NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Wahlkampfschrott, Elitendemenz und parlamentarisches Elend
Wahlkrampf 2017
Von Ullrich Mies

Deutschland und die politischen Systeme der „westlichen Wertegemeinschaft“ seien Demokratien, heißt es. Das steht in allen Zeitungen und dröhnt täglich hundertfach aus tausenden Lautsprechern. Unsere Karlspreiskaiserin, jene transatlantische Einflussagentin, Trägerin bunter Hosenanzüge und Rautenkanzlerin in Personalunion weiß es noch genauer: Deutschland ist eine marktkonforme Demokratie. Dass eine „marktkonforme Demokratie“ keine Demokratie ist, sondern eine lügenhafte Fassade, verschweigt sie. Aktuell inszenieren alle deutschen Parteien einen an Ödnis und dummen Phrasen nicht zu überbietenden Wahlkampf. Bereits ein kurzer Blick auf das geistige Elend der Wahlplakate macht aufgeweckten Bürgern klar, auf welchem Primitiv-Niveau die Parteien angekommen sind.

Dazu nur drei Plakatsprüche. CDU: „Das große Ganze beginnt mit einem Ohr für die kleinen Dinge.“ SPD: „Es wird Zeit, die Probleme in Europa wieder zu lösen, statt sie auszusitzen.“ Und: „Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit.“ Das soll reichen.

Der offensichtliche Kollaps der westlichen Demokratien reduziert sich jedoch nicht auf Deutschland. Der Austausch der Demokratie durch die marktkonforme Fassadendemokratie wurde in allen Ländern der EU sowie den USA vollzogen. Alle sind Scheindemokratien, reale Kapitaldiktaturen auf dem strammen Weg in Neofeudalsysteme. EU-Europa mit seinem pseudodemokratischen, zentralistischen Überbau ist eine demokratische Schmierenveranstaltung der Sonderklasse, die um den Konzernplaneten Brüssel kreist, dort wo Korruption, organisiertes Verbrechen, Finanzindustrie, Wirtschaftsmacht und Politik zur Unkenntlichkeit verschmolzen sind. Sie bestimmen die Richtlinien der Politik. In endlosen Zirkelschlüssen verstärken sich diese und die „Eliten“-Konfigurationen laufend gegenseitig.

Täter mutieren zu Opfern

„Unsere“ Politiker sind an den ganzen perversen Entwicklungen offensichtlich gar nicht beteiligt, „das alles kommt doch aus Brüssel“ — dieses Standardgejaule kennen wir. Fakt ist: so schnell sind Täter noch nie zu Opfern mutiert. Alle Achtung Merkel und Steinmeier. Im Grunde genommen seid Ihr ganz bedauernswerte Geschöpfe, die nichts zu entscheiden haben.

Dass sich die Führungseliten in der Politik mit den Geldmächtigen verbündet haben und zu Feinden weiter Teile der Völker degenerierten, ist sicher auch auf Brüssel zurückzuführen. Fakt ist aber ebenso: In Brüssel wird nichts entschieden, was die Führungseliten in Wirtschaft und Politik nicht auch für die nationalen Ebenen durchsetzen wollten — zumindest was die grundsätzliche wirtschaftsliberale Gangart anbelangt.

In EU-Europa sind fast alle maßgeblichen Parteien neoliberal/ marktradikal gleichgeschaltet, denn sie vertreten mehr oder weniger dieselbe  kapitalorientierte Wirtschaftsagenda. In Deutschland trifft das auf ein 6-Parteien-Konglomerat zu: CDUCSUSPDFDPGRÜNEAfD. Ein einziger neoliberaler politischer Eliten-Konsensbrei. Dieser verhindert jede funktionierende Demokratie. In einer funktionierenden (parlamentarischen) Demokratie hätten auch Parteien mit alternativen wirtschafts-, friedens- und umweltorientierten politischen Konzeptionen eine Chance, die Regierungspolitik mitzubestimmen. Haben sie aber nicht, denn der Marktradikalismus steht generell nicht zur Debatte.

Offensichtlich halten uns die Herrschaftsparteien für vollkommen verblödet. Die herrschenden Regierungsparteien bzw. deren Führungskader betreiben seit gut einem Vierteljahrhundert die systematische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die kriminellen Raubzüge auf das Vermögen der Allgemeinheit, Privatisierungen genannt. Seit 1999 bescheren uns die Herrschenden Terrorkriege am Fließband, um die Welt nach ihren Vorstellungen neu zu ordnen. Die Flüchtlingsströme, die aus den Zielländern der NATO-Aggressoren nach Europa drängen, werden dazu missbraucht, dass die Menschen auch noch aufeinander losgehen. Das ist strategisch so gewollt, um Energien, die sich gegen die Elitenherrschaft richten könnte, zu kanalisieren. Übler und perfider geht es nicht. Wer die Zukunft dieser Wertegemeinschaft besichtigen will, der schaue nach Griechenland, dem Zukunftsmodell des Desaster-Kapitalismus für alle Länder der EU, auch für Deutschland.

Die einzige Partei, die sich von dem ungenießbaren Herrschaftsbrei absetzt, ist die LINKE, zumindest in Teilen. Nach meiner intensiven Beobachtung ist die LINKE jedoch nur solange eine Wahlalternative, bis sie an keiner Regierungskoalition mit der vollends auf den intellektuellen und moralischen Hund gekommenen SPD beteiligt ist.

Mediale Massenverblödung

Der leider verstorbene konservative Journalist und Publizist Peter Scholl-Latour führt den Niedergang der westlichen Demokratien unter anderem auf die organisierte mediale Massenverblödung zurück, die viele Interviewpartner und Autoren im neuen Buch von Jens Wernicke „Lügen die Medien“ eindrucksvoll darstellen. Bleibt jedoch die Frage: Erliegen allein die Massen der gewollten entpolitisierten Breitenverblödung?
Das ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Denn wie dement muss eigentlich eine „Elite“ sein, die glaubt, mit Verve immer so weitermachen zu können, bis alles im Biozid endet? Oder halten sich diese Figuren für unsterblich?

Der maximal realitätsabgewandte Zynismus kommt aktuell aus dem Bundespräsidialamt. Dort hat die Regierung spätestens seit Joachim Gauck die Propagandazweigstelle des EU-Wettbewerbs- und NATO-Ausdehnungsregimes errichtet. Folgerichtig heißt es in einer Kurzmitteilung des Deutschlandradio vom 08.09.2017:

„Bundespräsident Steinmeier hat zur Verteidigung der Demokratie und zur Stimmabgabe bei der Bundestagswahl aufgerufen. Beim Bürgerfest im Park von Schloss Bellevue sagte er, das Wahlrecht ohne Druck von äußeren Mächten in Freiheit auszuüben, danach sehnten sich weltweit viele Menschen. Dieses Recht dürfe nicht verschenkt werden. Zuvor hatte er allen Menschen gedankt, die sich ehrenamtlich engagieren. Sie hielten die Gesellschaft zusammen und verteidigten sie. Zudem hob Steinmeier die Flüchtlingshilfe hervor. Die Aufnahme von Hunderttausend Flüchtlingen sei und bleibe das große bewegende Thema. Hier spüre man Sorgen, aber auch die Kraft und Stärke der Bürgergesellschaft.“

Das ist doch eigentlich unfassbar, wäre dieser Irrsinn nicht bereits zur Normalität geworden: diese Scheinheiligkeit im höchsten Staatsamt! Hat dieser Mann nicht zuvor als Außenminister maßgeblich an den NATO-initiierten Kriegen mitgewirkt? Hat er nicht mitgeholfen, EU und NATO nach Osten auszudehnen? Welche Rolle spielte er im Ukraine-Putsch, um anschließend das Sanktionsregime gegen Russland zu rechtfertigen und den neuen Kalten Krieg entfachen zu können?

Hat er jemals gegen den US-Terror in Syrien seine Stimme erhoben? Nein! Nun missbraucht er die Flüchtlingsströme als Kampfmittel, um Demokraten von Nichtdemokraten zu scheiden. Ist dieser Mann nicht an vorderster Front einer jener Befürworter der kapitalistischen „schöpferischen Zerstörung“? Ist er nicht einer der Befürworter der Agenda 2010, die die SPD zerlegte? Hat der Mann gegen die NATO-Bombardierung Belgrads seine Stimme erhoben?

Steinmeier und das „SPD-Politbüro“ sind die Prototypen aus der Schule des Machiavelli. Sie sind integraler Teil des neokonservativen, transatlantischen Merkel-Regimes und ihrer aggressiven neoliberalen Kampf-Ideologie.

Elitendemenz

Wie gehirnamputiert müssen eigentlich die aktuell agierenden Politiker sein, um die saudummen Sprüche auf Wahlplakaten in Auftrag zu geben: „Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit“. So ein Schwachsinn! Hatte die SPD nicht mindestens 20 Jahre Zeit, um mehr Gerechtigkeit herzustellen? Offensichtlich hat der Koalitionszwang sie daran gehindert! Während all ihrer Regierungsbeteiligungen fand sie wohl immer nur Zeit für Ungerechtigkeiten.

Wir brauchen ein neues politisches System

Die Zyniker des parteiübergreifenden Kapitalkonsens brauchen wir nicht. Sie haben jede Glaubwürdigkeit und damit Legitimation verloren. Ihre Legitimation ist Scheinlegitimation, die auf manipulativer Gehirnwäsche der Bürgerinnen und Bürger durch private Konzernmedien und vereinnahmte Öffentlich-Rechtliche gründet. Diese Politiker müssen raus aus den Ämtern, raus aus den Parlamenten. Wenn wir so etwas wie Demokratie verwirklichen und Gerechtigkeit herstellen wollen, dann gibt es dazu keine Alternative!

Wer die wahren Feinde der Demokratie sucht, wird in den Führungsetagen des parteiübergreifenden demokratieverachtenden Elitenkonsens fündig. Mit Blick auf die USA bezeichnet Bernd Hamm diese neokonservativen Eliten als die Träger eines neuen Faschismus.

Wie Wolfgang Koschnik in seinem Buch „Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr“, erschienen im Westend-Verlag 2016, treffend schreibt:

„Ein über Jahrzehnte schleichender Prozess des Verfalls einst lebendiger Demokratien hat dazu geführt, dass sich eine profitorientierte, parteiübergreifende Herrschaft von Berufspolitikern über den Menschen verfestigt hat, die ihre Macht mit Hilfe der etablierten Parteien gewinnen und erhalten.

Die entwickelten Demokratien sind eine gigantische Fehlkonstruktionen, die Krisen und Katastrophen am laufenden Band erzeugen und nicht in der Lage sind, selbst einfache Probleme pragmatisch und nachhaltig zu lösen. Im Gegenteil: ihre „Lösungen“ richten sich in stets wachsendem Maße gegen die eigene Bevölkerung.“

Was können wir also tun? Wie können wir die perversen Verhältnisse verändern? Wie die Zyniker der Macht und die sie tragenden Parteimaschinen entmachten? Diese scheren sich zunehmend einen Dreck um die Interessen der Bürger. Dass der westliche Kapitalismus immer weniger mit Demokratie zu tun hat, haben viele verstanden. Die neoliberalen Funktionseliten sind Teil des Problems. Hierzu mehr in einem Folgebeitrag.


Ullrich Mies ist Mitherausgeber des soeben erschienenen Sammelbandes:



Ullrich Mies/Jens Wernicke (Hg.),
Fassadendemokratie und Tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter, promedia-Verlag, Wien 2017; (Preis 19,90 Euro)

Mit Beiträgen von Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm, Hansgeorg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz, Mike Lofgren, Rainer Mausfeld,
Ullrich Mies, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Andreas Wehr, Wolf Wetzel und Ernst Wolff.



Siehe auch:

GRUSS an die Leserinnen und Zuschauer der Neuen Rheinischen Zeitung
Wählen Sie doch, was Sie wollen!
Von Ullrich Mies
NRhZ 629 vom 20.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24144

Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Von Ullrich Mies und Jens Wernicke
NRhZ 623 vom 26.07.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24019

Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Rubikon, 05.08.2017
https://www.rubikon.news/artikel/fassadendemokratie-und-tiefer-staat

"Fake news – eine Herausforderung des freien Denkens" - Kolloquium der Weltunion der Freidenker
Herrschaftsmittel Fake
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 627 vom 06.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24103

Aus dem neu erschienenen Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"
Das Ende der Demokratie – wie wir sie kennen
Von Bernd Hamm
NRhZ 628 vom 13.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24133

Aus dem neu erschienenen Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"
Die Privatisierung des Staates - Das Vorbild USA und sein Einfluss in der Europäischen Union
Von Werner Rügemer
NRhZ 629 vom 20.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24167

Fassadendemokratie und tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter
Das marktgetreue Grinsen
Buchtipp von Harry Popow
NRhZ 629 vom 20.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24156

Online-Flyer Nr. 629  vom 20.09.2017

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE