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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Anmerkungen zu US-Präsident Donald J. Trump
Präsident Kong
Von Uri Avnery

ICH WUSSTE doch, dass er mich an jemanden erinnert, aber ich wusste nicht genau, an wen. Wer war es doch gleich noch, der sich mit solcher Kraft auf die Brust trommelte? Dann fiel es mir wieder ein. Es war der Held eines Films, der produziert wurde, als ich zehn Jahre alt war: King Kong. King Kong, der gigantische Primat mit einem Herzen aus Gold, der riesige Gebäude erkletterte und Flugzeuge mit dem kleinen Finger vom Himmel holte. Oh. Präsident Kong, das mächtigste Wesen auf Erden.

EINIGE VON uns hatten gehofft, es würde sich herausstellen, dass Donald Trump eine ganz andere Person sei, als seine Wahl-Maske war. In einem Wahlkampf sagt man schließlich alles mögliche dumme Zeug. Das soll am Tag danach vergessen sein. Aber der Tag danach ist gekommen und gegangen und das dumme Zeug hat sich vervielfacht. Der unglaubliche Trump, von dem wir glaubten, es gäbe ihn gar nicht, wird bleiben – vier Jahre lang wenigstens. An seinem ersten Arbeitstag hatten wir den absurden Anblick von zwei Jungen, die sich im Schulhof darüber zanken, wer den größeren habe. In diesem Fall: die größte Amtseinführungs-Menge. Trump bestand darauf, er habe die größte seit eh und je. Er hätte darauf gefasst sein müssen, dass innerhalb von Minuten Luftaufnahmen im Fernsehen erschienen, die zeigten, dass Bark Obamas Menge viel größer war. Hat er sich entschuldigt? Im Gegenteil, er bestand darauf. Eine Sprecherin erschien und erklärte, dass dies nur ein Fall von „alternativen Fakten“ sei. Ein wunderbarer Ausdruck. Schade, dass ich ihn in meinen vielen Journalistenjahren noch nicht gekannt habe. Wenn ich zur Mittagszeit sage, jetzt ist Mitternacht, ist das nur ein alternatives Faktum. (Und natürlich ist es wahr – in Hawaii oder sonstwo.)

ICH VERSTEHE sehr wenig von Wirtschaft. Aber schon eine kleine Menge einfacher Logik sagt mir, dass Trumps Wirtschafts-Versprechen Unsinn sind. Mit bloßem Reden „bringt man“ keine „Jobs zurück“. Manuelle Arbeitsstellen gingen durch die Automatisierung verloren. Die deutschen und britischen Weber zerstörten die Maschinen, die ihnen die Arbeit wegnahmen. Das war vor 300 Jahren und es half ihnen nichts. Jetzt blickt Trump auf die Zeit vor hundert Jahren zurück und möchte alles rückgängig machen. Vor hundert Jahren brauchte man tausend Arbeiter für die Arbeit, die heute zehn Arbeiter tun. Das wird so bleiben und es wird sich noch verstärken, selbst wenn man sämtliche Computer der ganzen Welt zertrümmerte. Globalisierung entspricht dem Zeitgeist. Sie ist das natürliche Ergebnis einer Situation, die mir ermöglicht, dass ich auf Trumps Worte innerhalb weniger Sekunden, nachdem sie geäußert wurden, reagieren kann. Wenn ich in weniger als 30 Stunden einmal um die Welt fliegen kann. Trump kann daran wenig ändern. Er kann die „protektionistische“ Politik des 18. Jahrhunderts nicht zurückbringen. Wenn er Strafzölle auf Importe aus Mexiko und China aufschlägt, werden Mexiko und China Zölle auf Importe aus den USA erheben. Dabei gewinnt keiner etwas.

LEICHTGLÄUBIGE mögen dergleichen vereinfachende Sprüche glauben. Das bringt uns zum Thema Demokratie. Gerade habe ich einen Artikel gelesen, in dem versichert wurde: Die Demokratie ist tot. Weg. Passé. Winston Churchill sagte bekanntlich, Demokratie sei ein sehr schlechtes System, aber alle anderen bis heute erprobten Systeme seien schlechter. Er hat auch gesagt, das beste Argument gegen Demokratie sei ein fünfminütiges Gespräch mit einem Durchschnittswähler. Demokratie konnte funktionieren, als es einen Filter der Vernunft zwischen dem Kandidaten und dem Volk gab: eine wahrheitsliebende Presse, eine gebildete Elite. Selbst im Deutschland von 1933 bekam Adolf Hitler, obwohl es Millionen Arbeitslose gab, in freien Wahlen niemals eine Mehrheit. Jetzt, da die Kandidaten die Wähler in den sozialen Medien direkt ansprechen, gibt es keine Filter mehr. Auch keine Wahrheit. Die wildesten Lügen reisen in Sekunden über Twitter und Facebook geradewegs in die Köpfe von Millionen, die nicht die Fähigkeit besitzen, sie zu beurteilen. Ich denke, es war Joseph Goebbels, der geschrieben hat: Je größer die Lüge, desto glaubhafter ist sie, da einfache Leute sich nicht vorstellen könnten, dass irgendjemand eine derartig große Lüge verbreitet.

Präsident Trump behauptet zum Beispiel, dass ihm drei Millionen Stimmen gestohlen worden seien, was dazu geführt habe, dass er beim landesweiten Ergebnis in der Bevölkerung schlechter abgeschnitten habe als Hillary Clinton. Einen Nachweis gibt es nicht. Nicht einmal einen Funken von Beweis, der die Behauptung stützen würde. Blanker Unsinn, aber viele Millionen einfacher Leute scheinen das zu glauben. Aber wenn Demokratie allmählich veraltet, was kann sie ersetzen? Wie Churchill durchblicken ließ: Es steht kein besseres System zur Verfügung.

DAS IST ALSO die Ernte der ersten Arbeitswoche: Lug und Trug oder „alternative Fakten“ mit jedem Tag. Wie steht es mit den substanziellen Fragen? Als wir glaubten, viele seiner Politikversprechen seien nur Wahlpropaganda, irrten wir uns. Bei einem Thema nach dem anderen hat Trump nun begonnen, seine Versprechen treu und brav in die Tat umzusetzen. Das Gesetz über Abtreibung. Umweltschutz. Krankenversicherung. Besteuerung der Superreichen. Alles geht den Bach runter. Auch das ist ein Zeichen der Moderne: die Ärmsten stimmen für die Reichsten, gegen ihre eigenen elementarsten Interessen. Das gilt für Amerika, wie es für Israel gilt. (Und es kann auch bald für Frankreich und viele andere Länder gelten.)

ACH JA, ISRAEL. Israel beschäftigt sich mit endlosen Spekulationen über Trumps Versprechen, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Man könnte meinen, Israel hätte größere Sorgen. Da wütet jetzt zum Beispiel eine Art Bürgerkrieg zwischen der Regierung und der arabischen Minderheit, die etwa 21% der Bürger des eigentlichen Israels ausmacht. Es gibt Opfer auf beiden Seiten. Und besonders mit den Beduinen (auch im eigentlichen Israel), die sich freiwillig zur Armee melden, deren Häuser die Regierung jedoch zerstören will, um Platz für jüdische Siedler zu schaffen. Und die Besetzung des Westjordanlandes. Und die Blockade des Gazastreifens. Und die mehrfachen Ermittlungen wegen Korruption gegen den Ministerpräsidenten und seine Frau und die möglicherweise riesigen Bestechungsgelder für Verwandte von Benjamin Netanjahu im Zusammenhang mit der Anschaffung von Unterseeboten. Und für die Bestechung von Zeitungs-Magnaten. Nein, das alles sind Bagatellen im Vergleich zur Platzierung der US-Botschaft.

Gemäß dem Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947, der die Rechtsgrundlage für den Staat Israel legte, gehört Jerusalem nicht zum israelischen Gebiet. Der Plan sah einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina vor und Jerusalem und Bethlehem als eine getrennte Enklave. Natürlich annektierte Israel kurz nach der Staatsgründung Westjerusalem, aber keine ausländische Botschaft zog dorthin um. Sie blieben alle in Tel Aviv, das zwar eine nicht ganz so schöne, dafür aber weit lebendigere Stadt ist. Dort sind sie nun noch alle. Auch die amerikanische Botschaft – sie liegt am Strand von Tel Aviv, gleich meinem Fenster gegenüber. (Inzwischen zogen die Botschaften einiger südamerikanischer Bananenrepubliken nach Jerusalem um, aber sie zogen bald wieder nach Tel Aviv zurück.)

Anlässlich jeder amerikanischen Wahl versprechen einige Kandidaten, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, und jeder neue Präsident widerruft das Versprechen, wenn ihn seine Experten erst einmal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. Auch Trump hat das versprochen. Auch er wollte ein paar jüdische Wahlstimmen gewinnen, zusätzlich zu der seines jüdischen Schwiegersohns. Wahrscheinlich dachte Trump: Wen wird es außer diese verflixten Juden schon kümmern? Gut, also etwa 1,5 Milliarden Muslime in aller Welt kümmert es. Und es kümmert sie sehr. Wenn Trump auch nur die geringsten Kenntnisse hätte, wäre er sich der Tatsache bewusst, dass in den sehr frühen Tagen des Islam, die Qibla (Gebetsrichtung) Jerusalem war, bevor sie sich nach Mekka verschob. Ostjerusalem ist der drittheiligste Ort des Islam. Die de facto Anerkennung des gesamten Jerusalems, also einschließlich Ostjerusalems, als Hauptstadt Israels durch die USA könnte zu undenkbar vielen Gewalttaten gegen US-Einrichtungen von Indonesien bis Marokko führen.

Inzwischen haben anscheinend die Experten auch Trump davon in Kenntnis gesetzt, denn nun stammelt er nur noch, wenn er über dieses Thema spricht. Er denkt darüber nach. Er braucht Zeit. Vielleicht später. Vielleicht wird der neue US-Botschafter, der ein glühend rechter Zionist ist, in Jerusalem wohnen, während die Botschaft in Tel Aviv bleibt. Der Arme. Er wird dann täglich von Jerusalem nach Tel Aviv fahren müssen, und zwar auf einer Straße, die fast immer von Staus blockiert ist. Aber jeder muss eben für seine Überzeugungen leiden.

DIE WIRKLICH traurige Tatsache ist, dass in jeder einzelnen Rede Trumps seit der Amtseinführung das Hauptthema – tatsächlich fast das einzige Thema – Ich-Ich-Ich ist. Ich-Ich-Ich mit viel auf die Brust Trommeln. Warten wir auf den Film: King Kong II.

Verfasst am 28. Januar 2017, acht Tage nach der Vereidigung von Donald J. Trump zum 45. Präsidenten der USA


Uri Avnery, geboren 1923 in Deutschland, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ ist in der NRhZ Nr. 446 rezensiert.

Für die Übersetzung dieses Artikels aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler. Sie betreibt die website ingridvonheiseler.formatlabor.net. Ihre Buch-Publikationen finden sich hier.


Online-Flyer Nr. 598  vom 01.02.2017

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