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Inland
Karlsruhe Institute of Technology (KIT): Zukunft mit Ehrensenator Carl Wurster?
Zyklon-B-Verbrecher Wurster entehren!
Von Dietrich Schulze
Am 28. April hatte das Online Portal german-foreign-policy.com ein treffendes Geschichtsbild [1a] über den KIT- Ehrensenator [1b] und IG Farben Zyklon-B-Verbrecher Carl Wurster im Blick auf die KIT-Greifeld-Entscheidung im Dez. 2015 in Erinnerung gerufen. Am gleichen Tag konnte der Autor deswegen auf eine herabsetzende Darstellung in der lokalen BNN [1c] mit einem konstruktiven Leserbrief [1d] antworten, der ab 1. Mai an die KIT-Verantwortlichen gerichtet wurde. Über Wurster gibt es eine Legion von Berichten und Büchern. In einer Online-Recherche entdeckte der Autor eine Dissertation über den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess 1947/48 gegen die IG Farben und deren Manager, darunter Wurster. Stefan Hörner hatte seine Diss 2010 an der FU Berlin abgeschlossen und diese Online [2a] gestellt. Seine akribische Analyse der Wurster-Strategie in Nürnberg liefert klare Fakten über dessen Verwicklung in das Nazi-Vernichtungsprogramm gegen den Rest der Menschheit. Die Erkenntnisse aus dieser Diss haben den Autor zu diesem Beitrag motiviert. Der tiefere Gedanke: Die Vergangenheitsbewältigung des KIT steht im Kontext mit einer vollgültigen Zivilklausel, gegen Rüstungsforschung und für den Ausstieg aus der Atomreaktorforschung (IV. Generation - Stichwort Mini-Reaktoren). Zuerst nochmal ein kurzer Streifzug in die Legion der Wurster-Literatur.
KIT-Ehrensenatortitel für Carl Wurster streichen. Bild aus Zitat [2d] (Collage: Dietrich Schulze)
Streifzug in Wurster-Literatur
Im Wiki-Eintrag über die IG Farben findet man neben Stefan Hörner‘s Buch als Autoren Peter Hayes und Peer Heinelt [2b], der Autor in gfp [1a] ist, sowie den dort zitierten Joseph Borkin, und den bekannten Publizisten Otto Köhler. Dieser hatte am 7. Mai unter dem Titel »Unser Werk in Auschwitz« [2c] zum 75. Jahrestag eine witzig-satirische Geschichte über IG Farben und BASF gebracht, in dem auch Wurster „gewürdigt“ wird. Er habe von Auschwitz nichts gewusst. Darauf kommen wir gleich zurück. Noch eine spanisch-sprachige Online-Publikation sei genannt. In Revoltatotalglobal [2d] wird anhand von guten Bilder mit englischem Text die IG-Farben-Strategie in der Nazizeit für ein Europäisches Reich dargestellt und die ungebrochene Fortsetzung dieser Strategie nach dem Ende des Kriegs. Das Wurster-Bild oben ist dieser Publikation entnommen.
Carl Wurster wurde 1923 als Chemiker zum Dr.-Ing. promoviert. 1938 (rückdatiert auf 1937) trat er der NSDAP bei. 1941 wurde er Wehrwirtschaftsführer und gehörte als Wehrwirtschaftsrat der Reichswirtschaftskammer an. Er erhielt mehrere Kriegs-Verdienst-Medaillen.
Nun ein Wort zur Rolle der IG Farben, wie sie in [1a] knapp beschrieben wird. Die IG Farben war maßgeblich an der Aufrüstungspolitik des Nazi-Regimes beteiligt und kontrollierte die gesamte chemische Kriegsproduktion. Während des Kriegs eignete sich der Konzern zahlreiche Unternehmen in den von Deutschland besetzten Ländern an und beutete Tausende von Zwangsarbeitern aus. In Auschwitz unterhielt die IG ein eigenes KZ (Buna/Monowitz). Wurster war Aufsichtsratsmitglied der IG-Firma DEGESCH (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung), die das Giftgas Zyklon B produzierte, mit dem in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Millionen von Menschen, insbesondere Juden, ermordet worden waren. Besonders eng arbeitete Wurster mit seinem IG-Vorstandskollegen Carl Krauch zusammen. Krauch war 1938 von Hermann Göring zum "Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung beim Beauftragten des Führers für den Vierjahresplan" ernannt worden und 1939 zum Leiter des "Reichsamts für Wirtschaftsausbau", das "Kriegsamt" des IG-Konzerns für die rücksichtslose Ausplünderung der besetzten Gebiete. Carl Krauch und weitere 12 IG-Vorstandsmitglieder wurden in Nürnberg verurteilt. Carl Wurster und weitere 9 IG-Vorstandsmitglieder wurden freigesprochen [2e]. Alle waren ab 1951 auf freiem Fuß. Sie wurden wieder gebraucht.
Kernaussagen der Diss
Zuerst ein einschneidendes Ereignis. Im April 1940 verstarb der Chef der IG Farben Carl Bosch. Der Betriebsführer Dr. Carl Wurster war im weitesten Sinne dessen Nachfolger. Hörner zu den Folgen: „Der Tod von Carl Bosch war der Anfang des Abstieges der IG Farben, ja der Beginn des Unterganges. Die Nachfolger von Bosch ruinierten nicht nur das Erbe von Carl Bosch, sie führten die IG Farben nach Auschwitz, und scheiterten in einer Weise, wie es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bisher undenkbar gewesen war. .... Die Frage ob Carl Bosch die IG Farben in die Nähe der NSDAP geführt habe, läßt sich eindeutig mit Nein beantworten. .... Bosch hatte nachweislich nicht das Dritte Reich unterstützt, schon gar nicht dessen Antisemitismus.“
Die Nazifizierung der IG Farben begann jedoch schon vorher. In der Direktionssitzung der IG Ludwigshafen/Oppau am 30.5.1938 unter Vorsitz von Carl Wurster erklärte dieser: »...Vor Neueinstellungen von Akademikern, Angestellten und Arbeitern soll die Arierfrage ausdrücklich erörtert und die schriftliche Bestätigung der arischen Abstammung verlangt werden.« Für die Beschäftigten war die antisemitische Maßnahme bereits vorher wirksam.
Nun ein Sprung zum Vorfeld des Nürnberger Prozesses.
Auf Angebot der I.G. Farben in Liquidation hatte Friedrich-Wilhelm Wagner die Verteidigung von Carl Wurster in Nürnberg mit Unterstützung der Rechtsabteilung des Werkes in Ludwigshafen gegen die Ankläger des Nürnberger Militärgerichtshofes übernommen. Wagner (1894-1971) war Ludwigshafener, Jurist und SPD-Politiker. Er konnte sich vor den Nazis in die Emigration retten.
Hörner schreibt: „Friedrich-Wilhelm Wagner dürfte die Bedeutung der gebotenen Chance sofort klar geworden sein. Der große Prozess in Nürnberg versprach fast weltweite Publizität. Sollte dieses Verfahren gewonnen werden, war mit großer Dankbarkeit der I.G. Farben, der BASF, zu rechnen. Dankbarkeit, die auch dem Wahlkämpfer Wagner, der für die SPD antrat, galt. Umgekehrt war für Wurster die Zusage Wagners schon der halbe Freispruch. Allein die Tatsache, daß ein Verfolgter des Nationalsozialismus die Verteidigung übernahm, ein führendes Mitglied der Pfälzer SPD, musste die Anklagebehörde beeindrucken. … Wenn schon ein Widerstandskämpfer der SPD von der Unschuld Carl Wursters überzeugt war, wer sollte ihn dann noch schuldig sprechen?
Und Wurster ersann für den Prozess mit seinem Verteidiger eine pfiffige und zielführende Methode. Stefan Hörner hat diese sehr präzise untersucht. Es wurde ein Direktverhör einstudiert als eine vorgespielte Farce, die nach vielem Hin und Herr bis ins letzte Detail schriftlich ausformuliert worden war. Diese Schriftstücke sind von Hörner als Beweise ausgegraben worden. Der mit beachtlicher Mühe eingefädelte Betrug hatte schließlich funktioniert.
Den interessierten Lesern sei das Studium der 360-seitigen Diss sehr empfohlen. Hier soll nur noch Hörners Urteil über den Freispruch von Wurster zitiert werden:
„Es ist aber nachgewiesen, daß mehrere Vorstandsmitglieder der I.G. von den Tötungen, besonders in Auschwitz, Kenntnis hatten, Struss, von Schnitzler etc. Angesichts dieser Tatsachen, sind die Ausführungen von Carl Wurster weder nachvollziehbar, noch glaubhaft. Nachgewiesenermaßen wurde innerhalb des Betriebes Oppau der I.G. Ludwigshafen/Oppau von einem Vorstandsmitglied der Tod der Menschen durch Giftgas erörtert. Da Wurster als Betriebsführer auch über eine entsprechende Kontrolle der Belegschaft verfügte, mußten ihm, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit derartige Vorgänge bekannt sein.“
Weitere Aufklärung des KIT
In der Presseerklärung [3] zum Fall Greifeld heißt es, dass anhand exemplarischer Fälle Rolle und Umgang mit dem Nationalsozialismus innerhalb der Vorläuferinstitutionen des KIT während und nach dem zweiten Weltkrieg beleuchtet und weitere Biographien möglicherweise belasteter Personen untersucht werden sollen.
Dafür sollte nun genügend Material vorliegen, die geforderte Distanzierung und Beendigung dieses KIT-Ehrensenatortitels für Wurster zu beschließen. Der Senat und die zuständige Ethikkommission sind aufgefordert zu handeln. Dafür gibt es einen überzeugenden Termin, nämlich Dienstag, den 19. Juli 2016. An diesem Tag vor 60 Jahren unterzeichnete Franz-Josef Strauß die Gründungsurkunde der Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft mbH, des KIT-Vorvorläufers Forschungszentrum Karlsruhe. Wer glaubt, dass das mit der Uni-Entscheidung zwei Jahre danach für den Ehrensenator Wurster nichts zu tun hat, der lebt auf dem Mond.
KIT ehrt Naziverfolgte der TH
Genau in dem angesprochenen Tenor der weiteren Aufklärung über die Vergangenheit, gibt es am 30. Mai in der Uni (KIT) die Enthüllung der Gedenktafel für die Naziverfolgten der TH Karlsruhe [4].
Es ist gut möglich, dass diese sicher schon länger geplante Ehrung der Naziverfolgten durch die Ehrung des doppelt Nazi-Verfolgten Léon Gruenbaum beschleunigt worden ist. Léon hatte am 16. Oktober 2015 mit großer Publikums- und Presseresonanz im Rathaus der Stadt Karlsruhe den Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis [5] erhalten.
PK 8. Juni Whistleblower-Buch
Inzwischen ist das komplette Buch über alle drei Preisträger von den Veranstaltern IALANA und VDW fertig gestellt worden. Es wird am 8. Juni in einer Pressekonferenz vorgestellt werden. Eine weitere Bestätigung unserer Arbeit als Initiative gegen Militärforschung an Universitäten auf dem Weg, nicht nur das Hässliche zum Beispiel aus der NS-Vergangenheit zu bekämpfen, sondern auch das Schöne des unzerbrechlichen Muts und Widerstands ehren zu können.
Quellen:
[1a] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160428gfp.pdf
[1b] http://www.kit.edu/kit/11790.php
[1c] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160428bnn.pdf
[1d] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160428ds.pdf
[2a] http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000008112/Microsoft_Word_-_IG_Farben_DRUCK_verbessert.pdf
[2b] http://www.wollheim-memorial.de/files/994/original/pdf_Peer_Heinelt_Die_Entflechtung_und_Nachkriegsgeschichte_
der_IG_Farbenindustrie_AG.pdf
[2c] https://www.jungewelt.de/2016/04-07/053.php u. http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160407jw.pdf
[2d] http://revoltatotalglobal.blogspot.de/2012/05/mafia-nazi-controla-ue-discurso-de.html
[2e] http://www.wollheim-memorial.de/files/42/original/pdf_Urteile_Nuernberger_IG_Farben_Prozess.pdf
[3] https://www.kit.edu/kit/pi_2015_155_kit-senat-distanziert-sich-von-der-ehrung-rudolf-greifelds.php
[4] http://www.kit.edu/kit/pi_2016_081_kit-gedenkt-der-verfolgungen-in-der-ns-zeit.php
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22159
Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich. Email dietrich.schulze@gmx.de
Online-Flyer Nr. 564 vom 01.06.2016
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Inland
Karlsruhe Institute of Technology (KIT): Zukunft mit Ehrensenator Carl Wurster?
Zyklon-B-Verbrecher Wurster entehren!
Von Dietrich Schulze
Am 28. April hatte das Online Portal german-foreign-policy.com ein treffendes Geschichtsbild [1a] über den KIT- Ehrensenator [1b] und IG Farben Zyklon-B-Verbrecher Carl Wurster im Blick auf die KIT-Greifeld-Entscheidung im Dez. 2015 in Erinnerung gerufen. Am gleichen Tag konnte der Autor deswegen auf eine herabsetzende Darstellung in der lokalen BNN [1c] mit einem konstruktiven Leserbrief [1d] antworten, der ab 1. Mai an die KIT-Verantwortlichen gerichtet wurde. Über Wurster gibt es eine Legion von Berichten und Büchern. In einer Online-Recherche entdeckte der Autor eine Dissertation über den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess 1947/48 gegen die IG Farben und deren Manager, darunter Wurster. Stefan Hörner hatte seine Diss 2010 an der FU Berlin abgeschlossen und diese Online [2a] gestellt. Seine akribische Analyse der Wurster-Strategie in Nürnberg liefert klare Fakten über dessen Verwicklung in das Nazi-Vernichtungsprogramm gegen den Rest der Menschheit. Die Erkenntnisse aus dieser Diss haben den Autor zu diesem Beitrag motiviert. Der tiefere Gedanke: Die Vergangenheitsbewältigung des KIT steht im Kontext mit einer vollgültigen Zivilklausel, gegen Rüstungsforschung und für den Ausstieg aus der Atomreaktorforschung (IV. Generation - Stichwort Mini-Reaktoren). Zuerst nochmal ein kurzer Streifzug in die Legion der Wurster-Literatur.
KIT-Ehrensenatortitel für Carl Wurster streichen. Bild aus Zitat [2d] (Collage: Dietrich Schulze)
Streifzug in Wurster-Literatur
Im Wiki-Eintrag über die IG Farben findet man neben Stefan Hörner‘s Buch als Autoren Peter Hayes und Peer Heinelt [2b], der Autor in gfp [1a] ist, sowie den dort zitierten Joseph Borkin, und den bekannten Publizisten Otto Köhler. Dieser hatte am 7. Mai unter dem Titel »Unser Werk in Auschwitz« [2c] zum 75. Jahrestag eine witzig-satirische Geschichte über IG Farben und BASF gebracht, in dem auch Wurster „gewürdigt“ wird. Er habe von Auschwitz nichts gewusst. Darauf kommen wir gleich zurück. Noch eine spanisch-sprachige Online-Publikation sei genannt. In Revoltatotalglobal [2d] wird anhand von guten Bilder mit englischem Text die IG-Farben-Strategie in der Nazizeit für ein Europäisches Reich dargestellt und die ungebrochene Fortsetzung dieser Strategie nach dem Ende des Kriegs. Das Wurster-Bild oben ist dieser Publikation entnommen.
Carl Wurster wurde 1923 als Chemiker zum Dr.-Ing. promoviert. 1938 (rückdatiert auf 1937) trat er der NSDAP bei. 1941 wurde er Wehrwirtschaftsführer und gehörte als Wehrwirtschaftsrat der Reichswirtschaftskammer an. Er erhielt mehrere Kriegs-Verdienst-Medaillen.
Nun ein Wort zur Rolle der IG Farben, wie sie in [1a] knapp beschrieben wird. Die IG Farben war maßgeblich an der Aufrüstungspolitik des Nazi-Regimes beteiligt und kontrollierte die gesamte chemische Kriegsproduktion. Während des Kriegs eignete sich der Konzern zahlreiche Unternehmen in den von Deutschland besetzten Ländern an und beutete Tausende von Zwangsarbeitern aus. In Auschwitz unterhielt die IG ein eigenes KZ (Buna/Monowitz). Wurster war Aufsichtsratsmitglied der IG-Firma DEGESCH (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung), die das Giftgas Zyklon B produzierte, mit dem in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Millionen von Menschen, insbesondere Juden, ermordet worden waren. Besonders eng arbeitete Wurster mit seinem IG-Vorstandskollegen Carl Krauch zusammen. Krauch war 1938 von Hermann Göring zum "Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung beim Beauftragten des Führers für den Vierjahresplan" ernannt worden und 1939 zum Leiter des "Reichsamts für Wirtschaftsausbau", das "Kriegsamt" des IG-Konzerns für die rücksichtslose Ausplünderung der besetzten Gebiete. Carl Krauch und weitere 12 IG-Vorstandsmitglieder wurden in Nürnberg verurteilt. Carl Wurster und weitere 9 IG-Vorstandsmitglieder wurden freigesprochen [2e]. Alle waren ab 1951 auf freiem Fuß. Sie wurden wieder gebraucht.
Kernaussagen der Diss
Zuerst ein einschneidendes Ereignis. Im April 1940 verstarb der Chef der IG Farben Carl Bosch. Der Betriebsführer Dr. Carl Wurster war im weitesten Sinne dessen Nachfolger. Hörner zu den Folgen: „Der Tod von Carl Bosch war der Anfang des Abstieges der IG Farben, ja der Beginn des Unterganges. Die Nachfolger von Bosch ruinierten nicht nur das Erbe von Carl Bosch, sie führten die IG Farben nach Auschwitz, und scheiterten in einer Weise, wie es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bisher undenkbar gewesen war. .... Die Frage ob Carl Bosch die IG Farben in die Nähe der NSDAP geführt habe, läßt sich eindeutig mit Nein beantworten. .... Bosch hatte nachweislich nicht das Dritte Reich unterstützt, schon gar nicht dessen Antisemitismus.“
Die Nazifizierung der IG Farben begann jedoch schon vorher. In der Direktionssitzung der IG Ludwigshafen/Oppau am 30.5.1938 unter Vorsitz von Carl Wurster erklärte dieser: »...Vor Neueinstellungen von Akademikern, Angestellten und Arbeitern soll die Arierfrage ausdrücklich erörtert und die schriftliche Bestätigung der arischen Abstammung verlangt werden.« Für die Beschäftigten war die antisemitische Maßnahme bereits vorher wirksam.
Nun ein Sprung zum Vorfeld des Nürnberger Prozesses.
Auf Angebot der I.G. Farben in Liquidation hatte Friedrich-Wilhelm Wagner die Verteidigung von Carl Wurster in Nürnberg mit Unterstützung der Rechtsabteilung des Werkes in Ludwigshafen gegen die Ankläger des Nürnberger Militärgerichtshofes übernommen. Wagner (1894-1971) war Ludwigshafener, Jurist und SPD-Politiker. Er konnte sich vor den Nazis in die Emigration retten.
Hörner schreibt: „Friedrich-Wilhelm Wagner dürfte die Bedeutung der gebotenen Chance sofort klar geworden sein. Der große Prozess in Nürnberg versprach fast weltweite Publizität. Sollte dieses Verfahren gewonnen werden, war mit großer Dankbarkeit der I.G. Farben, der BASF, zu rechnen. Dankbarkeit, die auch dem Wahlkämpfer Wagner, der für die SPD antrat, galt. Umgekehrt war für Wurster die Zusage Wagners schon der halbe Freispruch. Allein die Tatsache, daß ein Verfolgter des Nationalsozialismus die Verteidigung übernahm, ein führendes Mitglied der Pfälzer SPD, musste die Anklagebehörde beeindrucken. … Wenn schon ein Widerstandskämpfer der SPD von der Unschuld Carl Wursters überzeugt war, wer sollte ihn dann noch schuldig sprechen?
Und Wurster ersann für den Prozess mit seinem Verteidiger eine pfiffige und zielführende Methode. Stefan Hörner hat diese sehr präzise untersucht. Es wurde ein Direktverhör einstudiert als eine vorgespielte Farce, die nach vielem Hin und Herr bis ins letzte Detail schriftlich ausformuliert worden war. Diese Schriftstücke sind von Hörner als Beweise ausgegraben worden. Der mit beachtlicher Mühe eingefädelte Betrug hatte schließlich funktioniert.
Den interessierten Lesern sei das Studium der 360-seitigen Diss sehr empfohlen. Hier soll nur noch Hörners Urteil über den Freispruch von Wurster zitiert werden:
„Es ist aber nachgewiesen, daß mehrere Vorstandsmitglieder der I.G. von den Tötungen, besonders in Auschwitz, Kenntnis hatten, Struss, von Schnitzler etc. Angesichts dieser Tatsachen, sind die Ausführungen von Carl Wurster weder nachvollziehbar, noch glaubhaft. Nachgewiesenermaßen wurde innerhalb des Betriebes Oppau der I.G. Ludwigshafen/Oppau von einem Vorstandsmitglied der Tod der Menschen durch Giftgas erörtert. Da Wurster als Betriebsführer auch über eine entsprechende Kontrolle der Belegschaft verfügte, mußten ihm, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit derartige Vorgänge bekannt sein.“
Weitere Aufklärung des KIT
In der Presseerklärung [3] zum Fall Greifeld heißt es, dass anhand exemplarischer Fälle Rolle und Umgang mit dem Nationalsozialismus innerhalb der Vorläuferinstitutionen des KIT während und nach dem zweiten Weltkrieg beleuchtet und weitere Biographien möglicherweise belasteter Personen untersucht werden sollen.
Dafür sollte nun genügend Material vorliegen, die geforderte Distanzierung und Beendigung dieses KIT-Ehrensenatortitels für Wurster zu beschließen. Der Senat und die zuständige Ethikkommission sind aufgefordert zu handeln. Dafür gibt es einen überzeugenden Termin, nämlich Dienstag, den 19. Juli 2016. An diesem Tag vor 60 Jahren unterzeichnete Franz-Josef Strauß die Gründungsurkunde der Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft mbH, des KIT-Vorvorläufers Forschungszentrum Karlsruhe. Wer glaubt, dass das mit der Uni-Entscheidung zwei Jahre danach für den Ehrensenator Wurster nichts zu tun hat, der lebt auf dem Mond.
KIT ehrt Naziverfolgte der TH
Genau in dem angesprochenen Tenor der weiteren Aufklärung über die Vergangenheit, gibt es am 30. Mai in der Uni (KIT) die Enthüllung der Gedenktafel für die Naziverfolgten der TH Karlsruhe [4].
Es ist gut möglich, dass diese sicher schon länger geplante Ehrung der Naziverfolgten durch die Ehrung des doppelt Nazi-Verfolgten Léon Gruenbaum beschleunigt worden ist. Léon hatte am 16. Oktober 2015 mit großer Publikums- und Presseresonanz im Rathaus der Stadt Karlsruhe den Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis [5] erhalten.
PK 8. Juni Whistleblower-Buch
Inzwischen ist das komplette Buch über alle drei Preisträger von den Veranstaltern IALANA und VDW fertig gestellt worden. Es wird am 8. Juni in einer Pressekonferenz vorgestellt werden. Eine weitere Bestätigung unserer Arbeit als Initiative gegen Militärforschung an Universitäten auf dem Weg, nicht nur das Hässliche zum Beispiel aus der NS-Vergangenheit zu bekämpfen, sondern auch das Schöne des unzerbrechlichen Muts und Widerstands ehren zu können.
Quellen:
[1a] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160428gfp.pdf
[1b] http://www.kit.edu/kit/11790.php
[1c] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160428bnn.pdf
[1d] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160428ds.pdf
[2a] http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000008112/Microsoft_Word_-_IG_Farben_DRUCK_verbessert.pdf
[2b] http://www.wollheim-memorial.de/files/994/original/pdf_Peer_Heinelt_Die_Entflechtung_und_Nachkriegsgeschichte_
der_IG_Farbenindustrie_AG.pdf
[2c] https://www.jungewelt.de/2016/04-07/053.php u. http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20160407jw.pdf
[2d] http://revoltatotalglobal.blogspot.de/2012/05/mafia-nazi-controla-ue-discurso-de.html
[2e] http://www.wollheim-memorial.de/files/42/original/pdf_Urteile_Nuernberger_IG_Farben_Prozess.pdf
[3] https://www.kit.edu/kit/pi_2015_155_kit-senat-distanziert-sich-von-der-ehrung-rudolf-greifelds.php
[4] http://www.kit.edu/kit/pi_2016_081_kit-gedenkt-der-verfolgungen-in-der-ns-zeit.php
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22159
Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich. Email dietrich.schulze@gmx.de
Online-Flyer Nr. 564 vom 01.06.2016
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