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Inland
2013 erklärte Angela Merkel öffentlich mit Bezug auf die NSA:
"Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht."
Von Hans Georg

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, diplomatische Vertretungen mehrerer EU-Staaten und der USA, UNICEF sowie einen deutschen Diplomaten ausspioniert. Dies geht aus aktuellen Berichten unter Bezug auf eine vom BND vorgelegte, 900 Seiten starke Liste sogenannter Selektoren hervor. Über das Ausspähen enger Verbündeter ist das Bundeskanzleramt laut einem hohen Regierungsbeamten bereits 2008 informiert worden. Verantwortlich für den BND war damals in letzter Instanz Kanzleramtsminister Thomas de Maizière. Elektronisch ausgeforscht worden sind, wie es heißt, auch mehrere US-Ministerien, darunter das State Department, zudem das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und eine Vertretung des Vatikan. Die These, der BND sei in der Kooperation mit der NSA, in der er die Kommunikation zahlreicher Verbündeter abfing und an den US-Dienst weiterreichte, von diesem sozusagen über den Tisch gezogen worden, ist nun endgültig nicht mehr zu halten. Nicht bekannt ist bisher, ob die eigenständigen Spionageattacken des BND auf EU-Staaten sowie die USA bereits - wie die Kooperation mit der NSA - unter Rot-Grün begannen. Die Letztverantwortung für den BND trug damals Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier.

 


Verantwortlich für den BND war von 2005 bis 2009
Kanzleramtsminister Thomas de Maizière
NRhZ-Archiv
Regierungsstellen ausgeforscht

 

Die aktuellen Vorwürfe gegen den BND kommen zu jenen hinzu, die den Dienst bereits wegen seiner Abhörkooperation mit der US-amerikanischen NSA trafen. Diese ist Gegenstand von Untersuchungen eines Sonderermittlers gewesen, des ehemaligen Bundesverwaltungsrichters Kurt Graulich. Graulich, der offiziell im Auftrag des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages tätig war, tatsächlich aber von der Bundesregierung bezahlt und bestellt wurde [1], analysierte beinahe 40.000 sogenannte Selektoren - Suchbegriffe, sehr oft E-Mail-Adressen, nach denen der BND die von ihm in der Abhörzentrale Bad Aibling abgefangene elektronische Kommunikation im Auftrag der NSA durchforstete. Graulich kam zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Selektoren "Regierungsstellen von EU-Ländern betrafen"; darüber hinaus habe er "in einer überraschend großen Zahl" deutsche Ziele vorgefunden.[2] 

 


Kurt Graulich, seit 2013 Richter in Pension
Quelle: Deutschlandfunk

 

Bemerkenswert ist, dass Graulich nur diejenigen Selektoren analysierte, die anzuwenden der BND früher oder später ablehnte. Völlig unklar ist deshalb nach wie vor, wen der BND im Auftrag der NSA dauerhaft ausspionierte. Außerdem hat Graulich einem Bericht zufolge "wichtige", dabei aber hoch umstrittene "rechtliche Einschätzungen ohne Quellenangabe" und ohne kritische Einordnung "aus einem vertraulichen, vier Seiten langen Kurzgutachten des Bundesnachrichtendienstes abgeschrieben".[3] 

 


Ausgespäht vom BND: Frankreichs
Außenminister Laurent Fabius
NRhZ-Archiv

 

Von einer angemessenen Aufarbeitung der BND-Kooperation mit der NSA kann also keine Rede sein, geschweige denn von einer Antwort auf die Frage, welchen Nutzen der BND aus der Zusammenarbeit zog. 

Telefonate abgehört, E-Mails mitgelesen

Als der Graulich-Bericht Ende Oktober bekannt wurde, hieß es bereits, man solle "vorsichtig sein im Erheben von Vorwürfen" gegen die NSA, da der BND seinerseits US-Regierungsstellen ausspioniert habe.[4] In der Tat waren entsprechende BND-Aktivitäten bereits Mitte Oktober in den Grundzügen bekannt geworden. Der Dienst habe US-amerikanische, aber auch französische Ziele systematisch abgehört, war damals zu erfahren. So seien beispielsweise das Lagezentrum des US-Außenministeriums, die US-Streitkräfte in Afghanistan, die US-Botschaft im Sudan sowie die Botschaft Frankreichs in Niger ausgeforscht worden. Insgesamt habe sich die BND-Spionage gegen ungefähr 700 Personen gerichtet; dazu habe der Dienst etwa 2.800 Selektoren genutzt, "um bei Diplomaten, Militärs und Regierungsmitarbeitern befreundeter Länder Telefonate abzuhören und E-Mails mitzulesen".[5] Es sei noch nicht klar, "welche Ziele in Europa und den USA" jenseits der genannten Einrichtungen ausgeforscht wurden. 

State Department und Oxfam im Visier

Ende vergangener Woche wurden einige dieser Ziele bekannt. Laut einem Bericht des Magazins "Der Spiegel" spähte der Dienst zahlreiche US-Regierungsstellen aus, darunter die Washingtoner Ministerien für Inneres und für Finanzen, die Reisewarnungs-Hotline des Außenministeriums, die diplomatischen US-Vertretungen bei der EU und bei den Vereinten Nationen sowie diplomatische Vertretungen der Vereinigten Staaten in Deutschland. Die BND-Spionage richtete sich demnach auch gegen die Innenministerien Polens, Dänemarks, Österreichs und Kroatiens und gegen diplomatische Vertretungen Schwedens, Frankreichs, Großbritanniens, Portugals, Spaniens, Italiens, Griechenlands, Österreichs und der Schweiz, des weiteren gegen eine Vertretung des Vatikan. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz stand im Fokus von BND-Abhörmaßnahmen, die auch Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam und Care International ins Visier nahmen.[6] 

Frankreichs Außenminister als Spionageziel

Am 11. November hat ein Bericht des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) die Liste der bekannten Spionageobjekte noch erweitert. Der Bericht bezieht sich auf eine etwa 900 Seiten lange Liste mit Selektoren für Ziele in Europa und den USA. Darauf fänden sich "Stabsstellen in europäischen Regierungszentralen und Ministerien sowie zahlreiche Botschaften von EU-Ländern und den USA", heißt es.[7] Auch "zahlreiche europäische und amerikanische Firmen" seien enthalten, darunter Rüstungskonzerne wie etwa Lockheed (USA). Der Vorwurf der Industriespionage, der immer wieder gegen die NSA erhoben wurde, trifft also auch den BND. Ins Visier genommen hat der deutsche Dienst laut rbb zudem das FBI und den US-Auslandssender Voice of America, darüber hinaus aber auch UNICEF, die WHO und den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Als besonders schwerwiegend gilt, dass der BND auch den französischen Außenminister Laurent Fabius auf seiner Liste hatte, der seit 2012 amtiert, und dass er den deutschen Diplomaten Hansjörg Haber abgehört hat. Haber ist zurzeit als Botschafter der Bundesrepublik in der Türkei tätig. Seine Ehefrau Emily Haber, die wohl indirekt von den Abhörmaßnahmen mitbetroffen ist, war von 2009 bis 2011 Politische Direktorin und von 2011 bis Ende 2013 Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, bevor sie im Januar 2014 ebenfalls als Staatssekretärin ins Bundesinnenministerium wechselte. Bemerkenswert ist nicht zuletzt, dass die 900-Seiten-Liste, die jüngst drei Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums einsehen konnten, offenbar mehrere Ziele nicht enthält, die laut "Der Spiegel" ebenfalls vom BND ausspioniert wurden. Das weckt den Verdacht, dass selbst die vom BND vorgelegte umfangreiche Liste keineswegs vollständig ist. 

Schon 2008 informiert

Nicht bekannt ist, seit wann das Bundeskanzleramt darüber informiert war, dass der BND enge Verbündete Berlins in Europa und Nordamerika ausspionierte. Offiziell heißt es, es sei im Jahr 2013 darüber in Kenntnis gesetzt worden. Im Oktober 2013 erklärte Kanzlerin Angela Merkel öffentlich mit Bezug auf die NSA: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht."[8] Ende Oktober dieses Jahres hat ein hoher Regierungsbeamter gegenüber dem Magazin "Focus" angegeben, tatsächlich sei die Bundesregierung schon 2008 - also fünf Jahre früher - über die BND-Aktivitäten gegenüber EU-Staaten und den USA unterrichtet worden.[9] Die Frage ist auch deswegen von Interesse, weil 2008 der heutige Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes im Kanzleramt, Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, die Abteilung 6 im Kanzleramt leitete, in der die Zuständigkeit für den BND gebündelt ist. Fritsche hätte demnach also schon damals über die BND-Aktivitäten Bescheid wissen müssen. Die Verantwortung für den BND lag letztlich beim damaligen Bundeskanzleramtsminister, dem heutigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière. 

Letztverantwortlich

Bis heute nicht gesichert ist zudem, wie weit der BND bereits in der Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder enge Verbündete ausspionierte. Das Memorandum of Agreement, das die BND-Kooperation mit der NSA in der Abhörzentrale Bad Aibling regelte, wurde am 28. April 2002 unterschrieben. Auf ihm basiert die Spionagezusammenarbeit, die unter anderem das Ausspähen enger Verbündeter durch den BND im Auftrag der NSA umfasste. Kanzleramtschef und damit letztverantwortlich für die Berliner Auslandsspionage ist damals der heutige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gewesen.[10]

 

Mehr zum Thema: Auf Augenhöhe mit den USA, Eine deutsch-europäische NSA, Noch nicht auf Augenhöhe (II), Vorbild NSA, Erfordernisse der Weltpolitik, "Russland, China, Terror", Die neue deutsche Arroganz und Die neue deutsche Arroganz (II). (PK)

 

[1] Thorsten Denkler: Zweifel an der Unabhängigkeit. www.sueddeutsche.de 04.11.2015.
[2] Abschlussbericht von Richter a.D. Kurt Graulich für den NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Berlin, Oktober 2015.
[3] Thorsten Denkler: Zweifel an der Unabhängigkeit. www.sueddeutsche.de 04.11.2015.
[4] Sonderermittler wirft USA Vertragsbruch vor. www.tagesschau.de 30.10.2015.
[5] BND spionierte im US-Außenministerium. www.tagesschau.de 15.10.2015.
[6] BND spionierte Ministerien befreundeter Staaten aus. www.spiegel.de 07.11.2015.
[7] Michael Götschenberg: BND hörte deutschen Diplomaten ab. www.tagesschau.de 11.11.2015.
[8] "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht". www.spiegel.de 24.10.2013.
[9] Kanzleramt täuschte das Parlament bei BND-Abhöraffäre. www.focus.de 22.10.2015.
[10] S. auch Die neue deutsche Arroganz und Die neue deutsche Arroganz (II).

 

Diesen Artikel haben wir mit Dank von dem Blog der Kollegen bei  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59248 ohne Bilder übernommen.



Online-Flyer Nr. 537  vom 18.11.2015

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