beste wäre, wenn Herr Tsipras das Referendum absagt", erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Dienstag vergangener Woche am Rande einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion.[5] Gabriel hatte bereits zuvor mit Blick auf die Abstimmung massiv Druck auf die griechische Bevölkerung auszuüben versucht. Ein "Nein" zu den Brüsseler Angeboten sei "ein klarer Entscheid gegen den Verbleib im Euro", behauptete er.[6] Umfragen zeigten, dass in Griechenland zurzeit keine Mehrheit für den Ausstieg aus dem Euro besteht.
 
Verachtung
 
Deutsche Medien begleiteten die Kriseneskalation mit den mittlerweile schon üblichen verächtlichen Äußerungen über die griechische Regierung. So hieß es, in Athen hätten "Giannis Varoufakis und die vulgärkeynesianischen Laienpriester vom 'Bündnis der radikalen Linken' ... die Arbeit mehrerer Jahre zunichtegemacht".[7] Wer jetzt noch Verständnis für die Regierung Tsipras aufbringe, sei ein "Griechenland-Versteher" [8] - analog zum "Putin-Versteher". Rolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, nannte die Athener Regierung in einer TV-Sendung die "Jungs von Syriza", die "Europa am Nasenring durch die Manege" führten. "Im letzten Programm waren Zugeständnisse drin, die die Bundesregierung nie machen wollte", sagte Krause und fuhr fort: "Ich habe nicht gedacht, dass die Griechen so blöd sind, das nicht anzunehmen. Wer so vorgeht, gehört zum Teufel gejagt."[9] Krauses Ausbrüche seien kein Einzelfall, hielt ein Kommentator fest: "Diese kaum verhohlene Verachtung für Tsipras gibt eine verbreitete Stimmung wieder".[10]
 
Mehr zur deutschen Griechenland-Politik: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Austerität tötet, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz, Die Bilanz des Spardiktats, Unter Geiern, Geschlossen unter deutscher Führung, Dringender Appell, Von Irrläufern, Zockern und Bürschchen, Die strategische Flanke und Austerität um jeden Preis. (PK)
 
 
[1] Athen macht neuen Vorschlag zur Lösung der Krise. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.07.2015.
[2] Sebastian Jost: Bundesbank-Präsident Weidmann gegen Notkredite. www.welt.de 28.06.2015.
[3] Michael Martens: Vom Grexit zum Alexit? Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.06.2015.
[4] Berthold Kohler: Die Hoffnung auf den Schiffbruch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.06.2015.
[5] Athen bittet IWF um Verlängerung der Rückzahlungsfrist. www.tagesspiegel.de 30.06.2015.
[6] Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Bundeswirtschaftsminister Gabriel im Bundeskanzleramt, 29.06.2015.
[7] Michael Martens: Chaosverwalter. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.06.2015.
[8] Berthold Kohler: Überreizt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.06.2015.
[9] "Zum Teufel mit der Griechen-Regierung". www.bild.de 30.06.2015.
[10] Frank Lübberding: "Das ist sowas von verantwortungslos". www.faz.net 30.06.2015.
 
Diesen Artikel haben wir am Mittwoch vergangener Woche mit Dank von GFP erhalten und am Montag nach dem Referendum aktualisiert.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59148
 


Online-Flyer Nr. 517  vom 05.07.2015

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