Arbeit und Soziales
Air France: Arbeitsplätze preisgegeben und Protestierende kriminalisiert
„Wer Gewalt sät, wird Zorn ernten“ (1)
Von Georges Hallermayer
Der Boss kam schon gar nicht. Der Vorstandsvorsitzende von Air France, Frederic Gagay, ließ sich vertreten. Er schickte seinen Finanz- und Personalvorstand. Und die beiden mussten am Montag vergangener Woche den Beschäftigten auf der Personalversammlung verklickern, dass 2.900 von ihnen bis 2017 entlassen werden. Nach drei Sozialplänen - verbunden mit Hunderten von Entlassungen in den vergangenen Jahren - eine Ungeheuerlichkeit. Die Manager setzten sich schon in die Nähe des Notausgangs, um sich schnell abzusetzen. Rechneten sie damit, schnell verschwinden zu müssen, wer weiß?
Frankreichs sozialistischer Präsident und
„Charaktermaske“ François Hollande
NRhZ-Archiv
2.900 Mitarbeiter verurteilte die brutale Gewalt ihres freundlich-lächelnd vorgebrachten Wortes zum beruflichem Aus, zu einer ungewissen Zukunft. Ihren Familien, nochmals etwa 10.000 Menschen, bringt der Kollateralschaden existentielle Sorgen, dazu die mittelbar betroffenen mittelständischen Geschäftsleute finanzielle Turbulenzen - nicht zu vergessen die sechs Kollegen, die nunmehr von der Justiz verfolgt werden. Ihnen gehört unsere Solidarität, nicht den Schreibtischtätern, die bislang 10.000 Arbeitsplätze bei Air France vernichtet haben, und - wie das Wochenblatt „Canard Echainé“ aufdeckte – vorhaben, weitere 5.000 Kollegen „freizusetzen“.
Dabei sind die Manager von Air France nur die Handlanger, die ausführenden Arme der über ihnen stehenden „Charaktermasken“ wie sie Karl Marx nannte, hier des Präsidenten der Republik, François Hollande. Er hatte - um wiederum die Geschäfte eines der mächtigsten französischen Großkapitalisten Dassault zu befördern - der mit „Le Figaro“ als eigener Tageszeitung im Rücken - im Verein mit seinem „Verteidigungsminister“ Jean-Yves Le Drian die viele Jahre unverkäuflichen Todesmaschinen an den Mann, sprich an den Emir von Quatar, gebracht hat: 24 Mehrzweck-Kampfflugzeuge der Marke “Rafale“. Der Emir von Quatar wiederum kaufte die Ladenhüter (mit denen das blockfreie Libyen zerbombt wurde) nur, wenn – wie Le Monde am 4. Mai schrieb – im Gegenzug Quatar Airways zusätzliche Landerechte in Frankreich gewährt würden, die Touristenzentren von Nizza und Lyon im Auge. Womit wir wieder bei Air France wären: „Ein harter Schlag für Air France“ wie Le Monde schon im April vorrechnete: Mindestens 300 Arbeitsplätze pro eingesetztem Langstreckenflugzeug stünden auf dem Spiel, sobald die arabische Billig-Konkurrenz Air France verdrängt.
Und die Vereinigten Emirate ziehen nach. Sie haben ebenso Interesse an Rafale angekündigt, natürlich unter der gleichen Bedingung, auch weitere Fluglinien nach Frankreich für ihre Fluglinie Etihad einrichten zu können. Die nationale Gewerkschaft der Linienpiloten von Air France SNPL spricht vom „mort a terme“, dem „letztendlichen Tod des gesamten Sektors, wenn neue Linien an Quatar Airways zugeteilt“ werden. Dabei schneidet sich der französische Staat als 16prozentiger Anteilseigner von Air France ins eigene Fleisch - ins eigene Fleisch? Abgesehen von dem Verlust von Arbeitsplätzen bei Air France wird auf kaltem Wege Volkseigentum verschleudert, 100.000 Arbeitsplatze im Flugzeugbau und Knowhow vernichtet, wie die Gewerkschaft SNPL als Folge befürchtet, vom Verlust nationaler Autonomie oder gar demokratischer Kontrollrechte über Wirtschaftseinheiten gar nicht zu sprechen.
Le Monde spricht von einer „unverständlicher Entscheidung“, ja wenn der sozialistische Präsident wirklich sozialistisch wäre, aber auch der Staatspräsident spielt nur seine Rolle im Kapitalismus als „Charaktermaske“ im Interesse des französischen Finanzkapitals, hier des militärisch-industriellen Komplexes mit der Gruppe Dassault Aviation im Zentrum.
Am Montag vergangener Woche begannen die Solidaritätsaktionen für die in Untersuchungshaft gesteckten Kollegen mit einer Manifestation vor der Frachtabfertigung im Flughafen Roissy. Es war „ein Schrei des Zorns und keine Lynchjustiz“ erklärte ein Angestellter von Air France. Die fünf Angestellten in Untersuchungshaft stehen am 2. Dezember vor Gericht. Die Beschäftigten protestierten gegen die Kriminalisierung der Kollegen, während Steuerhinterzieher und Geldwäscher wie Ex-Finanzminister Jerome Cahuzac oder der Bürgermeister von Levallois-Perret Patrick Balkany mit Samthandschuhen angefasst werden. Aus der Presse mussten die Kollegen erfahren, dass für 2017 vorgesehen ist, weitere 5000 Arbeitsplätze zu vernichten.
Allerdings verstärkt Air France mit der Regierung Valls im Rücken die Repression: Elf Angestellte der Frachtabteilung von Air France wurden letzten Dienstag und Mittwoch polizeilich vernommen. Zwei Piloten wurden bis Ende November suspendiert, wie die Pilotengewerkschaft SNPL bestätigte. Dies geht einher mit dem Urteilsspruch des Arbeitsgerichts in Bobigny (Region Paris) vom letzten Freitag, dass die Piloten eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit hinzunehmen hätten. Und das gleiche Amtsgericht wird am 2. Dezember ihr Urteil über die „5 von Air France“ fällen!
Aber auch der Widerstand wächst und wächst weiterhin. Die im Zivilflugsektor vertretenen 12 Gewerkschaften haben in ihrer gemeinsamen Erklärung vehement protestiert, fordern die juristisches Verfolgung der verhafteten Kollegen und die Disziplinierung bei Air France einzustellen. Um sich Gehör zu verschaffen, rufen sie alle Beschäftigten für den 22. Oktober auf die Straße – vor der Nationalversammlung um 13 Uhr. Die CGT der Sektion Archives setzte eine Petition ins Netz „Stoppt die Verfolgungen, Freilassung der Sechs von Air France“. Bis zum 14. Oktober Mittag hatten 12.187 unterschrieben. Die Solidaritätserklärungen der anderen Branchen der Gewerkschaft CGT häufen sich. Am letzten Freitag, so berichtete actuToulouse, haben sich über Hundert Demonstranten vor dem Industriezentrum von Air France om Blagnac versammelt und haben vor den Augen ihrer Oberen eine Spendensammlung für die von Geld-oder gar Haftstrafen bedrohten Kollegen in Angriff genommen. Und das ist mit Sicherheit kein Ende der Fahnenstange. Der 2. Dezember, wenn die fünf verhafteten Kollegen vor Gericht gestellt werden, wird ein weiterer Meilenstein sein, der staatlich von Regierungsseite geförderten Repression der Unternehmer – Air France ist schließlich nur eine Spitze des Eisbergs – zu begegnen. Die Mobilisierung von Solidarität läuft…(PK)
(1) Ein Satz von Jean Jaurès (geboren am 3. September 1859 in Castres, Tarn, Frankreich; gestorben am 31. Juli 1914 in Paris). Jaurès war ein französischer Historiker und sozialistischer Politiker sowie in seinem Heimatland einer der bekanntesten Vertreter des Reformsozialismus am Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Er wurde am 31. Juli 1914 (und damit unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs) von einem französischen Nationalisten ermordet.
Autor Georges Hallermayer ist Historiker, mit Berufsverbot verhinderter Gymnasiallehrer, hat 30 Jahre lang internationalen Führungskräften Deutsch beigebracht, lebt seit 20 Jahren in Frankreich in einer bikulturellen Familie und ist Mitglied im Vorstand der Marx-Engels-Stiftung. Er schrieb diesen Artikel am 11. Oktober 2015, last updated 18. Oktober 2015
Online-Flyer Nr. 533 vom 21.10.2015
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