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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Arbeit und Soziales
Per Kampagne für Arbeits-Gerechtigkeit gegen Arbeits-Unrechts-Deal
Wieviel Ungerechtigkeiten wollen wir uns eigentlich noch bieten lassen?
Von Werner Rügemer

Sehr gut: Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will für Arbeitnehmer mehr Gerechtigkeit. Ach so, stimmt, das war vor ein paar Monaten. Das hatte gerade begonnen, einen Nerv zu treffen. Das wäre ausbaufähig gewesen. Inzwischen ist aber diese Art Gerechtigkeit irgendwie untergegangen. Da hat unter anderem die Arbeitsministerin von derselben Partei mitgeholfen beim Untergang. Frau Nahles hat namens der Bundesregierung nämlich gleichzeitig das Gegenteil von Gerechtigkeit gemacht. Sie hat Arbeits-Unrecht verlängert. Sie mauschelte mit dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Rudolf Seiters. Der war mal Innenminister in einer der vielen Regierungen unter dem CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl gewesen. Im DRK führte er still und effektiv sein Unwesen fort.

Nahles und Seiters: Der Arbeits-Unrechts-Deal

Es ging jetzt, im Februar 2017, auf dem Höhepunkt der SPD-Schulz-Gerechtigkeits-Kampagne, um folgendes: Bisher verleiht das DRK seine 25.000 Krankenschwestern als barmherzige, billige Arbeitskräfte an Kliniken, für Jahre und Jahrzehnte. Sie arbeiten dasselbe wie andere Krankenschwestern. Sie haben aber nicht den rechtlichen Status eines abhängigen Arbeitnehmers, nicht einmal den Status eines Leiharbeiters bzw. Leiharbeiterin. Sie haben keinen Arbeitsvertrag, keinen Kündigungsschutz, dürfen nicht vors Arbeitsgericht gehen und dürfen keinen Betriebsrat wählen. Nach langen Bemühungen des Betriebsrats der Ruhrland-Kliniken in Essen haben nun Anfang 2017 der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeits-Gericht geurteilt: DRK-Schwestern haben den Status von Leiharbeiterinnen und das DRK darf sie nicht mehr dauerhaft an Krankenhäuser verleihen. Gut so, für deutsche und EU-Verhältnisse und im Vergleich zum vorherigen Status der Schwestern, erstmal.

Aber für den christlich lackierten Ex-Innenminister und DRK-Präsidenten war das zuviel Gerechtigkeit. Und für die sozialdemokratisch lackierte SPD-Arbeitsministerin war das ebenso zuviel Gerechtigkeit, Schulz und Wahlkampf und Wahlaussichten hin und her. Nahles und Seiters einigten sich: Das Arbeitnehmer-Überlassungs-Gesetz (AÜG) findet zwar Anwendung, aber ohne die Überlassungs-Höchstdauer von 18 Monaten. Das DRK-Gesetz wird entsprechend geändert.

Wie weit sind wir eigentlich gekommen? Die Bundesregierung hebelt höchstrichterliche Urteile aus. Der damalige kurz aufsteigende Gerechtigkeitsprophet ließ das stillschweigend links liegen. So viel Gerechtigkeit wollte er ja sowieso nicht. Er wollte lediglich die Zahlung des Arbeitslosengelds I verlängern und befristete Arbeitsverträge einschränken. Gut so. Aber da hatte er sich nur wenige Ungerechtigkeiten herausgepickt, und damit ist es scheinbar sowieso irgendwie zu Ende. Außerdem bräuchte er, falls er es zum Bundeskanzler schafft, sowieso die Linkspartei im Regierungsbündnis, um solche Versprechen durchzusetzen. Aber eine solche Koalition hat er schon abgelehnt.

Fangen wir mal an: Wo passiert täglich Arbeits-Unrecht?

Unabhängig von Wahlkämpfen ist es längst an der Zeit, das ganze Spektrum ungerechter Arbeitsverhältnisse und das damit verbundene Unrecht öffentlich anzuprangern. Damit ist gemeint: Täglich von Unternehmern und ihren Vorständen und Geschäftsführern durchgezogenes Unrecht – und zwar straflos!

Wir werden hier nur mal anfangen können. Also, zum Beispiel: Sieben Millionen abhängig Beschäftigte schlagen sich mit Minijobs herum. Aber die Unternehmer verweigern knapp fünf Millionen von ihnen das Krankengeld, drei Millionen bekommen das ihnen zustehende Urlaubsgeld nicht.

Zum Beispiel im Reinigungsgewerbe sind Arbeitsverträge mit 20 Wochenstunden verbreitet. Doch in dieser Zeit kann die geforderte Zahl an Zimmern und Quadratmetern gar nicht gereinigt werden, es muss fünf oder auch 10 Stunden mehr gearbeitet werden. Aber es werden nur 20 Stunden bezahlt. Damit wird auch der Mindestlohn unterlaufen. Ähnlich bei Taxifahrern: Viele werden für acht Stunden bezahlt, müssen aber 10 bis 12 Stunden fahren. Nebenbei bemerkt: Unternehmer lassen Stundenzettel fälschen -Urkundenfälschung als routinemäßige Straftat.

Überhaupt der Mindestlohn, jetzt 8,84 Euro pro Stunde, brutto. Nach zwei Jahren von 8,50 Euro um 34 Cent erhöht. Was ist dieser Armuts- und Hungerlohn eigentlich für eine Unverschämtheit? Widerspricht dem Menschenrecht auf auskömmliche und gerechte Bezahlung, wie es in der Erklärung der universellen Menschenrechte und in der entsprechenden Norm der Internationalen Arbeitsorganisation ILO festgeschrieben ist. Und die missbräuchlich hunderttausendfach als Leiharbeiter und Werkvertragler eingesetzten Beschäftigten seien hier nur kurz am Rande erwähnt, ist ja alles bekannt.

Eine knappe Milliarde erpresste, unbezahlte Überstunden

Nach der offiziellen Statistik ließen Unternehmen in den letzten Jahren im Durchschnitt gut 900 Millionen unbezahlte Überstunden arbeiten. So schenken abhängig Beschäftigte jährlich mindestens 30 Milliarden Euro den Arbeitgebern, ohne dass die dafür irgendetwas leisten, außer noch profitgeiler zu sein. Und das betrifft nur die dokumentierten Überstunden, während die nicht dokumentierten Überstunden sowieso immer mehr werden. Es handelt sich in den meisten Fällen um die Straftaten der Erpressung und Nötigung, denn die Unternehmer drohen mit Betriebsschließung oder Arbeitsplatzabbau, also mit einem „empfindlichen Übel“.

Kapovaz bedeutet kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit. Dabei haben 1,5 Millionen Beschäftigte keine festgelegten Schichten. Sie halten sich auf Abruf bereit. Das Unternehmen kann diese Beschäftigten bei Bedarf für eine wechselnde Stundenzahl heranholen, mindestens 10 pro Woche müssen es sein. Nach Teilzeit- und Befristungsgesetz muss es mindestens drei zusammenhängende Arbeitsstunden und eine Ankündigungsfrist von vier Tagen geben. Doch diese Vorschriften werden hunderttausendfach verletzt

– Anruf morgens 5 Uhr: Sofort kommen! Das führt im Übrigen dazu, dass solche Beschäftigte, die eigentlich einen zweiten Job brauchen, keinen bekommen. Die Bundesregierung drängt die Jobcenter zu harten Einsparungen. In den Jobcentern selbst arbeiten immer mehr Beschäftigte mit befristeten und Teilzeitverträgen. Gleichzeitig sollen sie möglichst viele der niedrigen Ansprüche der Arbeitslosengeld-II-Empfänger abschmettern. Finanzielle Sanktionen erweisen sich zu zehntausenden als willkürlich und unbegründet – und das sind nur die wenigen, bei denen die zermürbten Arbeitslosen mithilfe eines Anwalts vor Gericht ziehen.

Als die jetzige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Arbeitsministerin war, strich sie den ALG II-Empfängern den Beitrag zu Rentenversicherung. Das kommt noch hinzu, hier wie überall mit den genannten und weiteren Ungerechtigkeiten. Die Renten werden immer ärmlicher, stürzen Menschen in die demütigende Altersarmut. Rentner und Rentnerinnen malochen als nächtliche Zeitungsausträger bis zum Tod: Die Altersarmut ist schon da und wird weiter vorbereitet, vor allem bei den Jungen.

Eine Kampagne für Arbeits-Gerechtigkeit!


Warum und wie lange wollen wir uns das eigentlich noch bieten lassen? In Deutschland? In der Europäischen Union? Im globalisierten Kapitalismus, von dem wir alle abhängen, was Nahrung und Kleidung und Handys undsoweiter angeht? Arbeitsrechte sind Menschenrechte!


Erstveröffentlichung am 30. Mai 2017 in der "Welt der Arbeit"


Mehr Informationen zu diesem Themenkomplex in:



Werner Rügemer / Elmar Wigand: Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung. 3. erweiterte und aktualisierte Auflage, Papyrossa Verlag Köln 2017, 262 Seiten, 16,90 Euro

Online-Flyer Nr. 617  vom 14.06.2017

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