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Kommentar
Zum Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl
Oh mein Gott, Trump!
Von Uri Avnery
PRÄSIDENT TRUMP. Ich bin immer noch starr vor Schreck. Aber besser, ich gewöhne mich daran. Das war nicht einfach nur eine weitere US-Wahl. Ich habe in meinem Leben viele gesehen. Die Ergebnisse einiger mochte ich, die anderer nicht. Aber diese ist ganz und gar anders. Sie ist ein Erdbeben, das das Antlitz des Planeten verändert. Wie ist das geschehen? Warum? Und warum kommt es so vollkommen unerwartet?
UNERWARTET war es wegen unserer heidnischen Anbetung von Meinungsumfragen. Wie ich letzte Woche geschrieben habe, bevor es geschah, erinnern mich diese Umfragen an die römische Art und Weise, die Zukunft aus den Eingeweiden von Tieren vorherzusagen und an die modernere Art und Weise der Astrologen. Solange ich zurückdenken kann, haben sich die Umfragen immer geirrt. Von Zeit zu Zeit bekamen sie eine der Umfragen gut hin, so wie eine kaputte Uhr zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt. Eine solche Umfrage wurde dann gefeiert, bis zum nächsten Mal, wenn sie wieder wie alle anderen auch Falsches voraussagte.
Das trifft für Israel wie für die USA und es trifft überall zu. Werden sich die Medien bei der nächsten Wahl wieder den Umfragen zuwenden? Sicherlich. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Die Umfragen sorgen für Einschaltquoten. Sie schaffen Spannung. Anstatt nur dumme und sich wiederholende Wahlreden zu senden, produzieren sie Aufregung. Ihre Aufs und Abs füllen Druck- und Sende-Lücken.
Kurz gesagt: Die Umfragen werden von den Medien für die Medien geschaffen. Sie haben nichts zu bedeuten. Wenn die wirklichen Ergebnisse bekannt werden, werden die Umfrageergebnisse bis zum nächsten Mal vergessen, bis die Umfragen neu beginnen, als wäre nichts geschehen. Wo liegt das Problem? Nun ja, fast alle Leute lügen bei den Umfragen. Für einen Wähler war es erniedrigend zuzugeben, dass er für die absurde Wahl des vulgären Mobs, für Trump, stimmen werde und nicht für die auserlesene Kandidatin der Elite. Ein Meinungsforscher müsste wenigstens eine Stunde mit jedem Befragten verbringen und ihn umfassend über die verschiedenen Themen befragen, z.B. Arbeit, Waffen, Eliten und dergleichen. Und nicht einmal dann kann man sicher sein. Ich schreibe das nicht in der Hoffnung, dass die Leute beim nächsten Mal nur lachen, wenn sie die Umfragen sehen. Wie könnten sie ohne Umfragen denken, sie wüssten, wer gewinnen wird?
WIR WISSEN nicht, wer Trump wirklich ist und was er in den nächsten vier Jahren tun wird. Wir kennen nur den Trump der Wahlen: einen üblen Gesellen, einen Größenwahnsinnigen, einen Lügner und Ignoranten. Einige würden hinzufügen: einen Erz-Faschisten. Am Vorabend der letzten freien Wahlen vor Hitler in Deutschland schrieb der Vordenker der modernen Propaganda Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Wir müssen wieder an die niedrigsten Instinkte der Massen appellieren.“
Das könnte durchaus das Motto aller faschistischen Bewegungen in der Welt sein. Ganz gewiss war es das Motto Donald Trumps in diesem Wahlkampf. Die niedrigsten Instinkte der Massen bringen sie dazu, Fremde, Angehörige von Minderheiten, sexuell Andersartige und vor allem „die Eliten“ zu hassen. Letztere sind in der Hauptstadt der Nation angesiedelt. Diese Instinkte bringen sie dazu, an Verschwörungstheorien zu glauben, je wilder, desto besser. Sie bringen sie dazu zu glauben, dass dunkle Mächte am Werk sind, die unser geliebtes Land untergraben und unseren heldenhaften Soldaten Dolche in den Rücken stoßen.
In jedem Land gibt es Leute, die unbeirrbar an derlei Unsinn glauben. Die ihren Führern vertrauen. Die ihre Feinde hassen. Die wollen, dass ihr Land wieder zu seiner alten Größe zurückfindet. Deutschland erwache! In normalen Zeiten vegetieren diese Elemente am Rande dahin. Ihre Stimmen werden in den Medien und im Parlament kaum jemals gehört. Aber manchmal und an manchen Orten steigt der Abschaum an die Oberfläche. Genau das geschieht jetzt in den Vereinigten Staaten. Warum? Warum gerade jetzt?
EINIGE WÜRDEN sagen: wegen der einzigartigen Persönlichkeit Donald Trumps. Die einzigartige Mischung aus Größenwahn, Effekthascherei und Massenattraktivität. Das stimmt, aber das genügt nicht, das Phänomen zu erklären. Trumps gibt es zu jeder Zeit und überall. Sie kommen und gehen. Warum dieser Trump? Was macht Trump so besonders? Am Anfang erregte er Hohn und Spott – ähnlich wie andere Demagogen, die jahrelang als politische Clowns betrachtet wurden, bevor sie unerhörte Katastrophen verursachten. Diese Woche war kein Hohn mehr übrig, als der vernünftige Teil Amerikas vor Furcht zu zittern begann. Der Clown kann zu einem Ungeheuer werden. Warum? Warum gerade jetzt?
DIE VOLKSBEWEGUNG, die um Trump herum aus dem Boden geschossen ist, ähnelt einem Vulkanausbruch. Sie kommt aus den Tiefen der Erde. Sie ist nicht einfach eine politische Bewegung, die von klugen Politikern zusammengebaut wurde. Sie ist ein Naturphänomen, eine Massen-Emotion, ein Ausdruck tiefsitzender Ängste und Sehnsüchte. Ich denke, sie ist von der Tatsache verursacht, dass die menschliche Gesellschaft Veränderungen durchmacht, die so beschaffen sind, dass sie Massen orientierungsloser Menschen in Elend und Verzweiflung hinter sich lassen.
Die Globalisierung verändert die Lebensbedingungen von Milliarden zum Besseren und zum Schlechteren. Produktionsmuster und Handel sind nicht wiederzuerkennen. Es ist wie ein Erdbeben: Berge werden zu Tälern, Täler werden zu Bergen. Das ist schon früher in der Geschichte geschehen. Da gab es zum Beispiel im frühen 19. Jahrhundert die Technikfeinde in England und die Weber in Deutschland. Sie zerschlugen die modernen Maschinen, die ihnen die Arbeit wegnahmen. Ihr Aufstand war vergeblich. Die Hauptopfer sind die unteren Schichten in den ehemals führenden Völkern. Die Blaukragen. Diejenigen, die noch gestern stolz in Geschicklichkeit fordernden, gut bezahlten und zufriedenstellenden Berufen gearbeitet haben und die sich jetzt, wenn sie überhaupt Arbeit haben, mit niedrigeren Beschäftigungen begnügen müssen.
Das amerikanische Auto, das weltweit ein Symbol und der Stolz der amerikanischen Nation war, ist jetzt ein verachtetes Wrack. Das erzeugt natürlichen Hass gegen Ausländer (gegen die Asiaten, die die Autos produzieren) und gegen Minderheiten (die Mexikaner, die um die schlechten Jobs, die es noch gibt, konkurrieren). Es erzeugt erbitterten Nationalismus. Der Detroiter Arbeiter mag arbeitslos sein und ihm mag die Zwangsräumung seines Hauses drohen, aber er ist immer noch ein weißer Vollblutamerikaner. Als ein solcher hat er gewählt. Der Trumpismus ist der Aufschrei der großen Massen von Amerikanern, die wirtschaftlich entwurzelt, geistig orientierungslos, allgemein elend, voller Hass, Misstrauen und Verzweiflung sind. Das ist keine vorübergehende Situation und keine vorübergehende Laune. Der Trumpismus wird unter Präsident Trump bestehen bleiben.
DIE UNTERSCHIEDE zwischen den USA und Israel sind enorm. Die USA sind riesig. Israel ist winzig, kleiner als viele US-Staaten. Die USA sind inzwischen multi-kulturell, das ist Israel durchaus nicht. Die USA haben reiche und natürliche Ressourcen. Israel hat fast keine, außer etwas Öl im Meer, weit entfernt von seinen Ufern. Und so weiter. Benjamin Netanjahu ist kein Trump, nicht einmal ein halber. Aber er ist im Begriff, einer zu werden. Netanjahu ist ein Mann mit jeweils einem einzigen Thema. Er verbeißt sich in ein Thema und dort blieben seine Zähne eine lange Zeit stecken.
Vor nicht allzu langer Zeit war es die iranische Bombe. Nur noch ein Augenblick und der Iran würde sie bekommen. Das wäre das Ende der Welt, das mit Israel beginnen würde. Deshalb erklärte er Barack Obama den Krieg, hielt im Kongress eine Rede und erschütterte die Welt. Und dann hörte er damit auf. Praktisch über Nacht. Keine Bombe. Kein Iran. Kein Ende von irgendetwas. Jetzt sind es die Medien. Netanjahu will die Medien erobern. Nicht einige. Nicht die meisten. Allesamt. Es ist nicht EINES seiner Anliegen. Es ist nicht einmal sein wichtigstes Anliegen. Es ist sein EINZIGES Anliegen. Um das in die Praxis umzusetzen, unternahm Netanjahu einen ungewöhnlichen Schritt. Als die neue (und vierte) Regierung gebildet wurde, behielt er sich das Kommunikations-Ministerium vor, ein sehr nebensächliches Ministerium. Jetzt wurde deutlich, warum.
Der jüdische Kasino-Mogul und Wohltäter Trumps Sheldon Adelson ist Netanjahus größter Bewunderer (und sein Besitzer). Er hat eine Tageszeitung geschaffen, die umsonst verteilt wird und nur Netanjahu and seiner Frau gewidmet ist. Es ist inzwischen die am weitesten verbreitete Zeitung im Land. Reicht das nicht? Durchaus nicht! Netanjahu ist mit dem mehr oder weniger neutralen öffentlich-rechtlichen israelischen Fernsehen unzufrieden. Zwar ist es weniger einflussreich als unsere beiden privaten kommerziellen Sender, aber Netanjahu ist entschlossen, es durch einen persönlichen Sender zu ersetzen. Das ist jetzt sein (einziges) großes Anliegen. Er richtete ein neues Unternehmen ein, das nach dem Vorbild der BBC gestaltet wurde, aber plötzlich entdeckte er, dass das Unternehmen, das noch nicht auf Sendung ist, schon jetzt voller „radikaler Linker“ ist (das sind alle, die keine Bewunderer „Bibis“ sind). Netanjahu will es also abschaffen und, vermutlich nach einer sorgfältigen Neustrukturierung, die vorhandenen Einrichtungen beibehalten.
Wozu Netanjahu die absolute Herrschaft über die Medien braucht, zeigte sich diese Woche auf dem kommerziellen Kanal 10. Eine sehr beliebte (und außergewöhnliche) Enthüllungssendung mit dem Titel Uwda („Tatsache“) widmete Netanjahus äußerst unbeliebter (dritter) Frau Sara eine ganze Stunde. Sara'le („kleine Sara“), wie sie allgemein genannt wird, ernennt anscheinend alle, die einen hohen Rang bekleiden, darunter den Stabschef der Armee und die Generaldirektoren aller Ministerien, einzig und allein auf Grund von deren persönlicher Loyalität ihrem Mann (und ihr selbst) gegenüber. Am Ende der Sendung las die Redakteurin der Sendung Ilana Dajan eine offizielle Widerlegung aus Netanjahus Büro vor. Der Text umfasste mehr als vier Seiten (sechs Minuten) und war voller persönlicher Beleidigungen Dajans, die sie selbst langsam und mit unbewegter Miene vorlas. Das war ein recht amüsantes Erlebnis.
Es gibt nur wenige derartige Ausnahmen, im Übrigen sind die israelischen Medien inzwischen eingeschüchtert. Der Volkswitz spricht von einem Hof, einem König, einer Königin und einem Kronprinzen. Aber das ist jetzt nicht mehr zum Lachen: Es ist eindeutig: Netanjahu will ein israelischer Putin oder Erdogan sein. Und jetzt: ein Trump.
WIR WOLLEN fair sein. Bisweilen geschehen Wunder. Präsident Trump kann sich durchaus als ein ganz anderer Mensch als der unangenehme Kandidat, der er war, herausstellen. Er kann im guten Sinne des Wortes pragmatisch sein, schnell lernen und vernünftig regieren. Wie unsere muslimischen Freunde sagen: Inschallah, wenn Allah will.
Uri Avnery, geboren 1923 in Deutschland, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ ist in der NRhZ Nr. 446 rezensiert.
Für die Übersetzung dieses Artikels aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler. Sie betreibt die website ingridvonheiseler.formatlabor.net. Ihre Buch-Publikationen finden sich hier.
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Online-Flyer Nr. 588 vom 16.11.2016
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Zum Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl
Oh mein Gott, Trump!
Von Uri Avnery
PRÄSIDENT TRUMP. Ich bin immer noch starr vor Schreck. Aber besser, ich gewöhne mich daran. Das war nicht einfach nur eine weitere US-Wahl. Ich habe in meinem Leben viele gesehen. Die Ergebnisse einiger mochte ich, die anderer nicht. Aber diese ist ganz und gar anders. Sie ist ein Erdbeben, das das Antlitz des Planeten verändert. Wie ist das geschehen? Warum? Und warum kommt es so vollkommen unerwartet?
UNERWARTET war es wegen unserer heidnischen Anbetung von Meinungsumfragen. Wie ich letzte Woche geschrieben habe, bevor es geschah, erinnern mich diese Umfragen an die römische Art und Weise, die Zukunft aus den Eingeweiden von Tieren vorherzusagen und an die modernere Art und Weise der Astrologen. Solange ich zurückdenken kann, haben sich die Umfragen immer geirrt. Von Zeit zu Zeit bekamen sie eine der Umfragen gut hin, so wie eine kaputte Uhr zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt. Eine solche Umfrage wurde dann gefeiert, bis zum nächsten Mal, wenn sie wieder wie alle anderen auch Falsches voraussagte.
Das trifft für Israel wie für die USA und es trifft überall zu. Werden sich die Medien bei der nächsten Wahl wieder den Umfragen zuwenden? Sicherlich. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Die Umfragen sorgen für Einschaltquoten. Sie schaffen Spannung. Anstatt nur dumme und sich wiederholende Wahlreden zu senden, produzieren sie Aufregung. Ihre Aufs und Abs füllen Druck- und Sende-Lücken.
Kurz gesagt: Die Umfragen werden von den Medien für die Medien geschaffen. Sie haben nichts zu bedeuten. Wenn die wirklichen Ergebnisse bekannt werden, werden die Umfrageergebnisse bis zum nächsten Mal vergessen, bis die Umfragen neu beginnen, als wäre nichts geschehen. Wo liegt das Problem? Nun ja, fast alle Leute lügen bei den Umfragen. Für einen Wähler war es erniedrigend zuzugeben, dass er für die absurde Wahl des vulgären Mobs, für Trump, stimmen werde und nicht für die auserlesene Kandidatin der Elite. Ein Meinungsforscher müsste wenigstens eine Stunde mit jedem Befragten verbringen und ihn umfassend über die verschiedenen Themen befragen, z.B. Arbeit, Waffen, Eliten und dergleichen. Und nicht einmal dann kann man sicher sein. Ich schreibe das nicht in der Hoffnung, dass die Leute beim nächsten Mal nur lachen, wenn sie die Umfragen sehen. Wie könnten sie ohne Umfragen denken, sie wüssten, wer gewinnen wird?
WIR WISSEN nicht, wer Trump wirklich ist und was er in den nächsten vier Jahren tun wird. Wir kennen nur den Trump der Wahlen: einen üblen Gesellen, einen Größenwahnsinnigen, einen Lügner und Ignoranten. Einige würden hinzufügen: einen Erz-Faschisten. Am Vorabend der letzten freien Wahlen vor Hitler in Deutschland schrieb der Vordenker der modernen Propaganda Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Wir müssen wieder an die niedrigsten Instinkte der Massen appellieren.“
Das könnte durchaus das Motto aller faschistischen Bewegungen in der Welt sein. Ganz gewiss war es das Motto Donald Trumps in diesem Wahlkampf. Die niedrigsten Instinkte der Massen bringen sie dazu, Fremde, Angehörige von Minderheiten, sexuell Andersartige und vor allem „die Eliten“ zu hassen. Letztere sind in der Hauptstadt der Nation angesiedelt. Diese Instinkte bringen sie dazu, an Verschwörungstheorien zu glauben, je wilder, desto besser. Sie bringen sie dazu zu glauben, dass dunkle Mächte am Werk sind, die unser geliebtes Land untergraben und unseren heldenhaften Soldaten Dolche in den Rücken stoßen.
In jedem Land gibt es Leute, die unbeirrbar an derlei Unsinn glauben. Die ihren Führern vertrauen. Die ihre Feinde hassen. Die wollen, dass ihr Land wieder zu seiner alten Größe zurückfindet. Deutschland erwache! In normalen Zeiten vegetieren diese Elemente am Rande dahin. Ihre Stimmen werden in den Medien und im Parlament kaum jemals gehört. Aber manchmal und an manchen Orten steigt der Abschaum an die Oberfläche. Genau das geschieht jetzt in den Vereinigten Staaten. Warum? Warum gerade jetzt?
EINIGE WÜRDEN sagen: wegen der einzigartigen Persönlichkeit Donald Trumps. Die einzigartige Mischung aus Größenwahn, Effekthascherei und Massenattraktivität. Das stimmt, aber das genügt nicht, das Phänomen zu erklären. Trumps gibt es zu jeder Zeit und überall. Sie kommen und gehen. Warum dieser Trump? Was macht Trump so besonders? Am Anfang erregte er Hohn und Spott – ähnlich wie andere Demagogen, die jahrelang als politische Clowns betrachtet wurden, bevor sie unerhörte Katastrophen verursachten. Diese Woche war kein Hohn mehr übrig, als der vernünftige Teil Amerikas vor Furcht zu zittern begann. Der Clown kann zu einem Ungeheuer werden. Warum? Warum gerade jetzt?
DIE VOLKSBEWEGUNG, die um Trump herum aus dem Boden geschossen ist, ähnelt einem Vulkanausbruch. Sie kommt aus den Tiefen der Erde. Sie ist nicht einfach eine politische Bewegung, die von klugen Politikern zusammengebaut wurde. Sie ist ein Naturphänomen, eine Massen-Emotion, ein Ausdruck tiefsitzender Ängste und Sehnsüchte. Ich denke, sie ist von der Tatsache verursacht, dass die menschliche Gesellschaft Veränderungen durchmacht, die so beschaffen sind, dass sie Massen orientierungsloser Menschen in Elend und Verzweiflung hinter sich lassen.
Die Globalisierung verändert die Lebensbedingungen von Milliarden zum Besseren und zum Schlechteren. Produktionsmuster und Handel sind nicht wiederzuerkennen. Es ist wie ein Erdbeben: Berge werden zu Tälern, Täler werden zu Bergen. Das ist schon früher in der Geschichte geschehen. Da gab es zum Beispiel im frühen 19. Jahrhundert die Technikfeinde in England und die Weber in Deutschland. Sie zerschlugen die modernen Maschinen, die ihnen die Arbeit wegnahmen. Ihr Aufstand war vergeblich. Die Hauptopfer sind die unteren Schichten in den ehemals führenden Völkern. Die Blaukragen. Diejenigen, die noch gestern stolz in Geschicklichkeit fordernden, gut bezahlten und zufriedenstellenden Berufen gearbeitet haben und die sich jetzt, wenn sie überhaupt Arbeit haben, mit niedrigeren Beschäftigungen begnügen müssen.
Das amerikanische Auto, das weltweit ein Symbol und der Stolz der amerikanischen Nation war, ist jetzt ein verachtetes Wrack. Das erzeugt natürlichen Hass gegen Ausländer (gegen die Asiaten, die die Autos produzieren) und gegen Minderheiten (die Mexikaner, die um die schlechten Jobs, die es noch gibt, konkurrieren). Es erzeugt erbitterten Nationalismus. Der Detroiter Arbeiter mag arbeitslos sein und ihm mag die Zwangsräumung seines Hauses drohen, aber er ist immer noch ein weißer Vollblutamerikaner. Als ein solcher hat er gewählt. Der Trumpismus ist der Aufschrei der großen Massen von Amerikanern, die wirtschaftlich entwurzelt, geistig orientierungslos, allgemein elend, voller Hass, Misstrauen und Verzweiflung sind. Das ist keine vorübergehende Situation und keine vorübergehende Laune. Der Trumpismus wird unter Präsident Trump bestehen bleiben.
DIE UNTERSCHIEDE zwischen den USA und Israel sind enorm. Die USA sind riesig. Israel ist winzig, kleiner als viele US-Staaten. Die USA sind inzwischen multi-kulturell, das ist Israel durchaus nicht. Die USA haben reiche und natürliche Ressourcen. Israel hat fast keine, außer etwas Öl im Meer, weit entfernt von seinen Ufern. Und so weiter. Benjamin Netanjahu ist kein Trump, nicht einmal ein halber. Aber er ist im Begriff, einer zu werden. Netanjahu ist ein Mann mit jeweils einem einzigen Thema. Er verbeißt sich in ein Thema und dort blieben seine Zähne eine lange Zeit stecken.
Vor nicht allzu langer Zeit war es die iranische Bombe. Nur noch ein Augenblick und der Iran würde sie bekommen. Das wäre das Ende der Welt, das mit Israel beginnen würde. Deshalb erklärte er Barack Obama den Krieg, hielt im Kongress eine Rede und erschütterte die Welt. Und dann hörte er damit auf. Praktisch über Nacht. Keine Bombe. Kein Iran. Kein Ende von irgendetwas. Jetzt sind es die Medien. Netanjahu will die Medien erobern. Nicht einige. Nicht die meisten. Allesamt. Es ist nicht EINES seiner Anliegen. Es ist nicht einmal sein wichtigstes Anliegen. Es ist sein EINZIGES Anliegen. Um das in die Praxis umzusetzen, unternahm Netanjahu einen ungewöhnlichen Schritt. Als die neue (und vierte) Regierung gebildet wurde, behielt er sich das Kommunikations-Ministerium vor, ein sehr nebensächliches Ministerium. Jetzt wurde deutlich, warum.
Der jüdische Kasino-Mogul und Wohltäter Trumps Sheldon Adelson ist Netanjahus größter Bewunderer (und sein Besitzer). Er hat eine Tageszeitung geschaffen, die umsonst verteilt wird und nur Netanjahu and seiner Frau gewidmet ist. Es ist inzwischen die am weitesten verbreitete Zeitung im Land. Reicht das nicht? Durchaus nicht! Netanjahu ist mit dem mehr oder weniger neutralen öffentlich-rechtlichen israelischen Fernsehen unzufrieden. Zwar ist es weniger einflussreich als unsere beiden privaten kommerziellen Sender, aber Netanjahu ist entschlossen, es durch einen persönlichen Sender zu ersetzen. Das ist jetzt sein (einziges) großes Anliegen. Er richtete ein neues Unternehmen ein, das nach dem Vorbild der BBC gestaltet wurde, aber plötzlich entdeckte er, dass das Unternehmen, das noch nicht auf Sendung ist, schon jetzt voller „radikaler Linker“ ist (das sind alle, die keine Bewunderer „Bibis“ sind). Netanjahu will es also abschaffen und, vermutlich nach einer sorgfältigen Neustrukturierung, die vorhandenen Einrichtungen beibehalten.
Wozu Netanjahu die absolute Herrschaft über die Medien braucht, zeigte sich diese Woche auf dem kommerziellen Kanal 10. Eine sehr beliebte (und außergewöhnliche) Enthüllungssendung mit dem Titel Uwda („Tatsache“) widmete Netanjahus äußerst unbeliebter (dritter) Frau Sara eine ganze Stunde. Sara'le („kleine Sara“), wie sie allgemein genannt wird, ernennt anscheinend alle, die einen hohen Rang bekleiden, darunter den Stabschef der Armee und die Generaldirektoren aller Ministerien, einzig und allein auf Grund von deren persönlicher Loyalität ihrem Mann (und ihr selbst) gegenüber. Am Ende der Sendung las die Redakteurin der Sendung Ilana Dajan eine offizielle Widerlegung aus Netanjahus Büro vor. Der Text umfasste mehr als vier Seiten (sechs Minuten) und war voller persönlicher Beleidigungen Dajans, die sie selbst langsam und mit unbewegter Miene vorlas. Das war ein recht amüsantes Erlebnis.
Es gibt nur wenige derartige Ausnahmen, im Übrigen sind die israelischen Medien inzwischen eingeschüchtert. Der Volkswitz spricht von einem Hof, einem König, einer Königin und einem Kronprinzen. Aber das ist jetzt nicht mehr zum Lachen: Es ist eindeutig: Netanjahu will ein israelischer Putin oder Erdogan sein. Und jetzt: ein Trump.
WIR WOLLEN fair sein. Bisweilen geschehen Wunder. Präsident Trump kann sich durchaus als ein ganz anderer Mensch als der unangenehme Kandidat, der er war, herausstellen. Er kann im guten Sinne des Wortes pragmatisch sein, schnell lernen und vernünftig regieren. Wie unsere muslimischen Freunde sagen: Inschallah, wenn Allah will.
Uri Avnery, geboren 1923 in Deutschland, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ ist in der NRhZ Nr. 446 rezensiert.
Für die Übersetzung dieses Artikels aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler. Sie betreibt die website ingridvonheiseler.formatlabor.net. Ihre Buch-Publikationen finden sich hier.
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