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Arbeit und Soziales
Argumente für das bedingungslose Grundeinkommen
Ein echter Anreiz
Von Harald Schauff
Den Allermeisten genügt das Existenzminimum nicht - ein unterschätztes Argument für das bedingungslose Grundeinkommen. Keine ganz neue Erkenntnis: Wer mehr verdient, ist im Regelfall glücklicher als jemand mit geringem Einkommen. Das weiß auch die britische Psychologin Claudia Hammond im SPIEGEL-Interview (11/2017) zu bestätigen. Allerdings werde der Einfluss der Einkommenshöhe auf das Wohlbefinden überschätzt, schränkt sie ein. Der SPIEGEL-Interviewer verweist auf das sog. ‘Easterlin-Paradox’. Demzufolge soll es in ärmeren Ländern Menschen mit etwas überdurchschnittlichem Einkommen besser gehen als jenen, die in reichen Ländern leicht über dem Schnitt liegen. Die Preisfrage lautet, ab welcher Einkommenshöhe Menschen sich zu 100 % glücklich schätzen.
Hammond verweist auf Umfragen in den USA, welche diese Grenze bei 500.000 Dollar im Jahr verorten. Sie selbst sieht diese Zahlen kritisch, da nur wenige Befragte soviel verdienten. Früher habe man die Grenze sehr viel niedriger angesetzt, bei rund 20.000 Dollar. Neuere Untersuchungen legten jedoch nahe: Ab einem Betrag von 75.000 Dollar stellt sich generell relative Zufriedenheit ein. Hammond vermutet, es müsse eine Summe sein, die uns Stress und Angst nehme und die Sicherheit gebe, unsere Rechnungen zahlen zu können.
So wie es aussieht, ist jene Summe also nicht nur deutlich höher als vermutet, sondern beträgt sogar ein Mehrfaches des Existenzminimums. Die Menschen in westlichen Industrieländern scheinen nicht so bescheiden und genügsam zu sein, wie gern und häufig unterstellt von den Gegnern eines bedingungslosen Grundeinkommens. Jene überlesen gern das ‘Grund’-, wenn sie unterstellen, dass das Grundeinkommen ein bequemes oder gar luxuriöses Leben finanziere. Sie stoßen sich am Einkommen ohne Gegenleistung, am ‘Geld fürs Nichts-Tun’ und setzen dies automatisch mit Wohlstand gleich. Zur Verstärkung bemühen sie Metaphern wie die berühmte ‘Hängematte’, den Strandurlaub unter Palmen oder den ‘Jahrmarkt im Himmel’.
Dabei geht es rein - das sei nochmals betont - um die vorbehaltlose Sicherung des (sozio-kulturellen) Existenzminimums. Jenes soll neben grundlegenden Bedürfnissen wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Strom, Wasser und Heizung auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen, etwa den Besuch von Konzerten, Theatern und Kinos und den Kauf von Büchern.
Der hierfür angesetzte Monatsbetrag liegt zur Zeit bei 1000 Euro, also bei 12.000 Euro im Jahr. Das sind umgerechnet etwas über 14.000 Dollar. Wie oben erwähnt soll sich die relative Zufriedenheit erst ab 75.000 Dollar einstellen. Das wäre über das Fünffache des angesetzten Existenzminimums. Somit besteht allein hinsichtlich der Einkommenshöhe ein starker Anreiz, über das Minimum hinaus zu verdienen. Dies deckt sich mit Umfragen, nach denen über 80 % der Menschen auch bereit wären, mit einem Grundeinkommen weiter zu arbeiten. Nicht nur des Geldes wegen, sondern auch aus ideellen Gründen wie dem Wunsch, etwas zu tun, etwas zu leisten.
Unterschied zwischen Anreiz und Zwang
Anders als von Grundeinkommens-Skeptikern behauptet, nimmt das Grundeinkommen nicht den Anreiz zur Arbeit, sondern stellt lediglich den existenziellen Zwang ab. Den Unterschied zwischen Anreiz und Zwang scheinen viele so wenig begreifen zu wollen wie jenen zwischen Existenzminimum und Wohlstand. Selbst so renommierte Expert/inn/en wie die Soziologin Jutta Allmendinger tun sich schwer damit. Allmendinger behauptet allen Ernstes, das Grundeinkommen würde Beschäftigte aus ihrer Arbeit ‘heraus kaufen’. Dabei würden wir uns doch gerade über die Erwerbsarbeit definieren. Deshalb sei sie entschiedene Gegnerin des Grundeinkommens.
Sollten Beschäftigte tatsächlich per Grundeinkommen aus ihrem Job ‘heraus gekauft’ werden, würden 12.000 Euro jährlich pro Nase wohl kaum ausreichen. Wie oben gesehen verdienen die meisten mehr und wollen auch mehr verdienen. Die Behauptung ist um so absurder, da sie unterstellt, durch das Grundeinkommen solle die Erwerbstätigkeit abgeschafft werden. Das genaue Gegenteil wird der Fall sein: Sie wird begehrter denn je, weil sich die Arbeitsbedingungen erheblich verbessern. Heißt: Kein Zwang mehr, weniger Druck, Anspannung, besserer Verdienst, kürzere Arbeitszeiten, mehr Gesundheit und Lebensqualität.
Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde Erwerbsarbeit zur frei gewählten und selbst bestimmten Tätigkeit. Als solche erhielte sie erst die Sinnstiftung, welche ihr Experten wie Allmendinger heute andichten. Natürlich bedeutet das einen Paradigmenwechsel, der vielen schwer fällt, weil sie Erwerbsarbeit unmittelbar mit existenziellem Zwang verbinden: Ohne (persönliche) Arbeit keine Lebensgrundlage. Diese (heute ankonditionierte) Vorstellung entstammt ursprünglich vergangenen Jahrhunderten, als die Bevölkerungsmehrheit noch Landwirtschaft betrieb, primär zur Selbstversorgung. Sie lebte von der Hand in den Mund. Wer sein Feld nicht bestellte und aberntete, drohte zu verhungern und war auf die Gnade anderer angewiesen.
Diese Denkmuster übertrugen sich auf die noch junge Industriegesellschaft und die darauf folgende Dienstleistungsgesellschaft. Bei der Fertigung und Montage am Fließband und der Erledigung der Büroarbeit am Schreibtisch wurde und wird bis heute immer noch unbewusst der Acker gepflügt. Feldfrüchte werden nicht mehr geerntet. Dafür wird das ‘selbst verdiente’ Geld von der Bank abgehoben und u.a. zum Einkaufen ausgegeben.
Immer noch herrscht der Eindruck vor: Der Mensch kommt für sich selbst auf und versorgt sich selbst. Dabei ist er nunmehr Rädchen im gigantischen Getriebe eines komplex arbeitsteiligen Prozesses. Er stellt nichts mehr allein für sich selbst her, sondern fügt ein Detail bei. Nahrungsmittel baut er nicht mehr selbst an, sondern kauft diese im Laden ein. Er ist vollständig fremd versorgt und permanent auf andere Menschen angewiesen, die für ihn herstellen und leisten.
Wie weit das Denken hinter der Realität her hinkt
Die Selbstversorgungs-Mentalität entspricht schon lange nicht mehr dem modernen Wirtschaften mit seiner komplexen Arbeitsteilung und fortgeschrittenen Automation von Arbeitsabläufen. Sie passt auch nicht mehr zu den davon abhängigen Lebensbedingungen. Sie offenbart, wie weit beim Thema ‘Arbeit’ das Denken hinter der Realität her hinkt. Es erstaunt nicht, dass dieses Denken dem anbrechenden Zeitalter der Digitalisierung fassungslos gegenüber steht. Es ist ja noch nicht einmal in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft angekommen.
Der Mangel und die Not, welche die Selbstversorger einst zum Sicherstellen der Existenzgrundlage zwang, bestehen schon lange nicht mehr. Spätestens mit Beginn der Digitalisierung ist es müßig, Menschen zum Gelderwerb zu zwingen, zumal der Arbeitsprozess eine wachsende Zahl von ihnen entbehrlich macht.
Die Wirtschaft ist technisch so weit entwickelt, dass ein Zwang zur Beschäftigung aus existenzieller Not nicht nur anachronistisch, sondern nahezu lächerlich wirkt. Er wird jedoch zusammen mit der ihn stützenden Pseudomoral künstlich am Leben erhalten. Wohl nicht nur aus jahrhundertealter Gewohnheit, sondern auch, um niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu Profitzwecken durchzudrücken.
Dem würde ein Grundeinkommen entgegen wirken, weil niemand mehr genötigt wäre, solche Jobs anzunehmen. Eigentlich sollten sich deshalb Linke und Gewerkschaften im Interesse der Beschäftigten mit allem Nachdruck dafür einsetzen. Die alten Denkmuster pflegend halten sie jedoch mehrheitlich am alten Vollzeit-Erwerbsmodell fest und fordern dessen Restauration.
Am liebsten hätten sie die Rückverwandlung aller Teilzeit- in Vollzeit-Jobs. Als ließe sich das Arbeitsvolumen, die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden, beliebig erhöhen. Daran besteht jedoch kein wirtschaftlicher Bedarf. Die Digitalisierung wird das Gegenteil fördern: Den Trend zu kürzeren Arbeitszeiten. Eben weil menschliche Arbeitskraft in noch erheblicherem Maße überflüssig wird.
Verzerrtes Menschenbild Lügen gestraft
Von dieser Erkenntnis aus ist es nur noch ein klitzekleiner Gedankensprung Richtung bedingungsloses Grundeinkommen. Die Zahl der Köpfe, denen er gelingt, wächst erfreulicherweise. Die Gegenfront ist allerdings nach wie vor massiv, ihre Gegenwehr heftig, ihre Argumente nicht unbedingt schlüssig. Das Grundeinkommen sei eine ‘Stilllegungsprämie’ oder Ausdruck einer ‘Mitleidsökonomie’ für Menschen, die der Arbeitsmarkt nicht braucht, heißt es u.a. Als würden die Menschen ohne Arbeitszwang ihres Lebens nicht froh und wären freiwillig nicht bereit, etwas zu tun. Dieses verzerrte Menschenbild wird allein von Millionen ehrenamtlich Tätigen hierzulande Lügen gestraft.
Einige Linke wie der Alt-68er Mathias Greffrath dichten dem Grundeinkommen einen elitären Charakter an. Nicht im finanziellen, sondern im kulturellen und intellektuellen Sinne: Unter arbeitslosen Kulturwissenschaftlern sei der Anteil derer, die für die Idee streiten besonders hoch, meint Greffrath im SPIEGEL-Interview (13/2017). Jene könnten sich ein Leben mit 900 Euro, ein paar Reclam-Heftchen und ab und zu einen Konzertbesuch gut vorstellen. Für jemanden, der am Band oder an der Ladenkasse stehe, sei das keine Perspektive, weil ihm/ihr die kulturellen Ressourcen dafür fehlten.
Dieser skeptische Einwand spricht, näher betrachtet, nicht gegen, sondern für das Grundeinkommen. Er deutet nämlich die Bereitschaft an, sich im Regelfall nicht damit zufrieden zu geben, sondern darüber hinaus verdienen zu wollen, um sich mehr leisten zu können. Und die Ausnahmen, die sich damit zufrieden geben, können durchaus anderweitig, unentgeltlich wie beim Ehrenamt, tätig werden.
Mit dem Grundeinkommen würde ein echter, positiver Anreiz entstehen, Beschäftigung aufzunehmen. Ganz anders als der aus der Einkommensnot geborene Zwang, die Pistole auf der Brust, die Anhänger des alten, überholten Erwerbsarbeits-Modelles meinen, wenn sie von ‘Anreiz’ sprechen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2017, erschienen.
Online-Flyer Nr. 627 vom 06.09.2017
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Arbeit und Soziales
Argumente für das bedingungslose Grundeinkommen
Ein echter Anreiz
Von Harald Schauff
Den Allermeisten genügt das Existenzminimum nicht - ein unterschätztes Argument für das bedingungslose Grundeinkommen. Keine ganz neue Erkenntnis: Wer mehr verdient, ist im Regelfall glücklicher als jemand mit geringem Einkommen. Das weiß auch die britische Psychologin Claudia Hammond im SPIEGEL-Interview (11/2017) zu bestätigen. Allerdings werde der Einfluss der Einkommenshöhe auf das Wohlbefinden überschätzt, schränkt sie ein. Der SPIEGEL-Interviewer verweist auf das sog. ‘Easterlin-Paradox’. Demzufolge soll es in ärmeren Ländern Menschen mit etwas überdurchschnittlichem Einkommen besser gehen als jenen, die in reichen Ländern leicht über dem Schnitt liegen. Die Preisfrage lautet, ab welcher Einkommenshöhe Menschen sich zu 100 % glücklich schätzen.
Hammond verweist auf Umfragen in den USA, welche diese Grenze bei 500.000 Dollar im Jahr verorten. Sie selbst sieht diese Zahlen kritisch, da nur wenige Befragte soviel verdienten. Früher habe man die Grenze sehr viel niedriger angesetzt, bei rund 20.000 Dollar. Neuere Untersuchungen legten jedoch nahe: Ab einem Betrag von 75.000 Dollar stellt sich generell relative Zufriedenheit ein. Hammond vermutet, es müsse eine Summe sein, die uns Stress und Angst nehme und die Sicherheit gebe, unsere Rechnungen zahlen zu können.
So wie es aussieht, ist jene Summe also nicht nur deutlich höher als vermutet, sondern beträgt sogar ein Mehrfaches des Existenzminimums. Die Menschen in westlichen Industrieländern scheinen nicht so bescheiden und genügsam zu sein, wie gern und häufig unterstellt von den Gegnern eines bedingungslosen Grundeinkommens. Jene überlesen gern das ‘Grund’-, wenn sie unterstellen, dass das Grundeinkommen ein bequemes oder gar luxuriöses Leben finanziere. Sie stoßen sich am Einkommen ohne Gegenleistung, am ‘Geld fürs Nichts-Tun’ und setzen dies automatisch mit Wohlstand gleich. Zur Verstärkung bemühen sie Metaphern wie die berühmte ‘Hängematte’, den Strandurlaub unter Palmen oder den ‘Jahrmarkt im Himmel’.
Dabei geht es rein - das sei nochmals betont - um die vorbehaltlose Sicherung des (sozio-kulturellen) Existenzminimums. Jenes soll neben grundlegenden Bedürfnissen wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Strom, Wasser und Heizung auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen, etwa den Besuch von Konzerten, Theatern und Kinos und den Kauf von Büchern.
Der hierfür angesetzte Monatsbetrag liegt zur Zeit bei 1000 Euro, also bei 12.000 Euro im Jahr. Das sind umgerechnet etwas über 14.000 Dollar. Wie oben erwähnt soll sich die relative Zufriedenheit erst ab 75.000 Dollar einstellen. Das wäre über das Fünffache des angesetzten Existenzminimums. Somit besteht allein hinsichtlich der Einkommenshöhe ein starker Anreiz, über das Minimum hinaus zu verdienen. Dies deckt sich mit Umfragen, nach denen über 80 % der Menschen auch bereit wären, mit einem Grundeinkommen weiter zu arbeiten. Nicht nur des Geldes wegen, sondern auch aus ideellen Gründen wie dem Wunsch, etwas zu tun, etwas zu leisten.
Unterschied zwischen Anreiz und Zwang
Anders als von Grundeinkommens-Skeptikern behauptet, nimmt das Grundeinkommen nicht den Anreiz zur Arbeit, sondern stellt lediglich den existenziellen Zwang ab. Den Unterschied zwischen Anreiz und Zwang scheinen viele so wenig begreifen zu wollen wie jenen zwischen Existenzminimum und Wohlstand. Selbst so renommierte Expert/inn/en wie die Soziologin Jutta Allmendinger tun sich schwer damit. Allmendinger behauptet allen Ernstes, das Grundeinkommen würde Beschäftigte aus ihrer Arbeit ‘heraus kaufen’. Dabei würden wir uns doch gerade über die Erwerbsarbeit definieren. Deshalb sei sie entschiedene Gegnerin des Grundeinkommens.
Sollten Beschäftigte tatsächlich per Grundeinkommen aus ihrem Job ‘heraus gekauft’ werden, würden 12.000 Euro jährlich pro Nase wohl kaum ausreichen. Wie oben gesehen verdienen die meisten mehr und wollen auch mehr verdienen. Die Behauptung ist um so absurder, da sie unterstellt, durch das Grundeinkommen solle die Erwerbstätigkeit abgeschafft werden. Das genaue Gegenteil wird der Fall sein: Sie wird begehrter denn je, weil sich die Arbeitsbedingungen erheblich verbessern. Heißt: Kein Zwang mehr, weniger Druck, Anspannung, besserer Verdienst, kürzere Arbeitszeiten, mehr Gesundheit und Lebensqualität.
Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde Erwerbsarbeit zur frei gewählten und selbst bestimmten Tätigkeit. Als solche erhielte sie erst die Sinnstiftung, welche ihr Experten wie Allmendinger heute andichten. Natürlich bedeutet das einen Paradigmenwechsel, der vielen schwer fällt, weil sie Erwerbsarbeit unmittelbar mit existenziellem Zwang verbinden: Ohne (persönliche) Arbeit keine Lebensgrundlage. Diese (heute ankonditionierte) Vorstellung entstammt ursprünglich vergangenen Jahrhunderten, als die Bevölkerungsmehrheit noch Landwirtschaft betrieb, primär zur Selbstversorgung. Sie lebte von der Hand in den Mund. Wer sein Feld nicht bestellte und aberntete, drohte zu verhungern und war auf die Gnade anderer angewiesen.
Diese Denkmuster übertrugen sich auf die noch junge Industriegesellschaft und die darauf folgende Dienstleistungsgesellschaft. Bei der Fertigung und Montage am Fließband und der Erledigung der Büroarbeit am Schreibtisch wurde und wird bis heute immer noch unbewusst der Acker gepflügt. Feldfrüchte werden nicht mehr geerntet. Dafür wird das ‘selbst verdiente’ Geld von der Bank abgehoben und u.a. zum Einkaufen ausgegeben.
Immer noch herrscht der Eindruck vor: Der Mensch kommt für sich selbst auf und versorgt sich selbst. Dabei ist er nunmehr Rädchen im gigantischen Getriebe eines komplex arbeitsteiligen Prozesses. Er stellt nichts mehr allein für sich selbst her, sondern fügt ein Detail bei. Nahrungsmittel baut er nicht mehr selbst an, sondern kauft diese im Laden ein. Er ist vollständig fremd versorgt und permanent auf andere Menschen angewiesen, die für ihn herstellen und leisten.
Wie weit das Denken hinter der Realität her hinkt
Die Selbstversorgungs-Mentalität entspricht schon lange nicht mehr dem modernen Wirtschaften mit seiner komplexen Arbeitsteilung und fortgeschrittenen Automation von Arbeitsabläufen. Sie passt auch nicht mehr zu den davon abhängigen Lebensbedingungen. Sie offenbart, wie weit beim Thema ‘Arbeit’ das Denken hinter der Realität her hinkt. Es erstaunt nicht, dass dieses Denken dem anbrechenden Zeitalter der Digitalisierung fassungslos gegenüber steht. Es ist ja noch nicht einmal in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft angekommen.
Der Mangel und die Not, welche die Selbstversorger einst zum Sicherstellen der Existenzgrundlage zwang, bestehen schon lange nicht mehr. Spätestens mit Beginn der Digitalisierung ist es müßig, Menschen zum Gelderwerb zu zwingen, zumal der Arbeitsprozess eine wachsende Zahl von ihnen entbehrlich macht.
Die Wirtschaft ist technisch so weit entwickelt, dass ein Zwang zur Beschäftigung aus existenzieller Not nicht nur anachronistisch, sondern nahezu lächerlich wirkt. Er wird jedoch zusammen mit der ihn stützenden Pseudomoral künstlich am Leben erhalten. Wohl nicht nur aus jahrhundertealter Gewohnheit, sondern auch, um niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu Profitzwecken durchzudrücken.
Dem würde ein Grundeinkommen entgegen wirken, weil niemand mehr genötigt wäre, solche Jobs anzunehmen. Eigentlich sollten sich deshalb Linke und Gewerkschaften im Interesse der Beschäftigten mit allem Nachdruck dafür einsetzen. Die alten Denkmuster pflegend halten sie jedoch mehrheitlich am alten Vollzeit-Erwerbsmodell fest und fordern dessen Restauration.
Am liebsten hätten sie die Rückverwandlung aller Teilzeit- in Vollzeit-Jobs. Als ließe sich das Arbeitsvolumen, die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden, beliebig erhöhen. Daran besteht jedoch kein wirtschaftlicher Bedarf. Die Digitalisierung wird das Gegenteil fördern: Den Trend zu kürzeren Arbeitszeiten. Eben weil menschliche Arbeitskraft in noch erheblicherem Maße überflüssig wird.
Verzerrtes Menschenbild Lügen gestraft
Von dieser Erkenntnis aus ist es nur noch ein klitzekleiner Gedankensprung Richtung bedingungsloses Grundeinkommen. Die Zahl der Köpfe, denen er gelingt, wächst erfreulicherweise. Die Gegenfront ist allerdings nach wie vor massiv, ihre Gegenwehr heftig, ihre Argumente nicht unbedingt schlüssig. Das Grundeinkommen sei eine ‘Stilllegungsprämie’ oder Ausdruck einer ‘Mitleidsökonomie’ für Menschen, die der Arbeitsmarkt nicht braucht, heißt es u.a. Als würden die Menschen ohne Arbeitszwang ihres Lebens nicht froh und wären freiwillig nicht bereit, etwas zu tun. Dieses verzerrte Menschenbild wird allein von Millionen ehrenamtlich Tätigen hierzulande Lügen gestraft.
Einige Linke wie der Alt-68er Mathias Greffrath dichten dem Grundeinkommen einen elitären Charakter an. Nicht im finanziellen, sondern im kulturellen und intellektuellen Sinne: Unter arbeitslosen Kulturwissenschaftlern sei der Anteil derer, die für die Idee streiten besonders hoch, meint Greffrath im SPIEGEL-Interview (13/2017). Jene könnten sich ein Leben mit 900 Euro, ein paar Reclam-Heftchen und ab und zu einen Konzertbesuch gut vorstellen. Für jemanden, der am Band oder an der Ladenkasse stehe, sei das keine Perspektive, weil ihm/ihr die kulturellen Ressourcen dafür fehlten.
Dieser skeptische Einwand spricht, näher betrachtet, nicht gegen, sondern für das Grundeinkommen. Er deutet nämlich die Bereitschaft an, sich im Regelfall nicht damit zufrieden zu geben, sondern darüber hinaus verdienen zu wollen, um sich mehr leisten zu können. Und die Ausnahmen, die sich damit zufrieden geben, können durchaus anderweitig, unentgeltlich wie beim Ehrenamt, tätig werden.
Mit dem Grundeinkommen würde ein echter, positiver Anreiz entstehen, Beschäftigung aufzunehmen. Ganz anders als der aus der Einkommensnot geborene Zwang, die Pistole auf der Brust, die Anhänger des alten, überholten Erwerbsarbeits-Modelles meinen, wenn sie von ‘Anreiz’ sprechen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2017, erschienen.
Online-Flyer Nr. 627 vom 06.09.2017
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