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Inland
Bürgermeister von Sprockhövel entschuldigt sich bei Werner Rügemer
Antisemitismus-Vorwurf bricht in sich zusammen
Von Thomas Barth

Vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg gab der Bürgermeister der Ruhrgebietsstadt Sprockhövel, Ulli Winkelmann, im Februar 2016 eine Unterlassungserklärung ab: Er werde seine Behauptung, der Publizist Werner Rügemer sei Antisemit, nicht wiederholen. Der Bürgermeister muss auch alle Verfahrenskosten des über einjährigen Rechtsstreits übernehmen. Im Urteil heißt es, das „in amtlicher Eigenschaft abgegebene Werturteil“ sei am „Sachlichkeitsgebot“ zu messen; das habe aber „keine tragfähigen Anhaltspunkte“ für Antisemitismus ergeben. (Az. 12 K 104/15)


Werner Rügemer (Foto: arbeiterfotografie.com)

Grüner Stadtrat als Anstifter

Im November 2014 hatte Winkelmann namens der Stadt ein Fax an die Gewerkschaft verdi, Kreis Südwestfalen, geschickt. Er legte ihr dringlich nahe, die geplante Veranstaltung abzusagen, bei der Rügemer zum Thema „Arbeitsrechte im Freihandelsabkommen TTIP“ referieren sollte. Winkelmann begründete das mit einem Artikel, in dem die Schriftstellerin Adriana Stern Rügemers „verschroben antisemitische Weltsicht“ anprangerte. Außerdem habe er, Winkelmann, durch eine „eigene Kurzrecherche“ weitere Anhaltspunkte für Rügemers Antisemitismus gefunden, etwa ein Interview mit Ken Jebsen, einem „mit antisemitischen Äußerungen in Verbindung zu bringenden Journalisten.“

Verdi sagte die Veranstaltung ab. Durch Zufall erfuhr Rügemer die Hintergründe. Winkelmann hatte in seinem Fax es so dargestellt, der Hinweis auf den Artikel sei ihm „aus dem hiesigen politischen Raum“ zugekommen. In Wirklichkeit stellte sich heraus: Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat, Thomas Schmitz, war der Anstifter. Er hatte den link mit dem fraglichen Artikel an den Bürgermeister und die Stadträte geschickt, „zur Information“. Ähnlich diffus war auch der Verweis auf Jebsen: was heißt schon „in Verbindung zu bringen“? Wer bringt da was in Verbindung, warum und wie stichhaltig ist dies? Man kann sich auch fragen, was ein deutscher Bürgermeister tut, bevor er etwas zu entscheiden hat: Er surft ein bisschen im Internet? Und da wird dann das genommen, was gerade passt? Es könnte eine Rolle gespielt haben, dass der parteilose Bürgermeister von den Grünen und der CDU gestützt wird.

Grundlose Behauptungen

Rügemer verklagte dann den Bürgermeister vor dem zuständigen Verwaltungsgericht im westfälischen Arnsberg auf Unterlassung und Schadenersatz. Gleichzeitig forderte er Stern und die Redakteurin Dr. Livnat der website hagalil.com auf, 14 Passagen des fraglichen Artikels zu unterlassen bzw. den Artikel zu löschen. Stern und Livnat gaben sofort und vollständig eine Unterlassungs-Verpflichtungs-Erklärung ab (so heißt das im Juristendeutsch), ohne den geringsten Versuch, wenigstens einige der Behauptungen zu verteidigen. Der Artikel war auf einer website gepostet, die sich selbst als größte jüdische website im deutschen Sprachraum bezeichnet und von Redaktionen in München und Tel Aviv geleitet wird. Der Artikel wurde auf der website und bei Google gelöscht.

„Was hier geschehen ist, grenzt an eine Rufmordkampagne“, erklärte Christian Preuß, Stadtratsmitglied und Vertreter der Linken von Hattingen/Sprockhövel. Die Linke lud Rügemer für den 18. Februar 2015 zu einem politischen Aschermittwoch ein.

Das Gericht ließ die Angelegenheit ein Jahr liegen und setzte einen öffentlichen Verhandlungstermin für 19. Februar 2016 an. Einige Tage davor ließ Winkelmann durch seinen Referenten namens der Stadt dem Gericht mitteilen, er werde die Äußerungen nicht wiederholen, weil die Gewerkschaft verdi „nach näherer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass dem Kläger keineswegs Antisemitismus unterstellt werden könne“. Damit versuchte Winkelmann, die Verantwortung auf verdi abzuschieben; in Wirklichkeit hatte er selbst die Behauptung in die Welt gesetzt.

Bürgermeister entschuldigt sich

Nach dem Urteil überwies die Stadt überwies sofort auch das Ausfallhonorar, das Rügemer gefordert hatte. Danach fragte Rügemer bei den Ratsfraktionen an, ob sie es zulassen wollen, dass die Steuerzahler für Winkelmanns Verfehlung aufkommen? Als die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) und Radio Ennepe-Ruhr darüber berichteten, war die Aufregung in der Sprockhöveler Politszene groß. Wolfram Junge von der SPD kritisierte, dass der Bürgermeister die Gemeindeordnung von NRW, Paragraph 62,4 verletzt habe, wonach er den Stadtrat über anhängige Gerichtsverfahren informieren müsse.

Grüne, CDU und übrigens auch die Piraten wollten die Angelegenheit nichtöffentlich in den Ausschüssen behandeln. Aber „die SPD-Fraktion will das Thema nicht ruhen lassen“, berichtete Radio Ennepe-Ruhr. Sie forderte Winkelmann öffentlich auf, die Kosten des Rechtsstreits selbst zu übernehmen und sich zu entschuldigen. Der Bürgermeister sagte dies zu. Am 24. März traf sein Brief bei Rügemer ein: Die Behauptung habe sich als „grund- und haltlos“ erwiesen; deshalb wolle er sich „für die von mir getätigten Äußerungen und für die Ihnen hierdurch entstandenen Unannehmlichkeiten in aller Form entschuldigen“, zitiert Rügemer. Dessen Kommentar: „Ein Politiker, der einen Fehler einsieht und sich entschuldigt – das ist etwas neues. Das sollte Schule machen, auch wenn, jedenfalls in Sprockhövel, Grüne, CDU und Piraten das nicht gutheißen.“

Online-Flyer Nr. 555  vom 30.03.2016

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