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Globales
Exklusiv aus Syrien - Reportage über den Ort Assal al-Ward
Wie ein Ort den Frieden mitten im Krieg bewahrt
Von Karin Leukefeld, Assal al-Ward

Der Ort Assal al-Ward in Syrien liegt auf etwa 1800 Meter Höhe inmitten der weiten und fruchtbaren Hochebene des westlichen Qalamoun-Gebirges, nahe am Libanon. Sein Name bedeutet so viel wie „Blütenhonig“. Der Krieg hat ihn verschont, dank der Bürgermeister. Karin Leukefeld hat den Ort im Oktober besucht. Der Name des Ortes passt zu der Landschaft: Pinien säumen die Straßen. Der Herbst hat Büsche und Bäume bunt gefärbt. Der Boden ist fruchtbar, es gibt Flüsse und Quellen. Hier gedeihen Wein, Äpfel, Mandeln, Aprikosen und Kirschen. Die wilden und die auf Feldern wachsenden Blumen werden in dem guten syrischen Blumen- und Kräutertee verarbeitet. Der hier geerntete Honig gehört zum Besten im Mittleren Osten.


Jungen strömen aus der Grundschule (alle Fotos: © Sputnik / Leukefeld)

Im Juni und Juli des Jahres geriet der Ort in die Schlagzeilen, als 60 Familien mit etwa 300 Personen aus dem libanesischen Grenzort Arsal – der teilweise vom „Islamischen Staat“ (IS) kontrolliert wurde – nach Syrien zurückkehrten. Das war von der libanesischen Hisbollah mit den Regierungen des Libanon und Syriens verhandelt worden. Die libanesische Armee eskortierte die beiden zivilen Fahrzeugkonvois bis zur syrischen Grenze, von wo sie weiter nach Assal al-Ward fuhren. Der Ort war nur eine Übergangsstation, wie Bürgermeister Abu Rafad der Autorin berichtete. Die meisten Familien kamen aus Yabrud und anderen Orten und fuhren nach einem kurzen Aufenthalt in Assal al-Ward weiter nach Hause.

Zweierlei Maß des Westens

Die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge aus den Nachbarländern nach Syrien sollte nicht nur Ziel internationaler Flüchtlingshilfe, sondern auch selbstverständlich sein und mit der Regierung in Damaskus verhandelt werden. Letztere hat Rückkehrern bereits Hilfe und Unterkunft angeboten, sollten ihre Häuser zerstört sein. Das UN-Hilfswerk für Flüchtlinge (UNHCR) sollte den Flüchtlingen bei der Rückkehr helfen, auch finanziell. Doch die syrischen Flüchtlinge nicht nur im Libanon sind längst ein Politikum und zudem ein Geschäft geworden. Europäische Länder, darunter auch Deutschland, zahlen an die jeweiligen Regierungen und an Hilfsorganisationen für die Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens. Geld fließt als „Stabilisierungshilfe“ an lokale Gemeinden, die Flüchtlinge aufgenommen haben, für Straßen-, Wohnungs- und Schulbau. Deutschland und die EU-Länder weigern sich aber, die gleiche Hilfe für in ihre Heimat zurückkehrende Familien zu leisten, so lange die syrische Regierung von Präsident Bashar al-Assad geführt wird.


Blick über die Hochebene auf den Anti Libanon

Es ist Mittagszeit. Nicht weit vom östlichen Stadtrand von Assal al-Ward entfernt strömen Kinder aus ihrer Schule nach Hause. Die Straße ist voller Mädchen und Jungen in blauen Schuluniformen. Sie toben herum, kichern, kämpfen, tauschen ihre mitgebrachten Süssigkeiten aus und starren ungläubig auf das Auto mit der ausländischen Journalistin. Schnell ist der Wagen von einer schreienden und lachenden Kindertraube eingeschlossen. Schließlich sorgen einige Lehrerinnen für Ruhe und schieben die Kinder zurück.


Grundschule für Jungen und Mädchen

Es sei nicht ungewöhnlich in Syrien, dass in der Schule Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet würden, sagt eine der Lehrerinnen und lächelt unter ihrem fest um das Gesicht gebundenen Hijab hervor. Ihre Nachbarin hat ihren Schal bis über die Nase hinaufgezogen und stimmt der Kollegin zu. „Das war schon so vor der Krise“, also vor 2011, als der Krieg in Syrien begann. 370 Kinder würden an der Grundschule von 20 Lehrerinnen in den Klassen 1 bis 6 unterrichtet. Außerdem gebe es eine Englischlehrerin und eine Direktorin. Das gesamte Lehrpersonal seien Frauen, nur der Sportlehrer sei ein Mann. In Assal al-Ward gebe es noch eine weitere Grundschule und zwei Schulen für die älteren Klassen bis zum Baccalaureat, einem mit dem Abitur vergleichbaren Abschluss. Die älteren Schüler und Schülerinnen würden getrennt unterrichtet.

Zwei Bürgermeister

Abdulrahman Khalouf (Abu Rafad) und Mahmud Ali Khalouf (Abu Rami) sind Cousins und leiten als Bürgermeister die Geschicke des Ortes gemeinsam. Rund 13.000 Menschen leben in Assal al-Ward, 7000 gehören zur Familie Khalouf. „Herzlich Willkommen, herzlich Willkommen“, wiederholt Abu Rafad und schüttelt die Hände seiner Gäste. Dann greift er zu einer Kaffeekanne aus Messing, zündet den kleinen Gaskocher an, der vor ihm auf dem Boden steht und bereitet arabischen Kaffee. „Bei uns ist es so üblich, erst den Kaffee zu trinken, dann können Sie alle Ihre Fragen stellen“, sagt er und bietet reihum Zigaretten an.


Die beiden Bürgermeister Abu Rami (links) und Abu Rafad (rechts): Keine Waffen außer Worte

Sein Cousin Abu Rami ist eingetroffen und lässt sich auf dem Boden nieder. Abu Rafad schenkt den Kaffee aus: „Wenn wir eine Ehrenperson zu Besuch haben, oder einen Ältesten, erhält diese Person zuerst den Kaffee und dann schenken wir weiter aus, einmal nach links und einmal nach rechts.“ Eine große Schale Obst wird gereicht, dann mit Mandeln gefüllte Datteln. Später gibt es Tee und zum Abschied noch einmal Kaffee.

Der Weg des Friedens

Alles in Assal al-Ward hat seine Ordnung, Respekt voreinander zählt mehr als Gut und Geld. Als die ersten Berichte von bewaffneten Gruppen bekannt wurden, sei eine wichtige Entscheidung getroffen worden, erzählen die beiden Cousins:

„Keiner von uns greift zur Waffe, keiner der Kämpfer betritt unser Land.“ Die Nähe zur libanesischen Grenze nutzten Schmuggler und bewaffnete Gruppen, um Waffen und Munition, Geld und Kämpfer aus dem Libanon nach Syrien zu schleusen. Eine Nachschubroute führte in den Norden nach Homs, eine andere Route zog in Richtung Osten  nach Nasariya und weiter Richtung Qaryatayn und Palmyra. Eine weitere Route führte nach Zabadanai, von wo es nicht mehr weit nach Damaskus ist.

Die Linie der Khaloufs habe sich in den Jahren durchgesetzt. Was für die Kämpfer galt, habe auch für die syrische Armee gegolten, betont Abu Rafad. Mehr als einmal habe er selber für eine Vereinbarung garantiert. „Besser tage- oder wochenlang reden als gegeneinander zu kämpfen“, sagt der Bürgermeister. Es sei ihnen gelungen, den Krieg von Assal al-Ward fernzuhalten, „weil wir uns einig waren.“ Ein Gewehr trage er nicht, sagt Abu Rafad. „Meine Waffe sind meine Worte.“ Aber, fügt sein Cousin Abu Rami hinzu: „Wir müssen unser Land auch verteidigen.“


Mit Dank übernommen von Sputnik - dort veröffentlicht am 6.11.2017

Online-Flyer Nr. 636  vom 08.11.2017

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