Filmclips
Hungerstreik in Duisburg
In memoriam Peter Kleinert
https://youtu.be/B-GYGth23fIB-GYGth23fI
In Würdigung der Lebenswerkes des Journalisten, Redakteurs, Produzenten, Regisseurs, Zeitungsmachers und unbeugsam Aufrichtigen, Freund und Verfechter der ungeteilten Menschenrechte – überall auf der Welt und in Deutschland – des Gründers des unabhängigen Fernseh-KANAL4, des KAOS-Kunst- und Videoarchiv, der KÖLNER WOCHE, der NEUEN RHEINISCHEN ZEITUNG widmen die Herausgeber der Neuen Rheinischen Zeitung anlässlich seines Todes am 6. Februar 2016 diesen, 1978 mit dem Grimme-Preis in Gold ausgezeichneten Dokumentarfilm von 1977, an dem Peter Kleinert als Autor und Produzent für den Westdeutschen Rundfunk beteiligt war.
Die Dokumentation ist aus der Rückschau von fast 40 Jahren ein Lehrstück für Politiker-Gebahren und Bürger-Mut, Einschüchterungsversuche, Vernebelungspraxis und vieles mehr. Tagtäglich erleben wir heute Ähnliches und Schlimmeres, den ungebremsten Kapitalismus, der über Leichen geht. Peter Kleinert hat seine Lebensenergie darauf verwendet, dass ihm der Gedanke des auf sein Leben rückblickenden Heinrich Heine auf den Leib geschrieben scheint: „Ein Schwert sollt Ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit.“ Peter Kleinert hat – wie Harry Heine – unblutig gewirkt, mit Geist und scharfer Feder. Übernehmen wir – so uns das möglich ist – das Erbe: „Es ist die Zeit des Ideenkampfes. Journale sind unsere Festungen.“
Bereits in den NRhZ-Flyern 302 und 303 lief die Dokumentation in zwei Teilen. Hierzu der Text von Peter Kleinert:
Über Grundstücks- und Bauspekulanten, die auf Kosten von Menschen, die in teilweise denkmalgeschützten Siedlungen wie dem Barmer Viertel in Köln wohn(t)en, oder seit Jahren leer stehende alte Güterhallen in Köln-Mülheim als Gebetsräume nutzen, wie die islamische Gemeinde Abess-Alshakeri und die christliche Gemeinde Ministère de la Croix, unterstützt von verantwortlichen kommunalen Behörden Platz für ihre Pläne durch Abriss zu schaffen versuchen, haben wir in der NRhZ öfter berichten müssen. Hier ein Dokumentarfilm, der beweist, dass energischer Widerstand der Betroffenen auch zum Erfolg führen kann. Mit dem "Hungerstreik in Duisburg" im Jahr 1977 wurden die in diesem Fall für den Angriff auf die Rechte der Bewohner Verantwortlichen besiegt, und die Rheinpreußensiedlung mit ihren 403 Wohnungen einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung existiert immer noch – inzwischen als selbstverwaltete Genossenschaft.
"Der Bauspekulant Kun, der als Kind selbst in der Rheinpreußensiedlung gelebt hatte, kaufte die Siedlung auf und ließ bis 1968 etwa 1.200 Wohnungen abreißen. An deren Stelle ließ er Hochhäuser mit bis zu zwanzig Stockwerken errichten", heißt es auf der Webseite www.rheinpreussensiedlung.de. Kun, der den Kauf weiterer Siedlungen und den Neubau von Wohnungen über Kredite finanziert hatte, ging 1973 pleite. Die private BHF-Bank, seine Gläubigerin, wollte die noch vorhandenen 600 Wohnungen ebenfalls abreißen und an ihrer Stelle Bungalows für Besserverdienende errichten. Die Stadt Duisburg unterstützte dieses Konzept.
Als dieser Plan im Mai 1975 bekannt wurde, gründeten die Bewohnerinnen und Bewohner eine Bürgerinitiative, um den Abriss auch ihrer Häuser zu verhindern und die Wohnungen als Mietwohnungen zu erhalten. Nachdem sie jahrelang vergeblich für den Erhalt ihrer Zechenhaussiedlung in Duisburg-Homberg protestiert hatten, sahen die Bergarbeiterfamilien und ihre Unterstützer keine andere Möglichkeit mehr, als in einen siebentägigen Hungerstreik zu treten. Das taten sie - um die Öffentlichkeit über die Haltung der Stadt Duisburg zu informieren - im Sommer 1977 vor dem Rathaus.
Starke Unterstützung durch andere Zechenhausinitiativen, die ihre Bergarbeitersiedlungen ebenfalls von Abriss und danach geplanten Hochhaus-Neubauten bedroht sahen, war das Ergebnis. Künstler aus dem ganzen Ruhrgebiet wie Frank Baier und Fasia Jansen nahmen an Solidaritätsveranstaltungen vor dem Rathaus teil. Duisburgs SPD-Oberbürgermeister Krings blieb am Ende nichts anderes übrig, als die Hungerstreikenden im Rathaus zu empfangen und anzuhören. Es dauerte trotzdem noch drei Jahre, bis die Rheinpreußen ihre Forderung nach dem Erhalt der Siedlung durchsetzen konnten. Ihr Hungerstreik spielte dabei eine wichtige Rolle.
Wir erhielten für diesen im WDR gesendeten Dokumentarfilm 1978 den Adolf-Grimme-Preis in Gold. Im Pressedienst der Evangelischen Kirche, der in seinem Bericht über die Preisverleihung diese ausdrücklich begrüßt hatte, griff WDR-Fernsehdirektor Heinz Werner Hübner in einem Offenen Brief die Jury des Deutschen Volkshochschulverbandes scharf an. Der Film sei völlig unjournalistisch und einseitig und hätte den Preis deshalb auf keinen Fall zugesprochen bekommen dürfen.
"Der Gewerkschafter" von IG Metall schrieb hingegen, nachdem wir 1979 den dritten Film über den am Ende erfolgreichen Kampf der Rheinpreußen-Initiative gesendet hatten, unter der Überschrift "Exakter als der beste Spielfilm": Kontinuierlich dokumentierte die Film-Gruppe den anhaltenden und zähen Kampf der Bürgerinitiative von Rheinpreußen in Duisburg. In drei Filmfolgen wurde dieser Kampf um den Bestand einer alten Zechensiedlung im Ruhrgebiet begleitet. Die Filmemacher waren bei den Hungerstreiks vor dem Rathaus, bei der Großbank in Frankfurt und schließlich auch bei dem hart erkämpften Sieg immer dabei." (PK)
Autoren: Wolfram Seeger, Willy Kaute, Peter Kleinert,
Reinhold Böhm, Yoash Tatari
Regie: Wolfgang Drescher
Redaktion: Ludwig Metzger
Produktion: Kölner Film- und Video-Gruppe
Auftraggeber: WDR
Produktionsjahr: 1977, Länge: 59 min.
Den hier erwähnten Film finden Sie unter www.kaos-archiv.de/ unter der Rubrik Dokfilme. Das Büro der 1984 gegründeten Wohnungsgenossenschaft Rheinpreußensiedlung ist in der Siedlung an der Schlägelstr. 13, 47198 Duisburg, Tel. 02066 41015, Fax 02066 41017, E-Mail info@wgrps.de zu erreichen. Ihre homepage: http://www.rheinpreussensiedlung.de
Hinweis:
Der Film ist in ungekürzter Fassung über das KAOS-Archiv (kaos@off-shot.com) für 19,95 Euro für private Zwecke beziehbar. Der Soli-Preis zur Unterstützung und Fortführung des KAOS-Archivs beträgt 30 Euro.
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