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Literatur
Aus den "Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers" (10)
Der Feuerredner
Von Erasmus Schöfer

Es geschah in einem der großen Stahlwerke des Ruhrgebiets, genauer gesagt: bei Krupp in Rheinhausen. In diesem Werk wurde Krupps Stahl seit hundert Jahren gekocht und geschmiedet und es gab in der Stadt fast keinen Menschen, der nicht irgendwie von und mit dem Stahlwerk gelebt hatte. Die Hüttenarbeiter waren wie die Bergleute diejenigen, von denen die Älteren in Deutschland wussten, dass vor allen andern sie den Grundstoff für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes nach 1945 aus der Erde gebuddelt und produziert hatten. Reich waren dabei andere geworden.

Aber einen Stolz, ein Selbstbewusstsein, das hatten die Kruppianer, auch wenn sie nie gestreikt hatten. Weil nämlich der alte Krupp sie mit Werkswohnungen und Kindergärten und Konsumläden, man muss schon sagen: bestochen hatte. Ruhig gestellt, kann mans auch nennen.

Aus heiterem Himmel waren Anfang der achtziger Jahre zweitausend Kollegen, mit Zustimmung der Gewerkschaft und des Betriebsrates, sozialverträglich entlassen worden. Den Brocken hatte die Belegschaft ungekaut geschluckt. Als aber dann 1987, fünf Jahre später, durchsickerte, dass nunmehr das ganze Rheinhausener Werk dicht machen sollte, weil die Stahlprofite schwächelten, da wurden die restlichen sechstausend Stahlkocher total sozial unverträglich! Da bewarfen sie ihren Konzernchef brutal mit Eiern. Und den rumeiernden Betriebsratchef gleich mit.

Da fuhren sie ohne jemand von oben zu fragen die Stahlproduktion so weit runter, wie es möglich war ohne ihre Hochöfen zu beschädigen. Da marschierten sie ein Lindwurm mit zehntausend brüllenden Köpfen durch Rheinhausen und besetzten die Rheinbrücke. Da füllten sie zusammen mit Hunderten Rheinhausener Bürgern die alte Drahtzieherei zu einer Betriebsversammlung und bedachten den Konzernboss mit ungekochten Grußeiern. Eine kakofone Symphonie aus ungezählten Trillerpfeifen begleitete die Worte des herrschaftlichen Unheilverkünders. Dem Funktionär der Gewerkschaft bekleckerten sie Schlips und Anzug mit ebensolchen Hühnerprodukten als Anerkennung für seine butterweiche Vertretung ihrer Rechte.

Plötzlich aber tauchte eine Figur im Meisterkittel neben dem hilflosen Beschwichtiger auf, griff das Mikrofon und keiner hinderte ihn, denn es war der Hüttenobermeister Helmut L. Viele der Behelmten vor der Bühne kannten ihn und es wurde still in der riesigen Halle, als die Menschen eine klare und feste Stimme hörten, die ihnen zurief: Kruppsche Arbeiter! Jetzt ist die Stunde gekommen, in der wir kämpfen müssen! Jetzt müssen wir zeigen, dass wir keine Schafe sind, die sich ohne Gegenwehr zur Schlachtbank treiben lassen! Wir dürfen nicht dulden, dass eine kleine Clique von Männern in Nadelstreifenanzügen, eine Mafia des großen Geldes unser Werk zugrunde richtet. Nicht diese Herren mit den immer sauberen Kragen und nicht ein Herr Krupp haben dieses Werk aufgebaut, sondern wir! Unsre Väter und Großväter! Seit hundert Jahren lebt Rheinhausen, und alle Frauen und Kinder die hier wohnen, mit und von diesem Stahlwerk, das jetzt zerstört werden soll! Deshalb Kollegen müssen und werden wir kämpfen gegen diesen menschenverachtenden Vorstand, der nur mit Tonnen und Demark rechnen kann, aber nicht mit uns, den Arbeitern. Deshalb Kollegen werden wir unser Werk verteidigen! Wir werden einen Kampf führen, wir werden ein Feuer anzünden, von dem das ganze Ruhrgebiet erfasst werden kann. Noch die Generation nach uns soll sagen: Jawohl, die Kruppianer, die haben uns gezeigt, wie man kämpfen muss!

Brausend war der Beifall zu diesen Worten.

Niemand auf der Bühne wagte es, den Feuerredner zu unterbrechen. Eine gute Weile noch schleuderte er weiter seine zündenden Worte über die Köpfe und erklärte den Kollegen, dass das Werk nicht verloren sein müsse, wenn sie alle gemeinsam, mit dem Mut der Verzweiflung, und im Vertrauen auf ihre Kraft und ihr Recht, zu kämpfen bereit seien.

Es ist wahr, dass trotz der Gegenwehr der Belegschaft und ihrer Unterstützung durch die Rheinhauser Bevölkerung, die beiden Hochöfen , wie schon die in Dortmund und Oberhausen, schließlich gelöscht und abgerissen wurden. Die Macht des Kapitals, das Regierung, Polizei, Medien und Gewerkschaft hinter sich wusste, konnte von den sechstausend Stahlwerkern erschüttert, aber nicht gebrochen werden. Nur ein solidarischer Streik aller deutschen Metaller hätte wohl einen andern Ausgang dieses Kampfes bewirkt.


Erasmus Schöfer
Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers




Taschenbuch, 144 Seiten, 12 Euro
Verbrecher Verlag Berlin, 2016


Erasmus Schöfer, am 4. Juni 1931 bei Berlin geboren, lebt in Köln. Er war Mitbegründer und Vorsitzender des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt und ist Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums. Seit seiner Promotion über »Die Sprache Heideggers« (1962) veröffentlichte er zahlreiche literarische und publizistische Arbeiten. Für seine hochgelobte Romantetralogie »Die Kinder des Sisyfos« erhielt Erasmus Schöfer im Jahr 2008 den Gustav-Regler-Preis. Zuletzt erschienen: »Diesseits von Gut und Böse. Beiträge fürs Feuilleton« (2011), »Na hörn Sie mal! Sechs ausgewählte Funkstücke« (2012) und »Schriftsteller im Kollektiv. Texte und Briefe zum Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« (2014).

Online-Flyer Nr. 621  vom 12.07.2017

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