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Globales
Zur Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem
Ein Besuch in Silwan
Von Udo W. Hombach
Ost-Jerusalem, ab 1948 mit der Westbank Teil von Jordanien, wurde im Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt und später annektiert. Israel eignet sich seitdem in den besetzten palästinensischen Gebieten immer mehr Territorium an. Speerspitze dieser Kolonisierung sind die jüdischen Siedler. Das arabische Dorf Silwan im südlichen Ost-Jerusalem ist ein Brennpunkt der Konflikte, die sich daraus ergeben. Udo W. Hombach schildert seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse beim Besuch in diesem Teil Jerusalems.
Isrealische Bulldozer zerstören palästinensische Häuser in Silwan (aus der Dokumentation "Die Erbeutung Silwans durch Siedlungsmethoden")
Jerusalem liegt geografisch in einer zerklüfteten Berglandschaft. Der Ölberg, an dessen Nordende sich die Himmelfahrtkirche erhebt, ist ein lang gestreckter Bergrücken in Nord/Süd-Richtung. Zwischen seinem Westhang und der Altstadt beginnt das Tal Kidron, das nach Süden hin sich immer mehr vertieft und am Ende einer Schlucht gleicht. Hier, wo von Westen, vom Fuße des Zionsberg her, das Hinnomtal ins Kidrontal mündet, liegt das Dorf Silwan.
Man ist froh, wenn man die ruppige Fahrt im Autobus, auf der immer steiler abfallenden Straße überwunden hat. Steigt man am Ortseingang aus, ist man sofort von einer Schar Kinder umringt. In dieses palästinensische Dorf verirrt sich selten ein Tourist. Was hat er hier auch zu suchen?!
Eine Initiative aus Luxemburg zeigt eine Foto-Ausstellung im Gemeinschaftszelt (solidarity tent). Auf den Bildern sind Schüler/innen aus Luxemburg und aus Silwan zu sehen, aufgenommen in Alltagssituationen, angefangen beim morgendlichen Aufstehen zu Hause bis hin zur Heimkehr aus der Schule. Der Verweis auf die Gemeinsamkeiten im Alltag der Jugendlichen aus den beiden Orten soll denen in Silwan Mut machen: sie sollen nicht nur auf die belastenden Besonderheiten ihres Umfeldes sehen. Silwan, seit dem Sechstagekrieg 1967 mit weiten Gebieten im Osten Jerusalems in die Stadt eingemeindet und damit von Israel annektiert, ist ein Brennpunkt des politischen Konflikts um dieses Gebiet.
Hier werden Familien enteignet, weil jüdische Siedler Fuß fassen wollen. Den palästinensischen Bewohnern eines Hauses kann es passieren, dass ihr Haus während ihrer Abwesenheit plötzlich besetzt wird. Dann können die Betroffenen noch froh sein, wenn sie im Garten hinter dem Haus ein Zelt aufschlagen dürfen. Eine andere, ebenfalls vertriebene Familie besitzt (im wörtlichen Sinne!) nur noch einige Plastikstühle auf der ihrem besetzten Haus gegenüber liegenden Straßenseite.
Es gibt in Silwan aber auch die engagierte Jüdin, die sich legal im Ort einmietet, um hier zur Verbreitung ihrer Volks- und Religionsgruppe beizutragen. In der Jerusalemer Altstadt wird diese Strategie besonders intensiv verfolgt; prominenter Vorkämpfer war der ehemalige Ministerpräsident Ariel Scharon. Legale Inbesitznahme von Land und Bauten, aber eben oft taktisch geplant, gehörte in Palästina von Anfang an zur Vorgehensweise des Zionismus.
Anderen palästinensischen Familien - nicht nur in Silwan und im besetzten Westjordanland, sondern auch im israelischen Kernland - droht der Abriss ihres Hauses. Wenn die israelischen Behörden ein Haus stört oder Siedler ein Auge auf das Grundstück geworfen haben, wird den Bewohnern der Abriss angedroht. Meist wird vordergründig argumentiert, es habe für den Bau des Hauses keine Genehmigung vorgelegen und Baugenehmigungen werden Palästinensern so gut wie nie erteilt. Eine andere „Begründung" lautet, es seien keine oder nur lückenhafte Besitzurkunden vorhanden - was formal oft zutrifft, denn in osmanischer Zeit nahm man es nicht so genau, und auch während der britischen Mandatszeit hatten solche Formalitäten keine Priorität.
Eine Abrissorder ist oft mit der Aufforderung an die betroffenen Eigentümer verbunden, ihr Haus selber abzureißen. Weigern sie sich, droht man ihnen, es kämen israelische Bagger und der Abriss koste die palästinensische Familie dann umgerechnet 10.000 Euro. Kommen aber die Bagger, dann meist in früher Morgenstunde. Die Familie kann froh sein, wenn ihr eine halbe Stunde Frist gegeben wird, um persönliche Gegenstände zu retten. Manchmal gelingt es denjenigen, gegen die Abrissorder erlassen wurde, im juristischen Kampf mit den Behörden Aufschub zu erlangen. Aber für wie lange? Manchmal wochen-, manchmal monate-, manchmal jahrelang. Er gebe nicht auf, versichert ein Familienvater in Silwan.
Jüdische Siedler, die durch ihren Aufmarsch ihren Anspruch auf ganz Ost-Jerusalem ausdrücken wollen (Foto: Udo W. Hombach)
Hat man sich der Kinder auf der Straße erwehrt, sieht man über den Höhenzug vom Zionsberg her eine lange Reihe von Wanderern über die steilen Pfade zum Dorf herunter klettern. Über einhundert Menschen, die Frauen konservativ verhüllt: Es sind jüdische Siedler, die durch ihren Aufmarsch stumm ihren Anspruch auf ganz Ost-Jerusalem ausdrücken wollen. Einige Minuten bleiben sie regungslos stehen, ehe sie auf der Straße nach Norden abziehen. Im Dorf entsteht kurz darauf ein Tumult. Mehr als zehn erwachsene Männer prügeln sich auf der Straße - bei einem hat man entdeckt, dass er für die Israelis arbeitet; er gilt als Kollaborateur.
Schaut man nach Norden den abziehenden Siedlern nach, sieht man sie, die "hoch gebaute Stadt". Von diesem tiefen Tal aus liegt die Südmauer des Tempelbezirks soweit droben, dass man fast in den Himmel hinein blickt. Man schiebt den Kopf in den Nacken, und über der Mauer ist eben mal noch die silberne Kuppel der Al-Aqsa-Moschee zu sehen. Zwischen Silwan und der heutigen Altstadt lag das alttestamentliche Jerusalem, die Davidstadt. Seit einigen Jahren, beginnend mit den Ausgrabungen in Ophel direkt unterhalb der Stadtmauer, versuchen israelische Archäologen die Verbindungen des modernen Israels mit seinen biblischen Vorfahren zu belegen. Auch bei diesen Ausgrabungen wird wenig Rücksicht auf palästinensischen Grund- und Hausbesitz genommen... ". (Vgl. den Aufsatz "Politik und Archäologie in Silwan / Shiloah / Ir David", den die jüdische Theologin und Archäologin Sarah Eggert im März 2012 in "Jerusalem. Gemeindebrief - Stiftungsjournal" auf S.45 ff. veröffentlichte)
Titelseite der Dokumentation "Silwan captured by settlement practices - Die Erbeutung Silwans durch Siedlungsmethoden" (Finanziert durch "The Palestinian Medical Relief Society")
2011 wirkte Udo W. Hombach bei der Restaurierung der Mosaiken am "Schneller-Altar" in Jerusalem mit. Im Juni 2012 berichtete er darüber in den "Monatsheften für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes", Düsseldorf. In Bälde erscheint ein weiterer Aufsatz zu dem Thema; darin werden die Restaurierung des Mosaikschmucks und seine geschichtlichen Hintergründe ausführlicher und detaillierter dargestellt. Diesem Aufsatz ist ein Kapitel hinzugefügt, in dem der Autor persönliche Eindrücke und Erlebnisse in Ost-Jerusalem schildert; der hier wiedergegebene Text ist ein Auszug aus diesem Kapitel. Ein Inhaltsverzeichnis dieses Aufsatzes ist zu lesen auf der Internetseite des Autors: www.udo-w-hombach.de.
Online-Flyer Nr. 570 vom 13.07.2016
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Zur Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem
Ein Besuch in Silwan
Von Udo W. Hombach
Ost-Jerusalem, ab 1948 mit der Westbank Teil von Jordanien, wurde im Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzt und später annektiert. Israel eignet sich seitdem in den besetzten palästinensischen Gebieten immer mehr Territorium an. Speerspitze dieser Kolonisierung sind die jüdischen Siedler. Das arabische Dorf Silwan im südlichen Ost-Jerusalem ist ein Brennpunkt der Konflikte, die sich daraus ergeben. Udo W. Hombach schildert seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse beim Besuch in diesem Teil Jerusalems.
Isrealische Bulldozer zerstören palästinensische Häuser in Silwan (aus der Dokumentation "Die Erbeutung Silwans durch Siedlungsmethoden")
Jerusalem liegt geografisch in einer zerklüfteten Berglandschaft. Der Ölberg, an dessen Nordende sich die Himmelfahrtkirche erhebt, ist ein lang gestreckter Bergrücken in Nord/Süd-Richtung. Zwischen seinem Westhang und der Altstadt beginnt das Tal Kidron, das nach Süden hin sich immer mehr vertieft und am Ende einer Schlucht gleicht. Hier, wo von Westen, vom Fuße des Zionsberg her, das Hinnomtal ins Kidrontal mündet, liegt das Dorf Silwan.
Man ist froh, wenn man die ruppige Fahrt im Autobus, auf der immer steiler abfallenden Straße überwunden hat. Steigt man am Ortseingang aus, ist man sofort von einer Schar Kinder umringt. In dieses palästinensische Dorf verirrt sich selten ein Tourist. Was hat er hier auch zu suchen?!
Eine Initiative aus Luxemburg zeigt eine Foto-Ausstellung im Gemeinschaftszelt (solidarity tent). Auf den Bildern sind Schüler/innen aus Luxemburg und aus Silwan zu sehen, aufgenommen in Alltagssituationen, angefangen beim morgendlichen Aufstehen zu Hause bis hin zur Heimkehr aus der Schule. Der Verweis auf die Gemeinsamkeiten im Alltag der Jugendlichen aus den beiden Orten soll denen in Silwan Mut machen: sie sollen nicht nur auf die belastenden Besonderheiten ihres Umfeldes sehen. Silwan, seit dem Sechstagekrieg 1967 mit weiten Gebieten im Osten Jerusalems in die Stadt eingemeindet und damit von Israel annektiert, ist ein Brennpunkt des politischen Konflikts um dieses Gebiet.
Hier werden Familien enteignet, weil jüdische Siedler Fuß fassen wollen. Den palästinensischen Bewohnern eines Hauses kann es passieren, dass ihr Haus während ihrer Abwesenheit plötzlich besetzt wird. Dann können die Betroffenen noch froh sein, wenn sie im Garten hinter dem Haus ein Zelt aufschlagen dürfen. Eine andere, ebenfalls vertriebene Familie besitzt (im wörtlichen Sinne!) nur noch einige Plastikstühle auf der ihrem besetzten Haus gegenüber liegenden Straßenseite.
Es gibt in Silwan aber auch die engagierte Jüdin, die sich legal im Ort einmietet, um hier zur Verbreitung ihrer Volks- und Religionsgruppe beizutragen. In der Jerusalemer Altstadt wird diese Strategie besonders intensiv verfolgt; prominenter Vorkämpfer war der ehemalige Ministerpräsident Ariel Scharon. Legale Inbesitznahme von Land und Bauten, aber eben oft taktisch geplant, gehörte in Palästina von Anfang an zur Vorgehensweise des Zionismus.
Anderen palästinensischen Familien - nicht nur in Silwan und im besetzten Westjordanland, sondern auch im israelischen Kernland - droht der Abriss ihres Hauses. Wenn die israelischen Behörden ein Haus stört oder Siedler ein Auge auf das Grundstück geworfen haben, wird den Bewohnern der Abriss angedroht. Meist wird vordergründig argumentiert, es habe für den Bau des Hauses keine Genehmigung vorgelegen und Baugenehmigungen werden Palästinensern so gut wie nie erteilt. Eine andere „Begründung" lautet, es seien keine oder nur lückenhafte Besitzurkunden vorhanden - was formal oft zutrifft, denn in osmanischer Zeit nahm man es nicht so genau, und auch während der britischen Mandatszeit hatten solche Formalitäten keine Priorität.
Eine Abrissorder ist oft mit der Aufforderung an die betroffenen Eigentümer verbunden, ihr Haus selber abzureißen. Weigern sie sich, droht man ihnen, es kämen israelische Bagger und der Abriss koste die palästinensische Familie dann umgerechnet 10.000 Euro. Kommen aber die Bagger, dann meist in früher Morgenstunde. Die Familie kann froh sein, wenn ihr eine halbe Stunde Frist gegeben wird, um persönliche Gegenstände zu retten. Manchmal gelingt es denjenigen, gegen die Abrissorder erlassen wurde, im juristischen Kampf mit den Behörden Aufschub zu erlangen. Aber für wie lange? Manchmal wochen-, manchmal monate-, manchmal jahrelang. Er gebe nicht auf, versichert ein Familienvater in Silwan.
Jüdische Siedler, die durch ihren Aufmarsch ihren Anspruch auf ganz Ost-Jerusalem ausdrücken wollen (Foto: Udo W. Hombach)
Hat man sich der Kinder auf der Straße erwehrt, sieht man über den Höhenzug vom Zionsberg her eine lange Reihe von Wanderern über die steilen Pfade zum Dorf herunter klettern. Über einhundert Menschen, die Frauen konservativ verhüllt: Es sind jüdische Siedler, die durch ihren Aufmarsch stumm ihren Anspruch auf ganz Ost-Jerusalem ausdrücken wollen. Einige Minuten bleiben sie regungslos stehen, ehe sie auf der Straße nach Norden abziehen. Im Dorf entsteht kurz darauf ein Tumult. Mehr als zehn erwachsene Männer prügeln sich auf der Straße - bei einem hat man entdeckt, dass er für die Israelis arbeitet; er gilt als Kollaborateur.
Schaut man nach Norden den abziehenden Siedlern nach, sieht man sie, die "hoch gebaute Stadt". Von diesem tiefen Tal aus liegt die Südmauer des Tempelbezirks soweit droben, dass man fast in den Himmel hinein blickt. Man schiebt den Kopf in den Nacken, und über der Mauer ist eben mal noch die silberne Kuppel der Al-Aqsa-Moschee zu sehen. Zwischen Silwan und der heutigen Altstadt lag das alttestamentliche Jerusalem, die Davidstadt. Seit einigen Jahren, beginnend mit den Ausgrabungen in Ophel direkt unterhalb der Stadtmauer, versuchen israelische Archäologen die Verbindungen des modernen Israels mit seinen biblischen Vorfahren zu belegen. Auch bei diesen Ausgrabungen wird wenig Rücksicht auf palästinensischen Grund- und Hausbesitz genommen... ". (Vgl. den Aufsatz "Politik und Archäologie in Silwan / Shiloah / Ir David", den die jüdische Theologin und Archäologin Sarah Eggert im März 2012 in "Jerusalem. Gemeindebrief - Stiftungsjournal" auf S.45 ff. veröffentlichte)
Titelseite der Dokumentation "Silwan captured by settlement practices - Die Erbeutung Silwans durch Siedlungsmethoden" (Finanziert durch "The Palestinian Medical Relief Society")
2011 wirkte Udo W. Hombach bei der Restaurierung der Mosaiken am "Schneller-Altar" in Jerusalem mit. Im Juni 2012 berichtete er darüber in den "Monatsheften für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes", Düsseldorf. In Bälde erscheint ein weiterer Aufsatz zu dem Thema; darin werden die Restaurierung des Mosaikschmucks und seine geschichtlichen Hintergründe ausführlicher und detaillierter dargestellt. Diesem Aufsatz ist ein Kapitel hinzugefügt, in dem der Autor persönliche Eindrücke und Erlebnisse in Ost-Jerusalem schildert; der hier wiedergegebene Text ist ein Auszug aus diesem Kapitel. Ein Inhaltsverzeichnis dieses Aufsatzes ist zu lesen auf der Internetseite des Autors: www.udo-w-hombach.de.
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