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Arbeit und Soziales
Zu einer Kampagne der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft"
Meinungsfreiheit oder „Volksverhetzung“?
Von Ullrich Mies

Am Freitag, dem 28. Oktober 2016, erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Seite 5 und in der Süddeutschen Zeitung auf Seite 7 je eine ganzseitige Anzeige der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. In aggressiver Aufmachung wurden dort folgende Politiker grafisch skizziert abgebildet: die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles, im Hintergrund zu ihrer Rechten der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, zu ihrer Linken - ebenfalls im Hintergrund - Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nahles zeigt mit dem rechten Zeigefinger auf ihre Opfer, in Großlettern: DU ZAHLST

Der Text darunter lautet:
    Liebe Jungwählerinnen und Jungwähler, die große Koalition entscheidet über die Zukunft der Rente. Sie will zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode teure Wahlgeschenke machen. Egal ob Haltelinie beim Rentenniveau, Ausweitung der Mütterrente, Angleichung der Ostrenten oder Lebensleistungsrente - die Rechnung zahlt immer Ihr. Das ist nicht fair! Rente muss gerecht bleiben: INSM.de

Maß des Erträglichen überschritten

Von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, jener von den Elektro- und Metallindustrieverbänden getragenen und ausgegliederten Lobbyorganisation, die als Parallelregierung fungiert, ist man einiges an Zumutungen, Unverschämtheiten und Einmischungen gewohnt.

Diese Annonce übersteigt jedoch das Maß des Erträglichen. Hier wird gezielt Jung gegen Alt gehetzt und der soziale Friede untergraben. Ziel dieser Schmutzkampagne ist schließlich nicht nur, gegen jede Form der Rentenerhöhung zu agitieren, sondern vor allem zu verschweigen, dass die Renten durch obskure Renten-„Reformen“ über viele Jahre massiv reduziert sowie darüber hinaus auch noch besteuert wurden. Ferner wurde das Renteneintrittsalter (bisher) auf 67 Jahre angehoben. Die weitere Anhebung des Rentenalters ist längst geplant. Für sehr viele Menschen bedeutet der Übergang in den Rentenstand bereits heute schon den Übergang in die Altersarmut. Das stört die INSM nicht.

Private Zusatzversicherungen wie „Riesterrente“ oder private Kapitalversicherungen haben ihre Versprechungen bzgl. der zu erwartenden Zahlungen nicht gehalten. Dennoch soll die gesetzliche Rentenversicherung sturmreif geschossen und der Finanzindustrie zum Fraß vorgeworfen werden.

Ziel dieser Annonce ist weder der Schutz der Jungen noch der Alten. Ihr Ziel ist die Zerstörung des gesetzlichen und einzig sinnvollen Renten-Umlagesystems und in letzter Konsequenz die Förderung des „sozialverträglichen Frühablebens“ der Alten durch strukturelle Gewalt: Armut, unbezahlbare - weil privatisierte - Gesundheitsversorgung, Verzweiflung, in der letztlich viele Betroffene den Selbstmord als einzigen Ausweg sehen.

„Volksverhetzung“?

Insgesamt stellt sich die Frage, ob diese Annonce nicht die Grenzlinie zur so genannten Volksverhetzung überschritten hat. „Volksverhetzung“ liegt nämlich dann vor, wenn der „öffentliche Friede“ gestört wird. „Öffentlicher Friede“ ist ein Zustand „frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Bürger und das Vertrauen in der Bevölkerung, mindestens einer nicht unbeträchtlichen Personenzahl, in das Fortdauern dieses Zustandes.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Öffentlicher_Friede)

„Volksverhetzung“ laut Strafgesetzbuch wird definiert:
    „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

    1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder

    2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

    wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ (de.wikipedia.org/wiki/Volksverhetzung)

PR-Schmutz

Wer sich den geistigen PR-Schmutz der INSM-Anzeige genau anschaut, wird unschwer feststellen, dass die Jungen auf die Alten gehetzt werden sollen. Die Menschenwürde der Alten wird untergraben, denn die indirekte Botschaft lautet: Die Jungen sollten die Zahlungen verweigern, die den Alten das Überleben (in Würde) sichert. Das ist Entsolidarisierung und Sozialdarwinismus der widerwärtigsten Art, der zudem auch noch im Gewande der „Fairness“ daherkommt.

Den Ruineuren des Sozialstaats - der INSM - sind die Menschen insgesamt schon heute egal, Junge und Alte. Die Jungen werden aktuell im Arbeitsleben verheizt und nachdem sie ausgebrannt sind, werden sie schon bald der nutzlose und „überalterte Humanmüll“ der Zukunft sein. Und wenn es nach den Vorstellungen der Menschenverächter geht, wird es für die heutigen Jungen und die Alten der Zukunft gar keine staatliche Rentensicherheit mehr geben: Das ist ein expliziter Angriff auf die Menschenwürde eines Teils der Bevölkerung und damit Volksverhetzung.

Junge, die sich heute vor den Karren der INSM und ihrer aggressiven, ideologischen Cliquen spannen lassen, werden in 20 oder 30 Jahren feststellen, dass sie es versäumt haben, rechtzeitig Widerstand gegen ihren eigenen Untergang im Alter zu leisten.


Quelle: FAZ, 28.10.2016, Seite 5

Online-Flyer Nr. 587  vom 09.11.2016

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