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Aktueller Online-Flyer vom 26. Dezember 2024  

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Arbeit und Soziales
Berufsfreiheit und Grundeinkommen
Recht auf (k)einen Beruf
Von Harald Schauff

Jede/r ist frei zu glauben, woran er/sie möchte. Dies garantiert ihm/ihr das Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Jenes Recht deckt gleichzeitig ab, wenn er /sie an gar nichts glauben möchte, was hierzulande und weltweit immer mehr Menschen betrifft. Es ist also auch das Recht zum Unglauben. Analog sollte das Grundrecht auf Berufsfreiheit grundsätzlich die Möglichkeit einschließen, gar keinen Beruf ausüben zu wollen. Ohne diese Option gibt es keine von Grund auf freie Wahl und keinen freien Willen zur Tätigkeit. Das vermeintliche Freiheitsrecht wird ausgehebelt durch eine übergeordnete Pflicht, oder schärfer formuliert, einen Zwang zur Erwerbstätigkeit. Demnach muss der Mensch einer bezahlten Arbeit nachgehen, zumindest kann er sich aussuchen welcher. Es hat etwas von Fußketten, die zur freien Wahl stehen. Wer möchte sich eine solche schon freiwillig an den Fuß legen? Was nicht automatisch heißt, er/sie wäre nicht freiwillig bereit zu rudern, sprich zu arbeiten.

Besagte Freiwilligkeit ist der springende Punkt. Das erkannte der Firmengründer der Drogeriemarktkette ‘dm’ Götz Werner bereits vor Jahrzehnten. Er ist deshalb einer der überzeugtesten Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Erst dadurch sei die vollkommene Freiwilligkeit der Tätigkeit gewährleistet. Der Mensch müsse von Grund auf frei sein, entscheiden zu können, ob er an der Veranstaltung, dem Arbeitsmarkt, überhaupt teilnehmen wolle oder nicht.

Grundeinkommen: Voraussetzung zur Durchsetzung des Grundrechts auf Berufsfreiheit

Somit ist das Grundeinkommen wesentliche Voraussetzung, Erfordernis, das Grundrecht auf Berufsfreiheit in letzter Konsequenz durchzusetzen. Bislang steht der unterschwellige Zwang zum Gelderwerb dieser Durchsetzung im Wege. Der Zwang wird als solcher nicht beim Namen genannt, hört sich ja auch nicht schön an. Er versteckt sich anderen, ansprechender klingenden Vokabeln wie ‘Arbeitswilligkeit’ oder ‘Leistungsbereitschaft’. Jene legen nahe: Dem Zwang soll sich ganz freiwillig unterworfen werden. Von außen fordert es die Gesellschaft. Von innen gebieten es das tief verankerte Leistungsprinzip und der ankonditionierte protestantisch-calvinistische Arbeitsethos. Sie verweisen freiwilliges Tun in den Bereich der Freizeit. Eine Arbeitswelt, die auf einem freien Willen zur Arbeit fußt, liegt hier außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Allein die Möglichkeit einer Grundsatzentscheidung, ob überhaupt gearbeitet und ein Beruf ergriffen werden soll, wirkt von dieser Warte aus bereits als Tabubruch, als Lästerung des Götzen der (fremd bestimmten, aufgezwungenen) Erwerbsarbeit.

Dem besagten Götzen wird nach wie vor schwerstens gehuldigt, obwohl die sich abzeichnende digitale Revolution immer heftiger an seinem Sockel rüttelt. Zu seinen Haupthuldigern zählen nicht nur das Unternehmerlager, sondern auch dessen vermeintliche Gegenseite, welche die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten beansprucht: Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Mehrheitslinke. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz trat öffentlich bereits häufiger als Hoher Priester der Arbeitsreligion auf, der sich als Anwalt der hart arbeitenden Bevölkerung verkauft. Nach den drei Niederlagen seiner Partei bei den Landtagswahlen im Frühjahr sprach Schulz trotzig davon, wo er herkomme, da würde sich am nächsten Morgen nach dem Frühstück wieder der Helm aufgesetzt und zur Arbeit gegangen. Die ZDF-Satiresendung ‘heute show’ zeigte den gelernten Buchhändler Schulz darauf hin in einer Fotomontage mit einem Schutzhelm vor einem Bücherregal. Es könne ihm ja ein Buch auf den Kopf fallen, so der scherzhafte Kommentar.

Schulzens Charisma scheint nicht mehr zu genügen, das Image der SPD als traditionelle Arbeiterpartei aufzupolieren. Zu sehr präsentierte sie sich in den letzten Jahrzehnten als Partei für die Arbeit (zugunsten der ‘Arbeitgeber’) denn für die Arbeitenden. Siehe Hartz-Reformen. Darüber kann auch das mit Verspätung nachgeschobene ‘Mindestlöhnchen’ (Oskar Lafontaine) nicht hinweg täuschen. Wie von einer selbst ernannten Arbeitspartei nicht anders zu erwarten, klammert sie sich an die Hauptsache Arbeit als Allheilmittel zur Lösung sozialer Probleme. Natürlich soll Arbeit auch für ‘mehr Gerechtigkeit’ sorgen, was sie nie so recht vermochte, in Zeiten von Niedriglöhnen, geringfügiger Beschäftigung und Leiharbeit weniger denn je.

Am Fetisch Arbeit darf nicht gerüttelt werden


Doch dieser grundsätzlichen Problematik verschließen sie sich. Am Arbeitsfetisch darf auf gar keinen Fall gerüttelt werden. Kanzlerkandidat Schulz betont im SPIEGEL-Interview (6/2017), er glaube, ‘dass Arbeit in Würde ein Wert an sich ist’. Die SPD als ‘Partei der Arbeit’ müsse gemeinsam mit den Gewerkschaften dafür Sorge tragen, dass Menschen Einkommen aus Arbeit erzielten. Deshalb sei er kein Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Arbeit, Arbeit über alles. Ohne Arbeit kein Einkommen. Mit ihr, je nachdem, auch nur sehr bedingt. Arbeit in ‘Würde’: Ja, würde sie immer und überall nicht nur auskömmlich, sondern von Grund auf freiwillig und selbst bestimmt sein. Dann wäre sie wahrhaft würdevoll. Tatsächlich garantiert sie in der bisherigen Praxis nicht einmal ansatzweise Lohngerechtigkeit. Daran haben SPD und Gewerkschaften maßgeblich Anteil, nicht nur wegen der Hartz-Gesetze. Dies offenbart ein Blick auf den VW-Konzern, wo sich einst auch der Namensgeber der Arbeitsmarktreformen, Peter Hartz, als Manager verdingte: Laut SPIEGEL (6/2017) zahlen die Abgas-Skandalnudeln der entlassenen Vorstandsfrau Christine Hohmann-Dennhardt nach nur 13 Monaten im Amt eine Abfindung von 12,5 Millionen Euro und eine Rente von 8000 Euro monatlich. Mit Genehmigung des SPD-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stephan Weil, dessen Wirtschaftsminister Olaf Lies (ebenfalls SPD), IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und VW-Betriebratsvorsitzenden Bernd Osterloh (auch IG Metall). Allesamt sitzen sie im VW-Aufsichtsrat. Und segnen als vermeintliche Vertreter von Arbeitnehmern und kleinen Leuten den vergoldeten Abgang einer gescheiterten Managerin ab. Oder war bereits der hoch qualifizierte Versuch sein Geld wert? Dieselben Kreise wollen der breiten Bevölkerungsmasse nicht einmal die vorbehaltlose Sicherung des Existenzminimums gönnen. Angeblich sei jene nicht finanzierbar und untergrabe die Arbeitsmoral, wenden sie ein. Offenbar fürchten sie und die von ihnen Begünstigten zu Gunsten der vermeintlich Vertretenen kürzer treten zu müssen.

Vielleicht fürchten sie auch keine Bediensteten mehr zu finden, die freiwillig bereit sind, Selbstbedienungsläden wie VW in den Werkshallen am Laufen zu halten. Sie versprechen etwas mehr Gerechtigkeit, doch zuviel soll es auch nicht sein. Sie sind halt Freunde der Arbeit, nicht unbedingt der Arbeitenden. Noch weniger der Erwerbslosen. Denen empfehlen sie sich fortzubilden, sich zu ‘qualifizieren’. Als Belohnung winkt freilich kein Vorstandsposten, sondern ein etwas längerer Bezug von Arbeitslosengeld I: Alg Q, der neueste (S)Hit aus der SPD-Wahlkampfbox. Beim Thema ‘Arbeit’ bleiben sie hoffnungslos den alten Denkmustern verhaftet. Irgendwo zwischen Druck, Zwang, Belohnung und Karrierestreben, kurz: Zwischen Zuckerbrot und Peitsche. Wie erbärmlich, wie zukunftsuntauglich.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Juli 2017, erschienen.

Online-Flyer Nr. 621  vom 12.07.2017

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