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Globales
Aus dem neu erschienenen Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"
Die Privatisierung des Staates - Das Vorbild USA und sein Einfluss in der Europäischen Union
Von Werner Rügemer
Der Staat der westlichen Kapital-Demokratien war nach Reformen im 20. Jahrhundert – als Reaktion auf Arbeiterbewegung, Sozialismus und Krisen – ein zumindest teilweiser Repräsentant von volkswirtschaftlichen und Allgemeininteressen. Dies ändert sich schrittweise seit der „neoliberalen Wende“ der 1970er Jahre. Der Staat wurde und wird weiter privatisiert. Vorreiter waren und sind die USA. Nach dem 2. Weltkrieg begannen die US-Regierungen, die Reformen des New Deal der 1930er Jahre – Bankenregulierung, Arbeitsgesetze, öffentliche Investitionen – zurückzunehmen. Private Kapitalakteure übernahmen staatliche Aufgaben. Die beiden Parteien, Demokraten und Republikaner, die das politische Leben monopolisieren, spielen bestenfalls die Rolle von Wahlvereinen.
Private Bespendung von Politikern
Meinungsbildung und Auswahl der Kandidaten für Wahlen liegen in der Hand privater Unternehmen. Sie spenden für die Wahlen der Gouverneure in den 50 Bundesstaaten und vor allem für die Präsidentschaftswahlen. Für Unternehmen gilt das Verfassungsrecht der Meinungsfreiheit. So können sie über Political Action Committees (PAC) unbegrenzt spenden. Die Abgeordneten des US-Kongresses werden während ihrer Tätigkeit laufend von den Unternehmen bespendet, deren Interessen sie in den Parlaments-Ausschüssen vertreten sollen. Die Abgeordneten sind dementsprechend die reichsten in den westlichen Kapital-Demokratien. Besonders reich werden sie, wenn sie ihre politischen Verbindungen nach dem Ende ihrer Abgeordneten-Karriere als Lobbyisten, Berater und Aufsichtsratsmitglieder an Unternehmen verkaufen. (1)
Öffentliche Meinungsbildung: Think Tanks
1921 wurde der Council on Foreign Relations (CFR) gegründet. Er ist eine Institution der US-Regierung, aber ein privater Club. Mitglieder waren und sind Banker, Anwälte, Konzernchefs, Professoren und Politiker. Der CFR gibt die „offizielle“ Zeitschrift Foreign Affairs heraus.
Direkter in die öffentliche politische Meinungsbildung greifen Think Tanks ein. Nach dem 2. Weltkrieg finanzierte der Rüstungskonzern Douglas Aircraft den wohl bis heute größten Think Tank RAND Corporation (1.700 hauptamtliche Mitarbeiter, Jahresetat 350 Millionen Dollar). Die meisten der inzwischen hunderten US-Think Tanks entstanden mit der Globalisierung seit den 1970er Jahren, so American Enterprise Institute, Cato Institute und Center for Middle East Policy. Think Tanks unterhalten Niederlassungen in den wichtigsten Hauptstädten der Erde, wie in Brüssel, Doha, Berlin und Peking.
Washington ist die Welthauptstadt des Lobbyismus. 20.000 hoch bezahlte Repräsentanten von Konzernen und Konzernverbänden entwerfen Gesetze, geben Empfänge, organisieren Reisen, verteilen Spenden, beglücken Journalisten mit Kamingesprächen. Weltkonzerne wie Google geben zweistellige Millionenbeträge für ihre Repräsentanzen in Washington mit 100 Beschäftigten aus. So verhindert die National Rifle Association of America (NRA) Einschränkungen des Waffenbesitzes. Mit dem Job Creators Network haben Konzerne auch unter Präsident Barack Obama verhindert, dass der gesetzliche Mindestlohn von 7,25 Dollar (mit Ausnahmen runter bis 2,13 Dollar) erhöht wurde.
Die jüdische und Israel-Lobby umfasst viele Organisationen wie das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) und The Zionist Organisation of America. (2) Auch sie werden wesentlich von Unternehmen und Privatstiftungen finanziert. Hier steigert und legitimiert sich wechselseitig die im Privateigentum mögliche Gewalt mit der mörderischen Eroberung des „Heiligen Landes“ und völkerrechtswidriger US-Politik.
Privatisierung des Regierungshandelns
Private Unternehmen übernehmen Staatsfunktionen auf Dauer:
* die privat-staatliche Nationalbank
* die Privatisierung des Staatsapparats
* die Privatisierung des Militärs
* die Privatisierung der Sicherheit inklusive vielfältiger staatlicher Subventionen.
Die privat-staatliche Nationalbank: Wall Street-Banker konzipierten den Federal Reserve Act (1913), mit dem die US-Nationalbank, die Federal Reserve Bank (Fed), gegründet wurde. (3) Sie gehört weiter den Privatbanken und ist gleichzeitig eine staatliche Institution. Der neoliberale Staat, der in seinem lügenhaften Begründungs-Narrativ sich „aus der Privatwirtschaft heraushält“, ist nach seiner tatsächlichen Praxis der am intensivsten von der Privatwirtschaft abhängige, mit ihm korrupt verfilzte Staat.
Die Privatisierung des Staatsapparats: Im zentralen Bereich von Finanzen und Wirtschaft sind Privatunternehmen dauerhaft mit Staatsfunktionen beauftragt. Dies wird als regulatory capture bezeichnet: Die Kontrolle befindet sich in der Gefangenschaft der Kontrollierten. So sind die Rating-Agenturen private Unternehmen, die führenden Investoren wie Blackrock und Berkshire Hathaway (Warren Buffett) gehören. Sie bewerten im Auftrag des Staates die Kreditwürdigkeit von Banken, Unternehmen und Staaten und bestimmen dadurch die Kreditkonditionen, zum Beispiel die Zinshöhe. (4)
Ähnlich haben die Wirtschaftsprüfer die gesetzliche Aufgabe, in den großen Unternehmen die Korrektheit der Buchführung und Bilanzen zu prüfen und dafür Testate zu vergeben. Das war eine Konsequenz aus der Weltwirtschaftskrise 1929/30. Sie haben in den „geprüften” Unternehmen auch die Steuerberatung übernommen, also die professionelle Nutzung von Finanzoasen wie Delaware/USA, Luxemburg, Cayman Islands, Luxemburg, Irland, Virgin Islands und Panama. Dieses Geschäft wird dominiert von den Big Four der Wirtschaftsprüfer PWC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte. (5)
Andere private Berater haben zwar keine formelle Staatsfunktion, aber eine praktische. Unternehmensberater vom Typ McKinsey, Boston Consulting und Accenture, Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, Sullivan & Cromwell und White & Case, Investmentbanken wie Merrill Lynch, Lazard und Rothschild, Investoren wie BlackRock wurden zu Dauer-Beauftragten, etwa für die Bankenrettung, für Privatisierungen und für die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung. (6)
Die Privatisierung des Militärs: Der 2. Weltkrieg war für die US-Wirtschaft der größte Boom ihrer bisherigen Geschichte. Dieser Boom sollte auch nachher weitergehen. Deshalb sind die USA seitdem weltweit militärisch präsent und führen Kriege, die nicht gewonnen werden müssen, sondern sich möglichst lange hinziehen. Bekanntlich warnte schon Dwight Eisenhower, als er 1961 aus dem Amt des US-Präsidenten schied, vor der Eigendynamik des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK). Er besteht aus der Verfilzung des Pentagon mit den dauerbeauftragten Rüstungskonzernen und der Atomindustrie. Generäle wechseln als Berater und Aufsichtsräte in Konzerne oder werden selbst Unternehmer. Die Arbeitsplätze in der Militärindustrie sind ein Erpressungsinstrument, um diese Industrie immer weiter auszubauen.
Inzwischen setzt die US-Regierung private Militärfirmen ein. So waren 49.000 Beschäftigte von Kellog Brown & Root in den Kriegsgebieten Ex-Jugoslawien, Irak und Afghanistan tätig. Military Private Resources Inc. (MPRI) operierte vor allem in Ex-Jugoslawien, etwa in Bosnien. DynCorp und CACI waren mit tausenden von Beschäftigten nicht nur ebenfalls im Irak und in Afghanistan eingesetzt, sondern auch im Kosovo und in Bosnien. Damit werden auch Gesetzgeber und Öffentlichkeit getäuscht. Der US-Kongress bewilligte 9.800 Soldaten für Afghanistan, aber zugleich waren sechsmal mehr private Militärdienstleister vor Ort. (7)
Die Privatisierung der Sicherheit: Spätestens seit dem 2001 ausgerufenen „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ wurde die „Sicherheit“ zu einer eigenen Großindustrie ausgebaut. Schon die CIA hatte nach dem 2. Weltkrieg Tochterunternehmen für verdeckte Drogen- und Waffengeschäfte und Geldwäsche gegründet. Aber die neue Sicherheitsindustrie agiert (auch) legal und offen gewinnorientiert. Die 16 Geheimdienste wie CIA und NSA sind nicht in der Lage, die heute verfügbaren Ausspähtechniken selbst zu entwickeln. Deshalb sind vier Fünftel der Mitarbeiter Angestellte privater Firmen wie Booz, Palantir und In-Q-Tel. (8) So waren in der Regierung von Barack Obama Booz-Mitarbeiter in 54 Beratergruppen tätige Mitglieder, für Verteidigung, Außenpolitik, Homeland Security und in der Weltraumbehörde NASA. Der Whistleblower Edward Snowden war für seine NSA-Arbeit bei Booz angestellt.
Die Regierung lässt sich auch von Privatfirmen ehemaliger Regierungsmitglieder beraten. So gründete Ex-Außenminister Henry Kissinger mit dem ehemaligen nationalen Sicherheitsberater Brent Scowcroft 1982 die Firma Kissinger Associates. Sie erstellt Risikostrategien für die US-Regierung, für Regierungen weltweit, aber auch für private Investoren. Dazu unterhalten Firmen wie Kissinger Associates ein Netz von Mitarbeitern, die zum Beispiel aus Wall Street-Kanzleien, NATO-Gremien und aus der EU-Kommission kommen.
Die Verbindung von privaten Investoren mit diplomatischen, militärischen und geheimdienstlichen Operationen begann übrigens im 2. Weltkrieg. Zwei Anwälte der Wall Street-Kanzlei Sullivan & Cromwell, John Foster Dulles und Allen Dulles, vertraten seit den 1920er Jahren US-amerikanische und deutsche Konzerne, auch während des Hitler-Regimes; Allen Dulles leitete im 2. Weltkrieg von der Finanzoase Schweiz aus den US-Auslandsgeheimdienst OSS und war nach dem Krieg Chef des Nachfolge-Geheimdienstes CIA. Bruder John Foster war Außenminister. (9)
Vielfältige staatliche Subventionen: Gerade die US-Wirtschaft pflegt den Ruf, staatsfrei zu sein. Doch die großkapitalistischen Privateigentümer brauchen den Staat zum einen, um sich vor Schäden zu schützen, die sie selbst verursacht haben. So rettete der Staat wiederkehrend Banken und Unternehmen bei den von ihnen verursachten Krisen vor dem Bankrott. Im großen Stil war das nach der Weltwirtschaftskrise 1929ff. der Fall und wiederholte sich zuletzt bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. Zu den Subventionen gehört die steuerliche Entlastung der Privatunternehmer. Der Staat übernimmt damit Infrastrukturkosten der Produktion. Zudem subventioniert gegenwärtig der Staat die Einkommen von Dutzenden Millionen Niedriglöhnern bei McDonald’s, Walmart, UPS und hunderttausenden Subunternehmen mit jährlich 153 Milliarden Dollar. (10) Texas zahlt für ein Data Center von Facebook in Fort Worth 150 Millionen Dollar. (11)
Betrieb der Infrastruktur
Private Kapitaleigentümer haben im Laufe der vergangenen Jahrzehnte weite Teile der zivilen Infrastruktur, private Stiftungen die kulturelle Infrastruktur übernommen, die Finanzindustrie Gefängnisse, Nahverkehr, Krankenhäuser, Wasser, Gas…
Kulturelle Infrastruktur - Private Stiftungen: Mit dem Aufstieg der USA zur imperialistischen Macht haben Konzerne und Unternehmer-Dynastien zu Beginn des 20. Jahrhunderts Stiftungen gegründet. Am bekanntesten sind die Ford und Rockefeller Foundations. Der Staat begünstigt die Stiftungen steuerlich. Mit der Globalisierung haben tausende US-Unternehmen Stiftungen gegründet und sind damit auch im Ausland tätig. Sie fördern Lehrstühle, Forschungen, Schulen, Museen, Orchester, Sozial- und Gesundheitsprojekte, vergeben Stipendien und Preise, finanzieren Kongresse.
Das ist in etwa ein Drittel des spannenden Textes von Werner Rügemer. Bitte im Buch weiterlesen!
Dr. Werner Rügemer, Köln, Philosoph, arbeitet als Publizist, Berater und Stadtführer. Letzte Buchveröffentlichungen: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet – Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur. 226 Seiten, Köln 2017 (2. Auflage); mit Elmar Wigand: Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und die professionelle Bekämpfung von Gewerkschaften. 260 Seiten, Köln 2017 (3. erweiterte und aktualisierte Auflage). www.werner-ruegemer.de
Fussnoten:
1 Who owns Congress? Mother Jones September/October 2010, http://www.motherjones.com/politics/2010/09/congresscorporate-sponsors, zuletzt aufgerufen am 17.04.2017
2 John Mearsheimer/Stephen Walt: The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy, New York 2007
3 Nomi Prins, All the President’s Bankers. New York 2014, S. 17-39
4 Werner Rügemer, Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart. Bielefeld 2012
5 Walter Wüllenweber, Legale Staatsfeinde, Stern 22.05.2013
6 Werner Rügemer, Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft, Bielefeld 2004
7 Sam Biddle, At Booz Allen, a Vast U.S. Spy Operation, Run for private Profit, New York Times 06.10.2016
8 Sam Biddle, How Peter Thiel’s Palantir helped the NSA spy on the whole world, Intercept 22.02.2017
9 Stephen Kinzer, The Brothers. John Foster Dulles, Allen Dulles and their Secret World War, New York 2013
10 Washington Post 15.04.2015
11 Shining a Light on Corporate Handouts, jobs with justice 27.02.2017, www.jwj.org, zuletzt aufgerufen am 16.04.2017
Mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen aus:
Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter
Herausgegeben von Ullrich Mies und Jens Wernicke
Mit Beiträgen von Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm, Hansgeorg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz, Mike Lofgren, Rainer Mausfeld,
Ullrich Mies, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Andreas Wehr, Wolf Wetzel und Ernst Wolff
Promedia-Verlag Wien, 2017
Taschenbuch, 240 Seiten, 19,90 Euro
Siehe auch:
Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Von Ullrich Mies und Jens Wernicke
NRhZ 623 vom 26.07.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24019
Fassademokratie und tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter
Das marktgetreue Grinsen
Buchtipp von Harry Popow
NRhZ 629 vom 20.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24156
Aus dem neu erschienenen Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"
Das Ende der Demokratie – wie wir sie kennen
Von Bernd Hamm
NRhZ 628 vom 13.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24133
Online-Flyer Nr. 629 vom 20.09.2017
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Globales
Aus dem neu erschienenen Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"
Die Privatisierung des Staates - Das Vorbild USA und sein Einfluss in der Europäischen Union
Von Werner Rügemer
Der Staat der westlichen Kapital-Demokratien war nach Reformen im 20. Jahrhundert – als Reaktion auf Arbeiterbewegung, Sozialismus und Krisen – ein zumindest teilweiser Repräsentant von volkswirtschaftlichen und Allgemeininteressen. Dies ändert sich schrittweise seit der „neoliberalen Wende“ der 1970er Jahre. Der Staat wurde und wird weiter privatisiert. Vorreiter waren und sind die USA. Nach dem 2. Weltkrieg begannen die US-Regierungen, die Reformen des New Deal der 1930er Jahre – Bankenregulierung, Arbeitsgesetze, öffentliche Investitionen – zurückzunehmen. Private Kapitalakteure übernahmen staatliche Aufgaben. Die beiden Parteien, Demokraten und Republikaner, die das politische Leben monopolisieren, spielen bestenfalls die Rolle von Wahlvereinen.
Private Bespendung von Politikern
Meinungsbildung und Auswahl der Kandidaten für Wahlen liegen in der Hand privater Unternehmen. Sie spenden für die Wahlen der Gouverneure in den 50 Bundesstaaten und vor allem für die Präsidentschaftswahlen. Für Unternehmen gilt das Verfassungsrecht der Meinungsfreiheit. So können sie über Political Action Committees (PAC) unbegrenzt spenden. Die Abgeordneten des US-Kongresses werden während ihrer Tätigkeit laufend von den Unternehmen bespendet, deren Interessen sie in den Parlaments-Ausschüssen vertreten sollen. Die Abgeordneten sind dementsprechend die reichsten in den westlichen Kapital-Demokratien. Besonders reich werden sie, wenn sie ihre politischen Verbindungen nach dem Ende ihrer Abgeordneten-Karriere als Lobbyisten, Berater und Aufsichtsratsmitglieder an Unternehmen verkaufen. (1)
Öffentliche Meinungsbildung: Think Tanks
1921 wurde der Council on Foreign Relations (CFR) gegründet. Er ist eine Institution der US-Regierung, aber ein privater Club. Mitglieder waren und sind Banker, Anwälte, Konzernchefs, Professoren und Politiker. Der CFR gibt die „offizielle“ Zeitschrift Foreign Affairs heraus.
Direkter in die öffentliche politische Meinungsbildung greifen Think Tanks ein. Nach dem 2. Weltkrieg finanzierte der Rüstungskonzern Douglas Aircraft den wohl bis heute größten Think Tank RAND Corporation (1.700 hauptamtliche Mitarbeiter, Jahresetat 350 Millionen Dollar). Die meisten der inzwischen hunderten US-Think Tanks entstanden mit der Globalisierung seit den 1970er Jahren, so American Enterprise Institute, Cato Institute und Center for Middle East Policy. Think Tanks unterhalten Niederlassungen in den wichtigsten Hauptstädten der Erde, wie in Brüssel, Doha, Berlin und Peking.
Washington ist die Welthauptstadt des Lobbyismus. 20.000 hoch bezahlte Repräsentanten von Konzernen und Konzernverbänden entwerfen Gesetze, geben Empfänge, organisieren Reisen, verteilen Spenden, beglücken Journalisten mit Kamingesprächen. Weltkonzerne wie Google geben zweistellige Millionenbeträge für ihre Repräsentanzen in Washington mit 100 Beschäftigten aus. So verhindert die National Rifle Association of America (NRA) Einschränkungen des Waffenbesitzes. Mit dem Job Creators Network haben Konzerne auch unter Präsident Barack Obama verhindert, dass der gesetzliche Mindestlohn von 7,25 Dollar (mit Ausnahmen runter bis 2,13 Dollar) erhöht wurde.
Die jüdische und Israel-Lobby umfasst viele Organisationen wie das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) und The Zionist Organisation of America. (2) Auch sie werden wesentlich von Unternehmen und Privatstiftungen finanziert. Hier steigert und legitimiert sich wechselseitig die im Privateigentum mögliche Gewalt mit der mörderischen Eroberung des „Heiligen Landes“ und völkerrechtswidriger US-Politik.
Privatisierung des Regierungshandelns
Private Unternehmen übernehmen Staatsfunktionen auf Dauer:
* die privat-staatliche Nationalbank
* die Privatisierung des Staatsapparats
* die Privatisierung des Militärs
* die Privatisierung der Sicherheit inklusive vielfältiger staatlicher Subventionen.
Die privat-staatliche Nationalbank: Wall Street-Banker konzipierten den Federal Reserve Act (1913), mit dem die US-Nationalbank, die Federal Reserve Bank (Fed), gegründet wurde. (3) Sie gehört weiter den Privatbanken und ist gleichzeitig eine staatliche Institution. Der neoliberale Staat, der in seinem lügenhaften Begründungs-Narrativ sich „aus der Privatwirtschaft heraushält“, ist nach seiner tatsächlichen Praxis der am intensivsten von der Privatwirtschaft abhängige, mit ihm korrupt verfilzte Staat.
Die Privatisierung des Staatsapparats: Im zentralen Bereich von Finanzen und Wirtschaft sind Privatunternehmen dauerhaft mit Staatsfunktionen beauftragt. Dies wird als regulatory capture bezeichnet: Die Kontrolle befindet sich in der Gefangenschaft der Kontrollierten. So sind die Rating-Agenturen private Unternehmen, die führenden Investoren wie Blackrock und Berkshire Hathaway (Warren Buffett) gehören. Sie bewerten im Auftrag des Staates die Kreditwürdigkeit von Banken, Unternehmen und Staaten und bestimmen dadurch die Kreditkonditionen, zum Beispiel die Zinshöhe. (4)
Ähnlich haben die Wirtschaftsprüfer die gesetzliche Aufgabe, in den großen Unternehmen die Korrektheit der Buchführung und Bilanzen zu prüfen und dafür Testate zu vergeben. Das war eine Konsequenz aus der Weltwirtschaftskrise 1929/30. Sie haben in den „geprüften” Unternehmen auch die Steuerberatung übernommen, also die professionelle Nutzung von Finanzoasen wie Delaware/USA, Luxemburg, Cayman Islands, Luxemburg, Irland, Virgin Islands und Panama. Dieses Geschäft wird dominiert von den Big Four der Wirtschaftsprüfer PWC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte. (5)
Andere private Berater haben zwar keine formelle Staatsfunktion, aber eine praktische. Unternehmensberater vom Typ McKinsey, Boston Consulting und Accenture, Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, Sullivan & Cromwell und White & Case, Investmentbanken wie Merrill Lynch, Lazard und Rothschild, Investoren wie BlackRock wurden zu Dauer-Beauftragten, etwa für die Bankenrettung, für Privatisierungen und für die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung. (6)
Die Privatisierung des Militärs: Der 2. Weltkrieg war für die US-Wirtschaft der größte Boom ihrer bisherigen Geschichte. Dieser Boom sollte auch nachher weitergehen. Deshalb sind die USA seitdem weltweit militärisch präsent und führen Kriege, die nicht gewonnen werden müssen, sondern sich möglichst lange hinziehen. Bekanntlich warnte schon Dwight Eisenhower, als er 1961 aus dem Amt des US-Präsidenten schied, vor der Eigendynamik des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK). Er besteht aus der Verfilzung des Pentagon mit den dauerbeauftragten Rüstungskonzernen und der Atomindustrie. Generäle wechseln als Berater und Aufsichtsräte in Konzerne oder werden selbst Unternehmer. Die Arbeitsplätze in der Militärindustrie sind ein Erpressungsinstrument, um diese Industrie immer weiter auszubauen.
Inzwischen setzt die US-Regierung private Militärfirmen ein. So waren 49.000 Beschäftigte von Kellog Brown & Root in den Kriegsgebieten Ex-Jugoslawien, Irak und Afghanistan tätig. Military Private Resources Inc. (MPRI) operierte vor allem in Ex-Jugoslawien, etwa in Bosnien. DynCorp und CACI waren mit tausenden von Beschäftigten nicht nur ebenfalls im Irak und in Afghanistan eingesetzt, sondern auch im Kosovo und in Bosnien. Damit werden auch Gesetzgeber und Öffentlichkeit getäuscht. Der US-Kongress bewilligte 9.800 Soldaten für Afghanistan, aber zugleich waren sechsmal mehr private Militärdienstleister vor Ort. (7)
Die Privatisierung der Sicherheit: Spätestens seit dem 2001 ausgerufenen „Krieg gegen den internationalen Terrorismus“ wurde die „Sicherheit“ zu einer eigenen Großindustrie ausgebaut. Schon die CIA hatte nach dem 2. Weltkrieg Tochterunternehmen für verdeckte Drogen- und Waffengeschäfte und Geldwäsche gegründet. Aber die neue Sicherheitsindustrie agiert (auch) legal und offen gewinnorientiert. Die 16 Geheimdienste wie CIA und NSA sind nicht in der Lage, die heute verfügbaren Ausspähtechniken selbst zu entwickeln. Deshalb sind vier Fünftel der Mitarbeiter Angestellte privater Firmen wie Booz, Palantir und In-Q-Tel. (8) So waren in der Regierung von Barack Obama Booz-Mitarbeiter in 54 Beratergruppen tätige Mitglieder, für Verteidigung, Außenpolitik, Homeland Security und in der Weltraumbehörde NASA. Der Whistleblower Edward Snowden war für seine NSA-Arbeit bei Booz angestellt.
Die Regierung lässt sich auch von Privatfirmen ehemaliger Regierungsmitglieder beraten. So gründete Ex-Außenminister Henry Kissinger mit dem ehemaligen nationalen Sicherheitsberater Brent Scowcroft 1982 die Firma Kissinger Associates. Sie erstellt Risikostrategien für die US-Regierung, für Regierungen weltweit, aber auch für private Investoren. Dazu unterhalten Firmen wie Kissinger Associates ein Netz von Mitarbeitern, die zum Beispiel aus Wall Street-Kanzleien, NATO-Gremien und aus der EU-Kommission kommen.
Die Verbindung von privaten Investoren mit diplomatischen, militärischen und geheimdienstlichen Operationen begann übrigens im 2. Weltkrieg. Zwei Anwälte der Wall Street-Kanzlei Sullivan & Cromwell, John Foster Dulles und Allen Dulles, vertraten seit den 1920er Jahren US-amerikanische und deutsche Konzerne, auch während des Hitler-Regimes; Allen Dulles leitete im 2. Weltkrieg von der Finanzoase Schweiz aus den US-Auslandsgeheimdienst OSS und war nach dem Krieg Chef des Nachfolge-Geheimdienstes CIA. Bruder John Foster war Außenminister. (9)
Vielfältige staatliche Subventionen: Gerade die US-Wirtschaft pflegt den Ruf, staatsfrei zu sein. Doch die großkapitalistischen Privateigentümer brauchen den Staat zum einen, um sich vor Schäden zu schützen, die sie selbst verursacht haben. So rettete der Staat wiederkehrend Banken und Unternehmen bei den von ihnen verursachten Krisen vor dem Bankrott. Im großen Stil war das nach der Weltwirtschaftskrise 1929ff. der Fall und wiederholte sich zuletzt bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. Zu den Subventionen gehört die steuerliche Entlastung der Privatunternehmer. Der Staat übernimmt damit Infrastrukturkosten der Produktion. Zudem subventioniert gegenwärtig der Staat die Einkommen von Dutzenden Millionen Niedriglöhnern bei McDonald’s, Walmart, UPS und hunderttausenden Subunternehmen mit jährlich 153 Milliarden Dollar. (10) Texas zahlt für ein Data Center von Facebook in Fort Worth 150 Millionen Dollar. (11)
Betrieb der Infrastruktur
Private Kapitaleigentümer haben im Laufe der vergangenen Jahrzehnte weite Teile der zivilen Infrastruktur, private Stiftungen die kulturelle Infrastruktur übernommen, die Finanzindustrie Gefängnisse, Nahverkehr, Krankenhäuser, Wasser, Gas…
Kulturelle Infrastruktur - Private Stiftungen: Mit dem Aufstieg der USA zur imperialistischen Macht haben Konzerne und Unternehmer-Dynastien zu Beginn des 20. Jahrhunderts Stiftungen gegründet. Am bekanntesten sind die Ford und Rockefeller Foundations. Der Staat begünstigt die Stiftungen steuerlich. Mit der Globalisierung haben tausende US-Unternehmen Stiftungen gegründet und sind damit auch im Ausland tätig. Sie fördern Lehrstühle, Forschungen, Schulen, Museen, Orchester, Sozial- und Gesundheitsprojekte, vergeben Stipendien und Preise, finanzieren Kongresse.
Das ist in etwa ein Drittel des spannenden Textes von Werner Rügemer. Bitte im Buch weiterlesen!
Dr. Werner Rügemer, Köln, Philosoph, arbeitet als Publizist, Berater und Stadtführer. Letzte Buchveröffentlichungen: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet – Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur. 226 Seiten, Köln 2017 (2. Auflage); mit Elmar Wigand: Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und die professionelle Bekämpfung von Gewerkschaften. 260 Seiten, Köln 2017 (3. erweiterte und aktualisierte Auflage). www.werner-ruegemer.de
Fussnoten:
1 Who owns Congress? Mother Jones September/October 2010, http://www.motherjones.com/politics/2010/09/congresscorporate-sponsors, zuletzt aufgerufen am 17.04.2017
2 John Mearsheimer/Stephen Walt: The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy, New York 2007
3 Nomi Prins, All the President’s Bankers. New York 2014, S. 17-39
4 Werner Rügemer, Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart. Bielefeld 2012
5 Walter Wüllenweber, Legale Staatsfeinde, Stern 22.05.2013
6 Werner Rügemer, Die Berater. Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft, Bielefeld 2004
7 Sam Biddle, At Booz Allen, a Vast U.S. Spy Operation, Run for private Profit, New York Times 06.10.2016
8 Sam Biddle, How Peter Thiel’s Palantir helped the NSA spy on the whole world, Intercept 22.02.2017
9 Stephen Kinzer, The Brothers. John Foster Dulles, Allen Dulles and their Secret World War, New York 2013
10 Washington Post 15.04.2015
11 Shining a Light on Corporate Handouts, jobs with justice 27.02.2017, www.jwj.org, zuletzt aufgerufen am 16.04.2017
Mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen aus:
Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter
Herausgegeben von Ullrich Mies und Jens Wernicke
Mit Beiträgen von Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm, Hansgeorg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz, Mike Lofgren, Rainer Mausfeld,
Ullrich Mies, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Andreas Wehr, Wolf Wetzel und Ernst Wolff
Promedia-Verlag Wien, 2017
Taschenbuch, 240 Seiten, 19,90 Euro
Siehe auch:
Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Von Ullrich Mies und Jens Wernicke
NRhZ 623 vom 26.07.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24019
Fassademokratie und tiefer Staat. Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter
Das marktgetreue Grinsen
Buchtipp von Harry Popow
NRhZ 629 vom 20.09.2017
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24156
Aus dem neu erschienenen Buch "Fassadendemokratie und Tiefer Staat"
Das Ende der Demokratie – wie wir sie kennen
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