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Aktueller Online-Flyer vom 27. Dezember 2024  

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Arbeit und Soziales
Aus dem Querkopf
Merkellandismus
Von Harald Schauff

Knapp 24 Millionen Vollzeitbeschäftigte hat der deutsche Arbeitsmarkt gegenwärtig zu bieten. 1991 gab es davon noch 28,9 Millionen. Das ist schon etwas länger her. Bis 1997 gingen bereits 3 Millionen verschütt, da waren es nunmehr 25,9 Millionen. Die nächsten drei Millionen ließen sich etwas mehr Zeit mit dem Abschied: Bis 2010. Da wurde der Tiefststand von 22,8 Millionen erreicht. Seitdem geht es wieder aufwärts. Um fast 1,2 Millionen ist das Heer der Vollzeittätigen wieder angewachsen. Trotz Finanzkrise, Eurokrise, dem Zuwachs an Teilzeitbeschäftigung (auf über 15 Millionen Stellen) und den voraus geworfenen Schatten der Industrie 4.0. Der Arbeitsmarkt strotzt statistisch vor Robustheit. Die paar Millionen geringfügig Beschäftigte, Leiharbeiter, Scheinselbstständige und Aufstocker sind nur gefallene Späne der wundersam hobelnden deutschen Jobmaschine.

Zu den Aufstockern gehören über 1 Million Vollzeit-tätige. Wurden ihre Stellen deshalb nicht weg rationalisiert oder verlagert, weil dies die Unternehmen weitaus mehr gekostet hätte als die Zahlung von Niedriglöhnen? Sind aus diesem Grund die besagten 1,2 Millionen Vollzeitstellen hinzu gekommen?

Gestandene Arbeitsfetischisten und Standortpatrioten lassen sich von derart skeptischer Miesmacherei nicht die Börsenpartylaune verderben. Nein, die Rekordbeschäftigung ist der Preis für den Fleiß deutscher Unternehmen und ihrer Angestellten. Dank ihres Einsatzwillens, ihrer Leistungsbereitschaft erklommen wir die Spitze der Weltwirtschaft. Wir lieben die Arbeit eben über alles. Da wollen wir dem erschöpften Ackergaul nicht ins Maul schauen. Unsere Nachbarn werfen uns vor, zuviel zu exportieren und zu wenig zu importieren. So würden wir auch die Arbeitslosigkeit auf sie abwälzen. Nichts als blanker, purer Neid. Auf unsere Tüchtigkeit, Sparsamkeit, Bescheidenheit, Demut und Lohnzurückhaltung. Die Welt ist undankbar. Sie weiß nicht, was sie an uns hat. Uns, den fleißig schuftenden Stützen des Welthandels. Sie will uns ausbremsen durch Protektionismus: Laut SPIEGEL (1/2017) breitet sich weltweit ein ‘ökonomischer Kleingeist’ aus. Regierungen schotteten heimische Industrien vor ausländischer Konkurrenz ab. Importwaren würden immer mehr mit Schutzzöllen belastet, gleichzeitig die Ausfuhr von Fertigwaren gefördert. In dieses Horn wollen auch die USA trumpeten, unser wichtigster Handelspartner, der u.a. auf unsere rußschleudernden Stickoxid-Mobile und unsere Pillen steht. Chefstrategen der Deutschen Bank befinden, wir befänden uns am Ende der ökonomischen Ära der Globalisierung, die einst mit Chinas Eintritt in die Weltwirtschaft in den 70ern begonnen hätte. Sie werde nun abgelöst durch eine Form des ‘Merkantilismus’, den man aus dem 17. Jahrhundert kennt. Jener sieht vor, dass ein Land seinen Binnenmarkt stärkt, in dem es Importe durch Schutzzölle beschränkt.

Ein Rückfall ins absolutistische Zeitalter. Er bedroht unser von der Politik der ruhigen, fast eingeschlafenen Hand gelenktes Erfolgsmodell, den ‘Merkellandismus’. Unsere Rautenkönigin warnte 2009 auf dem G 20-Gipfel in London, den ‘historischen Fehler des Protektionismus’ nicht zu wiederholen und regte eine ‘Charta des gemeinsamen Wirtschaftens ‘ an. Vergeblich. Nun sausen die Zollschranken nieder. Zum Leidwesen deutscher Exportfirmen wie dem Buntstift-Hersteller Staedler aus Nürnberg, der Niederlassungen in 150 Staaten hat. Um der Zollbarriere zu entgehen, überlegt der Stifte-Produzent eine Fertigungsstätte in seinem wichtigsten Absatzmarkt Amerika zu eröffnen. Möglicherweise würde der vom Firmengründer 1834 voller Stolz entwickelte ‘Rötelstift’ dann bei deutschen Jobs angesetzt. Die Standortdebatte könnte wieder aufflammen, wie in den 90ern. Zu Kohls Spätzeit wurde tüchtig rationalisiert und verlagert, die Arbeitslosenzahl stieg auf 5 Millionen. Ähnlich wie jetzt gab es 4 Jahre stabiles Wachstum, von 1997 bis 2000. Zu spät, um Kohl zu retten. Es folgten vier bis fünf maue Jahre, weil der Neue Markt einbrach. Die lange Talfahrt nach dem langen Anstieg. Danach gab es im ständigen Wechsel zwei bessere und zwei schlechtere Jahre einschließlich des Einbruchs in der Finanzkrise 2008/9. Seit 2014 gibt es wieder eine längere stabile Phase. Sie dürfte alsbald zu Ende gehen. Siehe Jahrtausendwende.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Juni 2017, erschienen.

Online-Flyer Nr. 616  vom 07.06.2017

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