Kultur und Wissen
KIT Karlsruhe distanziert sich vom Ehrensenatortitel des Atom-Nazis Greifeld
Senat packt Vergangenheitsbewältigung an
Von Dietrich Schulze
Seit geschlagenen drei Jahren wird am Karlsruher Institut für Technologie KIT über eine Altlast gestritten, den von der Uni Karlsruhe geerbten Ehrensenatortitel für den NS-belasteten Antisemiten Dr. Rudolf Greifeld. Diese Auseinandersetzung um die Aberkennung bzw. Annullierung der Uni-Entscheidung hat der Autor zusammen mit zwei anderen ehemaligen Beschäftigten des Forschungszentrums Karlsruhe FZK im September 2012 mit einem Offenen Brief [1] an den damaligen KIT-Präsidenten Prof. Umbach in die Wege geleitet. Nach 3 Jahren und drei Monaten gibt es nun ein erstes greifbares Ergebnis. Der KIT-Senat distanziert sich von dieser Ehrung [2]. Zitat daraus:
Dr. Serge Klarsfeld am 28.09.15 in seinem
Büro in Paris beim Vortragen seiner Botschaft
für den Whistleblower-Preis in Karlsruhe.
Quelle: Bild aus dem Video nach Zitat [6]
„Nach dem heutigen Kenntnisstand und auf der Basis ethischer Bewertungen würde die Ehrung von Dr. Greifeld nicht mehr erfolgen. Der KIT-Senat bedauert die damalige Ehrung.“
In einer ersten Stellungnahme als Presse-Erklärung [3] sagt dazu die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, die die Auseinandersetzung unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung der Wissenschaften mit vielfältigen Initiativen begleitet hat, folgendes:
„Die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten begrüßt die Entscheidung des KIT-Senats, sich von der Ehrung Dr. Rudolf Greifelds durch die Universität Karlsruhe 1969 zu distanzieren und diese aufgrund des heutigen Kenntnisstands und auf der Basis ethischer Bewertungen zu bedauern.
Ebenso begrüßen wir die Bestimmungen, die Ehrensenatorenliste transparent zu machen durch Einfügung eines Vermerks über diese Senatsentscheidung, die nationalsozialistische Vergangenheit von Rudolf Greifeld und den Prozess der Auseinandersetzung mit dessen Biographie. Ebenso wichtig erscheint uns die Senatsentscheidung, das Gutachten von Prof. Rusinek öffentlich zugänglich zu machen.
Nicht nachvollziehen können wir die Annahme des Senats, dass eine Aberkennungsentscheidung deswegen nicht getroffen werden könne, weil diese Ehrensenatorwürde mit dem Tod erloschen sei. Wieso wird dann seit drei Jahren über die Forderung nach Aberkennung gestritten? Wieso konnte die Ehrensenatorwürde aufgrund einer früheren KIT-Entscheidung vorerst ruhen? Das „Ruhen“ in einem Streit um die Aberkennung Ja/Nein kann doch nur bedeuten, dass die Ehrensenatorwürde nach KIT-Auffassung posthum existiert und später aufgrund der Recherchen endgültig entschieden werden soll.
Wir verweisen dazu auf einen aktuellen Artikel in der Stuttgarter Zeitung [4] wonach der Senat der Universität Konstanz 2012 [5] eine Ehrensenatorwürde der Uni posthum aberkannt hat. Das geschah nach einer öffentlichen Diskussion darüber, dass die Entscheidung angeblich gegenstandslos sei, weil diese Würde mit dem Tod erloschen ist.
Die Initiative zollt Dr. Serge Klarsfeld hohe Anerkennung für seine Unterstützung 1975 bei der Aufdeckung der Nazi-Vergangenheit Greifelds und für seine Video-Botschaft 2015 [6] zur Verleihung des Whistleblower-Preises an Dr. Léon Gruenbaum [7], in der er sich nachdrücklich für die Aberkennung des Greifeld-Titels ausgesprochen hat.“ Soweit diese erste Stellungnahme.
Das positive Ergebnis nach so vielen Jahren ist sehr vielen Mitwirkenden zu verdanken, nicht zuletzt dem Historiker Prof. Bernd-A. Rusinek, der im Auftrag der KIT-Ethikkommission das Gutachten erstellt hat. Ohne es zu kennen, weil es noch nicht öffentlich zugänglich ist, sei eine persönliche Anmerkung erlaubt. Es gab erhebliche Kontroversen in der Sache. Wesensbestandteil einer Demokratie ist es, auch scharfe Kritik mit dem Ziel der Durchsetzung demokratischer Werte auszutragen. Auf das Ergebnis für die Werte kommt es an, wobei gewisse Differenzen durchaus fortwirken können.
Es sei mir gestattet, noch drei weitere Karlsruher Verantwortliche aus dem großen Kreis der Mitwirkenden ausdrücklich zu würdigen: Dr. Christof Müller-Wirth, Harald Denecken und Dr. Frank Mentrup, die alle wesentlich 2013 zum Gruenbaum-Symposium [8] beigetragen hatten, bei dem es um die Ehrung des von Greifeld verfolgten jüdischen Wissenschaftlers aus Frankreich, Dr. Léon Gruenbaum [9] ging, der in der Nähe von Karlsruhe seine letzte Ruhe gefunden hat.
Dr. Christof Müller-Wirth hat sich als ehemaliger Verleger von Beginn an für das Lebenswerk von Gruenbaum, die geschichtswissenschaftliche Monographie „Genese der Plutoniumgesellschaft – Politische Konspirationen und Geschäfte“ interessiert, für deren Übersetzung aus dem Französischen und die Herausgabe. Aufgrund von neuen Kontakten während der Whistleblower-Preisverleihung am 16. Oktober in Karlsruhe sieht es jetzt nach einem zielführenden Weg aus.
Harald Denecken, Vorsitzender des Forum | Ludwig Marum und Erster Bürgermeister i.R. hat das Gruenbaum-Symposium 2013 federführend mitgestaltet und begleitet die Thematik aus historisch-politischer Sicht mit entschiedener Vernetzungstätigkeit.
Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup („Mayor für Peace“) hatte aus großem Interesse sowohl das Gruenbaum-Symposium als auch die Whistleblower-Preisverleihung inhaltlich eröffnet. Ohne seine vielfältige Unterstützung wäre die attraktive Veranstaltung nicht möglich gewesen.
Abschließend sei dem KIT-Präsidenten Prof. Holger Hanselka, dem Präsidium und dem Senat viel Glück und Erfolg bei der Fortsetzung der Vergangenheitsbewältigung gewünscht.
Und noch etwas zum vertieften Studium der nicht ganz unkomplizierten Materie: Bitte durchforsten Sie die Web-Dokumentation der Initiative (s. Impressum). Sie enthält inzwischen zig Artikel zum Thema mit interessanten Zusammenhängen, nicht wenige davon in der Neuen Rheinischen Zeitung veröffentlicht.
Kurz vor Redaktionsschluss wurden Bericht und Kommentar in den Badischen Neuesten Nachrichten bekannt, die Sie hier [10] nachlesen können. (PK)
Nachtrag 20. Dezember 2015
Zum Video-Text [6] hier das Original-Video https://www.youtube.com/watch?v=rYUCF5cthGw
Zu Ehren von Serge Klarsfeld, Léon Gruenbaum und Rolande Tordjman-Grunbaum ist
dieser Artikel inzwischen ins Französische übersetzt worden:
http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151220fr.pdf
[1] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20120910.pdf
[2] http://www.kit.edu/kit/pi_2015_155_kit-senat-distanziert-sich-von-der-ehrung-rudolf-greifelds.php
[3] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151214.pdf
[4] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151112stz.pdf
[5] http://www.aktuelles.uni-konstanz.de/presseinformationen/2012/78/
[6] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151016skp.pdf
[7] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22159
[8] http://www.forum-ludwig-marum.de/site/assets/files/1012/broschuere.pdf
[9] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150818.pdf
[10] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151215bnn.pdf
Autor Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich.
Online-Flyer Nr. 541 vom 16.12.2015
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