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Arbeit und Soziales
Altersversorgung braucht Systemwechsel
(R)Entendiskussion
Von Harald Schauff
Vom Wahlplakat herab verkündete der einstmalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) die Sicherheit der Renten. Schon da schien unsicher, ob sich die Sicherheit eher auf den Anspruch des geduldigen Papiers beschränkt und weniger die existenzsichernde Höhe der Alterversorgung garantiert. Deshalb fädelten Schröders Agenda-Strategen nach der Jahrtausendwende deren Teilprivatisierung ein. Die Zusatzrente trug fortan den Namen des damaligen Arbeitsministers Riesters, eines ehemaligen Gewerkschafters. In der Folgezeit stellte sich heraus, wen wundert es, dass das Konstrukt eher für Banken, Versicherungen und Überdurchschnitts- als für Geringverdiener von Nutzen war. In der jetzigen Niedrigzinsphase hat es wohl endgültig abgewirtschaftet.
Nun werden die Vorzüge des gesetzlichen Umlagesystems wieder entdeckt. Einhellig beklagen Linke, Gewerkschaften und Sozialverbände dessen Vernachlässigung und die Absenkung des Rentenniveaus. Hierdurch droht in ein bis zwei Jahrzehnten bis zur Hälfte der zukünftigen Rentner Altersarmut. Dennoch: In dem Maße wie die hoch gepriesene kapitalgedeckte Altersversorgung verblasst, erstrahlt die gesetzliche Rente in neuem Glanz. In Vergessenheit gerät ihre entscheidende Schwäche: Die Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt. Dessen Verwerfungen, sprich Stellenabbau, wachsende Teilzeit-, geringfügige und befristete Beschäftigung rissen neben versicherungsfremden Leistungen gehörige Lücken in den Rententopf. In den 1990er und 2000er Jahren wurde er deshalb mehrmals mit Bundesmitteln in Milliardenhöhe aufgestockt. Um das Auslaufmodell ‘zukunftsfest’ zu machen, ihm also eine möglichst lange Restlaufzeit zu gewähren, beschloss man die stufenweise Absenkung des Rentenniveaus nebst der Einführung des subventionierten Privatriesterns.
Die Beschneidung der Rente war also nicht nur eine politisch mutwillige Sozialkürzung, mit dem Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu verbessern, wie es so schön heißt. Genau dies lasten Gewerkschaften, Arbeitslinke und Sozialverbände der Politik an. Sie tun das so vehement, dass es fast scheint, als hätten sie die gesetzliche Rentenversicherung erfunden. Dabei hatte sie 1957 der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeführt.
Aus dem lapidaren Motiv, seine Wiederwahl zu sichern. Zu jener Zeit war der Arbeitsmarkt nicht nur statistisch, sondern realiter robust: Es herrschte Vollbeschäftigung. Spätestens seit den 80ern war es damit vorbei. Ein hoher Sockel von mind. 2 Millionen Erwerbslosen wurde nicht mehr unterschritten. Zumindest statistisch scheint man sich wieder dorthin zu bewegen, vor allem dank zunehmender Teilzeitarbeit und knapp 5 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigter. Infolge der von niedrigen Zinsen und Ölpreisen begünstigten Binnenkonjunktur und des abgesenkten Rentenniveaus ist die Rentenkasse gut gefüllt. Dennoch bleibt die Renaissance der gesetzlichen Rentenversicherung ein frommer Wunsch, genährt durch den Umstand, dass die deutsche Wirtschaft von einer Pleitewelle verschont blieb.
Geldpolitische Maßnahmen und die rasch wieder anspringende Konjunktur der Schwellenländer zogen die exportlastige deutsche Wirtschaft aus der Talsohle. Seitdem schleppt sie Überkapazitäten mit sich herum. Viele Firmen sind hoch verschuldet und werden nur aufgrund niedriger Zinsen am Laufen gehalten. Die nächste Krise, die zu einer Pleitewellen mit massivem Stellenabbau führt, ist einzig eine Frage der Zeit. Dann werden der gesetzlichen Rentenversicherung Millionen Einzahler verloren gehen. Den restlichen Erwerbstätigen dürfte es schwer fallen auf mind. 40 Beitragjahre zu kommen. Vorschläge wie die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum Alter von 70 muten in diesem Zusammenhang wie eine Bankrotterklärung an.
Plausibler erscheint, den Kreis der Einzahler auf alle Berufsgruppen zu erweitern einschließlich Beamte und Selbstständige, wie in der Schweiz oder Österreich praktiziert. Allerdings bleibt das Problem: Wer nicht viel verdient, kann nichts großartig einzahlen. Im Endeffekt hilft nur eines: Die grundsätzliche Entkopplung von Arbeit und Einkommen bzw. die Loslösung der Altersversorgung vom Arbeitseinkommen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen bzw. eine existenzsichernde Grundrente als dessen Variante oder erster Schritt. In den Niederlanden existiert eine solche Grundrente bereits seit langem. Deutschland schaut noch nicht so weit über den Deich.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Juni 2016, erschienen.
Online-Flyer Nr. 565 vom 08.06.2016
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Arbeit und Soziales
Altersversorgung braucht Systemwechsel
(R)Entendiskussion
Von Harald Schauff
Vom Wahlplakat herab verkündete der einstmalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) die Sicherheit der Renten. Schon da schien unsicher, ob sich die Sicherheit eher auf den Anspruch des geduldigen Papiers beschränkt und weniger die existenzsichernde Höhe der Alterversorgung garantiert. Deshalb fädelten Schröders Agenda-Strategen nach der Jahrtausendwende deren Teilprivatisierung ein. Die Zusatzrente trug fortan den Namen des damaligen Arbeitsministers Riesters, eines ehemaligen Gewerkschafters. In der Folgezeit stellte sich heraus, wen wundert es, dass das Konstrukt eher für Banken, Versicherungen und Überdurchschnitts- als für Geringverdiener von Nutzen war. In der jetzigen Niedrigzinsphase hat es wohl endgültig abgewirtschaftet.
Nun werden die Vorzüge des gesetzlichen Umlagesystems wieder entdeckt. Einhellig beklagen Linke, Gewerkschaften und Sozialverbände dessen Vernachlässigung und die Absenkung des Rentenniveaus. Hierdurch droht in ein bis zwei Jahrzehnten bis zur Hälfte der zukünftigen Rentner Altersarmut. Dennoch: In dem Maße wie die hoch gepriesene kapitalgedeckte Altersversorgung verblasst, erstrahlt die gesetzliche Rente in neuem Glanz. In Vergessenheit gerät ihre entscheidende Schwäche: Die Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt. Dessen Verwerfungen, sprich Stellenabbau, wachsende Teilzeit-, geringfügige und befristete Beschäftigung rissen neben versicherungsfremden Leistungen gehörige Lücken in den Rententopf. In den 1990er und 2000er Jahren wurde er deshalb mehrmals mit Bundesmitteln in Milliardenhöhe aufgestockt. Um das Auslaufmodell ‘zukunftsfest’ zu machen, ihm also eine möglichst lange Restlaufzeit zu gewähren, beschloss man die stufenweise Absenkung des Rentenniveaus nebst der Einführung des subventionierten Privatriesterns.
Die Beschneidung der Rente war also nicht nur eine politisch mutwillige Sozialkürzung, mit dem Ziel, die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu verbessern, wie es so schön heißt. Genau dies lasten Gewerkschaften, Arbeitslinke und Sozialverbände der Politik an. Sie tun das so vehement, dass es fast scheint, als hätten sie die gesetzliche Rentenversicherung erfunden. Dabei hatte sie 1957 der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeführt.
Aus dem lapidaren Motiv, seine Wiederwahl zu sichern. Zu jener Zeit war der Arbeitsmarkt nicht nur statistisch, sondern realiter robust: Es herrschte Vollbeschäftigung. Spätestens seit den 80ern war es damit vorbei. Ein hoher Sockel von mind. 2 Millionen Erwerbslosen wurde nicht mehr unterschritten. Zumindest statistisch scheint man sich wieder dorthin zu bewegen, vor allem dank zunehmender Teilzeitarbeit und knapp 5 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigter. Infolge der von niedrigen Zinsen und Ölpreisen begünstigten Binnenkonjunktur und des abgesenkten Rentenniveaus ist die Rentenkasse gut gefüllt. Dennoch bleibt die Renaissance der gesetzlichen Rentenversicherung ein frommer Wunsch, genährt durch den Umstand, dass die deutsche Wirtschaft von einer Pleitewelle verschont blieb.
Geldpolitische Maßnahmen und die rasch wieder anspringende Konjunktur der Schwellenländer zogen die exportlastige deutsche Wirtschaft aus der Talsohle. Seitdem schleppt sie Überkapazitäten mit sich herum. Viele Firmen sind hoch verschuldet und werden nur aufgrund niedriger Zinsen am Laufen gehalten. Die nächste Krise, die zu einer Pleitewellen mit massivem Stellenabbau führt, ist einzig eine Frage der Zeit. Dann werden der gesetzlichen Rentenversicherung Millionen Einzahler verloren gehen. Den restlichen Erwerbstätigen dürfte es schwer fallen auf mind. 40 Beitragjahre zu kommen. Vorschläge wie die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum Alter von 70 muten in diesem Zusammenhang wie eine Bankrotterklärung an.
Plausibler erscheint, den Kreis der Einzahler auf alle Berufsgruppen zu erweitern einschließlich Beamte und Selbstständige, wie in der Schweiz oder Österreich praktiziert. Allerdings bleibt das Problem: Wer nicht viel verdient, kann nichts großartig einzahlen. Im Endeffekt hilft nur eines: Die grundsätzliche Entkopplung von Arbeit und Einkommen bzw. die Loslösung der Altersversorgung vom Arbeitseinkommen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen bzw. eine existenzsichernde Grundrente als dessen Variante oder erster Schritt. In den Niederlanden existiert eine solche Grundrente bereits seit langem. Deutschland schaut noch nicht so weit über den Deich.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Juni 2016, erschienen.
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