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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Medien
Beschwerden gegen manipulierende Berichterstattung von ARD-aktuell mit ihrer Tagesschau
Gegen die Macht um Acht
Von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer

ARD betreibt in Sachen Air-Berlin parteiische Berichterstattung. Geopolitische Konfliktherde werden ausgeblendet. Und der Skandal um Glyphosat wird verschwiegen. Darum geht es in dieser Woche bei den Programmbeschwerden, die Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer beim NDR-Rundfunkrat eingereicht haben. "Die ARD-Nachrichten sind der Taktgeber für die meisten Medien der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt, der kritisiert den Kern des deutschen Journalismus. Die Tagesschau-Maschine ist weder verlässlich noch neutral und keinesfalls seriös. Sie ist nur wenig Anderes als eben fünfzehn Minuten Staatsfunk." So heißt es im Vorwort des im Mai 2017 erschienenen Buches "Die Macht um acht - Der Faktor Tagesschau" von Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam. Die eingereichten Programmbeschwerden sind zu den "fünfzehn Minuten Staatsfunk" ein notwendiger Kontrapunkt.


Air-Berlin - parteiische Berichterstattung - Programmbeschwerde zur tagesschau.de-Berichterstattung vom 25.9.2017 - eingereicht am 28.9.2017

Sehr geehrte Rundfunkräte, wieder einmal erweist sich ARD-aktuell als eine in der neoliberaler Ideologie fest verwurzelte Redaktion, die penetrant einseitig berichtet und damit die Programm-Richtlinien konsequent mißachtet. Damit stellt sie zudem den Sinn und Zweck des auch ihre Existenz sichernden Finanzsystem auf den Kopf: Anstatt die Interessen der überwiegenden Zahl der abhängig Beschäftigten in den Fokus der Berichterstattung zu stellen – also derjenigen, die maßgeblich das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem finanzieren – berichtet die Redaktion ausschließlich parteiisch zu Gunsten der Unternehmensführungen und deren Interessen.


Screenshot aus der website "tagesschau.de"

Schon die Überschrift "Gute Aussichten für Mehrheit der Mitarbeiter" ist eine parteiische Wertung, die in Nachrichten nichts zu suchen hat. Sie ist zudem unzutreffend und wahrheitswidrig, weil die erklärte Absicht besteht, die Arbeitsbedingungen aller Piloten zu verschlechtern.

Als brave Claqueure geben die ARD-aktuell-Flaggschiffmannen wieder einmal nur das wieder, was die PR-Abteilungen der in Rede stehenden Konzerne ihnen vorzuschreiben pflegen:

"Air Berlin-Chef Thomas Winkelmann fügte hinzu, man werde nicht alle 8000 Arbeitsplätze erhalten können. Er betonte aber: "Wir sind auf dem Weg, für rund 80 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen gute Chancen für neue Arbeitsplätze bei den Bietern erreichen zu können."

Unbeachtet bleiben bei solcher Nachrichtenformung die für Chefredakteur Gniffke und Intendant Marmor geltenden Programmrichtlinien, obwohl es darin unmissverständlich heißt: "Berichterstattung und Informationssendungen... müssen unabhängig und sachlich sein. Zur journalistischen Sorgfalt gehört, dass Tatsachenbehauptungen überprüft werden; Vermutungen sind als solche zu kennzeichnen... Die ARD hat bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit zu beachten".

Klar und eindeutig hatte sich auch der Berufsverband der Piloten zu den Problemen geäußert. Doch dessen Ansicht übergingen fast alle Mainstreammedien, ARD-aktuell an vorderer Front, in neoliberalem Gleichgang. Die Ansichten und Sorgen der vom Arbeitsplatzverlust Bedrohten interessierten den Qualitätsjournalismus a la Dr. Gniffke nicht. Die Parteilichkeit dieser Berichterstattung ist erweislich.

Die Vereinigung Cockpit (VC) hatte nach der Festlegung auf die Käufer für die Filetstücke der Air-Berlin-Group, nämlich Lufthansa-Group und EasyJet, von diesen Kandidaten konkrete Zusagen im Sinne der Air-Berlin-Beschäftigten gefordert.

„Unser oberstes Ziel ist der Erhalt von Arbeitsplätzen in allen Bereichen des Unternehmens. Nach unseren Gesprächen mit einem der privilegierten Kandidaten, der Lufthansa-Group, wurde uns unmissverständlich mitgeteilt, dass jeder einzelne Pilot ein individuelles Assessment durchlaufen soll, um eventuell einen der Arbeitsplätze zu ca. 30 Prozent abgesenkten Bedingungen in dem aufnehmenden Betrieb zu erhalten. Im Vordergrund steht für die Lufthansa offenbar, alles zu unternehmen, damit die gesetzlichen Folgen eines Betriebsübergangs, der Arbeitnehmern wichtige Schutzrechte gewährt, zu umgehen“, so Ingolf Schumacher, Vorsitzender Tarifpolitik Vereinigung Cockpit.

„Mit der Übernahme von Flugzeugen, Slots und Streckenrechten geht auch soziale Verantwortung für die Beschäftigten der Air Berlin einher. In den bisherigen Gesprächen mit Lufthansa konnten wir ein Bewusstsein für diese soziale Verantwortung leider nicht erkennen. Eine geregelte Übernahme des Air-Berlin-Cockpitpersonals lehnt Lufthansa zu unserem Entsetzen ab. Das geht so nicht!“, so Schumacher weiter."

Dass ARD-aktuell diese Statements der betroffenen Beschäftigten unterschlagen hat, ist angesichts der Resistenz der Redaktion gegenüber sozialen Aspekten nicht überraschend, aber dennoch ein Verstoß gegen die Programmrichtlinien.


Geopolitische Konfliktherde ausgeblendet - generelle Programmbeschwerde - eingereicht am 28.9.2017

Sehr geehrte Rundfunkräte des NDR, dass innenpolitische Themen nach der Bundestagswahl die Republik derzeit mehr zu beschäftigen scheinen als alle weltpolitischen Konfliktherde zusammen, voran Syrien und Jemen, ist nicht nur mangelndem Interesse der deutschen Öffentlichkeit zuzuschreiben, sondern auch einer dem Programmauftrag längst nicht mehr gemäßen Berichterstattung der korporierten Massenmedien.

Auch in Rundfunkratskreisen dürften, falls dort offen politisch debattiert wird, die parlamentarischen und sonstigen Folgen der Wahl mehr Gesprächsstoff bieten als die Kriege und Kriegsverbrechen außerhalb unserer Landesgrenzen – als ob sich die Welt nicht längst schon wieder weitergedreht hätte.

ARD-aktuell hat den Auftrag, über alle wesentlichen Lebensbereiche „umfassend und sachlich“ zu berichten. Dass sich die von den USA und den Saudis geführte Allianz im Jemen ein Kriegsverbrechen nach dem anderen zuschulden kommen lässt, ist jedoch der Tagesschau keine Sendesekunde wert. An der syrisch-irakischen Grenze nahmen IS-Terroristen im Bündnis mit den USA (!) und unter deren offenkundiger Anleitung mit hochmodernen Lenkwaffen einen russisch-syrischen Gefechtsstand unter Punktfeuer und töteten den Generalleutnant Valery Asapov; dass jetzt Kampfhandlungen unmittelbar zwischen US-amerikanischen Streitkräften und der russischen Armee in Syrien begonnen haben und die Ortschaft Deir Ez-zor Namensgeber für eine Niederlage der USA in deren verdecktem Krieg gegen Syrien werden kann oder Ausgangspunkt für einen Krieg der USA gegen Russland, spielt für die Qualitätsjournalisten in Hamburg-Lokstedt offenbar keine Rolle. Darüber herrscht Schweigen im Walde...

Das im Heise-Verlag erscheinende Internet-Magazin „Telepolis“ bringt die Redaktionslinie der ARD-aktuell auf folgenden Nenner: Wahrheitsliebe in Zeiten der Cholera: Jemen-Berichterstattung mangelhaft. (1)

Der möglicherweise defizitären Wahrheitsliebe der ARD-aktuell-Mannschaft  gilt zwar nicht unser Interesse. Wohl aber die fehlende Bereitschaft, nüchtern, sachlich und um Objektivität bemüht über die Brennpunkte unserer Zeit zu berichten. Nach unserer Ansicht betreibt ARD-aktuell schon lange keinen Nachrichtenjournalismus mehr, sondern versteht sich als Rädchen in der transatlantischen Propagandamaschinerie bzw. als Herold des Kanzleramts. Deshalb schließen wir uns den Ausführungen des „Telepolis“-Chefredakteurs Florian Rötzer in vollem Umfang an.

Betrachten Sie, das wäre unser Vorschlag, unsere Beschwerde ausnahmsweise mal nicht als bloße „Anregung“, zu adressieren an die Redaktion Tagesschau. Sondern als Anregung für Sie, die Rundfunkräte; überlegen Sie doch mal, ob der Telepolis-Beitrag nicht zeigt, dass ARD-aktuell zur Wahrung der Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dringend einen Kurswechsel vollziehen sollte.

1 Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Wahrheitsliebe-in-Zeiten-der-Cholera-Jemen-Berichterstattung-mangelhaft-3839460.html


Skandal um Glyphosat verschwiegen - Programmbeschwerde zur Berichterstattung vom 22.8.2017 ("Debatte im Bundestag Grüne wollen Glyphosat-Verbot" und "Monsanto-Übernahme durch Bayer EU will weiter prüfen") - eingereicht am 26.9.2017
 



Screenshots aus der website "tagesschau.de" vom 22.8.2017

Sehr geehrte NDR-Rundfunkräte, das „umstrittene“ Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat des US-Pharma-Riesen Monsanto war zwar Thema in einer ganzen Reihe von Sendungen der ARD-aktuell (s. Betreffzeile). Dass Glyphosat im Verdacht steht, Krebs zu verursachen, wurde ebenfalls erwähnt, sogar im Zusammenhang mit der Übernahme von Monsanto durch die deutsche Bayer AG.

Zwei wesentliche Aspekte allerdings blieben in allen Sendungen außen vor: Dass die deutsche Agrarindustrie jährlich mehr als 6 000 Tonnen Glyphosat zur Herstellung und Bewirtschaftung flächendeckender Monokulturen versprüht und damit eine nationale ökologische Katastrophe anrichtet – und dass das regierungsamtliche Institut für Risikobewertung, BfR, ungeachtet aller Bedenken beträchtliche Anstrengungen unternahm, um den weiteren Gebrauch von Glyphosat aufgrund einer EU-Zulassungsverlängerung zu gewährleisten.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, hatte anno 2015 der EU-Kommission ihren Schlussbericht über die Verträglichkeitsuntersuchungen bezüglich Glyphosat vorgelegt: angeblich ohne Verdacht auf krebserregende Wirkungen. Kürzlich allerdings wurde bekannt, dass rund 100 der insgesamt 4 300 Seiten des EFSA-Berichts Textbausteine enthalten, die von Monsanto-Autoren stammen. Der Chemiekonzern fungierte also zumindest teilweise für die EU als Begutachter seines eigenen Produkts. (1)

Eine Untersuchung der europäischen Bürgerinitiative „Stopp Glyphosat“ hat ergeben, dass Monsanto mit allen Mitteln versuchte, ein Glyphosat-Verbot durch die EU zu verhindern und deshalb den genannten, massiven Einfluss auf den Prüfbericht nahm. (2)
 
“Die Kapitel im EFSA-Bericht über die bisher veröffentlichten Studien zur Wirkung von Glyphosat auf die menschliche Gesundheit sind quasi Wort für Wort von einem Monsanto-Bericht aus dem Jahre 2012 übernommen“, stellte die italienische Tageszeitung „La Stampa“ fest.

Die Monsanto-Textbausteine, so berichtet der Österreichische Rundfunk, seien nicht unmittelbar von den EFSA-Gutachtern selbst übernommen worden. Vielmehr seien sie in einem Bericht Deutschlands enthalten, das in der Causa Glyphosat Berichterstatter für alle nationalen Regierungen ist. (3)

Die europäischen Medien sind voller Beiträge über diesen Skandal, sogar die ZDF-heute-Redaktion berichtete darüber. Falls die publik gemachten Vorwürfe zutreffen, wäre eine weitere Ungeheuerlichkeit offenbar, nämlich dass sich die Regierungsbehörde BfR die Interessen des Chemiekonzerns Bayer/Monsanto zu eigen machte, um damit eine Entscheidung der EU-Kommission zu präjudizieren (Kanzlerin Merkel, CDU, und Landwirtschaftsminister Schmidt, CSU, sind eh für Glyphosat, Umweltministerin Hendriks, SPD, ist allerdings strikt dagegen).

Das Bekanntwerden des Skandals im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahl könnte unabsehbare Konsequenzen haben – das sich aufdrängende Motiv dafür, dass ARD-aktuell kein Wort über die Vorgänge verlor und auch das ARD-Hauptstadtstudio der Geschichte nicht weiter nachging.

In Kalifornien steht Glyphosat seit kurzem auf der Liste verbotener Chemikalien. Schon 2015 hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) erklärt, Glyphosat sei sehr wahrscheinlich verantwortlich für die Entstehung von Krebs. In der deutschen Bevölkerung gibt es schon seit Jahren erhebliche Befürchtungen wegen möglicher Gesundheitsgefahren infolge des flächendeckenden Einsatzes der Chemikalie. Dies hätte die Redaktion ARD-aktuell in Rechnung stellen müssen statt den Skandal schlicht zu übergehen und damit ihre staatsvertragliche Pflicht zu verletzen, nämlich „umfassend über alle wesentlichen Lebensbereiche“ zu informieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrem Gremium, dem NDR-Rundfunkrat, ist mindestens ein Repräsentant der Verbraucherschutz-Organisationen vertreten. Für Sie alle aber, so sollte man meinen, sollte Verbraucherschutz keine quantité négligeable sein, die von ARD-aktuell ignoriert werden darf.

Die bisherige Erfahrung lehrt uns allerdings, dass Zusammensetzung und Selbstverständnis dieses NDR-Rundfunkrats ihn darin hindern, seinen Auftrag im Sinne der Bevölkerung und gemäß Rundfunkstaatsvertrag wahrzunehmen. Es steht füglich zu erwarten, dass Sie ein weiteres Mal Ihre Unzuständigkeit für nicht gesendete Nachrichten (d.h. Verletzung des Informationsauftrags) vorschützen werden und hinnehmen, dass ARD-aktuell mit seiner Nachrichtenauswahl im Interesse des politischen Machtgefüges und der Konzerne handelt – und sei es um den Preis der Gesundheit der eigenen Bürger.

1 Quellen u.a.:
http://www.heute.de/medien-berichten-dass-die-eu-behoerde-efsa-bei-ihrem-glyphosat-bericht-beim-hersteller-abgeschrieben-hat-efsa-bestreitet-das-47958754.html
http://www.lemonde.fr/planete/article/2017/09/16/glyphosate-l-expertise-europeenne-truffee-de-copies-colles-de-documents-de-monsanto_5186522_3244.html
https://www.merkur.de/wirtschaft/skandal-im-glyphosat-streit-eu-behoerde-uebernahm-argumente-von-monsanto-zr-8688054.html
2 Quelle: http://bit.ly/2s2nab8
3 Quelle: http://orf.at/stories/2407060/2407061/

Online-Flyer Nr. 631  vom 04.10.2017

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