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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kultur und Wissen
Über die Ausrottung der Tier- und Pflanzenwelt
Misston im Einklang
Von Harald Schauff

Offenbar hat der Mensch bereits seit der Steinzeit unzählige Tierarten ausgerottet. Ach Mensch. Kein anderes Lebewesen hat den Planeten derart geprägt, gestaltet, gepflügt und umgekrempelt. Kein anderes seine Umwelt derartig ausgebeutet und geschädigt. Darüber vermag die tiefste Menschenliebe nicht hinwegzutäuschen. Inzwischen hängt das Damoklesschwert der Zerstörung über seinem eigenen Kopf und bedroht ihn mit Selbstauslöschung. Auf unzählige Arten der Tier- und Pflanzenwelt sauste es bereits danieder, weil er am Seil zog.

Neu und überraschend ist allerdings: Das vom Menschen verursachte massenhafte Artensterben begann nicht erst wie stets vermutet mit dem Atomzeitalter oder etwas früher mit der Industrialisierung. Keine Frage: Der moderne Technikmensch, dieser fossile Brandstifter und verheerende Kernspalter, ist der nachhaltigen Umweltschänderei lange überführt. Neuen Studien zufolge setzten jedoch bereits seine mit Steinen hantierenden Vorfahren vor mehreren zehntausend Jahren der Schöpfung die Dornenkrone auf. Ihre Ausbreitung ging mit dem Aussterben der sog. ‘Megafauna’ einher. In Nordamerika wurden die großen Landsäuger um 72 Prozent, in Australien gar um 88 Prozent dezimiert. Auch Panzerechsen und Vögel, bis zu 400 Kilo schwer, durften ordentlich Schuppen und Federn lassen. Gänzlich verschwunden sind die Mammuts, diese zotteligen Ur-Elefanten, die bis zu 10 Tonnen wogen. Vor 4000 Jahren starben die letzten pelzigen Dickhäuter auf der Wrangelinsel. Zu dieser Zeit errichteten die alten Ägypter ihre Mammutbauten, die Pyramiden. 90 weitere Säugetier-Gattungen mit über 44 kg Gewicht teilten das Schicksal des Mammuts, darunter gehörnte Schwergewichte wie das Wollnashorn (2 Tonnen) oder das Megatherium (4 Tonnen), ein Riesenfaultier.

Seit langem fahnden Forscher nach den Ursachen der größten Aussterbewelle der vergangenen 65 Millionen Jahre. Zuerst landeten sie bei den üblichen Verdächtigen: Meteoriten-Einschläge, Seuchen, klimatische Veränderungen. Inzwischen lastet der Hauptverdacht auf unserer eigenen Gattung. Wie es aussieht, besteht zwischen der Verbreitung des modernen Menschen und der Ausrottung hunderter eiszeitlicher Riesenviecher ein deutlicher Zusammenhang. Rigoros und brutal machten sich unsere Vorfahren den Globus Untertan. Je kleiner der Lebensraum war und je später er erobert wurde, desto schlimmer durfte die Tierwelt bluten. So verschwanden im Laufe der letzten Jahrtausende und Jahrhunderte auf Madagaskar Flusspferde, Feuchtnasenaffen und Elefantenvögel. Neuseeland büßte Vogelarten wie den Riesenmoa oder Haastadler ein. Was der Jagdeifer des Menschen verschonte, erledigten die von ihm eingeschleppten Ratten, welche über die Vogelnester herfielen.

Kopfzerbrechen bereitet den Forschern allerdings die Frage, wie unsere Vorfahren in ihren kleinen versprengten Gruppen von 10 bis 20 Personen in kurzer Zeit derart heftigen Schaden anrichten konnten, nachdem sie vor 70.000 Jahren ihren Heimatkontinent Afrika verlassen hatten. Oder waren sie doch besser und umfangreicher organisiert als bislang angenommen? US-Archäologe Curtis Marean vermutet, die Clans der Eiszeit hätten mit ‘kleinen Armeen‘ von 500 und mehr Personen die Welt erobert. An den Küsten der Südspitze Afrikas ernteten größere Menschengruppen bereits vor 160.000 Jahren große Muschelbänke ab. Zu deren Verteidigung hätten sie in ersten nicht blutsverwandten Gemeinschaften kooperiert. Die Muschelesser waren auch technisch begabt. Schon vor 71.000 Jahren fertigten sie kleine, scharfe Steinklingen an, sog. ‘Mikrolithen’. Diese brachten sie auf Speeren an. Sie führten selbst aus weiter Distanz bei Dickhäutern wie Elefanten und Nashörnern zu verheerende Wunden. Anders als die Neandertaler brauchte Homo sapiens sich so nicht auf den gefährlichen Nahkampf mit den Bestien einzulassen. Er warf seine Speere aus sicherer Entfernung, womöglich schon mit vergifteter Spitze. Wenn man so will, waren dies die ersten Vorläufer des Drohnenkrieges.

So gerüstet breitete sich der wissende Mensch (‘homo sapiens’), der auch ein gut bewaffneter Mensch war, über den Erdball aus. In einem Stadium, wo seine Stämme noch als Naturvölker galten, die sich ganz im Einklang mit ihrer Lebenswelt befanden. Spätestens mit den neuesten Forschungsresultaten relativiert sich diese Nostalgie erheblich. In Australien entzündeten die Ur-Aborigines großflächige Buschfeuer. Schon damals gab es Brandrodung. Misstöne verzerrten den Einklang. Zählt man die vielen Pflanzenarten hinzu, welche mit Ausbreitung der menschlichen Zivilisation infolge von Ackerbau, Viehzucht und Industrialisierung verschwanden, fällt der Aderlass der Natur noch weit beträchtlicher aus. Einst waren z.B. der Balkan und der Mittelmeerraum nicht so karg und trocken wie heute, sondern voll des saftigen Grüns. Diesem machte das von Menschen über Jahrtausende gehaltene Viehzeugs dem Garaus: Schafe und Ziegen fraßen die jungen Triebe ab, so dass nichts mehr nachwuchs. Auf dem Balkan entstanden die Karst-Landschaften.

Seit Jahrzehntausenden zieht der wissende, jagende, rodende, alles umkrempelnde Mensch eine Schneise der Verwüstung durch die Fauna und Flora. Über all hat er seine Brandzeichen auf dem Rücken der Natur hinterlassen. Vielleicht sind sie das Einzige, das in ferner Zukunft an ihn erinnert. Möglicherweise erwartet ihn am Ende der erwähnten Schneise die eigene Vernichtung. Er scheint fleißig dabei, sich das eigene Grab zu schaufeln. Wenn er es sich nicht bereits geschaufelt hat und nun auf die finale Grubenfahrt wartet. Bei aller Menschliebe rät der Lauf der Geschichte doch zur Skepsis. Denn richtig aus ihr gelernt hat auch der Homo smartphonensis nicht.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe März 2016, erschienen.

Online-Flyer Nr. 554  vom 23.03.2016

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