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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kommentar
320.000 Menschen: Stimme erheben, nicht abgeben
CETA - Biegen oder brechen?
Von Ulrich Gellermann

Da kamen sie: Frauen und Männer, Alte und Junge, auch Babys wurden gehört. Vom Berliner Alexanderplatz aus strömten sie zum Start der Demonstration gegen TTIP und CETA gegen Konzerne und für Demokratie. Ausgerechnet über die Karl-Marx-Allee. Ein Strom der elektrisierte. Und zeitgleich strömten sie auch in Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart. Sogar in Wien, Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck waren sie parallel unterwegs. So hatte sich der Führer den Anschluss nicht vorgestellt. – Am 22. und 23. September treffen sich in Bratislava die EU-HandelsministerInnen und wollen dort den Beschluss zur Unterzeichnung des CETA-Vertrags auf den Weg bringen. Scheißegal, denken sie, was ihre Völker so denken. Da dachten manche Völker doch glatt: DENKZETTEL!

Mit Demokratie hat das TTIP-CETA-Gewürge der Eurokratie, sponsored by USA, natürlich nichts zu tun: In den deutschen Umfragen gab es eine vernichtende Mehrheit von 70 Prozent gegen die Freihandelsverträge. Gegen CETA reichten die Gegner jüngst Verfassungsbeschwerde ein - mit mehr als 125.000 Klägern ist ihr “Nein zu CETA" die größte Verfassungsbeschwerde, die es jemals gab. Nur mit faulem Zauber können Befürworter der Ausbeuter-Verträge ihre eigene Gefolgschaft überzeugen: Sigmar Gabriel, sozialdemokratischer Trickbetrüger, ließ sein altes JA zu TTIP verschwinden, Simsalabim, um aus der anderen Tasche CETA rauszujubeln: Das sei viel besser, obwohl das gleiche Zeugs drin steht, Simsalabumm, so will er seinen SPD-Parteikonvent zum Kaninchen machen. Und aus der zersägten Kiste meldet sich Steinbrück (Wer? Der mit der Fahrradkette!) und sagt mit Grabesstimme: „Für meine Partei wäre es fatal, wenn wir Sozialdemokraten uns in die Reihen der Freihandelsgegner eingliedern“. Dieses düstere Krächzen sollte eigentlich jeden Sozialdemokraten endgültig gegen CETA bewegen.

Antiamerikanisch?

Vorne vor dem großen Demonstrations-Strom in Berlin standen auf Traktoren ein paar dicke blaue Plakate: „Hier ist kein Platz für Rassismus, Rechtspopulismus und Antiamerikanismus.“ Mmhm, landläufig nennen Regierung und angeschlossene Medien genau die, die gegen Freibeuter-Abkommen sind oder auch gegen US-Kriege „antiamerikanisch“. Was nun? Musste sich die Demonstration auflösen? Ach nee, meinte der Pressesprecher hinter der Bühne, mit „antiamerikanisch“ ist die AfD gemeint. Aha. Die AfD ist für die NATO, also antiamerikanisch? Ach nee, meint der Pressesprecher, mehr so allgemein. Das meinte auch der Kollege aus der ersten Demo-Reihe von der IG Bau: Mehr so allgemein. – Im Strom: Keine AfD. Aber ein Motorradgespann: Voller US-Flaggen mit Totenköpfen statt der Sterne. Das ist doch!? Ja, ein altes MZ-Motorrad-Gespann aus Zschopau. Die MZ war doch!? Ja, aus der DDR. Die war natürlich schwer antiamerikanisch. Weiter im Strom: Gute Gesichter, fröhlich, eher aufgeschlossen als geschlossen die Reihen. Hie und da wird getanzt. Ist Salsa antiamerikanisch? Na klar, sagte einer der Tänzer, lateinamerikanisch eben! Ach so.

Es grüßten per Transparent der „Berliner Landesmusikrat“, diverse Gewerkschaften, die LINKE, die GRÜNEN, die Naturfreunde. Längst hatte der Regen nachgelassen. Kiek mal: Der ist auch dabei, und die und der da auch. Und noch mehr und noch mehr. Widerstand macht gute Laune. Sichtbar auch auf den Gesichtern von Gerti und Ute, den Hüterinnen der legendären Berliner Medienkneipe „Florian“. Ja, wenn der Widerstand die Berliner Szene erreicht hat, wer soll dem noch widerstehen wollen? – „Jetzt sind es 320.000 Teilnehmer in ganz Deutschland bei den Anti-CETA-Demonstrationen“, sagt der Pressesprecher der Demo und grinst infernalisch über das ganze Gesicht. – Was meldet die TAGESSCHAU als erstes? Die Polizei sage, die Teilnehmer-Zahlen blieben nach ihrer Einschätzungen hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Das ist gut pro-amerikanisch. Die von der TAGESSCHAU hätten also an der Demonstration durchaus teilnehmen dürfen.

Aufbegehren in der besten Schule der Demokratie

Was nun? Wird die Eurokratie den Hinweis von den Straßen lesen wollen, lesen können? Wird man den Widerstand so lange biegen – über dem Dampf der Massenmedien, im Gequatsche der Hinterzimmer, über dem Feuer aus dem Geld des Lobbyismus – bis er sich den scheindemokratischen Entscheidungen der Gremien anpasst? Oder werden die Menschen auf den Straßen und Plätzen sich nicht biegen lassen? Lieber mit der Gewohnheit brechen und wieder und wieder aufbegehren, in der besten Schule der Demokratie, außerhalb der Parlamente, auf den Straßen, versteht sich. Da wo man lernt für sich selbst zu sprechen und nicht nur seine Stimme abzugeben.

Ach ja, Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus fanden anderntags auch statt. Die parlamentarische Demokratie hatte am Sonntag Ausgang. Und so sind die Wahlen dann auch ausgegangen: Wahrscheinlich wird es eine rot-rot-grüne Landes-Regierung geben. Eine parlamentarische Kompromissgeburt. Was wird das ändern? Der Verkauf von rund 61.000 landeseigenen Wohneinheiten an die Finanz-Spekulanten Cerberus und Goldman Sachs durch eine SPD-LINKE-Regierung im Jahr 2004 wird sicher unverzüglich rückgängig gemacht. Der Berliner Flughafen RBB, von derselben Rot-Rot-Regierung 2006 gestartet, wird dann gleich morgen eröffnet. Weihnachten und Ostern werden von der Koalition umgehend auf einen Tag gelegt.


Erstveröffentlichung am 19. September 2016 bei rationalgalerie.de – Eine Plattform für Nachdenker und Vorläufer

Top-Foto:
Ulrich Gellermann (aus Video-Interview: deutsch.rt.com)


Online-Flyer Nr. 580  vom 21.09.2016

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