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Kultur und Wissen
25 Jahre Galerie Arbeiterfotografie - Ausstellung und Veranstaltungen
Stadtmassaker – ein Krimi ohne Leichen?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
„Um es mit einem Wort zu sagen: Kriegsgebiet! Das Einzige was fehlt, sind die Leichen auf der Straße.“ So kommentiert der gelernte Bankkaufmann und Vorsitzende des Sanierungsbeirates Markus Hagedorn im Radiofeature von Ulrich Land den Zustand in Duisburg-Bruckhausen. Der Anwohner Mehmet Yilderim bringt es auf denselben wunden Punkt: „Sieht ja wie nach dem zweiten Krieg aus“. Katrin Susanne Gems und Gerda Sökeland zeigen in ihren Fotografien das Schicksal von Mensch und Architektur, die sich – in seltener Symbiose – dem Kriegszustand widersetzen.
Peggy und Manfred. Bewohner, die nicht freiwillig ihre Wohnung räumen wollen, werden attackiert. Manfred Hoffmann werden mehrfach nachts die Fensterscheiben eingeworfen. Foto: Katrin Susanne Gems
Die Historikerin Katrin S. Gems begleitet das Leben, die Proteste und den Abriß von Bruckhausen und dem nahen Marxloh seit fünf Jahren: „Zunächst ging es mir darum, das negative Bild von Bruckhausen aufzubrechen, das die Stadt Duisburg vom Stadtteil, den sie abreißen wollte, verbreitete. Bald trat aber die Dokumentation der ersten Abrisse in den Vordergrund, mit der ich die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen versuchte, was dort zerstört und mit welchen Mitteln Druck auf die Bewohner ausgeübt wurde, den Stadtteil zu verlassen.“ Die Initiatorin der Geschichtswerkstatt Duisburg-Nord erzählt in ihren Bildern die Geschichten vom Ehepaar Schindler, „das über 53 Jahre in Bruckhausen gearbeitet hat und seinen Lebensabend im komplett renovierten Haus am Kringelkamp erleben wollte. Aber das Bleiben wurde so schwer wie möglich gemacht.“ Auch Manfred und seine Peggy haben was auszuhalten. Mehrfach werden nachts die Fensterscheiben eingeworfen.
Unterwegs mit Kamera und Rollator macht die seit einiger Zeit gehbehinderte Gerda Sökeland 2015 ihre letzten Aufnahmen von Bruckhausen. Viele prächtige Gründerzeitfassaden hat sie über Jahrzehnte in ihren Diapositiven festgehalten. Jetzt will sie sich den „Grüngürtel“ ansehen, auf die Herr Meyer vom Homburger Verlag sie aufmerksam gemacht hat, der meinte, das müsse sie gesehen haben. Mit ihren Fotos komponiert sie Tonbildschauen, die von Ruhrgebietskultur handeln und für die die Amateurfotografin und Medizinerin mehrfach ausgezeichnet wurde.
Eröffnungsredner Roland Günter, Ehrenmitglied der Arbeiterfotografie, langjähriger Vorsitzender des Deutschen Werkbundes NW, Professor für Kunst- und Kulturtheorie mit Forschungsschwerpunkt Stadtplanungsgeschichte und Sozialwissenschaft des Alltagslebens legt in seiner Studie „Stadtmassaker und Sozialverbrechen“ ebenfalls militärische Strategien offen, die einen „geheimen Anstifter“ haben: „...den großen Thyssen. Dort läuft es ganz ähnlich wie im Rathaus, nur dass Thyssen sich nicht im Mindesten das Wort Demokratie anziehen muss. Denn am Thyssen-Tor endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik – und dahinter geht es zu wie beim Militär: mit glasklarem Befehl und Gehorsam...“ Roland Günter forscht und ficht über Jahre mit den Bruckhausener Bürgerinitiativen, um festzustellen „... ich fühlte mich wie in einem Kriminalstück. Auch hier gibt es viele Täter, aber der es in Bewegung setzt, bleibt lange verborgen...“
Wohnungen, Stadtgrün und ruhrgebiets-typische Kleingärten weichen dem „Grüngürtel“, gefördert durch die EU und deklariert als eine „Investition in unsere Zukunft“. Foto: Gerda Sökeland
Der Kampf um Bruckhausen läuft seit Mitte der 1970er, wie es eine junge Gruppe von Künstlern der PSR (Politisch Soziale Realität) um Arbeiterfotografie-Gründungsmitglied und späteren Professor für Fotografie und Intermedia, Jörg Boström, in einem berührenden Film über die Arbeit des DKP-nahen Pastorenehepaars Monika und Michael Höhn erzählt, der zur Finissage der Ausstellung gezeigt wird. Zuvor berichten Kalle Gerigk, „Kalle für Alle“ und Werner Eggert über eine andere Variante der Vertreibung von Mietern aus ihrem vertrauten Wohnraum und Lebensumfeld am Beispiel Köln. Hier geht es um Luxussanierung. Mal ist es ein ausländischer „Investor“, der den Mitpreis um 74% erhöht, mal ist es die „gemeinnützige“ Wohnungsbaugesellschaft GAG, die ihren Mieterinnen und Mietern einen 60% höheren Beitrag abverlangt.
Noch gut in Erinnerung ist den Kölnern die Vernichtung des Barmer Viertels vor dem Messegelände. Nachdem ein Wohnblock mit rund 380 Mietwohnungen im Juni 2006 aufgrund eines Verwaltungsentscheides der Stadt Köln niedergerissen wurde, stand als letztes Gebäude der Gasthof zur Post völlig isoliert auf einer Fläche, wo Wohnraum für ca. 1000 Menschen in Parkraum, d.h. in die teuersten Parkplätze Kölns verwandelt worden war. Für den Abbruch hatte die Stadt Köln schätzungsweise 75 Millionen Euro aufgewendet. Der Gasthof zur Post wurde nach langem Widerstand des Ehepaars Rosi und Günter Rüdiger in der Nacht vom 7. zum 8. Januar 2008 dem Erdboden gleich gemacht. Rosi erlitt drei Schlaganfälle. Ihr Mann Günter überlebte den Kummer nicht. Wenn er aus dem Fenster die Abrißkommandos sah, sagte er: „Das sieht aus wie im Krieg. Als ob Bomben eingeschlagen hätten.“ So ist es halt, das Leben im Kapitalismus.
Angaben zu Ausstellung und Begleitprogramm
Stadtmassaker
Ausstellung mit Fotografien von Katrin Susanne Gems und Gerda Sökeland im 25. Jahr der Galerie Arbeiterfotografie
Galerie Arbeiterfotografie, Merheimer Str. 107, 50733 Köln
19. November bis 3. Dezember 2015
geöffnet mi/do 19-21 Uhr, sa 11-14 Uhr und nach Vereinbarung
Ein gemütlicher Abend mit Kalle für Alle: Fr, 27. November 2015, 19 Uhr
Der in Deutschland bekannteste Widerständler gegen Willkür von Wohnraum-Spekulation, Kalle Gerigk, berichtet und diskutiert anhand aktueller Fälle über die politische Lage um Gentrifizierung und Prekarisierung. Die einmalig erfolgreiche Verhinderung seiner Wohnungsräumung aus „Eigenbedarf“ haben aus Karl-Heinz Gerigk „Kalle für Alle“ gemacht, einen offensiven Streiter im Bündnis „Recht auf Stadt Köln“. Werner Eggert stellt den Konzept-Entwurf zum „Diskurs in der Stadtgesellschaft der Kommunalen Wohnungs-Offensive Köln" vor. Mit „Sockenvideo“ der Hausbesetzer vom Kartäuser Wall.
(Eintritt frei, Spenden willkommen)
Finissage/Film- und Tonbild-Schau: Do, 3. Dezember 2015, 19 Uhr
- Bruckhausen – vom Industriebiotop zum Grüngürtel. Tonbildschau von Gerda Sökeland, 2015, 15 Min., Geschichte(n) des Stadtteils Bruckhausen über einem Zeitraum von rund 60 Jahren.
- Bruckhausen. Ein Stadtteil kämpft. Film von Jörg Boström, Werner Busch, Eckhard Möller, 1976, 46 Min. Künstlergruppe PSR (Politisch Soziale Realität) im Auftrag der evangelischen Gemeinde des Pastors Michael Höhn.
(Kostenbeitrag 10 Euro / ermäßigt 3 Euro oder Spende)
Flyer zur Ausstellung:
2015-25-jahre-stadtmassaker-einladung-plakat.pdf
Siehe auch die Fotogalerie:
Klagewort vom großen Häusermord
Galerie Arbeiterfotografie zeigt Fotos der Vernichtung eines Duisburger Stadtteils
NRhZ 537 vom 18.11.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22262
Online-Flyer Nr. 538 vom 25.11.2015
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Kultur und Wissen
25 Jahre Galerie Arbeiterfotografie - Ausstellung und Veranstaltungen
Stadtmassaker – ein Krimi ohne Leichen?
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
„Um es mit einem Wort zu sagen: Kriegsgebiet! Das Einzige was fehlt, sind die Leichen auf der Straße.“ So kommentiert der gelernte Bankkaufmann und Vorsitzende des Sanierungsbeirates Markus Hagedorn im Radiofeature von Ulrich Land den Zustand in Duisburg-Bruckhausen. Der Anwohner Mehmet Yilderim bringt es auf denselben wunden Punkt: „Sieht ja wie nach dem zweiten Krieg aus“. Katrin Susanne Gems und Gerda Sökeland zeigen in ihren Fotografien das Schicksal von Mensch und Architektur, die sich – in seltener Symbiose – dem Kriegszustand widersetzen.
Peggy und Manfred. Bewohner, die nicht freiwillig ihre Wohnung räumen wollen, werden attackiert. Manfred Hoffmann werden mehrfach nachts die Fensterscheiben eingeworfen. Foto: Katrin Susanne Gems
Die Historikerin Katrin S. Gems begleitet das Leben, die Proteste und den Abriß von Bruckhausen und dem nahen Marxloh seit fünf Jahren: „Zunächst ging es mir darum, das negative Bild von Bruckhausen aufzubrechen, das die Stadt Duisburg vom Stadtteil, den sie abreißen wollte, verbreitete. Bald trat aber die Dokumentation der ersten Abrisse in den Vordergrund, mit der ich die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen versuchte, was dort zerstört und mit welchen Mitteln Druck auf die Bewohner ausgeübt wurde, den Stadtteil zu verlassen.“ Die Initiatorin der Geschichtswerkstatt Duisburg-Nord erzählt in ihren Bildern die Geschichten vom Ehepaar Schindler, „das über 53 Jahre in Bruckhausen gearbeitet hat und seinen Lebensabend im komplett renovierten Haus am Kringelkamp erleben wollte. Aber das Bleiben wurde so schwer wie möglich gemacht.“ Auch Manfred und seine Peggy haben was auszuhalten. Mehrfach werden nachts die Fensterscheiben eingeworfen.
Unterwegs mit Kamera und Rollator macht die seit einiger Zeit gehbehinderte Gerda Sökeland 2015 ihre letzten Aufnahmen von Bruckhausen. Viele prächtige Gründerzeitfassaden hat sie über Jahrzehnte in ihren Diapositiven festgehalten. Jetzt will sie sich den „Grüngürtel“ ansehen, auf die Herr Meyer vom Homburger Verlag sie aufmerksam gemacht hat, der meinte, das müsse sie gesehen haben. Mit ihren Fotos komponiert sie Tonbildschauen, die von Ruhrgebietskultur handeln und für die die Amateurfotografin und Medizinerin mehrfach ausgezeichnet wurde.
Eröffnungsredner Roland Günter, Ehrenmitglied der Arbeiterfotografie, langjähriger Vorsitzender des Deutschen Werkbundes NW, Professor für Kunst- und Kulturtheorie mit Forschungsschwerpunkt Stadtplanungsgeschichte und Sozialwissenschaft des Alltagslebens legt in seiner Studie „Stadtmassaker und Sozialverbrechen“ ebenfalls militärische Strategien offen, die einen „geheimen Anstifter“ haben: „...den großen Thyssen. Dort läuft es ganz ähnlich wie im Rathaus, nur dass Thyssen sich nicht im Mindesten das Wort Demokratie anziehen muss. Denn am Thyssen-Tor endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik – und dahinter geht es zu wie beim Militär: mit glasklarem Befehl und Gehorsam...“ Roland Günter forscht und ficht über Jahre mit den Bruckhausener Bürgerinitiativen, um festzustellen „... ich fühlte mich wie in einem Kriminalstück. Auch hier gibt es viele Täter, aber der es in Bewegung setzt, bleibt lange verborgen...“
Wohnungen, Stadtgrün und ruhrgebiets-typische Kleingärten weichen dem „Grüngürtel“, gefördert durch die EU und deklariert als eine „Investition in unsere Zukunft“. Foto: Gerda Sökeland
Der Kampf um Bruckhausen läuft seit Mitte der 1970er, wie es eine junge Gruppe von Künstlern der PSR (Politisch Soziale Realität) um Arbeiterfotografie-Gründungsmitglied und späteren Professor für Fotografie und Intermedia, Jörg Boström, in einem berührenden Film über die Arbeit des DKP-nahen Pastorenehepaars Monika und Michael Höhn erzählt, der zur Finissage der Ausstellung gezeigt wird. Zuvor berichten Kalle Gerigk, „Kalle für Alle“ und Werner Eggert über eine andere Variante der Vertreibung von Mietern aus ihrem vertrauten Wohnraum und Lebensumfeld am Beispiel Köln. Hier geht es um Luxussanierung. Mal ist es ein ausländischer „Investor“, der den Mitpreis um 74% erhöht, mal ist es die „gemeinnützige“ Wohnungsbaugesellschaft GAG, die ihren Mieterinnen und Mietern einen 60% höheren Beitrag abverlangt.
Noch gut in Erinnerung ist den Kölnern die Vernichtung des Barmer Viertels vor dem Messegelände. Nachdem ein Wohnblock mit rund 380 Mietwohnungen im Juni 2006 aufgrund eines Verwaltungsentscheides der Stadt Köln niedergerissen wurde, stand als letztes Gebäude der Gasthof zur Post völlig isoliert auf einer Fläche, wo Wohnraum für ca. 1000 Menschen in Parkraum, d.h. in die teuersten Parkplätze Kölns verwandelt worden war. Für den Abbruch hatte die Stadt Köln schätzungsweise 75 Millionen Euro aufgewendet. Der Gasthof zur Post wurde nach langem Widerstand des Ehepaars Rosi und Günter Rüdiger in der Nacht vom 7. zum 8. Januar 2008 dem Erdboden gleich gemacht. Rosi erlitt drei Schlaganfälle. Ihr Mann Günter überlebte den Kummer nicht. Wenn er aus dem Fenster die Abrißkommandos sah, sagte er: „Das sieht aus wie im Krieg. Als ob Bomben eingeschlagen hätten.“ So ist es halt, das Leben im Kapitalismus.
Angaben zu Ausstellung und Begleitprogramm
Stadtmassaker
Ausstellung mit Fotografien von Katrin Susanne Gems und Gerda Sökeland im 25. Jahr der Galerie Arbeiterfotografie
Galerie Arbeiterfotografie, Merheimer Str. 107, 50733 Köln
19. November bis 3. Dezember 2015
geöffnet mi/do 19-21 Uhr, sa 11-14 Uhr und nach Vereinbarung
Ein gemütlicher Abend mit Kalle für Alle: Fr, 27. November 2015, 19 Uhr
Der in Deutschland bekannteste Widerständler gegen Willkür von Wohnraum-Spekulation, Kalle Gerigk, berichtet und diskutiert anhand aktueller Fälle über die politische Lage um Gentrifizierung und Prekarisierung. Die einmalig erfolgreiche Verhinderung seiner Wohnungsräumung aus „Eigenbedarf“ haben aus Karl-Heinz Gerigk „Kalle für Alle“ gemacht, einen offensiven Streiter im Bündnis „Recht auf Stadt Köln“. Werner Eggert stellt den Konzept-Entwurf zum „Diskurs in der Stadtgesellschaft der Kommunalen Wohnungs-Offensive Köln" vor. Mit „Sockenvideo“ der Hausbesetzer vom Kartäuser Wall.
(Eintritt frei, Spenden willkommen)
Finissage/Film- und Tonbild-Schau: Do, 3. Dezember 2015, 19 Uhr
- Bruckhausen – vom Industriebiotop zum Grüngürtel. Tonbildschau von Gerda Sökeland, 2015, 15 Min., Geschichte(n) des Stadtteils Bruckhausen über einem Zeitraum von rund 60 Jahren.
- Bruckhausen. Ein Stadtteil kämpft. Film von Jörg Boström, Werner Busch, Eckhard Möller, 1976, 46 Min. Künstlergruppe PSR (Politisch Soziale Realität) im Auftrag der evangelischen Gemeinde des Pastors Michael Höhn.
(Kostenbeitrag 10 Euro / ermäßigt 3 Euro oder Spende)
Flyer zur Ausstellung:
2015-25-jahre-stadtmassaker-einladung-plakat.pdf
Siehe auch die Fotogalerie:
Klagewort vom großen Häusermord
Galerie Arbeiterfotografie zeigt Fotos der Vernichtung eines Duisburger Stadtteils
NRhZ 537 vom 18.11.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22262
Online-Flyer Nr. 538 vom 25.11.2015
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